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Die unendliche Geschichte Half-Life 2

Mit gut einem Jahr Verspätung erscheint der von vielen lang ersehnte 3D-Ego-Shooter

Auf einschlägigen Websites wird schon seit langem auf den Tag X rückwärts gezählt und die Vorab-Test-Wertungen überschlagen sich regelrecht vor Euphorie. Wohl kaum hat es bisher ein Computerspiel geschafft, bereits weit vor seinem eigentlichen Erscheinen einen derartigen Hype zu fabrizieren. Am 16. November tritt – in Fortsetzung seines über acht Millionen Mal verkauften Vorgängers – Half-Life 2 weltweit in die Games-Arenen der Computerwelt. Falls nicht noch in quasi letzter Sekunde etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommt. Denn bis zum sich jetzt abzeichnenden Happy End hat Half-Life 2 für mehr Furore gesorgt, als vielen lieb gewesen ist.

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Das groß angekündigte Go!-Half-Life 2 für den 30. September 2003 konnte durch Valve Software nach einem ominösen Source-Code-Diebstahl vom Server des Entwicklers nicht mehr realisiert werden. Valve und der Publisher Vivendi Universal Games machten in der Folge den Code-Diebstahl sowie anschließende FBI-Ermittlungen für die Verzögerungen bei der Veröffentlichung von Half-Life 2 verantwortlich. In einem aktuellen Interview antwortete Valve-Chef Gabe Newell auf die Frage: “Was lief während der Entwicklung schief?“ allerdings lediglich mit: “Die größte Katastrophe ist unsere anhaltende Unfähigkeit, Zeitpläne einzuhalten, wenn wir Termine bekannt gegeben haben … Das ist wohl das größte Problem, das wir haben.“

Der Datenraub mit Folgen von Mitte September 2003 zog damals nicht nur in der Gamer-Szene mehr oder weniger sachhaltige Verschwörungstheorien nach sich. Im Juli 2004 nahm das FBI dann mehrere Personen im Zusammenhang mit dem Online-Einbruch fest, dabei angeblich auch den Entwickler des Viren-Wurms Phatbot. Im Internet kursierte eine spielbare Alpha-Version von Half-Life 2 und ein erneut angekündigter Veröffentlichungstermin verstrich. Die Entwicklung des mehr als überfälligen Spiels ging weiter. Dann – mit Start des Preload von Half-Life 2 über die Valve eigene Online-Distributionsplattform Steampowered im August 2004 – kam auch noch ein schon seit gut zwei Jahren zwischen Vivendi und Valve schwelender Urheberrechtsstreit zum Ausbruch. Darin ging es um die Internetvertriebsrechte für den 3D-Ego-Shooter, in denen Vivendi das Vertreiben von Half-Life 2 durch Valve über Steam letztendlich verhindern wollte.

Aber nichts mehr soll Half-Life 2 aufhalten. Die bisherigen Entwicklungskosten wurden von Gabe Newell mit rund 40 Millionen Dollar beziffert – und Vivendi gab endlich auch offiziell den Release-Termin 16. November bekannt. Die nach wie vor erwartungsvoll ausharrende Gamer-Community lechzte mittlerweile schon regelrecht nach den ersten offiziellen Testergebnissen. Valve entschied sich pro Land für ein großes Spiele-Magazin, welches die spielfertige Endversion von Half-Life 2 vor anderen testen konnte. Wie der deutsche Ersttester PC Games betonte, geschah das ohne Einschränkungen, ohne Aufsicht und mit möglichen eigenen Screenshots. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass es 1998 als kleine Revolution in der Spielbewertung gesehen wurde, als die Zeitschrift N Zone dem Konsolenspiel “Zelda – Ocarina of Time“ die bis dato höchste Wertung von 97 Prozent erteilte.

Jetzt bilanziert PC Games emphatisch: “Dieses Spiel braucht keine Wertung, sondern ein Denkmal!“ Bisher unerreicht in der Geschichte dieser Zeitschrift erhielt ein Spiel 96 Prozentpunkte. Auch PC Zone (UK) hatte vor Half-Life 2 noch nie 97 Prozent in einer Spielbewertung vergeben. Weitere Testresultate für Half-Life 2 gruppieren sich auf ähnlichem Wertungsniveau, teilweise jenseits davon, was für andere Spiele derzeit erreichbar scheint: PC Gameplay (NL) 90 Prozent, PC Gamer (UK) 96 Prozent, PC Format (UK) 96 Prozent, PC Zone (US) 97 Prozent sowie PC Gamer (US) mit 98 Prozent.

