Archiv der Kategorie: Anno 2004

Die Mitte der Gesellschaft?

Braune Kreuze in Sachsen bei den Kommunalwahlen

Nach den Kommunalwahlen beeinflussen im Freistaat einige rechtsextreme Wählerhochburgen mehr denn je die politische Landschaft. Wer davor bisher die Augen verschlossen hat, wird auch nach diesem Wahlsonntag kaum unbedingt mehr sehen wollen.

Als landläufige Meinung gilt, Kommunalpolitik sei vor Ort noch die interessanteste Politik, quasi Politik zum Anfassen, wo noch jeder fast jeden kennt und Entscheidungen unmittelbare Auswirkungen haben. Kommunalwahlergebnisse hingegen erlangen kaum überregionale Beachtung. Ein genauerer Blick – beispielsweise nach Sachsen – lohnt sich da allerdings schon, vor allem in den rechtsextremen Politik-Bereich, der längere Zeit in den Wahlauswertungen unter Sonstige zusammengefasst wurde. Soll so eine Wahlbetrachtung nun auch noch einigermaßen interessant zu lesen sein, beginnt man wohl am günstigsten in vermuteten Ergebnisniederungen und steigert mit den Zahlen auch die Spannung. Bemerkenswert sind die sächsischen Kommunalwahlergebnisse rechtsaußen aber allemal.

In Dresden trat zur Kommunalwahl als sächsische Besonderheit ein so genanntes Nationales Bündnis (NB) an. Im NB vereinen sich unter Federführung der NPD – großspurig als “Zeichen für Deutschland“ angekündigt – Republikaner, DVU und Deutsche Partei. Der Versuch, sich durch die Namensgebung einen eher bürgerlich-nationalen Anstrich zu geben und dem Wähler eine NPD-Ferne vorzugaukeln, wurde aber allein schon durch die Tatsache ad absurdum geführt, dass der stellvertretende NPD-Vorsitzende Holger Apfel für das NB sowie gleichzeitig als EU-Spitzenkandidat der NPD angetreten ist. Das NB erzielte in der sächsischen Landeshauptstadt 4,0 Prozent und verfehlte mit drei Stadtratssitzen einen möglichen Fraktionsstatus nur denkbar knapp. Fast skurril mutet es allerdings schon an, dass Rechtsextremisten gerade in Dresden – lange Zeit immer wieder als ’Hauptstadt der Bewegung’ bezeichnet – eines ihrer eher schlechteren Resultate erzielten.

Weitere ausgewählte Wahlanteile der NPD: 5,8 Prozent für den Kreistag Muldentalkreis; 7,6 Prozent in Limbach-Oberfrohna; 8,3 Prozent in Pirna; 8,8 Prozent in Riesa; 9,1 Prozent für den Kreistag Sächsische Schweiz; 9,6 Prozent in Meißen; 9,7 Prozent in Neustadt; 10,4 Prozent in Struppen; 11,4 Prozent in Trebsen; 11,5 Prozent in Wurzen; 14,3 in Sebnitz; 20,7 Prozent in Königstein und 26,0 Prozent in Reinhardtsdorf-Schöna. Zudem wurde in den Stadtrat Chemnitz ein Anteil von 10,3 Prozent Republikaner gewählt. Die durchgängig geringe Wahlbeteiligung hilfsweise zu einer etwaigen Entkräftung der rechtsextremen Wahlergebnisse in Sachsen nutzen zu wollen, greift wohl aber als Beruhigungsargument eindeutig zu kurz.

Auffällig erscheint, dass in bisher bekannten Hochburgen rechtsextremen Wahlverhaltens kräftig zugelegt wurde. In Riesa – mithin auch Sitz der NPD-Postille “Deutsche Stimme“ – gelang es der NPD, ihr Wahl-Ergebnis von 1999 fast zu verdreifachen, in Wurzen zu verdoppeln. In Königstein stellt die NPD nunmehr, hinter der CDU, die zweitstärkste Stadtratsfraktion.

