Wird die Fußball-Welt zu Gast bei Freunden sein?

Nach einem Oberliga-Spiel wurde der nigerianische Spieler Ogungbure angegriffen, die Polizei jedoch ging nur gegen ihn vor

Es sind noch wenige Wochen bis zum Großereignis der Fußball-Weltmeisterschaft, die unter dem Slogan Die Welt zu Gast bei Freunden steht. Letzte Vorbereitungen dazu scheinen nahezu abgeschlossen. Reine Fußballwelt-Freundesbilder erwarten uns, so wird es versprochen – quasi ein unpolitisch-freundschaftliches Willkommen der Nationen in bundesdeutschen Gefilden.

Fußballerische Weltklasse konnte dem Punktspiel in der NOFV-Oberliga Süd zwischen dem Halleschen FC und Sachsen Leipzig vor rund 3.000 Zuschauern am 25. März wahrlich nicht unterstellt werden. Die Partie erregte vielmehr durch Geschehnisse Aufmerksamkeit, die nicht so recht ins freundschaftsbeseelte WM-Vorfeld zu passen scheinen, aber in bundesdeutschen Fußball-Stadien nicht erst seit gestern zu beobachten sind. So weist beispielsweise bereits seit Jahren das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) mit einer Wanderausstellung und einem Online-Nachrichtendienst auf den Tatort Stadion hin. Die Liste von Beispielen für offenen Rassismus und Diskriminierung in der bundesdeutschen Fußballwelt scheint eine Dokumentation ohne Ende.

Abgesehen von Ausschreitungen an besagtem Tag zwischen Anhängern beider Oberliga-Mannschaften im Halleschen Kurt-Wabbel-Stadion wurde der dunkelhäutige Leipziger Spieler Adebowale Ogungbure fortwährend mit gegrunzten Affenlauten von den Rängen verhöhnt. Nach Spielschluss dann – mitgereiste Leipziger hatten mittlerweile den Rasen gestürmt – attackierten Hallenser Zuschauer den Nigerianer körperlich, als dieser den Platz in Richtung Kabine verlassen wollte. Ogungbure wurde bespuckt, geschlagen und “Drecksnigger“ geheißen. Der 24-Jährige reagierte auf die Angriffe vor der Haupttribüne des Stadions mit einem offensichtlich verächtlich gemeinten Hitlergruß. Diesen wollte er nach eigener Darstellung so auch “nicht als Tolerierung der NS-Bewegung“ verstanden haben wissen. “Ich wurde geschlagen und wusste nicht, wie ich mich wehren sollte. In meiner ganzen Karriere wurde ich noch nie so schlecht behandelt wie in dieser Oberliga. Ich bin kein Affe oder Bimbo, sondern ein Mensch“, erklärte sich Ogungbure.

Wegen Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole wurde aufgrund von Zeugenaussagen gegen den Nigerianer seitens der Polizei erst einmal Anzeige erstattet, während man die verbalen und körperlichen Angriffe auf ihn anscheinend in Ordnung oder vernachlässigbar fand. Die Hallenser Staatsanwaltschaft hat immerhin die polizeilichen Ermittlungen gegen Adebowale Ogungbure gestern wieder eingestellt: “Das Zeigen des Hitlergrußes war in diesem Fall nicht strafrelevant. Ogungbure wurde provoziert, er identifiziert sich nicht mit den Zielen verfassungsfeindlicher Organisationen.“ Der Präsident des FC Sachsen Leipzig, Rolf Heller, übte gleichzeitig Kritik am Verhalten der Sicherheitskräfte: “Das Weggucken der Polizei ist bedenklich“. Solche Vorfälle können gerade im Vorfeld der Fußball-WM nur den erstaunen, der bisher nicht sehen wollte.

