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Kurt Biedenkopf unisono

Und das bleibt jetzt einfach mal so stehen. Unkommentiert. Warum auch? Läuft doch …

“(…) Es gibt außer der NPD in Deutschland keine Partei, von der eine Bedrohung unserer Demokratie ausgeht. Das gilt auch für die AfD. Sie ist in Wahlen erfolgreich. Sie wurde von Ökonomen gegründet, denen es um die soziale Marktwirtschaft ging. Sie wurden von Personen mit populistischen Begabungen verdrängt. Frau Petry hat ein politisches Talent. Sie und ihre Mitstreiter haben von den Grünen gelernt, wie man als neue Partei auftreten muss – sie provozieren (…) [Kurt Biedenkopf interviewt @ huffingtonpost.de, 22. November 2016]

“In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch niemand umgekommen … Und die sächsische Bevölkerung hat sich als völlig immun erwiesen gegenüber rechtsradikalen Versuchungen. In Sachsen gibt es keinen Grund, auf der Grundlage des Wahlverhaltens der Bevölkerung von einer Gefahr von rechts zu reden“ (Kurt Biedenkopf, November 2000).

Wie gesagt – “(…) Der frühere CDU-Generalsekretär und langjährige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sieht von der AfD keine Bedrohung für die Demokratie ausgehen und erwartet, dass sich die Alternative für Deutschland langfristig etablieren wird (…)“ [huffingtonpost.de, a.a.O].

Läuft also. Da brennt nichts an. Demokratietheoretisch.

“Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran“ (in memoriam Fehlfarben). Frei nach Hermann L. Gremliza ist in diesem Land nichts unmöglich.

Dresden – “Wir sollten feiern“ …

… “Wenn wir nicht feiern, dann bekommen die Hetzer und Angstmacher noch mehr Zuspruch“, wird Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) vor den anstehenden Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am kommenden Wochenende medienseitig zitiert. Von der frühnachmittäglichen Pressekonferenz am 27. September zu den nächtlich explodierten Sprengsätzen in der sächsischen Landeshauptstadt. “Beide Anschläge ereigneten sich am Jahrestag des Terrorangriffs auf das Münchener Oktoberfest 1980, und das zudem zu einer ähnlichen Tageszeit“ (Telepolis).

“(…) Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat die Ermittlungen zu den Sprengstoffanschlägen auf eine Moschee und das Kongresszentrum übernommen. Es wurde ein Verfahren gegen Unbekannt ’wegen des Verdachts des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion’ eingeleitet, wie die Behörde (…) mitteilte. Da der Verdacht einer politisch motivierten Straftat derzeit nicht ausgeschlossen werden könne, untersucht das Sonderdezernat ’Politisch motivierte Kriminalität’ die beiden Fälle. Für weitere Angaben zu den Ermittlungen sei es zu früh, sagte ein Sprecher (…) [Radio Dresden, 16:30 Uhr].

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Derweil einige sich nicht verwundert zeigen. Es wissen. Es? Besser wissen? Oder feiern. Sich? Für jeden ist etwas dabei. Fast. Verschwörungstheoretisch. Politisch. Einseitig? Whatever – zur eigenen Wertung. Aus rund einer virtuellen Erdenstunde. Ein subjektives Exzerpt …

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(Screenshots Twitter: O.M.)

“Die schützende Hand“ spricht

“Wolfgang Schorlau hat einen Detektiv erfunden, der an den Säulen der Gesellschaft sägt“ (Neue Ruhr Zeitung) – steht im Klappentext zum fünften Fall von Georg Dengler, besagtem Detektiv, zu lesen.

Nunmehr durchlebt der fiktive Privatermittler mit BKA-Vergangenheit seine achte Geschichte und erfreut sich dabei offenbar einer gewissen Aufmerksamkeit. Was nicht allein am – aus der bisherigen Dengler-Reihe herausragenden – Buchformat liegt.

