Archiv der Kategorie: Anno 2006

Im braunen Schlamm bei Pappritz

Die NPD-Postille Deutsche Stimme versuchte, ihr diesjähriges “Pressefest“ am Stadtrand von Dresden zu zelebrieren

Zum fünften Mal richtete die Deutsche Stimme zusammen mit der NPD ein so genanntes “Pressefest“ aus. Das Ziel anreisender Rechtsextremisten aller Couleur war dabei am 5. August das private Gelände eines Unternehmers kurz vor dem Ortseingangsschild von Pappritz. Der zu Dresden gehörende Ortsteil im Schönfelder Hochland verzeichnet gut 2.000 Einwohner. Sachsens amtierender Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) dürfte wohl als der prominenteste gelten. Doch weder Sachsens- noch Dresdner Polit-Obere protestierten gegen das Nazi-Spektakel. So fühlten sich Pappritzer Einwohner – abgesehen von antifaschistischem und bürgerlich couragiertem Widerstand – relativ allein gelassen mit dem, was sich da vor ihren Haustüren abspielte. Zudem im Vorfeld die CDU im Schönfeld-Weißiger Ortschaftsrat eine gemeinsame Erklärung als Zeichen gegen das Nazi-Pressefest verhindert hatte.

06_pappritz_1
(Pappritz am Abend des 4. August – Foto: O.M.)

Dabei zeigten sich die Pappritzer in ihrem Vor-Ort-Widerstand kreativ. Fast jeder Laternenpfahl im Ort trug am Morgen des 5. August Parolen gegen die Nazi-Veranstaltung. Transparente mit der Aufschrift “Pappritz ist bunt! Keine ’Rechten’ auf unserem Grund!“ überspannten die Ortseinfahrten. Größere Mengen Flugblätter wurden verteilt. Gleichzeitig parkten die Pappritzer ihren Ort teilweise selbst zu, um so anreisenden Nazis Abstellplätze zu verwehren. Dies wurde indes dadurch konterkariert, dass ein weiterer regionaler Unternehmer sein nahe gelegenes Feld als Parkplatz zur Verfügung stellte.

Bereits bei einer Informationsveranstaltung am 1. August in einem mit weit über 100 Teilnehmern überfüllten Pappritzer Gasthof artikulierte sich der Unmut der Anwohner über den Nazi-Auftritt deutlich. So erfuhr beispielsweise das Ansinnen eines Redners, die NPD-Veranstaltung doch aus demokratietheoretischen Gründen einfach einmal zu besuchen, deutlichen Widerspruch. Die Polizeidirektion Dresden hatte die Bürgerveranstaltung abgesagt. Das städtische Ordnungsamt entsandte lediglich eine Abteilungsleiterin. Die Sächsische Zeitung bilanzierte das städtische Verhalten zu Recht mit “völlig orientierungslos“.

06_pappritz_2
(Mehr oder weniger sprachlich geschliffen wurde online so eingeladen)

Der Leiter des Ressorts Rechtsextremismus beim Landesamt für Verfassungsschutz, Martin Döring, machte immerhin die Wertigkeit des Deutsche-Stimme-Pressefestes deutlich. Nach den Rudolf-Heß-Gedenkmärschen und den jährlichen Demonstrationen anlässlich der Zerstörung Dresdens sei dieses so genannte Pressefest mittlerweile die dritte rechtsextremistisch überregional bedeutsame Großveranstaltung mit enormer Binnenwirkung unter internationaler Beteiligung. Die Grundlage seiner weiteren inhaltlichen Einschätzung allerdings dürfte nur Döring selbst bekannt sein. So behauptete der Verfassungsschützer zum Ablauf bisheriger Pressefeste allen Ernstes, “erst dann, im zweiten Teil, merkt man den Rechtsextremismus“. Dabei bezog er sich auf die abendlichen Auftritte von Rechts-Rock-Bands nach den nachmittäglich eher BDM-folkloristischen Bänkeleien zur Gitarre.

Die braune Veranstaltung begann dann am 5. August mit einer Pressekonferenz. Einem Fernsehteam vom MDR wurde der Zutritt auf das Gelände verwehrt. Foto-Journalisten bekamen teilweise eine Art Leibstandarte gestellt, um missliebige Schnappschüsse unterbinden zu können. Im Mittelpunkt der Pressekonferenz stand der Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei präsentierte sich der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs in geradezu typisch norddeutsch krachledernem Outfit. Rhetorisch nicht gerade übermäßig gewandt gelang es ihm zudem auch noch, keine politischen Inhalte zu vermitteln. Allein seine Behauptung, dass aus der sächsischen NPD-Landtagsfraktion keinerlei finanzielle Mittel zur Unterstützung für den Wahlkampf nach Mecklenburg-Vorpommern fließen würden, war ihm ein markiges “So dumm sind wir doch nicht!“ wert. Holger Apfel, derzeitiger Wahlkampfleiter im Norden der Bundesrepublik und NPD-Fraktionsvorsitzender in Sachsen, kündigte “wenig interne Saalveranstaltungen“ an. Stattdessen wolle man “den Dialog mit Bürgern“, denn “wir fühlen uns aus der Mitte des Volkes“. Apfel legt übrigens dieser Tage gerade sein Mandat beim so genannten Nationalen Bündnis im Dresdner Stadtrat nieder.