Ein dahingehend durchaus besonderes Territorium in Sachsen ist die Gegend der Sächsischen Schweiz, politisch auch bekannt geworden durch die – offiziell verbotenen – Skinheads Sächsische Schweiz (SSS). Dem schon bisher äußerst umtriebigen Königsteiner NPD-Stadtrat Uwe Leichsenring wurden bezüglich dieser Nazi-Schlägertruppe sehr enge Arbeitskontakte nachgesagt. Im Landkreis Sächsische Schweiz sind enge kommunalpolitische Kontakte vor Ort eben keine Seltenheit – und Wahlergebnisse nicht unbedingt immer überraschend. Auch in Sebnitz verdoppelte schließlich die NPD ihr 1999er Wahlergebnis. Und Beobachter der Szene gehen begründet davon aus, dass zumindest Teile der SSS nach wie vor aktiv sind – oder sich auch nur anders nennen. Jedenfalls werden politisch unliebsame Menschen beispielsweise durch einschlägige Websites aus der Region entsprechend deutlich ’begrüßt’.

Sachsen ist allerdings auch ein Bundesland, in dem die regionalen Medien rechtsextreme Erscheinungsformen fast ausschließlich nur zu Wahlzeiten wahr nehmen. Eine antifaschistische Demonstration, mitinitiiert von der PDS-Jugend, am Tag vor den Kommunalwahlen durch Pirna tauchte in den Berichterstattungen fast überhaupt nicht auf. Und nach den wohl eher unangenehmen und möglicherweise für den Tourismus abträglichen Wahlresultaten der Rechtsextremen suchen Politiker, wie der Land- und Kreistagsabgeordnete Andre Hahn (PDS), dann öffentlichkeitsheischend und betroffen nach Erklärungsversuchen. Auf der Demonstration gegen rechtsextreme Strukturen in seinem Landkreis wollte der Abgeordnete allerdings sein couragiertes Gesicht nicht zeigen. Sachsen ist aber auch ein Bundesland, in dem beispielsweise die Sächsische Zeitung in ihrer Wahlauswertung die 10,3 Prozent der Republikaner in Chemnitz mit einer Sternchen-Anmerkung lediglich unter “Wählervereinigungen“ dokumentiert.

Nicht unbekannt ist schließlich – allerdings nur von wenigen Politikern und Medien reflektiert -, dass alle bei der Bundestagswahl 1998 in Sachsen angetretenen rechten Parteien (NPD, Republikaner, DVU, Bund freier Bürger) zusammen gerechnet damals bereits 6,2 Prozent erreicht hätten. Der Kurort Rathen in der Sächsischen Schweiz war bis dato mit 15,8 Prozent rechtsextremer Stimmenanteile wahrscheinlich bundesweit unübertroffen. Überraschung ob der diesjährigen rechtsextremen Kommunal-Prozentzahlen sollte also niemand heucheln müssen. Relativ neu erscheint lediglich die Einschätzung des Verfassungsschutzes, der entsprechende Kandidaturen sowie rechtsextremes Wahlverhalten nicht mehr fast nur ausschließlich als Protest-Wahlverhalten, sondern auch in und aus der Mitte der Gesellschaft einordnet.

Noch in der Wahlnacht protestierten in Dresden rund 100 Menschen gegen den Einzug des Nationalen Bündnisses in den Stadtrat und besetzten kurzzeitig den Plenarsaal. Diese Spontan-Demo sei nur eine erste Reaktion auf die Wahl des NB, wurde erklärt. Bleibt allerdings abzuwarten, wie man sich in den Parlamenten zu den Rechtsextremen im täglichen Geschäftsgang und auch im Sitzungssaal verhalten wird. Am 19. September 2004 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt – und die NPD hat “gestärkt … geschlossen, optimistisch und gut aufgestellt“ ein eindeutiges Ziel. Am 13. Juni jedenfalls verbuchte die NPD – durchschnittlich – sachsenweit bereits gut 3 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich und ihre politischen Aussagen.

[Dieser Artikel wurde am 16. Juni 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Deutsche Weltmachtansprüche – dieses Mal ohne die Waffen-SS

Eine Europaparlamentarierin versucht sich mit einer Polit-Annonce der besonderen Art. Ob sie auch verstanden wird?

Zugegeben, die Überschrift mag irritieren – und das soll sie auch. Mehr als nur zu irritieren, liegt wohl allerdings in der Absicht der Europaabgeordneten Ilka Schröder (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke).

Wer nach der Lektüre, oder dem einfachen Durchblättern, der letzten 2003er Ausgabe von konkret die hintere Umschlagseite erreicht hatte, der dürfte zumindest gestutzt haben. “Sie schaffen es – ohne Waffen-SS*“ prangt da auf grün-rotem Untergrund. Ist es schon wieder so weit?

