Schlagwort-Archive: Christoph Ruf

MedienScreen # 30 [Red Bull Leipzig, Heuschrecke]

[Fundstück] Christoph Ruf, “Wer sehen will, muss hören“, Sonntagsschuss, neues-deutschland.de, 9. September 2013 –

(…) Wer Hoffnungen weckt, ruft RB Leipzig auf den Plan. Das Salzburger Brause-Imperium mit Filiale im Sächsischen will bekanntlich in möglichst kurzer Zeit in der ersten Liga den Ruhm des Kaugummi-Gesöffs mehren (…)

Auch wenn RB Leipzig es geschickt anstellt – die Werbebedröhnung ist nicht exzessiver als bei den meisten Traditionsvereinen (was gegen letztere und nicht für RB Leipzig spricht) – im Vergleich zum Salzburger Imperialismus nimmt sich das Hoffenheim des Dietmar Hopp ja tatsächlich fast schon harmlos aus.

Ich verstehe jedenfalls all die traurigen Leipziger Fußballfans, die zu Lok oder einem der unzähligen Spaltprodukte von Chemie halten und mit einer Mischung aus Wut und Resignation auf die Zuschauerzahlen des neureichen Konkurrenten mit seinen vielen “Fans” im brandneuen Fantrikot schauen (…)

Sie werden schon bald Erstligafußball sehen können. Doch wer sehen will, muss auch hören: Alle Fankurven von Hamburg bis München werden sehr deutlich machen, was sie von einem roten Bullen halten, der in Wahrheit eine Heuschrecke ist.

[Dieser Beitrag wurde am 11. September 2013 bei Ostfussball.com publiziert.]

MedienScreen # 24 [Sesamstraßen-Ultras?]

[Fundstück] Christoph Ruf: “Occupy Sesame Street“, in: “Ultras im Abseits? – Porträt einer verwegenen Fankultur“ [Martin Thein | Jannis Linkelmann (Hrsg.)], Verlag Die Werkstatt, Juli 2012 –

(…) Es wird derzeit viel gemauschelt und geraunt in der deutschen Ultraszene. Die Blicke im Block sind misstrauischer geworden, die Abgrenzungsrituale ausgeklügelter, die Codes geheimnisvoller, die Jünger jünger. So jung, dass manche Stirn beim kritischen Stirnrunzeln nicht einmal Falten wirft. Als Journalist muss man sowieso eher froh sein, wenn man auf gerunzelte Stirnen trifft. Die Szene unterstellt den Medien gerne einmal, dass sie eine Ansammlung sensationsgeiler, korrupter Polizeistaatsfanatiker seien, die Ultras pauschal aburteilen. Wie pauschal diese Medienkritik ist, merkt allerdings der ein oder andere. Auch im Umgang mit der Presse wird sich weisen, ob Abgrenzung oder Öffnung künftig das Leitmotiv sein wird.

Noch vor gar nicht allzu langer Zeit brachte die Szene endlich frischen Wind in die Kurven, die neugierig waren, und die deshalb Neugier weckte. Sollte es doch noch einmal so etwas geben wie eine Renaissance der kritischen Fanszene aus den 1990ern? Es sollte. Nur dass die Umarmungsstrategie der Fanveteranen schnell im Keim erstickt wurde. Denn weder die Aktionsformen noch die Kommunikationsmittel von damals waren die von heute. Und das war auch gut so. Oder doch nicht? Ist vielleicht doch nicht alles Neue per se sakrosankt? Es gibt Themen, in denen die Szene langen Atem bewiesen hat. “Pro 15:30“ (heute “Pro Fans“) hat mit seinem damaligen Kernanliegen nachhaltig das Bewusstsein der Fußballfreunde geprägt. Auch “Pyrotechnik legalisieren“ hat höchst professionell gearbeitet und so die manchmal sehr trägen Apparate von DFB und DFL ganz schön ins Schwitzen gebracht. Beides sind hervorragende Beispiele dafür, mit welcher Stringenz die heutige Fangeneration ihre Anliegen nach vorne bringen kann; die heute 40- bis 50-Jährigen haben damals noch oft aus Spaß an der Freude diskutiert. Und irgendwann konstatiert, dass sie nichts erreicht haben.