Bereits im Vorfeld der Deutschen-Stimme-Veranstaltung hatte die Initiative “Keine Geschäfte mit Nazis“ auf die Unterstützung dieses Pressefestes durch verschiedene Firmen hingewiesen. Dennoch schienen sich einige renommierte Brauereien den Umsatz nicht entgehen lassen zu wollen. Schon in den Vormittagsstunden bildeten sich zuweilen Schlangen vorwiegend kahlköpfiger Besucher an den Ständen von Landskron, Ur-Krostitzer, Warsteiner, Holsten, Krombacher und Feldschlößchen. In den Abendstunden kam es zu einer kameradschaftlichen Prügelei, Verlautbarungen zufolge wegen des Bierpreises. In Nazi-Foren ist dahingehend von rund 50 Beteiligten zu lesen. Der Polizeibericht konstatierte “tätliche Auseinandersetzungen zwischen Veranstaltungsteilnehmern mit zwei Verletzten“.

In seiner Eröffnungsrede kurz nach 12 Uhr auf der noch lückenhaft gefüllten Wiese offenbarte Deutsche-Stimme-Verlagsleiter Jens Pühse, man habe doch “erhebliche Schwierigkeiten“ gehabt, die Veranstaltung an diesem Ort vorzubereiten. Aber es seien nunmehr ja “noch Tausende Kameraden auf dem Weg nach Pappritz“. Diese Ankündigung erwies sich allerdings als bloßes Wunschdenken. Statt mit der vom Verfassungsschutz noch am 1. August prognostizierten Teilnehmerzahl von bis zu 8.000 füllte sich die Wiese bis in die späten Nachmittagsstunden mit zirka 4.500 Rechtsextremisten. Von der NPD war zuvor gar von 9.000 bereits im Vorverkauf erworbenen Eintrittskarten zu hören gewesen. “Wir haben am Eingang sehr akribisch gezählt“, erklärte der Pressesprecher der Polizeidirektion Dresden, Thomas Herbst, gegenüber Telepolis. Somit würde die angegebene Teilnehmerzahl der Realität sehr nahe kommen.

Der Eintrittspreis zum braunen Spektakel betrug 22,50 Euro an der Tageskasse. Den Pappritzern wurde mittels einer Gutschein-Aktion kostenloser Zutritt angeboten. Für Kinder bis 12 Jahre war der Eintritt generell frei. Es gab ein Extra-Kinderprogramm – “Die Hexe Ragna kommt und geht mit allen Kindern auf eine lustig-spannende Märchenreise“. Erstaunt registriert wurde vom pilgernden nationalen Jung- und Altvolk, dass die am mecklenburgischen Wahlstand angebotene “Schulhof-CD“ (Aufdruck: “GRATIS!“) nur gegen 2 Euro Spende zu haben war.

06_pappritz_3
(Foto: O. M.)

Die verzögerte Anreise der “Fest“-Teilnehmer hatte eine ihrer Ursachen in einer auf der Hauptzufahrtsstraße stattfindenden Demonstration. Gut 600 vorwiegend dem autonomen Spektrum zuzuordnende Nazi-Gegner blockierten mit ihrem Aufzug über Stunden den Straßenverkehr auf der Bautzener Straße in Richtung Pappritz. Die von der NPD eiligst verbreitete Ausweich-Anreise-Route zeigte sich aus straßenbaulichen Gründen für Busse als nicht passierbar. Im Laufe des Tages verzeichnete die Polizei mehrere Sachbeschädigungen an Bussen und PKW sowie Angriffe auf anreisende Rechtsextremisten. Dahingehend wurden Ermittlungen wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung aufgenommen.

Am frühen Nachmittag inspizierte der Staatsschutz das Gelände der mit sich selbst feiernden Nazis nach indizierten Waren und Symbolen. Allein der Schriftzug “Selbst-Schutz Sachsen-Anhalt“ würde im Nachgang ob einer eventuell rechtlichen Relevanz bezüglich des darin groß dargestellten “SS“ weiter geprüft. Weitere Verdachtstatbestände wurden auf Nachfrage von Telepolis verneint. Allerdings räumten die Staatsschutzvertreter ein, auch in Sachsen sei das Zeigen der vormaligen Thor-Steinar-Runen nicht rechtmäßig. Man habe sich zudem beim Kontrollgang auch eher auf die Verkaufsstände, denn auf getragene Textilien oder Tätowierungen orientiert.

Den Beamten scheint – über die verboten Runen in Größenordnungen hinaus – einiges nicht beachtenswert gewesen zu sein. Beispielsweise mehrere Shirt-Träger mit der aufgedruckten Darstellung einer offensichtlichen Krematoriums-Silhouette und der im Rauch der Schornsteine zu lesenden unmissverständlichen Botschaft “Friedmann hörst Du uns“. Auffällig viele Anwesende postulieren ihren wohl übergreifend gleichen Ehrentag mit “Geboren am 20. April“. “White Power“, “Wir bleiben braun“, “Eure Galgen sind schon gezimmert“ und Codes wie “168:1“ sprechen darüber hinaus eine deutliche Sprache. Gegen sieben anreisende Rechtsextremisten wurden wegen des Tragens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Strafverfahren nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch eingeleitet. Ansonsten seien, so Polizeisprecher Herbst, “bei einer Jugendschutz- und Medienstreife auf dem Veranstaltungsgelände keine Verstöße festgestellt“ worden.

Siegfried Tittmann, stellvertretender DVU-Bundesvorsitzender und Mitglied der Bremer Bürgerschaft, suhlte sich verbal nachträglich im “Donnerhall“, der während der Fußball-Weltmeisterschaft durchs Land gegangen sei – “Steht auf, wenn Ihr Deutsche seid!“ Jürgen Rieger, bekannter rechtsextremer Szene-Anwalt, hetzte gegen dunkelhäutige Menschen. Herbert Schweiger, Freiwilliger der Waffen-SS und jetziger Buch-Autor, palaverte vom “Überleben der gesamten weißen Rasse“ in einem seiner Meinung nach kurz bevorstehenden Dritten Weltkrieg – “Heil Euch!“ Derweil regnete es immer wieder länger in Strömen. Die Festwiese versank mehr und mehr im Schlamm. Der Feld-Parkplatz verschlammte ebenso und war überfüllt. Im Dorf parkende Nazis stießen auf verbal heftigen Widerspruch aus der Bevölkerung.

