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Sachsen-Pokal: Einheit Kamenz zum Heimspiel bei Lok in Leipzig

Für die 2. Runde im diessaisonalen Wernesgrüner-Pokal Sachsen wurde die nicht uninteressante Begegnung zwischen SV Einheit Kamenz und 1. FC Lokomotive Leipzig ausgelost, die Begegnung auf den 8. September terminiert. Und ist so aber auch schon wieder Makulatur, jedenfalls was das Heimrecht der Kamenzer betrifft.

Nach einem Bericht der Dresdner Morgenpost muss SV Einheit Kamenz “laut Polizei-Befehl“ nunmehr auf den eigentlich zugelosten Heim-Auftritt verzichten und dafür in Leipzig-Probstheida auflaufen. Die polizeiliche Lage-Einschätzung dieser Pokal-Partie legte offenbar zugrunde, in Kamenz würden “schlagkräftige Dynamo-Fans anreisen und sich mit Lok-Anhängern prügeln“.

Eine Zuschauer-Trennung ist im Kamenzer Stadion aktuell nicht möglich. Und es sei zu befürchten, zur beabsichtigten Trennung aufgestellte “mobile Bauzäune würden niedergerissen“, wird Martin Wehner, Geschäftsführer bei SV Einheit Kamenz, zitiert. “Dagegen glaubt die Polizei, im Leipziger Bruno-Plache-Areal alles im Griff zu haben“ (Dresdner MoPo).

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(Hinweis am Bruno-Plache-Stadion – Foto: O.M.)

Die SG Dynamo Dresden spielt am besagten September-Tag übrigens im selbst so neu-titulierten FDGB-Pokal vor heimischer Kulisse im Rudolf-Harbig-Stadion gegen Borussia Mönchengladbach. Allerdings konnte auch dieses parallel stattfindende Spiel in Dresden die Polizei in ihren einmal getroffenen Lage-Einschätzungen für Kamenz wohl offenbar nicht mehr beeinflussen.

“Das ist traurig für Einheit. Da haben wir so ein Highlight – und dann können wir es unseren Fans wegen ein paar Chaoten nicht zu Hause präsentieren“ (Martin Wehner, Dresdner Morgenpost).

[Dieser Artikel wurde am 27. August 2013 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Sachsen: Vier Fan-Gruppen im Fokus des Verfassungsschutzes

Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen beobachtet im Freistaat “erstmals“ Fußballfans “wegen rechtsextremer Umtriebe“, berichtet die Sächsische Zeitung am dritten September-Wochenende dieses Jahres. Dabei handelt es sich um vier Gruppierungen, in denen offensichtlich Neonazis agieren, beruft sich die Sächsische Zeitung auf eine aktuelle Darstellung von Innenminister Markus Ulbig (CDU).

Nach Angaben des Staatsministers zählen die Fan-Gruppen Scenario Lok und Blue Caps LE aus dem Umfeld des 1. FC Lok Leipzig sowie – den Chemnitzer FC tangierend –  New Society/NS Boys und Hoonara zu den aktuellen Beobachtungszielen des Verfassungsschutzes in Sachsen.

(…) Sie tauchen im aktuellen Verfassungsschutzbericht nicht auf. Daraus lässt sich schließen, dass der Geheimdienst mit Ausnahme der bereits 2009 beobachteten “Blue Caps“ die Anhänger erst seit Kurzem im Visier hat (…) [Sächsische Zeitung]

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(Auerswalder Blick Nord, Sommer 2012 – Foto: O.M.)

Daraus wiederum lässt sich für die Leserin und den Leser allerdings schließen, dass – mit Ausnahme der angeblich bereits 2009 beobachteten Blue Caps – die besagten Fan-Gruppierungen quasi seit vielleicht erst vorgestern mehr oder weniger existent sind.

Wie weit darf die Verarschung der öffentlichen Wahrnehmung, auch bei einem per se unterstellt gutgemeinten Ansinnen (“Kampf gegen Rechtsextremismus“, Sächsische Zeitung), durch eine landesbehördliche Institution mit bundesweiter Einbindung eigentlich von demokratischen Gremien unhinterfragt so schamlos billig plakativ betrieben werden?

P.S.: Fans aus dem Umfeld von Dynamo Dresden werden – Markus Ulbig zufolge – gegenwärtig nicht durch das LfV Sachsen überwacht. Gegen die “derzeit nicht in Erscheinung tretende Gruppierung“ Faust des Ostens läuft allerdings unterdessen ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (Im Fokus – Faust des Ostens).