Und dennoch: Es bleibt der Verdacht, dass die Ultra-Bewegung in vielerlei Hinsicht letztlich nur ein Kind ihrer Zeit ist, in der einige mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit Fananliegen vertreten. Und die Masse die Szenespielchen spielt. Not my generation: Heutzutage kommt Form vor Inhalt, das steht einmal fest.

Die Formalia jedenfalls stimmen in der Ultra-Szene. Der Capo erfüllt satzungskonform seine Capo-Pflichten, der Szene-Neuling trägt die Bierflaschen fort, die die Altvorderen ausgetrunken haben. In Studentenverbindungen und bei den Gebirgsjägern gelten die gleichen Gesetze. Doch selbst diese Institutionen wirken in ihrer Bräsigkeit manchmal geradezu erwachsen, wenn man ihre Riten mit dem heiligen Ernst vergleicht, den Ultras auf Kindereien verwenden (…)

Man kann sich stundenlang über die Gepflogenheiten der Sesame-Streetgangs amüsieren. Es ändert nichts an dem beklagenswerten Umstand, dass Dinge, die ernst gemeint sind, irgendwann auch ernst werden. Doch die Verselbständigung einst augenzwinkernder Szenerituale hat Folgen. Nicht nur für den Normalo-Fan, der ein blaues Auge mehr und einen Schal weniger hat. Heute wirkt die Ultraszene mancherorten dogmatischer als der Vatikan. Was nichts anderes bedeutet, als dass ihr das gleiche Schicksal wie dem Heiligen Stuhl drohen könnte. Massiver Mitgliederschwund und die intellektuelle Vergreisung.

Die Alternativen liegen allerdings auf der Hand. Es kommt darauf an, ob sich die Sub-Szene als Teil der gesamten Fanstruktur der Kurve begreift. Gerne auch als radikalerer, unerbittlicherer Teil. Aber eben als Teil eines größeren Ganzen. Als Gruppe, die sich Antennen nach außen bewahrt hat, anstatt nur noch zu funken. Das wäre ihr zu wünschen. Wahrscheinlicher scheint derzeit, dass der Trend zur Inzucht weitergeht und sich die Szene erbitterte Infights im eigenen Ghetto liefert, sich weiter radikalisiert und in gewalttätigen Räuber- und Gendarmspielen ergeht. Das wäre allein deshalb bedauerlich, weil Ultrà dann tatsächlich so autistisch würde, wie seine Gegner es schon lange sehen.

Es wird spannend sein zu beobachten, in welche Richtung die Reise der Ultras geht. Klar ist nur eines: Die Fronten verlaufen exakt so wie damals im Berliner “Kosmos“. Zwischen denen, die für Nachdenklichkeit werben, und denen, die sich von den echten Hooligans nur noch in einem Punkt unterscheiden: Die Hools in den 1980ern und 1990ern haben sich geprügelt, wenn sie das wollten. Es ist eben ein einförmig’ Ding um das Menschengeschlecht …

Die heutigen “Hooltras“ scheinen jedoch in ihrem tiefsten Inneren heilfroh zu sein, dass so oft die Polizei zwischen den Fronten steht, wenn zwei verfeindete Ultragruppen sich wie eine Horde Pavianmännchen beim Paarungsritual in Pose werfen (…) Längst sind beim Räuber- und Gendarm-Spiel für junge Erwachsene ein paar Tabus gefallen, an die sich noch vor zehn Jahren die allermeisten Ultras zwischen Rostock und Burghausen hielten (…)

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(Foto: O.M.)

(…) es sind Einzelfälle, die sich in den vergangenen Jahren so gehäuft haben, dass der Beobachter nicht mehr sicher sein kann, welcher der beiden Pole die Oberhand behalten wird. Der, der Rebellentum inhaltlich definiert. Oder der, der maximale mediale Aufregung für einen Beweis der eigenen Widerspenstigkeit hält. Und der dabei gar nicht merkt, wie sehr er auf die Mechanismen von exakt den Boulevardmedien hereingefallen ist, die man eigentlich einmal an der Nase herumführen wollte.