Kurz nach 17 Uhr endete das Bürgerfest gegen die Nazi-Veranstaltung am einige Kilometer entfernten Ullersdorfer Platz. Daran beteiligten sich rund 300 Besucher. Viel zu wenige hätten dort ihren Protest deutlich gemacht, fanden die Mitinitiatoren von Bürger.Courage und DGB. Der gleichen Meinung waren die vereinzelt anwesenden Landtags- und Stadtratsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, Linkspartei.PDS, CDU und SPD. In Pappritz selbst veranstalteten Einwohner ein Volleyball-Turnier und widmeten dies dem Protest gegen Rechts. Abends sahen Pappritzer mit Gleichgesinnten gemeinsam den Chaplin-Film “Der große Diktator“.

Während Dunkelheit und immer heftigerer Regen über dem rechtsextremistischen Pressefest nieder gingen, stieg dort der Alkoholpegel ins teilweise Komatöse. Mehrere Teilnehmer mussten nach Polizeiangaben “wegen übermäßigem Alkoholgenuss oder Unterkühlung behandelt werden“. Andere Nazi-Gruppen durchstreiften unbehelligt den Ort, traten Protest-Plakate herunter und präsentierten hernach stolz ihren Kameraden die Beute. Fraglich bleibt, was geschehen wäre, wenn nicht die Polizei wenigstens einen Teil des zum Ende hin in stürmisch-regnerischer Dunkelheit liegenden Veranstaltungsgeländes ausgeleuchtet hätte.

Die Abreise der Rechtsextremisten nach 23 Uhr verlief ähnlich unkoordiniert wie schon die Anreise. Wobei zu beobachten war, dass ein regelrechter Home-Run vom schlammigen Gelände – aus welchen Gründen auch immer – bereits weit vor 22 Uhr noch während des hämmernden Rechts-Rocks einsetzte. Der NPD dürfte es sehr schwer fallen, Pappritz nachträglich als erfolgreiches “Pressefest“ um zu interpretieren. Und daran hat nicht allein nur das Wetter seinen Anteil.

[Dieser Artikel wurde am 8. August 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

“Hoo-Na-Ra“ – Zu Gast bei Freunden im Geiste

Hooligans, Nazis und Rassisten beabsichtigen, die Fußball-Weltmeisterschaft zur Bühne werden zu lassen. Warnende Zeichen gibt es schon länger

Ein szenetypisches Warm-up für das Begleitprogramm der immer näher rückenden Fußball-Weltmeisterschaft ist längst erfolgt. Am ersten Advent 2005 hatten sich an einem Grenzstein im Wald nahe dem brandenburgischen Briesen deutsche und polnische Hooligans verabredet. In verschiedenen Online-Foren war danach die Rede vom “Hooligan-Krieg der schlimmsten Art, generalstabsmäßig geplant, äußerst brutal durchgeführt“. Berichten zufolge sind nach der Hooligan-Schlägerei bei Briesen die Polen als Sieger aus dem Wald gekommen. Nach Darstellung der Polizei sollte bei der schlagkräftigen Auseinandersetzung die Frage geklärt werden, “wer bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 das Sagen in der Internationalen Fußballszene haben wird“.

Nach der Massenschlägerei von zirka 100 Beteiligten wurde durch Ermittlungsbehörden die Identität von 45 deutschen und 53 polnischen Hooligans festgestellt. Beteiligt an dieser “Drittortauseinandersetzung“ (Ermittler-Jargon) waren die so genannte deutsche Nordost-Fraktion und Hooligans von Lech Poznan, angeblich in einer Mann-Stärke von fünfzig gegen fünfzig – Sicherungsposten nicht eingerechnet. Dabei sei unter den beteiligten Deutschen einer der Schläger identifiziert worden, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 den französischen Gendarm Daniel Nivel in Lens zum Invaliden geprügelt hatte.

Die Polizei erklärte nach dem 27. November 2005, ihr seien in dieser Größenordnung “bislang keine ähnlichen Auseinandersetzungen bekannt gewesen“. Allerdings hält sich in der Hooligan-Szene hartnäckig die Darstellung, es habe sich bei der Schlägerei im brandenburgischen Wald um einen Revanchekampf gehandelt. So sollen bereits am 7. Juli 2005 bei Poznan über 500 polnische und deutsche Hooligans aufeinandergetroffen sein. Schon damals sei der Sieg der polnischen Seite “unbestreitbar“ gewesen.

Die polnischen Hooligans gelten mittlerweile als brutalste und härteste auf dem europäischen Kontinent. Im Forum der Ultras Deutschland spricht man gar von der “schlimmsten Hooliganszene“ überhaupt. Im so betitelten polnischen Hooligan-Krieg der letzten Jahre gab es schon mehrere Todesopfer. Schlagzeilenträchtig lesen sich Berichte, nach denen Hooligans in Polen zuweilen Polizeistationen belagern, um inhaftierte Kumpane befreien zu können. Eine detaillierte Hooligan-Erfassung durch polnische Behörden gibt es bisher nicht. Mit welcher Vehemenz sich die neue polnische Regierung – eine Koalition aus Nationalkonservativen, Rechtspopulisten und Rechtsradikalen – letztendlich auch dieser Problematik annimmt, ist derzeit nur schwer einzuschätzen.