Für den erweiterten Schutz der Freundschafts-Fußball-Weltmeisterschaft beabsichtigt Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) in Absprache mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) das bereitstehende Bundeswehrkontingent von bisher geplanten 2.000 Soldaten auf 7.000 zu erhöhen. Der Koalitionspartner SPD signalisierte keine verfassungsrechtlichen Bedenken – “schließlich würden die Soldaten nicht mit der Waffe in der Hand eingesetzt“.

[Dieser Artikel wurde am 29. März 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Wenn die Kindertagesstätte staatlicher Tatort wird

Bei einem bundesweit bisher einmaligen Polizeieinsatz wird in Dresden ein Kind als Druckmittel für die Abschiebung der Mutter benutzt

Es liest sich durchaus wie aus einem Drehbuch zu einem unterklassigen Fernseh-Krimi, was sich am 6. März im Dresdner Stadtteil Gorbitz abspielte. Das Szenario: Kurz nach 8 Uhr fahren zwei Streifenwagen im Limbacher Weg vor, zwei uniformierte Polizeibeamtinnen betreten die dortige Kindertagesstätte OUTLAW und verlangen die Herausgabe eines 3-jährigen Angolaners. Als Begründung stellt sich später heraus, dass man über das Kind der im April 2001 in die Bundesrepublik eingereisten Mutter habhaft werden wollte. Deren Asylantrag war im Oktober 2002, für ihren Sohn im Juni 2004, abgelehnt und letztlich vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Dezember 2004 mangels erkennbarer Abschiebehindernisse rechtskräftig beschieden worden.

Nach dem sich die Erzieher des OUTLAW zunächst weigerten, den Jungen herauszugeben, wurde zusätzliche polizeiliche Verstärkung angefordert. Schließlich gestattete die Polizei wenigstens, dass eine Vertrauensperson den Jungen im Streifenwagen zum Kinder- und Jugendnotdienst begleiten darf. Stunden später wurde dann das Kind mit der lapidaren Bemerkung “Der hat jetzt Hunger“ wieder in die Kindertagesstätte zurück gebracht. “Noch ist unklar, was tatsächlich in der Zwischenzeit passiert war“, stellte die Sächsische Zeitung am nächsten Tag eine der offenen Fragen zu den Geschehnissen. Die Vorwürfe gegen das Vorgehen der Polizei reichen mittlerweile von “Entführung“ bis “Geiselhaft“.

Vor dem Jugendhilfeausschuss des Dresdner Stadtrates verteidigte Oberbürgermeister Roßberg (FDP) den Einsatz der Polizei. Jugendamtsleiter Lippmann versprach eine Aufklärung der Vorgänge. Die sächsische Ausländerbeauftragte de Haas (CDU) erklärte: “Die Menschenwürde ist ein unantastbares Gut und bestimmt jedes polizeiliche Handeln.“ Darüber hinaus, so de Haas weiter, müsse gerade bei Kindern im Zweifel das Interesse an einer schnellen Abschiebung hinter dem Kindeswohl zurückstehen. Mutter und Kind sind jedenfalls nach den Ereignissen erst einmal verschwunden.

Die Staatsanwaltschaft untersucht nunmehr, ob sich die Polizeibeamten und deren Vorgesetzte wegen Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung oder auch erpresserischen Menschenraubs vor Gericht verantworten müssen. “Das war keine Meisterleistung polizeilichen Handelns, wir haben sehr unglücklich agiert“, offenbarte ein Sprecher der Polizeidirektion Dresden. Gleichzeitig wird wie entschuldigend betont, dass die Polizei lediglich als “Vollzugshilfe“ für die ZAB tätig geworden sei, weil die Frau ihren Abschiebebescheid ignoriert habe.