Die Krux scheint im Inneren, beim Thema von “Die schützende Hand“, zu finden sein. Geht es doch zuvorderst um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Besser gesagt: Was war oder was nicht war. Und was wahr sein könnte. Denn allein strafprozesstechnisch ist die Geschichte des NSU längst nicht durchreflektiert. Und der so genannte NSU-Prozess ist nur eine Seite der Historie. Open End?

Offene Fragen scheint es auch in puncto Schorlaus Werk zu geben. Auf jeden Fall deutliches Interesse. Oder Schwierigkeiten beim Verständnis. Teilweise zumindest. Vielleicht auch nur Interpretationsfragen. Tiefergehend?

Rund um die “Schützende Hand“ (Kiepenheuer & Witsch, 2015) möge das Folgende – mit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit – einfach mal so stehen bleiben. Vorerst? Lesen bildet …

friedensblick.de [7. Dezember 2015, Dirk Gerhardt] – (…) Eine fiktive Aufbereitung eines Themas bedeutet nicht, dass alles Fiktion ist. Dies ist nur der Wunschglaube oder besser das, was einige gerne glauben wollen oder glaubend gemacht werden sollen. Die Phantasten sind doch diejenigen, die meinen, nur weil es fiktiv daherkommt, können die behandelten Fakten auf keinen Fall der Wahrheit entsprechen, weil “Die so etwas nicht machen würden” (kategorisch, a priori) oder “Irgend jemand davon berichtet” hätte oder andere, naive Weltvorstellungen (…)

rotfuchs.net [7. Dezember 2015, Arnold Schölzel] – (…) Die Rezensenten der “Schützenden Hand“ trauen sich nicht, das Fazit des Buches zu formulieren: Behörden und Beamte der Bundesrepublik Deutschland sind Urheber und Vertuscher von Kapitalverbrechen. Da ist die Rede von “irritierend“ (Hessischer Rundfunk), “dubiose Rolle der Ämter für Verfassungsschutz“ (Freitag), “Blick in den Abgrund“ (Süddeutsche Zeitung). Das ist gegenüber dem “Pannen“-Gefasel ein enormer Schritt, aber das BRD-Biedermeier wird nicht verlassen, etwa um für Aufklärung zu sorgen. Schorlau liefert sie (…)

Telepolis [11. Dezember 2015, Walter Gröh] – NSU-Terroristen: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese (…)

hagalil.com [28. Januar 2016, Ramona Ambs] – (…) Es ist ein mühsames Buch. Mühsam zumindest für Journalisten, die beim Lesen ständig gegen checken (wollen & müssen), was Fiktion ist, und was real. Und vieles von dem, was real ist, würde man sich ins Reich der Fiktion wünschen, … in das Hirn eines verschrobenen Autors, der sich wilde Verschwörungstheorien baut. Leider aber sind die schockierendsten Details stets real – und die schöneren Momente – fiktiv … (…)

konkret [2/2016, Friedrich C. Burschel] – (…) An Wolfgang Schorlaus neuem Polit-Krimi zum NSU werden auch Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger ihre Freude haben (…)

nsu-watch.info [13. Februar 2016] – (…) Eine literarische oder künstlerische Verarbeitung des Stoffes des NSU-Komplexes ist legitim, sie ist auch wünschenswert und die vielen meist guten, mitunter misslungenen Theaterstücke zeigen, dass das möglich ist. Doch der Krimi “Die schützende Hand“ verkauft sich als “Dokufiktion“, er will mehr sein als nur Literatur – und das ist sein großer Fehler (…)

lecorte.de [15. Februar 2016, Tomas Lecorte] – (…) Ein Kriminalroman darf gewiss zuspitzen, manches übertreiben, ohne sich am gleichen Maßstab messen zu lassen wie ein Sachbuch. Doch Schorlaus Buch ist kein Kriminalroman. Schorlau selbst ist es, der die Messlatte bedeutend höher legt, wenn er sagt, sein Buch solle der Aufklärung dienen und “zeigen, wie es wirklich ist“, es sei die “Ermittlung eines Staatsverbrechens“ und seines Erachtens “deutlich realitätstüchtiger als die offiziellen Bekundungen“ (…)