Als einziger WM-Teilnehmer hatte Polen wenige Wochen vor Turnierbeginn noch keine Fernsehübertragungsrechte erworben. Schätzungen gehen davon aus, dass gut 300.000 Polen die WM-Spielorte beziehungsweise die Public-Viewing-Veranstaltungen mit Großbildleinwänden frequentieren werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet mit rund 3.000 gewaltbereiten polnischen Schlachtenbummlern. Von der Dresdner Morgenpost wurden bereits – unter Berufung auf Polizeikreise – “20.000 polnische Hools im Anmarsch“ vorausgesagt. Am 14. Juni treten in Dortmund die bundesdeutsche und die polnische Nationalmannschaft in der Vorrunde gegeneinander an. In einem deutschsprachigen Hooligan-Forum lautet die Antwort auf eine Suche nach Videobildern vom berüchtigten 1996er Freundschaftsspiel beider Länder mit damals rechtsextremistischen Ausschreitungen auf den Rängen: “Bald bekommst Du aktuelle Fernsehausschnitte zu sehen.“ Bei den Ultras Deutschland heißt es einfach nur: “Na dann kommt mal!“ Fundierte Hooligan-Strukturen gibt es allerdings nicht nur im östlichen Nachbarland des WM-Gastgebers.

Inwieweit beispielsweise das Vorgehen der britischen Behörden gegen aktenkundig bekannte Hooligans von der Insel Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. So wurde angekündigt, dass 3.286 Hooligans kurz vor der Weltmeisterschaft der Reisepass abgenommen werde und diese sich zudem im Laufe des Turniers wiederholt bei der örtlichen Polizei melden müssten. Wer allerdings jemals die dreiteilige BBC-Dokumentation “Hooligans – Das Netzwerk der Gewalt“ gesehen hat, weiß um den Unterschied zwischen postuliertem Anspruch und letztendlicher Realität in der internationalen staatlichen Auseinandersetzung mit der Hooligan-Szene. Mittlerweile gibt es Hinweise, dass englische Hooligans auch Reiserouten über Polen in Erwägung ziehen, um so Einreiseverboten ins WM-Gastgeberland aus dem Weg gehen zu können.

In bundesdeutschen Gefilden werden im Vorfeld der Weltmeisterschaft die “Hoo-Na-Ra“-Schlachrufe auf den Stadien-Rängen und darüber hinaus nicht gerade leiser. “Hoo-Na-Ra“ bedeutet nichts anderes als “Hooligans-Nazis-Rassisten“ und hat als eindeutiges Bekenntnis nicht allein im Umfeld von Fußball-Ereignissen gewisse Bedeutung erlangt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen konstatierte bereits im November 2004: “Neben den Medien Musik und Internet nutzen Rechtsextremisten schon seit einiger Zeit sportliche Aktivitäten, um Jugendliche anzusprechen und an sich zu binden. Dabei spielt der Fußball auf Grund der verbreiteten Beliebtheit eine besondere Rolle“.

Ob allerdings ohne das Weltfußball-Turnier im eigenen Land beispielsweise eine Meldung über Attacken auf einen dunkelhäutigen Fußballer (Wird die Fußball-Welt zu Gast bei Freunden sein?) ebenso die Öffentlichkeit erregt hätte, ist zumindest fraglich. Die Affinität von Hooligan- oder Ultra-Gruppierungen zum Rechtsextremismus – natürlich nicht generell verallgemeinernd und mit ebenso couragierten Ausnahmen – ist mehrfach national und international nachgewiesen worden.

Der NPD-Landesverband Sachsen kündigte bereits vor einiger Zeit “Aktionen zur Fußball-WM“ an. So wolle die NPD “vor allem die Fußballmannschaft des Iran zu ihrem am 21. Juni in Leipzig stattfindenden Spiel im Freistaat begrüßen“. Dabei wollen “die sächsischen Nationaldemokraten ein bewusstes Zeichen der Solidarität mit einem Volk setzen, das wohl in nicht allzu ferner Zukunft mit einem brutalen Militärschlag der USA und ihrer Verbündeten rechnen muss, weil es sich dem Diktat des angeblich ’freien Westens’ nicht unterordnen will“. In diesem Zusammenhang werden länderübergreifende judenfeindliche Kampagnen während der WM-Tage prognostiziert. Auf einer Demonstration der so genannten Freien Nationalisten um Christian Worch am 1. Mai 2006 in Leipzig wurde der kürzlich verstorbene Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, von Sascha Krolzig mit dem Nachruf “Über Tote nur Gutes – Gut, dass er tot ist!“ bedacht.

Darüber hinaus hat die NPD bereits Demonstrationen in mehreren WM-Spielorten und in Thüringen (Die neue braune Mitte im Schatten des Ettersberg) angemeldet. Besondere rechtsradikale Zuwendung soll dabei augenscheinlich das bereits erwähnte Leipziger Vorrunden-Spiel Iran gegen Angola erfahren. Hooligans und Rechtsextremisten aller Couleur (Neonazis entdecken WM) gehen offenbar davon aus, dass während der Weltmeisterschaftswochen die stark beanspruchte Polizei “ein geschwächter Gegner sein wird“, so jedenfalls die Einschätzung des Verfassungsschutzes. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist sich indes aller national und international getroffenen Vorkehrungen sicher: “Wer stören will, soll besser fern bleiben.“

[Dieser Artikel wurde am 8. Mai 2006 – bebildert – bei Telepolis veröffentlicht.]