[Dieser Artikel wurde am 19. März 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Virtueller Krieg gegen den Terrorismus

Das Echtzeit-Strategiespiel “War on Terror“ verspricht rein technisch viel im Terrorismus-Kampf. Titel und Inhalt deuten allerdings auch über den Cyber-Bildschirmrand hinaus

Der von der US-Regierung nach dem 11. September 2001 postulierte War on Terrorism wird zwar auch im eigenen Land zunehmend kritisiert. Allerdings hat die so geführte und mittlerweile fast durchgängig als Global War on Terror titulierte Politik unter dem amtierenden Präsidenten George W. Bush zumindest scheinbar eines erreicht: Bei mehr und mehr US -Amerikanern ist ein negativ besetztes sowie potentiell gewaltunterstellendes Bild des Islam vorherrschend (Ihr Sieg ist auch ein Sieg Bin Ladens) – und das nicht erst seit gestern und zudem nicht allein in den USA.

Die virtuelle Spielewelt kann als mehr oder weniger deutliche Widerspiegelung verstanden oder ebenso als Resultat einer Entwicklung gesehen werden. Wer beispielsweise einmal seinen Blick durch Free-Mini-Game-Plattformen im Internet schweifen lässt, vermag sich dort beispielsweise auch mit Spielen wie War on Terrorism auf virtuelle Missionen begeben. Der erste Teil von War on Terrorism wurde von TechRadium noch im Jahr 2001 veröffentlicht, der zweite Teil folgte fast umgehend im darauffolgenden Jahr.

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(Screenshots von “War on Terror”)

Beide Teile lassen – bei nicht einmal mittelmäßig einzustufender Performance – an Deutlichkeit sowie Umsetzung des virtuellen Kampfziels nichts zu wünschen übrig. In den zwei Spielversionen steht fast ausschließlich ein Scheibenschießen auf nicht näher spezifizierte – aber eindeutig zuordenbare – Terroristen im Mittelpunkt. Darüber hinaus kann im ersten Teil von War on Terrorism während der Mission “Bin Laden Capture“ Osama selbst prügelnd bearbeitet werden – bis dieser durch die Schläge zusammenbricht. Die politische Botschaft, wenn solchen Spielen denn eine unterstellt wird, ist nicht nur in dieser Sequenz – bis dahin allerdings rein technisch gesehen schlecht umgesetzt – deutlich.

Eine Entwicklung mit durchaus politischen Bezügen kann seit dem 11.9. auf dem Spielesektor wohl auch von jenen, die hier nicht unbedingt einen Zusammenhang sehen möchten, nicht geleugnet werden. Zudem nimmt der “Kampf gegen den internationalen Terrorismus völlig neue Dimensionen“ an. Mit dem PC-Spiel War on Terror wird “ein bedrückend authentisches Zukunftsszenario“ versprochen.

In der Game-Story plant ein Terrornetzwerk namens The Order Anschläge “auf die Metropolen der zivilisierten Welt“. Doch damit nicht genug: “Der Orden sät obendrein aus dem Untergrund heraus Zwietracht zwischen der NATO-Nachfolgeorganisation World Forces und der Großmacht China.“ Nun liegt es allein in den Händen des Spielers, “die weltweite Verschwörung aufzudecken und der Menschheit den Frieden zurückzubringen“.

Der Publisher von War on Terror, Deep Silver, scheint sich allerdings über die historische Verortung des virtuell anbrechenden allumfassenden Terrorkriegs selbst nicht ganz sicher. Auf der offiziellen Website zum Spiel befindet sich “im Jahr 2006 … der Terror auf seinem finsteren Höhepunkt“, während in der Printwerbung der Orden auch schon mal erst 2008 seinen Terror-Großangriff beginnt. Aber letztendlich ist allein das Ziel bestimmend, nämlich “die Welt ein für alle Male vom Terrorismus zu befreien“.

