S.T.A.L.K.E.R. – ein Nachruf?

Der Rollenspiel-Ego-Shooter sollte spektakulärer als Half-Life 2 werden, noch kursieren um das virtuelle Tschernobyl jedoch vor allem Gerüchte

Die unendliche Geschichte Half-Life 2 war vor gut einem Jahr gerade zu Ende geschrieben – und wird bis heute durchaus erfolgreich fortgesetzt. Während damals in Game-Communities noch beispielsweise heftig über die Steam-Zwangsregistrierung für Half-Life 2 diskutiert wurde, flackerte am virtuellen Spielhorizont bereits S.T.A.L.K.E.R. – der immer wieder gern so titulierte Frontalangriff auf Half-Life 2.

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Die Story von S.T.A.L.K.E.R. spielt im Jahr 2006 und rankt sich um eine fiktive Reaktorkatastrophe. In deren Folge besetzt Militär das Gebiet, atomar verstrahlte Tiere entwickeln sich zu gefährlichen Bloodsucker-Kreaturen. Auf geldgieriger Suche nach Artefakten dringen schließlich, quasi als Namensgeber für das Spiel, so genannte Stalker in die verbotene und abgeriegelte Zone ein, versuchen ihre Ziele zu erreichen und dabei am Leben zu bleiben.

Über genauere Einzelheiten der Gesamtstory breiten die Entwickler nach wie vor den Mantel ihres Schweigens. So kursieren verschiedentlich nur weitere Story-Andeutungen von Verschwörungen, Intrigen und wissenschaftlichen Experimenten im virtuellen Spielareal. Nicht fiktiv dagegen ist allerdings die geografische Verortung des Katastrophenszenarios in Tschernobyl. So seien vom ukrainischen Entwicklerteam GSC Game World – nach Vorab-Berichten – rund 30 Quadratkilometer um Tschernobyl Detail für Detail anhand fotografischer Aufnahmen für S.T.A.L.K.E.R. exakt nachempfunden und umgesetzt worden.

Über Sinnhaftigkeit der Story im Einzelnen und die geografische Ansiedlung in Tschernobyl im Besonderen mag trefflich gestritten werden können. Die spielerischen Meilensteine, welche der “Survival-Shooter“ (4Players.de) wohl immer noch nach wie vor durch sich zu setzen beansprucht, sollen andere sein. So ist – abgesehen von den wieder und wieder beschriebenen facetten- und detailreichen Charakteren und Spielgebieten – die von GSC speziell für S.T.A.L.K.E.R. entwickelte “X-Ray“-Engine angeblich in der Lage, mehr als eine Million Polygone pro Einzelbild flüssig darzustellen. Sie soll zudem entsprechende Physikberechnungen für realistische Szenen möglich machen.

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Doch über die Zusammenführung von Ego-Shooter und Rollenspiel hinaus wird noch mehr versprochen: Im Gegensatz zu beispielsweise Half-Life 2 soll es in den 18 Levels von S.T.A.L.K.E.R. keine geskripteten Ereignisse mehr geben. Dadurch wäre das Spiel “nichlinear und damit das Morrowind der Ego-Shooter“ (PC-GAMES). Für den jeweiligen Spieler würde das bei gelungener Umsetzung dann fast volle individuelle Bewegungsfreiheit sowie verschiedene Lösungswege in den einzelnen S.T.A.L.K.E.R.-Missionen bedeuten. Die letztendliche Realisierung scheint allerdings schwieriger als von den Entwicklern selbst erwartet – oder ist das Ziel zu hoch gesteckt?

Als ein Grund für die mittlerweile jahrelangen Verzögerungen wird immer wieder die entsprechend schwierig zu programmierende künstliche Intelligenz (KI) angegeben, bei S.T.A.L.K.E.R. wird sie mit “Lebenssimulation“ umschrieben. Die Crux kann durchaus darin vermutet werden, dass auch in den gerade bei S.T.A.L.K.E.R. angestrebten Lebenssimulationen jeder der so genannten Non-Player Characters divergent sowie gleichfalls teilweise unabhängig von Game-Aktivitäten reagieren kann und zudem Stereotype vermieden werden sollen. Die KI-Latte liegt also dementsprechend hoch, beim selbst postulierten S.T.A.L.K.E.R.-Anspruch etwa noch zu hoch?

Jedenfalls verstrichen immer wieder angekündigte Release-Termine. Noch Anfang diesen Jahres hatte Oleg Yavorsky von GSC Game World auf die Frage, ob für S.T.A.L.K.E.R. als Veröffentlichungszeitpunkt “der Mai 2005 in Gefahr“ sei mit “Ich denke nicht“ reagiert. Nach der im besagten Mai in Los Angeles stattgefundenen Spielefachmesse E3 verlautbarte dann der S.T.A.L.K.E.R.-Anbieter THQ Entertaiment, mit dem Spiel sei 2005 nicht mehr zu rechnen. Im aktuellen Release-Ticker von THQ steht hinsichtlich eines möglichen Termins nach wie vor “noch nicht bekannt“.

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Mittlerweile kursieren Gerüchte, S.T.A.L.K.E.R. stehe angeblich kurz vor der Fertigstellung. Eine der dahingehend letzten Meldungen vom Oktober besagt, die Entwickler von GSC Game World sollen sich mit dem Spiel bereits in der Debug-Phase befinden, auch der getestete Mehrspielermodus sei vielversprechend. Allerdings wurde noch im September gerüchteweise vermeldet, die Designer arbeiteten noch an der Handlung und die zu erledigende Liste der Programmierarbeiten sei noch lang. Zudem gibt es auch noch keinerlei gesicherte Aussagen hinsichtlich der mindestens benötigten beziehungsweise optimal ausgerichteten Rechner-Hardware-Konfiguration der mittlerweile bereits lang als länger lauernden S.T.A.L.K.E.R.-Gemeinde. Etwas sicherer dagegen scheint, dass bereits im November – also jenseits aller etwaigen Release-Deutungen – angeblich schon der erste Roman zu S.T.A.L.K.E.R. auf den Markt kommen soll.

Als nächst möglicher Start-Termin wurde zwischenzeitlich das Frühjahr 2006 gehandelt, aber auch der Herbst des nächsten Jahres ist bereits im Terminspiel. Betrachtet man die Aussage von Anton Bolshakov (GSC Game World), die im offiziellen russischen S.T.A.L.K.E.R.-Forum kolportiert wurde – den endgültigen Release-Termin könne man an einer groß angelegten Werbekampagne absehen, die etwa ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung beginnen soll -, ist allerdings auch das Frühjahr 2006 bereits S.T.A.L.K.E.R.-Geschichte. Wenn nicht etwa das eintritt, was bereits hier und da ebenfalls vermutet wurde: Am 26. April 2006 wird die sehr reale nukleare Katastrophe von Tschernobyl 20 Jahre alt. Ein äußerst makabrer Anlass wäre es – unterstellt – allerdings schon, ein solches Datum für einen wie auch immer gearteten Game-Hype nutzen zu wollen.

Vielleicht scheint ja ein Nachruf vorab auf S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl zum jetzigen Zeitpunkt wie ein wenig verfrüht. Allerdings muss aber nicht nur auch das letztendliche let’s play erst noch bewiesen werden.

[Dieser Artikel wurde am 31. Oktober 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]