The Great Dresden Swindle

Nicht nur eine Propagandalüge von Goebbels überdauert Jahrzehnte

Dieses Werk hat Gunnar Schubert, durchaus bekannt als KONKRET-Autor, lange umgetrieben. Es ist dem Foliant anzumerken, positiv wohlgemerkt. Denn “was ist zu Dresden nicht schon alles geklöppelt, gebatikt und gelyrikt worden“?, fragt Schubert unter der gewagten Kapitel-Überschrift “Der poetische Bombenholocaust“. Und nun – so im Geleit der Publikation – “noch ein Buch über die Bombardierung im Februar 1945 auf Dresden? Noch ein Plädoyer für oder wider die Befreiung der Welt von den Deutschen? Noch eine Berechnung der Totenzahlen, der Bombenabwurfmenge, des unermesslichen Leids derer, die es nicht gewesen sind?“.

Nach der Lektüre von Schuberts Buch lautet die Antwort: Es ist keineswegs lediglich ’noch ein Buch’ zu Dresden, ein beliebiges schon gar nicht. Denn der Autor nimmt sich detailliert und kenntnisreich vieler der zahlreichen Legenden um die Bombardierung Dresdens an – und widerlegt sie mit dem ihm eigenen schriftstellerischen System Stück um Stück. Letztendlich lässt Schubert nicht viel übrig von den Mythen deutscher Opfer der mittlerweile wieder gern so betitelten “alliierten Terrorangriffe“. Übrig bleiben allerdings historische Tatsachen, die einige so vielleicht nicht gern zur Kenntnis nehmen werden wollen. Bedauerlicherweise sind dem Buch indes weder ein Personen-, noch ein Sachregister ergänzend beigefügt worden.

Über 22 Kapitel, untersetzt mit 180 Literaturverweisen und Anmerkungen, spannt Schubert seinen mitunter sprachlich brillanten historischen Bogen. Wobei garantiert nicht alles thematisch Relevante letztlich wohl auch einbezogen werden konnte. Beginnend mit den “Lügen der Zeitzeugen“ führt der Autor dabei die Leserin und den Leser über die “Lüge von der unschuldigen Stadt“ hin zu den “Lügen der Aufrechner“ und lässt dabei die “Tieffliegerlüge“ nicht rechts liegen. Über die “Phosphorlüge“, die “Atombombenlüge“, die “Lüge von der Kunst- und Kulturstadt“, die “Lüge von den Mitwissern“ sowie die “Totalitarismuslüge“ findet der Verfasser schließlich “kein gutes Ende“ im “Tal der Erbarmungslosen“.

Denn, so Schubert an dieser Stelle: “Wer versucht die Einzelteile des Great Dresden Swindle zu sortieren, gerät in einen tiefen Sumpf von Hörensagen, Behauptungen, Oral History und der Ventilierung dieses schier undurchdringlichen Lügenkonstrukts durch Negationisten, Revisionisten und staatsideologische Propaganda. (…) Inferno, Hölle, der Tod von Dresden. So schreit und heult eine Volksgemeinschaft, zusammengehalten aus der Abwehr von Realität und Argument. Denn es mangelt ihnen, den einzigen, den wahren Opfern, nicht nur an Schamgefühl, sondern auch an Schuldverständnis (…) Die Bombardierungen, das kann nicht oft genug gesagt werden, waren nicht Ursache, sondern lediglich die vorhersehbare Wirkung, dessen, was die Deutschen wissentlich und willentlich verbrochen hatten. Mit der von der Nazi-Propaganda in die Welt gesetzten Lüge von der ’Sinnlosigkeit der Angriffe’ verhöhnen Leute wie der Ministerpräsident Georg Milbradt oder der Negationist Andreas Brie die wenigen, die tatsächlich unschuldig starben“.

Der Autor betreibt, dies sei keineswegs verschwiegen, in seinem Werk darüber hinaus unter anderem auch einen kleinen Exkurs “Was vom Antifaschismus in der DDR übrigblieb“ und betrachtet den gesamtdeutschen 13. Februar in einer “Chronologie von der Wiedervereinigung bis heute“ – so zusammengefasst von aufmerksamen Beobachtern Dresdner Ereignisse allerdings für inhaltlich noch ergänzenswert gehalten. Die Lektorin Schuberts, Marit Hofmann – von ihm ironisch als “langjährige Führungsoffizierin“ vorgestellt – steuert dem Werk einen unbedingt nicht zu vernachlässigenden Gastbeitrag “Der Tod ist ein Meister aus Dunkeldeutschland – Denkmalpflege auf sächsisch“ bei.

“Weder will der Autor eine neue religiöse Sonderbewegung initiieren, noch hofft er, den Unbelehrbaren, den Menschenfeinden innerhalb und außerhalb der Stadt, zu Einsichten zu verhelfen. Es ist in seiner Unvollständigkeit der Versuch, ’Dresden’ aus der isolationistischen Sicht herauszuholen und für ein wenig Gedankenfreiheit zu sorgen“, so das postulierte Credo des Autoren. Bei diesem durchaus als gelungen zu resümierenden Versuch überlässt es Schubert zudem auch keinen Mutmaßungen, seine eigenen politischen Ambitionen betreffend: “Erst wenn man der Lüge von der unschuldigen Stadt ein Ende bereitet, wird man denen gerecht, die wirklich unschuldig umkamen: Verfolgte des Naziregimes, Kriegsgefangene, Kinder“.

Gunnar Schubert lebt schon viele Jahre in besagter Stadt an der Elbe – mithin “in der weltlichen Vorhölle, dem Sendegebiet des MDR“ – und beweist sich mit diesem Werk als profunder Kenner der ’Dresden’-Materie. Sein Buch widmet er “denen, die gegen Deutschland und diese Deutschen, die es ihnen nie vergessen werden, gekämpft haben“. Eine Veröffentlichung, die weit über Dresden hinaus berechtigte Aufmerksamkeit erregen dürfte.

  • Gunnar Schubert. Die kollektive Unschuld – Wie der Dresden-Schwindel zum nationalen Opfermythos wurde. Konkret Literatur Verlag. Hamburg. 2006.