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In der Ankündigung der technischen Umsetzung des Echtzeit-Strategiespiels durch den ungarischen Entwickler Digital Reality – der Mitentwickler Monte Christo ist gegenwärtig “under construction“ – wird mit Superlativen nicht gerade sparsam umgegangen. Ein Augenmerk liegt dabei darauf, dass die von D-Day und Afrika Korps vs. Desert Rats bekannte Walker-Engine von Digital Reality zur Walker 3 Engine weiter entwickelt wurde. So wäre jetzt mit bis zu 2.500 Polygonen für einen Soldaten in der Darstellung eine enorme Detailvielfalt möglich geworden. “Liebevoll gestaltete und im Genre unverbrauchte Schauplätze rund um den Globus“ – wie beispielsweise der Pariser Eiffelturm, das Brandenburger Tor und die Kathedrale von Canterbury – seien aus bis zu 40.000 Polygonen zusammengesetzt und würden – “zum Verwechseln ähnlich“ – in der 3D-Grafik durch realistische Schatten- und Beleuchtungseffekte umspielt.

War on Terror bietet zudem einen Multiplayer-Modus mit 20 Karten für bis zu acht Mitspieler. Weitere Mehrspieler-Karten können auf Wunsch von einem Zufallgenerator zusätzlich erstellt werden. Zudem soll die Unterstützung mit GameSpy War-on-Terror-Kämpfe via Internet effektiver möglich machen. Besonders hervorhebenswert scheint die für das Spiel entwickelte künstliche Intelligenz (KI). Hier zeichnen nunmehr für die meisten Spielaktionen nicht mehr feststehende Skripts verantwortlich, “sondern eine flexible KI, die sich der jeweiligen Situation anpasst“. Ein kleinwenig klingt es so, als sei Digital Reality bei der KI-Programmierung zumindest ansatzweise etwas gelungen, woran andere Entwickler seit längerem nach wie vor eher weniger als mehr erfolgreich zu Gange sind (S.T.A.L.K.E.R. – ein Nachruf?).

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Der Medien-Hype um War on Terror ist zudem nicht gering. Wohl einmalig in der bisherigen Geschichte wurde ein Spiel in der Zeitschrift PC GAMES gleich über sechs Seiten beworben und zudem vorab als “Prachtspiel“ eingestuft: “Effekte wie im Actionfilm“. GameStar betont in seiner Beurteilung “eine sehr realistisch wirkende Umgebung“. PC AKTION lässt sprachlich herausragend während erster Tests “oft mal vor lauter Grafikpracht den Bildschirm vollsabbern“ und stellt resümierend fest: “So nah an einem virtuellen Kriegsgeschehen waren Sie noch nie.“ Getrübt wird das Ganze allerdings von scheinbar aufgetretenen Turbulenzen um den letztendlichen Release-Termin des Spiels, der eigentlich für den 17. März angekündigt war, aber nun laut der “War on Terror“-Website offenbar auf den 7. April verschoben worden ist.

Ein stringenter Vergleich sowie thematisch fortführende Zusammenhänge und deren inhaltliche zusammenhängende Orientierung von War on Terrorism und War on Terror scheinen nur konstruierter Natur sein zu können. In der technischen Umsetzung verbieten sie sich überdies geradezu. Zumal es sich ja auch nur um Computerspiele handelt.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) War on Terror nach Prüfung der spielbaren Demo-Version mit der Altersfreigabe ab 16 Jahren eingestuft hat. Manchmal erhalten aber auch durchaus unterstellte Bezüge zum Krieg gegen den Terror wiederum außer-virtuelle Nuancen: “Nur wer alle taktischen Möglichkeiten in Betracht zieht und Helden sowie Spezialfähigkeiten sinnvoll einsetzt, wird am Ende des Tages den Sieg davontragen … oder beim Versuch kläglich scheitern.“ Real oder virtuell? Allein im Cyberspace ist es nur ein Spiel.

[Dieser Artikel wurde am 17. März 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Thor Steinar – mehr als nur ein Intermezzo?