[Dieser Artikel wurde am 16. September 2012 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

P.P.S.: (…) Die getroffenen Aussagen stießen beim Chemnitzer FC auf Unverständnis. Bei MDR-Online kommt heute CFC-Geschäftsstellenleiter Lutz Fichtner zu Wort, dem derzeit keinerlei Informationen vorliegen, dass der Verein oder einzelne Fans unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen würden. Im Gegenteil, die Gruppierung “Hoonara“ bestünde in ihren Strukturen bereits seit dem Jahr 2000 nicht mehr; ebenso wurde die zweite Gruppe, die “New Society“ vor drei Jahren hinsichtlich ihrer Symbolik vom Verein verboten. Gegen damalige Führungskräfte sind entsprechende Stadionverbote verhängt worden (…) [cfc-fanpage, 19. September 2012]

Angst vor Ultras: Lok Leipzig vs. FSV Zwickau abgesagt

Das eigentlich für den 13. März, 15 Uhr, angesetzte Spiel in der Oberliga NOFV-Süd zwischen 1. FC Lokomotive Leipzig und FSV Zwickau im Bruno-Plache-Stadion ist relativ kurzfristig abgesagt worden. Trotz des Insolvenzantrages des FSV Zwickau war die westsächsische Mannschaft gewillt, zum Oberliga-Punktspiel beim 1. FC Lok Leipzig anzutreten.

Die Spielabsage von Leipzig beruht allerdings auf einem Gesuch der Polizei- und Sicherheitskräfte. So sei mittlerweile das ursprünglich für dieses Spiel konzipierte Sicherheitskonzept nicht mehr durchsetzbar.

Offizielle Begründung: Da die ebenfalls am 13. März angesetzte Begegnung in der 3. Liga zwischen Holstein Kiel und der SG Dynamo Dresden witterungsbedingt verschoben wurde, sei in Leipzig “nunmehr von einer erhöhten Anreise Dresdner Ultras zur Unterstützung des FSV auszugehen“. Steffen Kubald, Vorsitzender des 1. FC Lok, erklärte auf der Homepage des Vereins: “Schweren Herzens müssen wir dem Wunsch der Polizei nachkommen“.

Fundiert belegt wurde die für den 13. März in Leipzig unterstellte Gefahrenbehauptung seitens der vorab scheinbar durch und durch akribisch ermittelnden Polizei- und Sicherheitskräfte bislang übrigens nicht, jedenfalls nicht öffentlich. Ganz neu wiederum ist das so praktizierte Verfahren allerdings auch nicht unbedingt – auf dem weiteren Weg zum ’Fußball-Fan als Persona non grata’?

[Dieser Artikel wurde am 12. März 2010 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Die “Freiheit“ der 5. Liga

Die Krawalle in Dresden zeigen, was Fangruppen in unteren Ligen mitunter zelebrieren, um ihre “Ehre“ zu verteidigen

Fan-Forscher konstatieren schon längere Zeit, dass sich die von ihnen gern so genannten Problem-Fans immer mehr in untere Spielklassen zurückziehen. Denn dort wäre nach Ansicht dieser Anhänger des runden Leders der Fußball nach wie vor ursprünglich – zuweilen zwar frei von spielerischer Qualität -, aber eben auch relativ frei vom verpönten Kommerz. Dort sei ihr wie auch immer geartetes Engagement wirklich noch etwas wert. In jenen Fankreisen gilt bekanntermaßen: Immer und überall alles für den Verein!

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(Am 28. Oktober 2007 im Rudolf-Harbig-Stadion – Foto: O.M.)

In der Fußballszene geschieht vieles rituell, unabhängig von der Liga-Zugehörigkeit. Die gegnerischen Fans sollen übertönt, wenn es geht gedemütigt und vorgeführt werden. Es geht um die Vorherrschaft im eigenen Stadion, in der Region, im Land. Schließlich ist es immer eine Frage von Sieg oder Niederlage. Es geht um die Ehre. Und es gibt auch offizielle Ehren. So kürt die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur im Rahmen ihres Deutschen Fußball-Kulturpreises beispielsweise den besten Fan-Gesang des Jahres. Ist so eine Ehrung schon Kommerz? Nicht nur darüber gibt es in der Szene geteilte Meinungen.

Ein Teil der Fußball-Fans verweigert sich – aufgrund schlechter Erfahrungen – dem öffentlichen Dialog. Wiederum andere suchen ihn regelrecht. Auch darüber wird beispielsweise in vielen Fan- und Ultra-Foren gern ausgiebig mit durchaus sehr unterschiedlicher Qualität diskutiert. Bei solcherlei Diskussionen stößt man immer wieder auf das so genannte Ultra-Manifest. Dieses Manifest wurde erstmalig auf der Homepage der Ultras des AS Roma veröffentlicht und ist für den deutschen Sprachraum “nur unwesentlich verändert beziehungsweise an die Verhältnisse in Deutschland angepasst“ worden.