[Dieser Artikel wurde im April 2006 bei IDGR veröffentlicht. Nachpublizierung u.a. bei hagalil.com, 30. April 2006]

Die neue braune Mitte im Schatten des Ettersberg

Thüringen wird zum “Rückzugsort für Neonazis“

Seit einiger Zeit häufen sich Berichte über rechtsextremistische Umtriebe aus thüringischen Regionen. Der Fokus der Aufmerksamkeit hat sich seit dem Herbst 2004 (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag) stärker auf den westlich benachbarten Freistaat gerichtet, den die Landesregierung als ’Deutschlands starke Mitte’ bewirbt.

Die Bestrebungen von Neonazis, sich in Thüringen etablieren zu wollen, sind nicht neu. Das Bundesland weist schließlich eine geografisch taktisch günstige Zentrumslage auf. In dem 2001 erschienenen Buch “Das braune Herz Deutschlands? – Rechtsextremismus in Thüringen“ beschrieben Jens-F. Dwars und Mathias Günther die sich damals bereits andeutenden Entwicklungen. Thüringen werde “mit festem Platz in der Oberliga der rechtsextremen Statistiken“ geführt. Als Beleg dafür galten 92 rechtsextreme Gewalttaten im Jahr 2000, so viel wie in keinem anderen ostdeutschen Bundesland. Beim rein statistischen Abgleich von rechtsextremen Straftaten pro 100.000 Einwohner war das Bundesland im gleichen Zeitraum mit 1.846 Delikten bundesweit unübertroffen. Erinnerlich aus jener Zeit sind darüber hinaus auch die nachgewiesenen Kontakte und das Finanzierungsgebaren des Thüringer Verfassungsschutzes in die rechtsextreme Szene. 1999 hatte der damals amtierende thüringische Verfassungsschutzpräsident Helmuth Roewer seine eigene Auffassung zur NS-Geschichte durchblicken lassen.

Wegen seiner geografischen Lage gilt der Freistaat als “Rückzugsort für Neonazis, der zugleich Basis für weitere Expansionen sein kann“. So dokumentierte Andrea Röpke 2004 in “Braune Kameradschaften – Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis“ beispielsweise einige entsprechende Immobilienkäufe von nicht gerade unbekannten Rechtsextremisten. In Fretterode, Landkreis Eichsfeld, ließ sich einige Zeit zuvor Thorsten Heise in einem alten Gutshaus nieder – das lediglich als unpolitischer “Jugendraum“ und für familiäre Zwecke genutzt werden sollte. Das Stadthaus in der Jenaer Schleidenstraße ging 2002 in den Besitz des ’Republikaner’-Funktionärs Wilhelm Tell über. Dieser stellte es dann umgehend dem Verein Jenaische Busse e.V. zur weiteren Nutzung zur Verfügung. Im Vorstand jenes Vereins waren damals wiederum keine Unbekannten tätig: Peter Dehoust und Heinz-Joachim Schneider, Landesvorsitzender der ’Republikaner’.

Dass diese exemplarisch thüringischen Beispiele für Immobilienerwerb durch Rechtsextremisten nicht allein als zusammenhangslose Einzelfälle zu sehen sind, ist nur zu offensichtlich. Deren zentrale Bedeutung in einem bundesweiten Konzept wurde von Steffen Hupka bereits im November 1999 – damals noch in der NPD-Postille Deutsche Stimme – unter der Überschrift “Befreite Zonen – aber wie?“ dargelegt: “Sie [die Immobilie] muss unsere Nachschubbasis und unsere Heimatfront sein. Aus ihr heraus müssen wir die eigentliche Front weiter vorschieben, müssen wir neue Nebenkriegsschauplätze, sprich Befreite Zonen eröffnen. (…) Steht das Objekt auf relativ sicheren Füßen, kann man daran gehen, weitere Freiräume zu erobern. Wer bereits ein Haus hat, erhält von der Bank auch meist einen Kredit für ein zweites. Ist der erste und schwerste Schritt einmal getan, dann sind die weiteren Schritte wesentlich einfacher umzusetzen.“ Zusammenfassend postulierte Hupka damals ein solches Netzwerk von Immobilien zur zentralen Aufgabe des “gesamten nationalen Widerstandes“.

“Ethnopluralismus“ und Antikapitalismus

Mittlerweile ist in Thüringen auch eine rechtsextremistische Strategie-Erweiterung zu beobachten. Zudem erfolgten – über weiterhin aktive so genannte Freie Kameradschaften in nicht geringem Umfang hinaus – in relativ geringen Zeitabständen Neu- beziehungsweise Wiedergründungen von Stützpunkten Junger Nationaldemokraten (JN) unter teilweiser Verquickung von NPD- und Kameradschaftsstrukturen, so beispielsweise in Jena (10. Juli 2005), Ammelstädt (14. Januar 2006 – JN Thüringen) und Erfurt (25. Februar 2006). Ebenso konnte eine deutliche Zunahme bundesweiter JN-Treffen mit thüringischen Veranstaltungsorten beobachtet werden.

Im Zusammenhang mit den verstärkten JN-Aktivitäten in Thüringen kann auch die mittlerweile erfolgte Etablierung des so bezeichneten Ethnopluralismus über neonazistische Diskussionskreise hinaus gesehen werden. Daran anschließend versuchen NPD, JN und Kameradschaften besonders auch bei Veranstaltungen in Thüringen eigens Antikapitalismus und Antiglobalisierung in den Vordergrund zu rücken. Dabei scheinen gegenwärtig eher klassisch rechtsextremistische Themen wie Revisionismus, Holocaustleugnung und NS-Verherrlichung in den Hintergrund zu treten. Die Auftaktkundgebung zur aktuellen bundesweiten rechtsextremistischen Antikapitalismus-Kampagne erfolgte – örtlich wohl nicht gerade zufällig – am 1. April im mittelthüringischen Arnstadt.