Aber geschenkt: Ultras sind meist noch sehr jung. Dumm sind sie allerdings nicht. Schon gar nicht in ihrer Kommerzkritik. Denn natürlich wissen auch Ultras, dass Sponsorengelder fließen müssen, um einen Bundesligaetat aufrechtzuerhalten (…)

Es mag zwar etwas skurril klingen, wenn die meist sehr jungen Ultras die “Tradition“ beschwören und von früheren Zeiten schwärmen. Doch auch für die meisten anderen Stadiongänger ist der – entsprechend romantisch verklärte – Haudegen, der in den seligen Siebzigern 400 Bundesligaspiele für einen einzigen Verein absolvierte, das Idol (…)

Nach jedem Spiel posten Ultras Hunderte Fotos von ihren Choreografien, hochkomplexen Mosaik-Bildern aus Tausenden gleichzeitig emporgereckten bunten Blättern, sie bewerten den “Support“ der Gastmannschaft und ihre eigene Gesangsleistung (…) Ultras sind Teil der Generation Internet. Sie stellen alles online, was von ihren Heldentaten kündigt. Ultras sind enorm selbstverliebt. Zu ihrer Entschuldigung kann man nur anführen, dass das in der großen Blase namens Bundesliga so gut wie alle sind: Spieler, Funktionäre. Und nicht zuletzt Journalisten. Mancher von uns gockelt noch selbstherrlicher durch den Stadioninnenraum als die Ultrafürsten durch die Kurve (…)

Der “Support“, angeblich ja die selbstlose Unterstützung der eigenen Mannschaft, ist längst auch zum Wettbewerb zwischen den Ultra-Szenen einzelner Klubs geworden (…) Das alles passt zur Selbststilisierung als rebellische Gegenbewegung gegen das Fußball-Establishment (…)

(…) Dabei ist die Szene bei aller Freiheits-Rhetorik reglementierter als jeder Kaninchenzüchterverein. Wer als Journalist eine Frage an ein Gruppenmitglied hat, sollte Zeit mitbringen. Wie in den Gründungsjahren der Grünen muss auch bei den Ultras zuerst das Plenum entscheiden, wer aus der Gruppe welche mit dem Kollektiv abgestimmte Aussage treffen darf. Und wehe, einer spricht einfach so mit der bösen Presse. Die Suche nach dem “Verräter“ kann stalinistische Züge annehmen. Insofern hat auch der Korpsgeist der Szene etwas Undeutsches (…)

Den allermeisten Ultras ist “Ultrá“ viel zu heilig, als dass sie es auf ein Sandkastenspiel für Schwarzgekleidete reduzieren wollten. Sie wissen, dass der Bundesligazirkus nichts dringender braucht als eine wache Öffentlichkeit. Und am wachsten ist die Szene, die von Montagmorgen bis Sonntagabend niemals schläft. Ohne Ultras wäre der Alltag in den Stadien schließlich längst noch seelenloser, als er eh schon ist (…) Unterm Strich ist das Fazit damit klar: Dass es die Ultras gibt, ist richtig, schön und wahr. Es stimmt schließlich tatsächlich, dass sie ein Stachel im Fleisch des Fußball-Establishments sind. Nur, dass man das deutlich lieber feststellen würde, wenn die Ultras nicht selbst so versessen darauf wären, sich als Che Gueveras von Paderborn und Alltime-Anarchos von Aachen-Oberforstbach zu stilisieren, bis sie auch in ihren hellsten Momenten nicht mehr merken, wie kleingartentauglich sie geworden sind (…)

(…) Denn im Grunde genommen sehen sie alle anderen Fußballfans in der Kurve genau so, wie sie auch von den Fußballmächten gesehen werden: als unkritische konsumierende Masse. Bleibt zu hoffen, das diese Sichtweise nicht einmal als entscheidende Überdosis Arroganz auf einem Grabstein mit der Aufschrift “Ultrá“ stehen wird. Eines ist sicher: Bei der Beerdigung werden ein paar unangenehme Gestalten mit verdächtig guter Laune auftauchen. Noch wäre genug Zeit, sich ihnen lebend zuzuwenden. Weder die FIFA noch Anheuser-Bush wohnen in der Sesamstraße.

[Dieser Beitrag wurde am 13. Januar 2013 bei Ostfussball.com publiziert.]