Telepolis [20. Februar 2016, Wolfgang Schorlau] – Mundlos und Böhnhardt: Zweifel an Selbstmord-Hypothese. Antwort und Richtigstellung eines Telepolis-Artikels (…)

lecorte.de [22. Februar 2016, Tomas Lecorte] – NSU: Schorlau verteidigt seine “Schützende Hand“ gegenüber telepolis (…)

Telepolis [1. März 2016, Walter Gröh] – Mundlos und Böhnhardt: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese. Eine Antwort auf Wolfgang Schorlaus Richtigstellungen seiner Argumentation in “Die schützende Hand“ (…)

“Sprich zu der Hand!“, fabulierte der Terminator in Rebellion der Maschinen. So zweifelsfrei einfach ist es allerdings nicht immer.

Herr Böni überlebt die “Hölle von Dresden“

An dieser Stelle folgt ein journalistisch ganz besonderes Glanzstück. Im speziellen Fall in nicht zu verleugnend vordergründiger Absicht, eine von Andreas Böni anno dazumal verfasste Reportage und gleichfalls die darauf folgende Replik seitens Berthold Berg – inklusive einer eingeschobenen kleinen Anmerkung von mir – in einem Dokument so zusammengefasst der Nachwelt erhalten zu wollen …

[Der Beitrag wurde am 6. Januar 2011 bei Ostfussball.com publiziert.]

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Ich war in der Hölle von Dresden

Die Hooligans von Dynamo Dresden: Auch gegen Union Berlin (2:0) schmissen sie wieder Flaschen und Steine, beschimpften den Gegner mit Nazi-Sprüchen. SPORT BILD-Reporter Andreas Böni war hautnah dabei. Hier sein Report

VON ANDREAS BÖNI

Am Abend, als alles vorbei war, meldete das ZDF Entwarnung: “Nichts passiert!“, meinten die TV-Leute zum Spiel zwischen Dynamo Dresden und Union Berlin. Nichts passiert? War ich, der SPORT BILD-Reporter, im falschen Film?

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(Faksimile: Sport Bild, 8. November 2006)

Ich habe alles persönlich miterlebt, was am Samstag in Dresden passiert ist. Ich stand nicht irgendwo, sondern mittendrin in Block K2 des Rudolf-Harbig-Stadions. Dort, wo die fanatischen Dynamo-Fans standen und ihr eigenes Spiel gegen Union Berlin betrieben. Ist denn nichts passiert, wenn ich Angst um mein Leben haben muss? Wenn Steine fliegen?

Der Samstag hat harmlos begonnen. Um neun Uhr, fünf Stunden vor Spielbeginn, bringen sich am Stadion 50 Polizisten in Stellung. Ins gesamt 1300 Beamte sind im Einsatz. Plus 360 Ordner.

Das Spiel gegen Union findet vor knapp 19 000 Zuschauem statt – und gehört zur Gefahrenstufe eins. Als gegen halb eins die 2000 Fans aus Berlin da sind, werden sie von Polizisten aus drei Bundesländern begleitet, während über ihnen ein Hubschrauber kreist.

Und das soll alles normal sein?

Der Weg zum Stadion ist wie Viehtreiberei: Die Union-Fans müssen durch die Lennéstraße, wo auf beiden Seiten Hunderte von Dynamo-Fans warten. Auf polizeiliche Anweisungen über Lautsprecher (“Geht ins Stadion, sonst werden sich die Beamten mit euch beschäftigen!“) reagiert niemand. Ich stehe mit Dynamo-Anhängem auf dem Gehweg. Links von mir ein glatzköpfiger Jugendlicher mit Bomberjacke und Springerstiefeln.

Nervös tigert er auf und ab. Erwartet sehnsüchtig auf Gegner …

Wie vor einer Woche. Da lieferten sich Dynamo-Krawallmacher am Rande der Partie bei den Hertha-Amateuren eine wilde Schlacht mit Berliner Hooligans. Es gab 22 Festnahmen. Unter den 38 Verletzten waren 23 Polizisten. Anschließend gab es den Gewalt-Gipfel in Frankfurt.