Etwas kleiner gedruckt erforscht das aufmerksame Auge sodann “Deutschland wollte zwei Mal gegen Europa Weltmacht werden, der dritte Versuch wird mit der und durch die EU unternommen.“ Und noch kleiner gedruckt erspäht der immer noch Weiterlesende die Bedeutung des Sternchens hinter … Waffen-SS: “Nach einer Idee von Wolfgang Neuss.“

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Politische Werbung kommt häufig mit wenigen Schlagworten aus, erscheint demzufolge fast zwangsläufig holzschnittartig verkürzt in der Aussage. Deutschland – Europa – Weltmacht – EU – Waffen-SS: Was will uns die streitbare Parlamentarierin damit wohl nahe bringen? Ein ’Nie wieder!’? Ein ’Nicht weiter so!’? Oder ist gar Wolfgang Neuss (“Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“) an allem Schuld?

Über die Rolle und Bedeutung der Waffen-SS, nach dem II. Weltkrieg als verbrecherische Organisation verurteilt, muss an dieser Stelle wohl nichts weiter geschrieben werden. Die von Ilka Schröder in ihrer Anzeige – unterstellt wissentlich – herbeigeführte polemische Verbandelung politischer und historischer Stichwörter sollte allerdings durchaus einer aufmerksam näheren Betrachtung Wert sein. Oder ist doch Wolfgang Neuss an allem Schuld?

Wolfgang Neuss nämlich wird der Ursprung des von Ilka Schröder abgewandelt verwendeten Zitats zugerechnet. “Wir schaffen es, ohne Waffen-SS“ war einst Neuss’ satirischer Parolenvorschlag für den 1965er SPD-Wahlkampf. Zu gern immer wieder einmal aufgegriffen, kam – zugegeben vor Ilka Schröder – auch der Herausgeber von konkret, Hermann L. Gremliza, wiederholt kolumnen- und leitartikelmäßig um den Neuss-Satz nicht herum. Da zeigt sich scheinbar im Nachhinein sogar die Waffen-SS zumindest für die eine oder andere linke Polemik durchaus verwendbar.

Was Wolfgang Neuss (“Wir müssen Hitler so lange wiederholen, bis er ein Hit ist … ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt“) zu seiner Instrumentalisierung in diesem Zusammenhang selbst sagen würde, werden wir nie erfahren. Immerhin vertrat Neuss die Auffassung “Es gibt ja gar kein geistiges Eigentum.“ Das sollte allerdings überdies nicht als etwaige Entschuldigung für alles aufgefasst werden können.

Ilka Schröder wiederum war auf mehrmalige Anfragen von Telepolis nur bereit, sich zu ihrer Annonce zu äußern, falls für sie die Gelegenheit bestehe, “etwas zu Deutschlands dominanter Stellung in der EU und der dazu nötigen Vergangenheitsbewältigung unterzubringen“. Fernerhin herrschte heftiges Schweigen aus Schröders EU-Abgeordnetenbüros. Vielleicht würde Neuss dazu letztendlich auch einfach nur anmerken: “Eine Frage schwirrt mir durchs Hirn: Kann man so geschickt schweigen, dass man verstanden wird?“

[Dieser Artikel wurde am 8. März 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Dresden – wieder Zentrum der rechtsextremen ’Bewegung’?

Dresdner Bombenopfer als Anlass für pervertiertes Gedenken

Schon längere Zeit nutzen Rechtsextremisten aller Couleur den Jahrestag der Bombardierung Dresdens als Aufmarschplatz – und jährlich werden es immer mehr. Rückt Dresden so künftig wieder verstärkt in den braunen Brennpunkt der ’Bewegung’?

Am 13. Februar 1945 versank die ehemalige sächsische Residenz-Stadt Dresden durch Bombenangriffe der westlichen Alliierten in Schutt und Asche. Der durch Deutschland entfesselte mörderische Weltkrieg schlug vernichtend auf Deutschland zurück. Seither ranken sich Diskussionen um die militärische Sinnhaftigkeit des Angriffs auf Dresden. Seither werden damalige Opferzahlen zum Teil wie Ramschware gehandelt. Seither tauchen immer wieder einmal neue Mythen zu den Ereignissen um den 13. Februar 1945 in Dresden auf, egal, ob historisch belegbar oder nicht. Seither gedenken die Dresdner Bevölkerung sowie Angehörige und Überlebende im Februar eines jeden Jahres der Opfer. Zu DDR-Zeiten war der 13. Februar in Dresden vorerst ein eher stiller Gedenktag. In den Endjahren des real existierenden Sozialismus wurde dieser Tag dann auch eine Zeit für mehr als nur zu erahnende – sichtbare – Opposition gegen die Zustände im Lande.