Weiterführend kann der versuchte Kampagnen-Auftakt in Arnstadt durchaus als erweiterter inhaltlicher Trend “Antikapitalismus und Antiglobalisierung“ im rechtsextremen Spektrum gesehen werden. Eine Fortsetzung wird bereits zum “Thüringentag der nationalen Jugend“ am 20. Mai in Altenburg folgen, federführend organisiert von Thomas Gerlach. Im Aufruf zur nunmehr bereits fünften Auflage des thüringischen National-Jugendtages heißt es – dem Ansatz der Kampagne stringent folgend – unter anderem: “Die BRD ist gesellschaftlich und wirtschaftlich bankrott! (…) Wir werden dieses zerstörerische Szenario nicht weiter hinnehmen und wehren uns gegen Kapitalismus, Globalisierung und die damit einhergehende Meinungsdiktatur einer Clique von Politikern, Wirtschafts- und Medienbossen! (…) National- und Sozialrevolutionär! Deutsche Jugend voran! Nieder mit Kapitalismus und Globalisierung! Für einen Deutschen Sozialismus!“

Ebenso ist abzusehen, dass bei dem für den 10. Juni geplanten europaweiten und von der NPD organisierten so genannten “Fest der Völker“ das Thema Antikapitalismus noch deutlicher als bereits im Vorjahr im Vordergrund stehen dürfte, wie bereits der Aufruf für diesen Tag nach Jena erkennen lässt: “(…) Mit dem Fortschreiten der Entwurzelung und Vermarktung der Völker und Menschen wächst allerorten auch ein gesunder Nationalismus. Wir setzen an Stelle der volksfremden und raumlosen kapitalistischen Ideologie auf souveräne Nationalstaaten, die mit raumorientierten nationalen Volkswirtschaften auf ein Europa der Vaterländer, ein friedliches Miteinander und gleichberechtigte Partnerschaften zur Sicherung der eigenen Autarkie bauen. Die Idee der Zukunft spricht die Sprache der Völker und nicht die einer ’One World’! Europa wird leben oder mit uns untergehen!“ Auch beim von der NPD Gera für den 15. Juli organisierten Neonazi-Open-Air “Rock für Deutschland“ sind von den angekündigten Gastrednern Frank Schwerdt und Udo Voigt wiederum polemische Kapitalismus-von-Rechts-Beiträge zu erwarten.

Unwidersprochen bleiben diese Strategie-Ansätze auch in den eigenen rechtsextremistischen Reihen nicht. “Natürlich“ unterstellt Jürgen Schwab in einer aktuellen Kolumne “den Thüringern keinen Etikettenschwindel (…) sie lassen sich halt nur von Pseudo-’Nationalen Sozialisten’ (…) an der Nase herumführen. (…) Ein anderes Staatsmodell? Ein anderes Wirtschaftsmodell? Fehlanzeige.“ Und sogleich fabuliert Schwab in diesen Zusammenhängen weiter vor sich hin: “Die Erfolge der Vergangenheit (Adolf Hitler und Ludwig Erhard) sind künftig – ohne Strukturänderung – nicht mehr möglich, weil die Macht des Kapitals durch Eigentumskonzentration heute wesentlich größer ist als 1933. Das Primat der Politik (…) ist heute ein reines Luftschloß. Denn wer für seinen Befehl Gehorsam ernten möchte, benötigt Macht. Und gesellschaftliche Macht ist immer eine Frage des Eigentums. Aber das Eigentum ist das Tabu der Rechten. Daran erkennt man die systemkonforme Rechte: Hände weg vom Kapital! Aber den Kapitalismus wollen wir schon irgendwie abschaffen“. Allerdings sollte man wiederum, so Schwab nach dem Arnstädter Kampagnen-Auftakt, “die gute Absicht der Thüringer freien Nationalisten nicht verkennen“.

Über ein Jahr benötigten die Gremien des Landtages in Erfurt, um schließlich am 31. März 2006 formal einen Antrag gegen Extremismus und Gewalt zu beschließen. Dieser beinhaltet unter anderem einen jährlich zu erstellenden Bericht der thüringischen Landesregierung über Rechtsextremismus und Gewalt. Die fast völlig fehlende Finanzierung für entsprechende Präventionsarbeit wurde allerdings kaum nachhaltig thematisiert. In CDU-Kreisen war man sich aber zumindest in einer Hinsicht sicher: “Einige Antifa-Gruppen sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.“

[Dieser Artikel wurde am 12. April 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Elbe-Pegel bei Dresden: Gleichbleibend?

Nach der Flut 2002 gibt es nun ein Frühjahrshochwasser. Was ist mit dem Hochwasserschutz?

Ab und an knattert ein Hubschrauber über das Elbtal entlang der sächsischen Landeshauptstadt. Schon häufiger heulen da Sirenen durch vom Hochwasser besonders gefährdete Stadtteile wie Dresden-Laubegast. Allgegenwärtig ist die Erinnerung an das bereits damals so betitelte “Jahrhundert-Hochwasser“ vom Jahr 2002. Der Elb-Pegel erreichte dazumal in Dresden eine für kaum möglich gehaltene Rekordhöhe von 9,40 Meter.

06_laubegast_1
(Eigentlich elbabseits – Impression zwischen Dresden-Laubegast und Dresden-Leuben. Foto: O.M.)