Und heute? Die Meute benimmt sich, als hätte sie Stierblut getrunken. Hunderte Stinkefinger werden den Dresdnern entgegengestreckt. Immer wieder diese Rufe: “Scheiß-Dynamo!“ Und: “Deutschland den Deutschen, Sachsen raus!“

Die Dresdner antworten wie Nazis: “Berlin, Berlin, Juden Berlin!“

Es sind zu wenige Polizisten da, 50 Meter breite Lücken tun sich auf. Plötzlich fliegt aus den Reihen der Union-Fans eine Banane. Das ist eine Provokation: In Dresden gab es zur DDR-Zeit keine Bananen, in Ost-Berlin schon. Dann zünden Berliner eine Rakete, die einen Dynamo-Fan trifft. Der Konter folgt sofort: Flaschen und Steine fliegen in die Berliner Menge, die Bedrohung steigt.

Und ich plötzlich mittendrin.

Später wird die Polizei 14 Strafanzeigen melden: fünf wegen versuchter Körperverletzung, fünf wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, drei wegen Beleidigung und eine wegen Widerstand – und wird stolz auf diese Zahlen sein.

Das soll wirklich normal sein?

Schweiß auf der Stirn. Angst pur. Aber es gibt kein Entkommen: Der junge Neonazi neben mir provoziert, ich blicke in hasserfüllte Fratzen von Union-Fans. Weil ich geografisch auf der Seite von Dynamo stehe, werde ich zum Kampf aufgefordert. Wie komme ich hier raus?

Wieder eine Detonation, wieder fliegen Flaschen. Ein Union-Fan hat eine Platzwunde. Zehn Minuten später ist die Meute weg. Weiter geht’s zum Block K2.

Eigentlich soll ein Fotograf mit. Aber die Angst ist größer als der Mut – eine Flasche hatte um Zentimeter seinen Kopf verfehlt. Er fotografiert vom Spielfeldrand aus.

Die Leute im Fanblock sind jung, die meisten zwischen 16 und 20. Viele tragen Bomberjacken und Trainingshose, einigen hängen schwarze Handschuhe aus den Hosentaschen – das geheime Zeichen heißt: Ich bin bereit für die Schlacht nach dem Spiel. “Wegen der Handschuhe“, beklagt sich einer auf der Toilette, “wurde ich schon am Bahnhof von den Bullen gefilzt.“ Er riecht stark nach Bier, als er das sagt.

Um als Reporter nicht aufzufallen, tippe ich mir Notizen ins Handy. Ich erschrecke einmal mehr. Die Dynamo-Fans um mich herum haben nur ein Ziel: Diffamierungen gegen Union. Nazitum, Rassismus und Homosexualität, alles dabei.

Erst: “Ihr seid Preußen, asoziale Preußen, ihr schlaft unter Brücken oder in der Bahnhofsmission!“. Dann: “Auf dem Fußballplatz liegen Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen, in den Bäuchen Messer, wo draufsteht: Wir sind besser!“ Und: “Ihr habt bezahlt, ihr kriegt aufs Maul!“ Danach: “Hauptstadt der Schwulen, ihr seid die Hauptstadt der Schwulen!“. Der Tiefpunkt: “Berlin, Berlin, Juden Berlin!“

Dann passiert es: Einer rempelt mich mit Wucht von hinten. Absichtlich. Ich drehe mich um, merke, was los ist. Kurz darauf geht in der Union-Kurve eine Rauchbombe los. Hinter mir singen acht Leute: “Schreib’s auf, schreib’s auf!” Ich bin enttarnt. Und alleine. Offenbar habe ich zuviel ins Handy notiert. Oder einer hat mitgelesen. Ich schaue mir die Leute an: bullige Typen! Dann kommt ein Kamerateam zum Block. “Der Presse auf die Fresse!“, schreit der Mob. Hinter mir ruft einer: “Hier, hier ist einer von der Presse im Block!“ Wo sind die Polizisten oder Ordner, die eingreifen, falls ich geschlagen werde?