Im Ultra-Manifest werden unter anderem “Meinungsfreiheit und Freiräume zur kreativen Entfaltung der Fans im Stadion“ gefordert, welche “Choreografien, Spruchbänder, Schwenkfahnen, Plätze für Zaunfahnen, keine Unterhaltungsshow – die jegliche Fangesänge übertönen“ beinhalten. In vielen bundesdeutschen Stadien, egal welcher Liga, ist das schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Zugleich endet das Ultra-Manifest in Forderungen wie “die Ware ’TV-Fußball’ unattraktiver machen beziehungsweise boykottieren“ und “die Kommerzialisierung des Fußballs nicht fördern“ sowie “sich nicht von den Autoritäten unterdrücken lassen“ zu wollen.

Für Fußball-Fans und besonders für Ultras geht es um viel Ehre und im Prinzip gegen diese zuweilen doch sehr gut bezahlten reinen Fußball-Funktionäre. Denn “diese Menschen verstehen nicht, dass Fußball unser Leben ist, dass wir für unseren Verein leben, dass wir unsere Schals und unsere Kleidung tragen, die unsere Stadt oder Region repräsentiert“. Mit der Ware Fußball wollen aber im 21. Jahrhundert sehr viele möglichst noch mehr Geld verdienen. Der wie auch immer geartete Fan als solcher käme mit einem in diesem Industriezweig gezahlten Monatssalär wohl weit länger als vier Wochen aus. Soziale Gefälle grüßen nicht immer zwangsläufig freundlich.

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(Szenerie nach Spielschluss in der Dresdner Innenstadt – Foto: O.M.)

Im Fußball geht es ganz profan – als immer noch fast reine Männerdomäne – um Geld, Macht, Einfluss und Ehre, nur eben nicht für alle Beteiligten in dieser Reihenfolge. Nicht zu vergessen geht es dabei auch nach wie vor – um die gesellschaftsscheuen Teile der Fan-Szene nicht noch weiter in das von ihnen teilweise selbstgewählte Abseits zu drängen – um ein bewusst verantwortungsvolles Agieren der Medien (Ultras, Hooligans, Hooltras?). Was allerdings für niemanden als Entschuldigung dienen sollte. Es geht ja, wie bei anderen Sportarten auch, um Provokation, den Gegner in seine Schranken zu verweisen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen, ihn zu verunsichern, ihn zu bezwingen – the winner takes it all. Doch wie weit darf Provokation gehen? Gewalt – auch verbale – ist der Fußballszene bekanntlich leider nicht unbedingt fremd. Aber es gibt im zwischenmenschlichen Miteinander Grenzen, bei körperlicher und sächlicher Gewalt sowieso, sollte man meinen.

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig bekannte kürzlich, auf die Frage angesprochen, ob Randale im Stadion Ausdruck einer Brutalisierung der Gesellschaft sei, er glaube, “früher wurde bei Spitzenmannschaften mehr randaliert als heute. Mir ist es fast zu clean. Natürlich dürfen keine Tribünen einstürzen, es darf keine Verletzten oder gar Tote geben. Wichtig ist es, dass Zuschauer, die nicht dabei sein wollen, weg können. Aber ein bisschen Rabatz gehört zum Fußball. Es ist ein Ausnahmezustand, so etwas wie Karneval …“ Mit “Karneval“ und “bisschen Rabatz“ kann das, was beispielsweise aktuell in einer der bundesdeutschen fünften Ligen vor sich geht, allerdings wahrlich nicht abgetan werden.

Das für den 28. Oktober 2007 angesetzte Sachsenliga-Punktspiel zwischen Dynamo Dresden (Amateure) und Lok Leipzig warf bereits lange vorab dunkle Gewaltschatten auf diesen Sonntag im Herbst. Der plakative Ursprung dafür sucht seinen Ausgangspunkt in einer zwischen ehemaligen Ost-Fußball-Spitzenclubs nachwirkenden Rivalität und einer durchaus nachhaltig gepflegten Fan-Feindschaft. Äußern sich, was eher selten ist, in die nachfolgenden Auseinandersetzungen involvierte Einzelpersonen, ist es schon erstaunlich, dass nicht wenige der emotionsgeladenen Derbys in der DDR-Oberliga oder im FDGB-Pokal zwischen Dynamo Dresden und Lok Leipzig fast mit der Nähe des eigenen Geburtstages korrespondieren. Ostalgie pur? Geil auf ein Derby? Oder einfach nur geil auf Gewalt?