Gegenwärtig bewegt sich der Fluss langsam, aber stetig auf eine Marke von mittlerweile für Dresden prognostizierte 7,85 Meter zu. Die allgemeine Nachrichtenlage ist längst nicht so chaotisch wie vor gut vier Jahren – allerdings alles andere als optimal. So kann es schon einmal passieren, dass man über Gebühr längere Zeit braucht, um das von der Stadtverwaltung extra für die Hochwassersituation eingerichtete Bürger-Telefon zu erreichen. Wo besorgte Bürger dann beispielsweise in den Mittagsstunden des 31. März die Auskunft erhielten, es sei noch unklar, zu welcher Zeit die letzte Elbquerung im Dresdner Osten – das so genannte Blaue Wunder – bei erreichten 7,10 Metern Wasserstand für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt werde. Regionale Radiosender hatten allerdings bereits gemeldet, dass die Sperrung schon ausgeführt wurde.

Unerklärlicherweise ist zudem seit einigen Stunden auch der direkte Hinweis auf das Bürger-Telefon auf der Homepage der Stadtverwaltung nicht mehr auffindbar – das Wochenende dürfte dafür höchstens eine billige Erklärung sein. Zuverlässiger, besonders wichtig ja für nicht direkte Elb-Anrainer, berichtet und berichtete dagegen der Verkehrsfunk über das teilweise Verkehrswirrwar in Teilen der Stadt: “Albert-Platz – Stau in alle Richtungen“ (MDR-Info).

06_laubegast_2
(Dresden-Laubegast, Salzburger Straße am Nachmittag des 1. April. Foto: O.M.)

Nicht erst seit dem für einige Dresdner Ortsteile der Katastrophenalarm ausgelöst wurde, stellen sich Fragen zu den Lehren aus den Hochwassertagen 2002. Im Gegensatz zu damals erfüllen derzeit – bei allerdings anderer Wetterlage – die umliegenden Talsperren ihre Regulierungsfunktion. Auch wies das Sächsische Umweltministerium seit gut zwei Wochen auf die sich bereits ankündigende – nunmehr allerdings übertroffene – Hochwassersituation hin. Verbesserungen gab es zudem durchaus im Früh- und Vorwarnsystem mit den überarbeiteten sächsischen Katastrophenschutz- und Wassergesetzen.

Zum Schutz der Dresdner Altstadt wurden in diesem Frühjahr durch die Feuerwehr Hochwasserschutzwände installiert. Allein das hilft den nun wiederum direkt Betroffenen – besonders in der Peripherie der Stadt – herzlich wenig. Viele von ihnen hatten gerade den Wiederaufbau ihrer 2002 hinweggespülten Lebens- und Existenzgrundlagen zu einem eher weniger als mehr erfolgreichen Abschluss gebracht. Als jetzt erneut der bereits 2002 im Fokus der Aufmerksamkeit stehende Damm im Ortsteil Gohlis überflutet wird und zu brechen droht, stellen nicht wenige die Frage: Was ist denn eigentlich seit 2002 im Elb-Hochwasserschutz um Dresden wirklich verbessert worden? Die Dresdner Elb-Flusslandschaft lebt schließlich nicht erst seit 2002 – allerdings selten so dramatisch – mit wechselnden Höhenpegeln jenseits der Normalmarke.

06_laubegast_3
(Blick von Laubegast in Richtung Dresden. Foto: O.M.)

Während anderswo – so bilanzierte die Sächsische Zeitung dieser Tage – hinsichtlich des Hochwasserschutzes durchaus “viel gemacht wurde, ist an der Elbe aber so gut wie nichts passiert“. So werde lediglich um Hochwasserschutzkonzepte und Fördergelder gerungen, statt tatkräftig zu agieren. Mehr oder weniger begründete Vorwürfe von mitunter ineffektiver Verwendung der im Volksmund so betitelten “Flutgelder“ aus 2002 sind zudem so neu auch nicht. So fragen Gohliser hinter dem bröckelnden Damm vielleicht nicht zu Unrecht, warum an ihrem Schutz relativ wenig – an einigen Straßenbauten anderen Orts in der Stadt aber um so mehr – investiert wurde. “Die trägen Mühlen der Planungs-Bürokratie haben bislang jede Flutwelle überlebt“ (Sächsische Zeitung). Als Entschuldigung für nun wiederum Hab und Gut bedrohende Situationen kann man das freilich kaum gelten lassen. Durchaus erinnerlich ist allerdings auch noch das Ansinnen der Dresdner Stadtverwaltung aus dem Jahr 1997, die ufernahen Elbwiesen in Dresden-Laubegast als Bauland ausweisen zu wollen.

In Tschechien hat das diesjährige Frühjahrshochwasser bereits fünf Todesopfer gekostet. MDR-Info meldet am 1. April, 21:40 Uhr, für die Elbe bei Dresden “7,29 Meter – Tendenz gleichbleibend“; für das elbaufgelegene Schöna “Tendenz steigend“. In den sächsischen und tschechischen Bergen liegt noch meterweise Schnee, in Dresden regnet es hin und wieder ein wenig. Hubschrauber kreisen in den Abendstunden weniger über dem Elbtal bei Dresden – 2002 waren es noch Phantom-Jäger der Bundeswehr. “Eine Aufgabe besteht jetzt darin, die Salzburger Straße unbedingt zu halten. Damit Laubegast nicht zur Insel wird“, so das postulierte Ziel der Feuerwehr vor Ort. Die Sirenen der Fluthilfe-Einsatzfahrzeuge scheinen ein wenig leiser zu werden in den Abendstunden. Der Fluss wiederum gleitet nicht nur träge dahin und hat sich sein Ufer-Land nachdrücklich erweitert, zeitweise. Nur leben muss man damit – und nicht dagegen. Der Scheitelpunkt der diesjährigen Elb-Frühjahrsflut wird in Dresden am 4. April erwartet.

[Dieser Artikel wurde am 2. April 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]