Einmal mehr behandelt gegenwärtig die Rechtsprechung das öffentliche Tragen der von Neonazis bevorzugten Runen-Textilie regional unterschiedlich

Über einen nur relativ kurzen Zeitraum arrivierte Thor Steinar zur wohl bedeutendsten Modemarke in rechtsextremen Kreisen. Nach Angaben des Antifaschistischen Infoblatts (AIB) ist die Marke mit dem damals zugehörigen Runen-Logo erst im Oktober 2002 international registriert worden. Im Frühjahr 2003 gründeten die brandenburgischen Protagonisten mit nachweislichen Kontakten zur rechtsextremen Szene die MediaTex GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 Euro. Fast gleichzeitig wurde unter rechtlicher Verantwortung der MediaTex eine entsprechende Thor-Steinar-Website ins Internet gestellt. Die Werbung für Kleidung mit Thor Steinar beziehungsweise DIVISION Thor Steinar war zudem eindeutig. So warb beispielsweise das einschlägig bekannte Magazin RockNord für “patriotische Kleidung“ mit “nordischer Attitüde“. Nach Darstellung der Berliner Zeitung werden die Jacken und Pullover der Marke Thor Steinar in der Türkei angefertigt.

Eine um sich greifende Bekanntheit und entsprechende Identifizierung erlangte Thor Steinar in rechtsextremen Kreisen wohl hauptsächlich durch zwei im Firmenlogo miteinander kombinierte Runen: “Jede für sich in der NS-Zeit als Symbol von SS-Unterorganisationen missbraucht“ (Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2004). Im Zusammenhang würden Tyr- und Sig-Rune letztlich die Doppel-Sig-Rune der ehemaligen Waffen-SS zeigen, beurteilte später das Landgericht Neuruppin. Darüber hinaus kann die Wahl des Firmennamens Thor Steinar – unter offensichtlicher Bezugnahme auf den General der Waffen-SS Felix Steiner – als nicht gerade zufällig eingeschätzt werden. Eindeutiger positioniert sich wohl nur noch der bundesweit bekannte Neonazi Thomas “Steiner“ Wulff mit seiner selbstgewählten Namenserweiterung.

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(Alte Thor-Steinar-Rune)

Im Laufe der Zeit gelang der Aufklärungsarbeit über Thor Steinar die Sensibilisierung einer breiteren Öffentlichkeit. Im März 2004 wurden erste Strafverfahren gegen die Verwendung der Thor-Steinar-Runen eingeleitet. Diese Vorgehensweise erhielt im August 2004 ihre erste Bestätigung durch die vom Amtsgericht Prenzlau angeordnete Zahlung von 300 Euro wegen des Tragens eines Thor-Steinar-Pullovers. Kurze Zeit später, Ende Oktober 2004, wurden in einem einschlägigen Hennigsdorfer Szene-Laden Thor-Steinar-Textilien beschlagnahmt – und wegen der nicht eindeutigen Rechtslage wieder retour geführt.

Die Rechtsprechung erfolgte dann im November 2004 durch das Landgericht Neuruppin, welches die Beschwerde wegen der Beschlagnahme eines Thor-Steinar-Shirts als unbegründet zurück wies. Nach dem Urteil habe das Thor-Steinar-Firmenlogo “keinen anderen Zweck, als den Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zum Verwechseln ähnlich zu sehen und damit ein entsprechendes verfassungsfeindliches Bekenntnis darzustellen“. Schlussfolgernd stand damit das öffentliche Tragen von Thor-Steinar-Bekleidung unter dem Strafbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Unmittelbar darauf folgte ein Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen gegen die Herstellerfirma zur Beschlagnahme von Thor-Steinar-Symbolen und damit markierter Kleidung. Das sich so bezeichnende Deutsche Rechtsbüro (Selbsthilfegruppe zur Wahrung der Grundrechte nationaler Deutscher) im brandenburgischen Birkenwerder bat hernach in seinen Monatsnachrichten: “Tragen Sie Bekleidungsstücke mit dem ’Thor-Steinar-Logo’ nicht in der Öffentlichkeit und halten Sie sie auch nicht vorrätig, – nur der private Besitz eines einzigen solchen Stückes ist erlaubt.“ Ebenfalls im November 2004 untersagte Tschechien den Verkauf von Thor-Steinar-Kleidung. Das Amtsgericht Neuruppin verurteilte noch im Dezember auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Träger einer Thor-Steinar-Kapuzenjacke, zuzüglich anderer Delikte, zu vier Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