Wer angefangen hat, die Provokationen im Vorfeld dieser Begegnung über das unter Fußballfans und auch Ultras hinaus bekannte Maß zu forcieren, ist schwer nachvollziehbar. Begann es schon im Spätsommer mit der SMS-Message an Eingeweihte beider Seiten, mit der martialisch formulierten Aufforderung, um die Ehre des jeweiligen Vereins kämpfen zu wollen? In einem hernach auf YouTube veröffentlichtem Videoclip stilisierte sich ein unbekannter Dresdner bereits vorab zum Märtyrer und verabschiedete sich waffenbastelnd und einen Abschiedsbrief schreibend schon mal von seiner Mutter, falls er nach besagtem Fußballspiel nicht mehr heimkommen würde.

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(Plakat gegen Dresden)

In Dresden häuften sich derweil gesprayte Parolen “28.10. – Lok töten!“. Dresdner suchten das Lok-Stadion in Leipzig heim und übersprühten die nicht nur sachsenweit bekannten Graffitis der Lokisten mit eindeutigen Parolen. Daraufhin überwanden wenige Tage später Lok-Anhänger die Zäune des Dresdner Rudolf-Harbig-Stadions und hinterließen dort ihre gesprayten Visitenkarten. Noch am Tag vor dem Spiel gegen Leipzig wurden beim auch nicht gerade sicherheitsunproblematischen Spiel von Dynamo Dresden gegen Union Berlin aus dem Dresdner Ultra-Block Handzettel für den bevorstehenden “Kampf um Sachsen“ verteilt. Unterstützung dabei wurde in der Szene auch von außerhalb Desdens und Sachsens erwartet.

In der Zwischenzeit hatte ein regelrechter “Internetkrieg“ (ultrafans.de) eingesetzt. So kursierte – zuerst virtuell und später in Leipzig plakatiert und kurzzeitig im dortigen Stadion käuflich erwerbbar – ein Plakat, das die Siegesgöttin mit Lok-Fahne über der am 13. Februar 1945 zerstörten Dresdner Stadt-Silhouette zeigt. Die unmissverständliche Parole lautete “Auf nach Dresden“. Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten und war nicht nur noch geschmackloser als das gegen Dresden gerichtete Plakat. Eindeutig interpretierbar in der Zeit des Nationalsozialismus auf einen Transport mit gewissem Ziel gehenden Juden wurden Lok-Fahnen in die Hände fotomontiert. Die Unterschrift dieses mehr als makaberen Produktes: “Endstation … 28.10.07 – Dresden“. Gegen beide Plakatisten wird Verlautbarungen nach derzeit strafrechtlich ermittelt.

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(Plakat gegen Leipzig)

Bemerkenswerterweise berichteten Print- und Onlinemedien ausschließlich über die gegen Dresden gerichtete Plakat-Aktion sowie die gegenseitigen Spray-Aktionen und auch über das YouTube-Video. Zwar war immer von gegenseitigen Provokationen die Rede, das imaginäre Juden-Plakat gegen die Leipziger Anhänger kam darin allerdings nicht vor. Zufall? Das Plakat gegen Dresden kursierte in vielen Online-Foren und wurde ob seiner Aussage kaum ernsthaft bemängelt. Dem Plakat gegen Leipzig wiederum erfuhr beispielsweise in Leipziger und Dresdner Foren gewisse Aufmerksamkeit – unter einem bemäntelten Aspekt einer angestrebten strafrechtlichen Verfolgung – bis es zuerst aus dem Dynamo-Forum und später auch aus dem Lok-Forum entfernt wurde. Allein das – subjektiv – sehr informativ gehaltene Forum von ultrafans.de (“Für die ganze Kurve“) hat nach Auftauchen des Anti-Leipzig-Juden-Plakats dieses umgehend dauerhaft gebannt.

Aktionistisch beschloss der Sächsische Fußballverband (SFV) hinsichtlich dieser Sachsenliga-Begegnung ein generelles TV-Verbot für das Dresdner Stadion. Diese Dreh-Untersagung wäre wohl als das erste TV-Verbot in die Geschichte des deutschen Fußballs eingegangen. Später verkaufte der SFV allerdings die alleinige Film-Genehmigung an den MDR. Die TV-Rechte in der 5. Liga liegen eigentlich beim Verein selbst und so äußerte der Dresdner Marketing-Chef dazu lediglich: “Ich sag’ dazu lieber nichts, bin allerdings ziemlich verwundert.“ Eine zwischenzeitlich angestrebte Verlegung der Partie scheiterte am Bedenken des SFV ebenso wie an den Einsatzplanungen der Polizei.