Wo es um Opfer, um Opfermythen Deutschlands im damaligen Weltkrieg geht, sind Geschichtsrevisionisten meistens nicht weit. Und deren eigene ’Thesen’ von Krieg, Kriegsverbrechen, Schuld und Unschuld werden nur zu gern von Rechtsextremisten jeglicher Couleur weiter verfolgt und entsprechend bedient. So auch in Dresden zum 13. Februar. Die Zunahme einer dahingehend versuchten nationalsozialistischen Geschichtsklittung – und das sei wohlweislich angemerkt – ist allerdings nicht zwingend durch den endgültigen Zerfall der DDR bedingt oder mit diesem obligatorisch verkoppelt. Für einen Deutschnationalismus in seinem negativ besetzten historischen Kontext war schließlich auch der so genannte antifaschistische Schutzwall beidseitig zu keiner Zeit eine trennende Grenze.

Seit gut zehn Jahren haben die Dresdner sowie auch die sächsischen Medien ein Problem mit der Berichterstattung zum 13. Februar aus der Landeshauptstadt. Überregionale Medien thematisierten in dieser Zeit durchaus schon den wachsenden Zustrom von ’trauernden Rechtsextremisten’ unter die an diesem Tag in der Stadt Anwesenden. Den sächsischen Medien war ihre allein bürgerliche Trauerruhe dafür lange Zeit erste Bürgerpflicht: Den Rechtsextremisten keine wie auch immer geartete mediale Plattform bieten, lautete die Parole. Und über Gegenaktivitäten linker Gruppen zu den deutschnationalen Extremisten brauchte da auch gleich nicht mit berichtet werden, geschweige denn über die historischen Hintergründe und Bezüge.

Dabei spielte es keine Rolle, dass die Teilnehmerzahl des letztjährlich von der “Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ organisierten Aufmarschs von Alt- und Neonazis durch Dresdens Straßen von anfangs einigen wenigen zu Beginn der 90er Jahre, über mehrere Hundert in den Folgejahren, bis hin zu rund 1.000 im Vorjahr und nach Augenzeugenberichten auf gut 2.000 Rechtsextremisten am hiesigen 14. Februar 2004 angestiegen ist. Beobachter der Szene gehen mittlerweile davon aus, dass sich der jährliche Aufmarsch von vorgeblich um deutsche Bombenopfer des II. Weltkriegs trauernder Rechtsextremisten um den 13. Februar herum in Dresden zu den größten bundesweiten und zudem regelmäßigen Nazi-Aufmärschen etablieren könnte. Dresden als erneuter Aufmarsch-Schwerpunkt der “braunen Bewegung“ – und das nicht nur zum 13. Februar?

Schon einmal wurde Dresden als heimliche “Hauptstadt der Bewegung“ tituliert. In seinem Buch “Auferstanden aus Ruinen … Rechtsextremismus in der DDR“ (Verlag Klaus Bittermann, 1991) beschreibt Bernd Siegler das damalige Neonazi-Rekrutierungs-, Ausdehnungs- und Aufmarschgebiet östlich der Elbe als “Der wilde Osten“. Noch heute bemerkenswert liest sich das Versprechen des damaligen Oberbürgermeisters von Dresden, Herbert Wagner (CDU), zum Neujahrsempfang 1991 gegenüber dem israelischen Botschaftsrat Aviv Shir, er werde “nie wieder in Dresden eine Kundgebung der Neonazis zulassen“.

Vorausgegangen waren dem damals beispielsweise Auftritte des Nazi-Historikers und Auschwitz-Leugners David Irving in städtischen Sälen. Genau so bemerkenswert ist, dass “der im Amtsblatt vom 1. Oktober 1990 veröffentlichte ’Beschluss gegen neonazistische Tendenzen der Stadt Dresden’ und das Versprechen von Oberbürgermeister Wagner an Neujahr 1991“ reine Makulatur geblieben sind. Dresden, mitten in Sachsen. Dessen vormaliger Ministerpräsident, Kurt Biedenkopf (CDU), eben genau im November 2000 für sich feststellte:

In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch niemand umgekommen … Und die sächsische Bevölkerung hat sich als völlig immun erwiesen gegenüber rechtsradikalen Versuchungen. In Sachsen gibt es keinen Grund, auf der Grundlage des Wahlverhaltens der Bevölkerung von einer Gefahr von rechts zu reden.