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Wenn man sich vor Augen hält, dass beispielsweise die PC Games-Testrechner mit 3,2 GHz, 2 GByte RAM und Radeon X800 XT konfiguriert waren, deutet sich nicht nur für Spielehändler ein wohl durchaus erträgliches Weihnachtsgeschäft an. Valve selbst stellt in PC Games Hardware die minimalen technischen Voraussetzungen für Half-Life 2 mit 1,2 GHZ, 256 MByte RAM und DirectX-7-Grafik dar. Um die bei Half-Life 2 verwendete Source-Engine letztendlich optimal mit allen Details spielen zu können, werden von PC Games mindestens 2,7 GHz, 1.024 MByte RAM und Radeon 9800 Pro empfohlen.

Während Half-Life 2 von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) für die Bundesrepublik keine Freigabe nach dem Jugendschutzgesetz erhalten hat, könnte das Spiel in Australien gar mit einem Verkaufsverbot belegt werden. Wenn es nämlich durch die zuständigen Behörden als jugendgefährdend eingestuft wird, so wie es vor nicht all zu langer Zeit “Leisure Suit Larry: Magna Cum Laude“ ergangen ist. Für Verstimmung und ärgerliche Kommentare sorgte zwischenzeitlich die Ankündigung von Valve, dass bei der Installation von Half-Life 2 eine Online-Registrierung über Steam zwingend erforderlich sei. Auch eine eventuelle Verfilmung von Half-Life 2 ist im Gespräch.

Kurz vor dem Release-Termin – scheint sich Geschichte doch zu wiederholen? – kursierte das Gerücht, nach dem Half-Life 2 bereits im Internet aufgetaucht sei. Allerdings konnte für dieses Gerücht bisher noch keine Bestätigung ausfindig gemacht werden. Wie war doch gleich in einem der vielen Foren zu Half Life 2 zu lesen? “Also ich glaub’s dann aber doch erst, wenn ich’s in den Händen halte.“ Erst dann werden sich alle Interessierten auch selbst ein Urteil bilden und feststellen können: Welcome back Gordon Freeman. Marc Laidlaw, Autor und Spieldesigner bei Valve, orakelt derweil schon jetzt: “Es gibt im Vergleich zur Ausgangslage am Ende des ersten Spiels viel mehr Stoff für Half-Life 3.“

[Dieser Artikel wurde am 10. November 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Ein Datenraub mit Folgen

Der Online-Diebstahl von “Half-Life 2“-Programmcodes wird nicht nur die Weihnachtsumsätze der PC-Branche beeinflussen

Im Jahr 1998 landete das Software-Entwicklungsstudio Valve wie aus heiterem Himmel einen Hit, der die Spielewelt nachhaltig verändern sollte: Half-Life avancierte innerhalb nur kurzer Zeit zu einem der Hits unter dem riesigen Angebot von PC-Spielen und hat mittlerweile längst Kult-Status erreicht.

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(Screenshot aus Half-Life 2)

Gut fünf Jahre nach dem Start von “Half-Life“ sollte die Erfolgsstory mit “Half-Life 2“ ihre Fortsetzung finden. Mutmaßungen und vage Ankündigungen machten die Runde, versprachen vorab viel über das avisierte Top-Game 2003. “Valve“ verstand es geschickt, aus allem um “Half-Life 2“ ein mindestens mittelgroßes Geheimnis zu machen. Und dann wurde auf der letzten Spiele-Messe E3 in Los Angeles zu aller Gamer-Freude und -Überraschung ein fast fertiges “Half-Life 2“ aus der Kiste gelassen.

Die Fachwelt war schon zu diesem Zeitpunkt nur noch begeistert. Auf NBC Europe überschlugen sich die “Giga“-Gamer vor Euphorie, die Zeitschrift “pc games“ veröffentlichte flugs einen 24-seitigen Sonderdruck zu Story, Leveldesign, Charakteren, Benchmarks und all den zu erwartenden Extras von “Half-Life 2“. Trotz einiger kleinerer – nicht immer näher spezifizierter – Entwicklungsverzögerungen schien alles so gut wie bereit für das letztendliche let’s play.