Die gegenseitig so enorm aufgeheizte Stimmung veranlasste den Leipziger Trainer zu einer drastischen Ankündigung: “Sollte es im Stadion zu Ausschreitungen unserer sogenannten Fans kommen, werde ich die Mannschaft in die Kabine schicken und freiwillig auf die Punkte verzichten.“ Es kam anders. Das Sachsenliga-Spiel war zwar von dauernden Böllern, Raketen und Rauchschwaden begleitet, wurde allerdings nicht unterbrochen, geschweige denn abgebrochen. Das Szenario im Stadion war allerdings nicht vergleichbar mit dem Regionalliga-Spiel am Tag zuvor. Es war eindeutig kein Familien-Fußballtag: Schwarze Kleidung, nur sehr vereinzelt Zaunfahnen, kaum Fan-Utensilien, gut 6.000 Zuschauer insgesamt. Und Hass auf vieles und den Gegner sowieso, der allerdings gut eingekesselt keinerlei Angriffspunkte bot. Dafür Gerangel mit dem Sicherheitsdienst beim Einlass und ein völlig unnötiger und provozierender Aufmarsch polizeilicher Einsatzkräfte in der 2. Halbzeit vor einem Dresdner Block. Deeskalationsstrategie in einer solch emotionalen Situation sollte anders aussehen.

Und danach geschah das, was alle ja schon vorher gewusst haben könnten und was nunmehr zusammengepuzzelte Fernsehbilder mehr schlecht als recht zeigen – Gewalt im Osten. Straßenschlachten in der Dresdner Innenstadt: Raketen, Böller, Steine, Gewalt, Verletzte, Festnahmen in Größenordnungen von mehreren Hundert – Einsatz von weit über 1.000 Polizisten; Wasserwerfer, Hunde, Pferde, Hubschrauber vor Ort. War das nur ein Punktspiel der 5. Liga? Die Gazetten schreiben und tun so, als ob sie berichten und Ursachen suchen würden. Die Video-Portale quellen über von Sequenzen von diesem Tag in Dresden. Die Szene feiert sich selbst. Es geht um Ehre – in diesem Fall um einen zu hohen Preis. Auch ein selbst postulierter Anspruch auf Ehre legitimiert keinesfalls den Einsatz von Gewalt – und hat nichts mehr mit dem Fußballsport als solchem zu tun. So artet ein unterstellt gutgemeinter Kampf gegen den Kommerz im Fußball schnell zu einer ganz billigen Pseudo-Schlacht gegen die vielleicht von wenigen als staatsautoritär empfundene Unterdrückung aus – mit einigen mehr als nur andeutungsweise Verletzten, virtuell und real.

Es geht bezüglich dieser gewaltbereiten Fußballszene bei weitem nicht um die Verschärfung des bestehenden und auf Gewaltorgien wie diese anwendbaren Strafrechtes, wie im Nachhinein der Dresdner Ereignisse richtig festgestellt wurde. Es geht allerdings um die Achtung voreinander, auch im sehr emotionalen Bereich des Fußballs, wie überall in der Gesellschaft. Das schließt die Achtung vor dem Andenken Verstorbener und diesbezügliche historische Grundkenntnisse unbedingt ein – und nicht, dass man dies für irgendetwas missbraucht und besudelt. Besonders Ultras betonen immer wieder, dass Politik beim Fußball nichts zu suchen habe.

Der Kommentator bei MDR-Info äußerte am Tag nach den Dresdner Krawallen die Hoffnung, solcherart Gewalttäter möchten doch bitte den Fußballsport tunlichst in Ruhe lassen und sich seinetwegen “in guter alter Hooligan-Manier“ abseits der Öffentlichkeit miteinander beschäftigen. Was an diesem Sonntag Gerüchten zufolge nahe Dresden zudem auch noch der Fall gewesen sein soll. “Ich glaube nicht, dass man vom Zustand des Fußballs auf den der Welt schließen kann“ (Thomas Brussig). Vielleicht kann man ja vom Zustand der Welt zuweilen ein wenig auf den des Fußballs mit all seinen Facetten schließen? Fragen bleiben – und Lösungsansätze sind dringender denn ja gefragt, nicht nur für eine 5. Fußball-Liga.

[Dieser Artikel wurde am 30. Oktober 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]