Am 31. März 1991 wurde in Dresden Jorge Joao Gomondai von Neonazis aus einer Straßenbahn geprügelt und verstarb an den Folgen dieses Überfalls.

Allein im Jahr 2000, zugegeben bis dato ein ’Zähl-Höhepunkt’, fanden mehr als zehn rechtsextremistische Aufmärsche in Dresden statt. Die “Süddeutsche Zeitung“ zitierte in ihrem Magazin vom 6. Oktober 2000 in der Rubrik “Fremdenverkehr“ – unter der Überschrift “Deutschland, peinlich Vaterland“ – internationale Reiseveranstalter, die vor einem Besuch bestimmter Regionen in der Bundesrepublik auf Grund des dort vorherrschenden Gewaltklimas gegenüber Nicht-Deutschen warnen. So schrieb beispielsweise “Frommer’s 2000 Germany“ über Dresden:

Leider ist die Stadt ein Zentrum neonazistischer Skinheads geworden. Seien Sie besonders vorsichtig, wenn Sie nachts durch die Straßen gehen. Die Gegend nördlich der Elbe gilt als die gewalttätigste.

Durch die ständig wachsenden Teilnehmerzahlen der rechtsextremen Aufmärsche in Dresden zum 13. Februar – und auch der linken Gegenaktivitäten – konnten in 2004 die ansässigen Medien erstmals nicht umhin, überhaupt und doch etwas ausführlicher über die immer mehr rechtsradikale Besetzung dieses Dresdner Gedenktages zu berichten. Allerdings stellte man noch eher die Behinderung der Verkehrsteilnehmer durch die Demonstrationen (“Mit zahlreichen Störungen muss gerechnet werden“) in den Mittelpunkt der Berichterstattungen, als politische Hintergründe des Auftretens der Rechtsextremisten. Auch die durchaus allseits beliebte Gleichsetzung von lechts und rinks dufte im Vorfeld nicht fehlen:

In einem sind sich linke und rechte Extremisten einig: Sie wollen die Dresdner nicht in Ruhe um ihre Toten trauern lassen. Die Nazis versuchen, das Gedenken … auf billige Weise zu missbrauchen. … Nicht zuletzt durch die schon traditionellen Stör-Rituale linksextremistischer Gruppen könnte das irgendwann klappen. Trauer kategorisch in Revisionismus umzudeuten ist eben nicht nur verbohrt, sondern gefährlich … [Sächsische Zeitung]

Nun nutzte allerdings, bei all der anderen auch anwesenden regionalen und überregionalen Neonazi-Polit-Prominenz, in diesem Jahr auch das vor gut einem halben Jahr gegründete “Nationale Bündnis Dresden“ (NBD) den diesjährigen 13./14. Februar als öffentlichen Wahlkampfauftakt für sich. Und völlig überrascht registrierten einige Medien sogar, dass da eine Mischung aus NPD, DVU und REPs “mit einem Zeichen für Deutschland“ versucht, bei den anstehenden Kommunalwahlen Stadtratssitze in Dresden zu besetzen. Ein Zeichen?

Immerhin hat die “Sächsische Zeitung“ bezüglich des 13. Februar auf ihrer Kulturseite auch einen längeren Artikel zur “Unterwanderten Erinnerung“ veröffentlicht. Dort darf dann der sächsische Vertreter der Böll-Stiftung, Jens Hommel, den Widerstand von linken Gruppen gegen die rechtsextremistischen Aktivitäten zum 13. Februar in Dresden aus seiner Sicht allein prosaisch mit “Dass sie gegen Rechte stänkern, ist in Ordnung“ abtun. Immerhin informierte die “Sächsische Zeitung“ ebenso über eine Demonstration von “Dresden gegen Rechts“ an diesem Neonazi-Aufmarschtag. Zudem konnte man, wer denn wollte, sich in diesem Jahr – schon fast historisch zu nennen – über die “Sächsische Zeitung“ hinaus auch tiefgründiger um den 13. Februar informieren: “Das informativste Web-Portal ist jedoch das der Dresdner Antifa (venceremos.antifa.net). Es gibt detailliert Auskunft über geplante Aktionen, Köpfe und Teilnehmer rechtsextremer Umtriebe.“

[Dieser Artikel wurde am 16. Februar 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Droht der Untergang des Abendlandes?