Und dann kam im Früh-Herbst 2003 der unvermittelte Stopp, vorerst das Aus für “Half-Life 2“, ein regelrechter Schock für viele. “Valve“-Chef Gabe Newell trat mit einer dramatischen Verlautbarung vor die Online-Gemeinde:

Etwa ab dem 11. September dieses Jahres griff jemand anderes auf meinen Email-Account zu. (…) Kurz danach begann mein Computer, sich merkwürdig zu benehmen. Ich war nicht in der Lage, einen Virus oder Trojaner auf meinem Computer zu finden, formatierte meine Festplatte neu und installierte die Software neu. (…) Um den 19. September herum zog sich jemand eine Kopie des ’Half-Life 2’-Source-Verzeichnisses. Zu irgendeinem Zeitpunkt wurde Software zur Aufzeichnung von Tastatureingaben auf verschiedenen Computern bei Valve installiert. Unsere Vermutung ist, dass dies über einen Buffer-Overflow in der Voransicht-Anzeige von Outlook geschah.

Mit einem lakonischen “Well, this sucks“ beendete Newell seine für den geplanten “Half-Life 2“-Start verheerende Erklärung.

Seit dem veröffentlichten Source-Code-Diebstahl hüllt sich “Valve“ mehr oder weniger in Schweigen. Zudem gibt es nur Vermutungen, in welchem genauen Umfang Daten aus dem Firmennetzwerk des Software-Entwicklers gesaugt wurden und ob davon eventuell auch noch weitere Produkte von “Valve“ betroffen sind. Immerhin wurde nach Medienberichten kurz nach dem Diebstahl-Hack eine nicht autorisierte, aber durchaus spielbare Version von “Half-Life 2“ in den Weiten des Internet gesichtet. Beim Auktionshaus ebay soll zu dieser Zeit ebenfalls kurzzeitig eine so bezeichnete Beta-Version von “Half-Life 2“ im Angebot gestanden haben.

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(Screenshot aus Half-Life 2)

Mittlerweile ist das Erscheinen von “Half-Life 2“, durch die Entwickler allerdings nicht definitiv bestätigt, für Ende April 2004 avisiert. Die Firma “Ati“ hat derweil Käufern der Grafikkarten 9600XT und 9800XT ein kostenloses “Half-Life 2“ zugesagt, mit dem deutlich einschränkenden Zusatz allerdings: “sobald es fertig ist“. Eine “Ati“-Pressekonferenz war es ja schließlich auch, auf der “Valve“ – vor dem Datenklau – Benchmark-Werte und Grafiks von “Half-Life 2“ einer staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Dass diese Präsentation damals ausgerechnet auf der ehemaligen Gefängnisinsel Alcatraz zelebriert wurde, hat im Nachhinein für einigen Spott in der Branche gesorgt. Denn zumindest Alcatraz galt landläufig als ausbruchsicher.

Welche Folgen der Schweif dieses spektakulären Datendiebstahls im Umfang nach sich ziehen wird, kann nach Lage der Dinge und Veröffentlichungen gegenwärtig noch nicht abschließend vollständig eingeschätzt werden. Wenn neben den “Half-Life 2“-Programmcodes, wie mittlerweile in einigen Medien vermutet, auch Level- und Grafik-Daten sowie Quellcodes und Scripts von weiteren “Valve“-Entwicklungsprodukten Opfer der Online-Piraterie geworden sein sollten, dann steht wohl nicht nur das Weihnachtsgeschäft unter einem schlechten Stern.

Schließlich liefen einige Hardware-Produkte in der PC-Branche parallel zur Entwicklung von “Half-Life 2“ und sollten – wegen der angestrebten komfortableren Game-Performance zum Beispiel Grafik-Karten von “Ati“ – auch hier den Verkauf ankurbeln. Die Unterstellung, dass der direkte Grafik-Karten-Konkurrent von “Ati“, die Firma “Nvidia“, direkt oder indirekt am Hack-Angriff gegen “Valve“ involviert gewesen sei, wird zwar in einigen Kreisen heftig diskutiert, gehört aber nach wie vor ins Bereich der unbewiesenen Verschwörungstheorien.

Der Konkurrenz-Ton in der Branche ist nach dem vorläufigen “Half-Life 2“-Stop aber schon wieder einen Tick schroffer geworden. Und zudem spricht der stattgefundene Code-Klau auch nicht unbedingt für das technische Geschick von selbst ernannten Hackern, sondern eher für grobe Nachlässigkeiten bei allgemeinen Sicherheitsstandards der Software-Entwickler von “Valve“.

[Dieser Artikel wurde am 22. November 2003 bei Telepolis veröffentlicht.]