Schlagwort-Archive: konkret-Magazin

MedienScreen # 62 [Pervitin 2.0]

[Fundstück] Svenna Triebler, “Vom Führer empfohlen“, konkret, 12/2015 –

(…) Crystal Meth wiederum macht größenwahnsinnig, paranoid und gewalttätig. Man braucht nicht zu spekulieren, welcher Menschenschlag sich von letzterem angesprochen fühlt, der Europäische Drogenbericht 2015 liefert harte Fakten. Unter 42 Großstädten, deren Abwässer auf Rückstände verschiedener Rauschmittel untersucht wurden, belegt Dresden (gemeinsam mit Oslo) den Spitzenplatz im Konsum der Droge. Und, ei verbibbsch, der höchste Wert wird regelmäßig dienstags gemessen, wenn in der Kläranlage ankommt, was am Pegida-Montag so im sächsischen Volkskörper zirkuliert.

Man kann Crystal Meth also getrost als Nazi-Droge bezeichnen, und das nicht nur wegen seiner Wirkungen und Konsumenten. Gerade in Sachsen verdienen Neonazis durch ihre Verbindungen zur organisierten Kriminalität auch selbst am Handel – in einem Bundesland, in dem Polizeibeamte schon mal interne Informationen an Mitglieder rechter Rockergangs durchstecken, scheint auch der Verfolgungsdruck nicht allzugroß zu sein.

Gemessen an ihrem historischen Vorbild sind die Nazis von heute allerdings Kleindealer (…)

MedienScreen # 51 [Rational befreite mitteldeutsch sächsische Zone]

[Fundstück] Thorsten Mense, “Der nahe Osten“, konkret, 10/2015 –

(…) Die Flut, die Flüchtlinge, die Grenze zu Osteuropa – Sachsen war schon immer am liebsten Opfer. Ein kleines Bundesland, an den östlichen Rand der Republik gedrängt, vom gesamtdeutschen Kapital kurz freudig in die Höhe gehalten und dann gelangweilt zur Seite gelegt, nicht fähig, sich selbst zu finanzieren. Die neonazistischen Massendemonstrationen in Erinnerung an den “Bombenholocaust“ sind nicht zu verstehen ohne den Dresdner Opfermythos um die vermeintlich unschuldig bombardierte Stadt, Heidenau und Freital nicht ohne die Angst- und Opferrhetorik von CDU und Mitteldeutschem (!) Rundfunk (MDR) (…)

Der Bezug der rassistischen Wutbürger auf die Montagsdemonstrationen der Wendezeit, der Sachsens Elite so schwer aufstößt, ist dabei nur konsequent. Sie beweisen bloß ein weiteres Mal, dass “Volk“ in Deutschland nur völkisch zu denken ist (…)

Sachsen ist eben in vielerlei Hinsicht doch Mitteldeutschland – außer im geografischen. Die Menschen hier sind nicht unbedingt rassistischer als der Rest der Republik. Sie haben einfach weniger Hemmungen, ihren Hass offen auszusprechen und auszuleben, weil sie sich hier zu Recht vom “Volk“ beauftragt wähnen und kaum Strafverfolgung zu fürchten haben. Während Angriffe auf Flüchtlingsheime im Westen nachts und heimlich stattfinden, trifft man sich in Sachsen abends auf Bier und Bratwurst zum fröhlichen Pogrom. Schließlich hält hier Pegida in der Landeszentrale für politische Bildung Pressekonferenzen ab, und der MDR veröffentlicht eine Karte mit Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte unter der Überschrift “Angst vor Flüchtlingen“. Mit Aufklärung ist in der rational befreiten Zone nicht viel zu holen (…)

Deutsche Weltmachtansprüche – dieses Mal ohne die Waffen-SS

Eine Europaparlamentarierin versucht sich mit einer Polit-Annonce der besonderen Art. Ob sie auch verstanden wird?

Zugegeben, die Überschrift mag irritieren – und das soll sie auch. Mehr als nur zu irritieren, liegt wohl allerdings in der Absicht der Europaabgeordneten Ilka Schröder (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke).

Wer nach der Lektüre, oder dem einfachen Durchblättern, der letzten 2003er Ausgabe von konkret die hintere Umschlagseite erreicht hatte, der dürfte zumindest gestutzt haben. “Sie schaffen es – ohne Waffen-SS*“ prangt da auf grün-rotem Untergrund. Ist es schon wieder so weit?

Etwas kleiner gedruckt erforscht das aufmerksame Auge sodann “Deutschland wollte zwei Mal gegen Europa Weltmacht werden, der dritte Versuch wird mit der und durch die EU unternommen.“ Und noch kleiner gedruckt erspäht der immer noch Weiterlesende die Bedeutung des Sternchens hinter … Waffen-SS: “Nach einer Idee von Wolfgang Neuss.“

ilka_schroeder_waffenss

Politische Werbung kommt häufig mit wenigen Schlagworten aus, erscheint demzufolge fast zwangsläufig holzschnittartig verkürzt in der Aussage. Deutschland – Europa – Weltmacht – EU – Waffen-SS: Was will uns die streitbare Parlamentarierin damit wohl nahe bringen? Ein ’Nie wieder!’? Ein ’Nicht weiter so!’? Oder ist gar Wolfgang Neuss (“Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“) an allem Schuld?

Über die Rolle und Bedeutung der Waffen-SS, nach dem II. Weltkrieg als verbrecherische Organisation verurteilt, muss an dieser Stelle wohl nichts weiter geschrieben werden. Die von Ilka Schröder in ihrer Anzeige – unterstellt wissentlich – herbeigeführte polemische Verbandelung politischer und historischer Stichwörter sollte allerdings durchaus einer aufmerksam näheren Betrachtung Wert sein. Oder ist doch Wolfgang Neuss an allem Schuld?

Wolfgang Neuss nämlich wird der Ursprung des von Ilka Schröder abgewandelt verwendeten Zitats zugerechnet. “Wir schaffen es, ohne Waffen-SS“ war einst Neuss’ satirischer Parolenvorschlag für den 1965er SPD-Wahlkampf. Zu gern immer wieder einmal aufgegriffen, kam – zugegeben vor Ilka Schröder – auch der Herausgeber von konkret, Hermann L. Gremliza, wiederholt kolumnen- und leitartikelmäßig um den Neuss-Satz nicht herum. Da zeigt sich scheinbar im Nachhinein sogar die Waffen-SS zumindest für die eine oder andere linke Polemik durchaus verwendbar.

Was Wolfgang Neuss (“Wir müssen Hitler so lange wiederholen, bis er ein Hit ist … ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt“) zu seiner Instrumentalisierung in diesem Zusammenhang selbst sagen würde, werden wir nie erfahren. Immerhin vertrat Neuss die Auffassung “Es gibt ja gar kein geistiges Eigentum.“ Das sollte allerdings überdies nicht als etwaige Entschuldigung für alles aufgefasst werden können.

Ilka Schröder wiederum war auf mehrmalige Anfragen von Telepolis nur bereit, sich zu ihrer Annonce zu äußern, falls für sie die Gelegenheit bestehe, “etwas zu Deutschlands dominanter Stellung in der EU und der dazu nötigen Vergangenheitsbewältigung unterzubringen“. Fernerhin herrschte heftiges Schweigen aus Schröders EU-Abgeordnetenbüros. Vielleicht würde Neuss dazu letztendlich auch einfach nur anmerken: “Eine Frage schwirrt mir durchs Hirn: Kann man so geschickt schweigen, dass man verstanden wird?“

[Dieser Artikel wurde am 8. März 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]