In Sachsen wurde gerade der christliche Bildungsauftrag im Schulgesetz verankert. Die schon immer mit Vehemenz geführte Diskussion um die Neutralität der Schulen erhält dadurch neue Wallungen

Die politische Debatte wurde ausführlich und kontrovers geführt. Letztendlich war aber die Beschlussfassung im von der CDU dominierten Landtag von Dresden dann bei den dort vorherrschenden politischen Mehrheiten fast nur noch eine Formsache. Sachsen hat nun seit einigen Tagen ein neues, modifiziertes Schulgesetz. Nach über zwölf Jahren mit dem vorher geltenden Gesetz eigentlich nicht unbedingt ein herausragendes Ereignis in der Bildungsgesetzeslandschaft der Bundesrepublik. Der Beschluss zum neuen Schulgesetz zeigt allerdings schon jetzt nachhaltige Wirkung, auch über die Freistaatsgrenzen hinaus. Dabei ging es in der Landtagsdebatte nicht hauptsächlich um die Inhalte des neuen Schulgesetzes, beziehungsweise lag darüber allgegenwärtig der Schatten einer schon vorab heftigen Diskussion um den umstrittenen Grundsatzparagrafen.

So heißt es zum Bildungsauftrag der sächsischen Schulen nunmehr im Gesetzestext:

(…) Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitliche demokratische Haltung vermittelt, die zur Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend beitragen und sie zur selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Anwendung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten führt und die Freude an einem lebenslangen Lernen weckt. (…)

Die so allein auf Werte-Grundsätze der christlichen Tradition gesetzlich festgeschriebene Ausrichtung des wahrlich nicht erst seit der Pisa-Studie sensiblen Bildungsbereiches rückt die Neutralitätsfrage für Schule und Bildung erneut in den Focus der Aufmerksamkeit. Es kann in diesem Zusammenhang durchaus erwähnt werden, dass schon mit dem Grundgesetz entschieden wurde, staatliches Schulwesen und Kirche grundsätzlich zu trennen. Unstrittig, wohl auch in Sachsen, steht nach Artikel 7, Absatz 1 Grundgesetz, das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates. Zudem wurde diesbezüglich den Kirchen kein Recht auf Bestimmung der Ziele und Inhalte von Unterricht und Erziehung eingeräumt. Abgesehen davon, welche Kirche oder welche Religion das auch immer sein sollte.

Der Streit um die vorgeblich so christlichen Werte des sächsischen Abendlandes erfüllt zumindest einen politischen Zweck. Wirklich dringende Fragen – um beispielsweise Schullandschaftsstrukturen und Klassenstärken sowie um den in Sachsen bereits nach dem vierten Grundschuljahr erfolgenden Wechsel in Mittelschule, für den Hauptschul- oder Realschulabschluss, oder Gymnasium – bleiben weiterhin nach wie vor im bildungspolitischen Hintergrund.

Derweil werfen sich SPD- sowie PDS-Opposition und CDU-Regierung lieber gegenseitig vor, die Pisa-Studie jeweils nicht verstanden zu haben. Schlagworte wie “Missionsauftrag der Schule“ und “Zwangschristianisierung der Schüler“ beherrschen seitens der PDS den sächsischen Bildungsbereich. Eine durch die SPD-Fraktion initiierte Umfrage ergab, dass 81 Prozent der Interviewten eine weltanschaulich neutrale Schule, und 16 Prozent eine Schule auf Basis christlicher Weltanschauungen favorisieren würden. Die PDS-Fraktion hat zudem bereits eine Verfassungsklage gegen das neue Schulgesetz angekündigt, der die CDU wiederum “erhobenen Hauptes“ entgegen sieht. Hätte es im neuen sächsischen Schulgesetz der Bezug auf allgemeingültige humanistische Traditionen nicht auch getan?

Die nun zu diesem Zeitpunkt aus Sachsen heraus beflügelte Diskussion um die religiöse – sowie in diesem Zusammenhang auch politische – Neutralität von Schule und Bildung wird, wie schon so oft, holzschnittartige Ergüsse mit sich bringen. Der als Bürgerrechtler bekannt gewordene Theologe Friedrich Schorlemmer diagnostizierte in diesem Zusammenhang bereits “Pawlowsche Reflexe einer tief sitzenden Antikirchlichkeit und jahrzehntelanger Atheismus-Propaganda“. Und die Schüler? Die Lehrerinnen und Lehrer? Wem soll dieser sächsische Freilandversuch letztendlich nützen? Wohin geht die so politisch instrumentalisierte religiöse Bildungsreise für bundesdeutsche Schulen?

[Dieser Artikel wurde am 23. Januar 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]