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(Das neue Firmensymbol)

Mit Beginn des Jahres 2005 präsentierte MediaTex ein neues Firmensymbol, welches nunmehr das verbotene Runen-Logo ersetzte. “Das neue Logo ähnelt dem Andreaskreuz, dem Kreuz an der Bahnschranke“, ließ MediaTex verlautbaren. Dieses Zeichen sei zudem “von der Staatsanwaltschaft begutachtet und nicht beanstandet worden“. Im darauffolgenden Februar befand das Landgericht Potsdam die Beschlagnahme der Runen-Symbole von Thor Steinar erneut als rechtens.

Gut ein halbes Jahr danach erklärte das Oberlandesgericht Brandenburg die Thor-Steinar-Runen für wiederum nicht verfassungswidrig. Zwar verkannte das Gericht bei seinem Urteil nicht, “dass die Textilien der Marke durch ihre farbliche Gestaltung und verwendeten Aufschriften gerade Personen der rechtsextremen Szene“ ansprechen würden. Allerdings sei derzeit “noch davon auszugehen, dass das Markenlogo – ähnlich der Assoziation der Zahl ’88’ mit dem Gruß ’Heil Hitler!’ – lediglich in rechtsextremen oder in polizeilichen oder juristischen Kreisen bekannt ist“. Somit waren Thor-Steinar-Verfahren wegen Benutzung verfassungswidriger Symbole eigentlich hinfällig und nichtig und das Tragen von jeglicher Thor-Steinar-Kleidung – zumindest in der Mark Brandenburg – generell wieder straffrei.

Aber es scheint für Neonazis durchaus schon beachtenswert, in welchen geografischen Gefilden sie mit Thor-Steiner-Runen in einer dahingehend – so jedenfalls nach Ansicht des Brandenburgischen Oberlandesgerichts – ungebildeten Öffentlichkeit posen. Ende Februar 2006 fällte das Berliner Amtsgericht Tiergarten auch wegen des Tragens von Thor-Steinar-Runen ein Urteil von sieben Monaten Haft auf Bewährung, verbunden mit 150 Arbeitsstunden gegen den Kapuzenshirt-Besitzer. Im Land Brandenburg wäre ihm das nicht passiert. Allerdings ist auch in der Bundeshauptstadt die Rechtssprechung nicht konform. Die Revision beim Kammergericht Berlin durch die Staatsanwaltschaft gegen einen richterlichen Freispruch in einem ähnlichen Thor-Steinar-Fall ist noch nicht entschieden. Eine bundesgerichtliche Rechtsprechung bezüglich der Thor-Steinar-Runen gibt es bisher nicht. Überdies steht die Erwägung einer millionenschweren Schadenersatzklage von MediaTex gegen das Land Brandenburg nach wie vor im Raum.

Die Agentur für soziale Perspektiven (ASP) bilanzierte in der letzten Auflage der von ihr herausgegebenen Broschüre Versteckspiel (Lichtstrahl in den Code-Dschungel der Neonazi-Szene): “Thor Steinar ist in vielen nichtrechten Ladengeschäften und Bekleidungsketten weiterhin erhältlich, obwohl im Zuge der juristischen Auseinandersetzungen um diese Marke ein rechter Hintergrund mehr als deutlich wurde.“ Zudem lässt sich bekanntlich auch trefflich über den tieferen Sinn oder Unsinn staatlicher Verbote rechtsextremer Symbolik diskutieren. Die Gesinnung ausgewiesener Rechtsextremisten ändert das allerdings nicht. Aber Legenden mit einem – vorerst noch vagen – Märtyrerhauch wie Thor Steinar verbinden. Legenden können mitunter lange fortleben.

[Dieser Artikel wurde am 5. März 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]