Ich höre auf mit den Notizen. Aber wenn ich jetzt gehe, ist das auffällig – die Typen könnten mir folgen. Kurz vor Schluss schleiche ich in einer Gruppe aus dem Block. Erst im Auto fühle ich mich zum ersten Mal seit drei Stunden sicher.

Nachdem das ZDF nichts gesehen haben will, denke ich: Wenn antisemitische Sprüche und Steinwürfe normal sind, dann: Gute Nacht. Ich denke an Sitzungen der Vorwoche. An DFL, DFB, die Klubs. Wissen die überhaupt, worum es geht? Ich wette darauf keinen Zwanziger.

[Sport BILD, 8. November 2006 – Titelseite: “Die Wahrheit über Dresden“, Seite 26 bis 28: Kommentiert bebilderter Text]

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(…) Teilweise erstaunlich unreflektiert bezogen sich danach auch eher linksliberale Medien auf die Darstellungen von Böni. Der Tenor des Reports – obwohl von der sonst so kritisch gesehenen BILD – stimmte: Hooligans, Randale, Nazis, Osten (…)

(…) Auf Nachfrage (…) bezeichnete der Pressesprecher von Dynamo Dresden, Peter Tauber, besagten Sport-BILD-Artikel nach wie vor als “in jeglicher Form übertrieben“. In einem stimmt der Autor, an jenem Tag ebenfalls im und um das Dresdner Stadion unterwegs, dem BILD-Reporter allerdings nach Lesen des von ihm geschriebenen und Böni selbst zitierend zu: “War ich im falschen Film?“ (…)

[O.M. in: Ultras, Hooligans, Hooltras?Telepolis, 15. März 2007]

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Böni – Das ist der Gipfel

Andreas Böni lebt. Er hat unheimliches Glück gehabt. Zahlreiche Bombeneinschläge haben ihn nur knapp verfehlt, einer blutrünstigen wilden Menge von tausenden Wahnsinnigen ist er um Haaresbreite entkommen. Sein gesamtes Leben zog an seinem inneren Auge in sekundenschnelle an ihm vorbei. Wahrlich – Andreas Böni hat dem Tod ins Auge gesehen. Nun könnte man meinen Andreas Böni war im Krieg. Doch weit gefehlt. Andreas Böni hat sich ein Heimspiel von Dynamo Dresden angesehen.

Es ist unbestritten, dass Dynamo Dresden ein Problem mit gewaltbereiten Anhängern hat. Es ist ebenso unbestritten, dass Teile der Fanszene von Dynamo Dresden mit rechtsradikalem Gedankengut hantieren. Dies verurteile ich – und da spreche ich für das gesamte Team von transferwelt.de – aufs Allerschärfste. Rassismus hat weder in noch außerhalb der Stadien etwas verloren, Gewalt ebensowenig. Doch leider gibt es überall unbelehrbare Idioten, die immer wieder negativ auffallen müssen und sich nicht benehmen können. Dynamo Dresden hat das Pech, dass der Anteil dieser Leute in der eigenen Fanszene leider höher ist als bei vielen anderen Vereinen. Deshalb haben viele auswärtige Fans, die ihre Mannschaften ins Rudolg-Harbig-Stadion begleiten, Bedenken. Diese Bedenken kann ich verstehen. Doch meistens passiert nichts. Und schon gar nicht den Leuten, die sich bewusst aus Streitigkeiten heraushalten. Wer Ärger sucht, der wird Ärger finden. Auch, und vielleicht in besonderem Maße in Dresden.

Der vergleichsweise wohl etwas höhere Anteil an rechtsgesinnten und gewaltbereiten Fans lässt Dynamo Dresden oft zu einem gefundenen Fressen für die Medien, gerade im Boulevard, werden. Nichts lässt sich dieser Tage, in denen ganz Fußball-Deutschland über Gewalt in den Stadien von der Kreisklasse bis zur Bundesliga diskutiert, besser verkaufen, als randalierende Dynamo-Fans. Das dachte sich wohl auch die gute Sport-Bild und sandte Redakteur Andreas Böni in die “Hölle von Dresden“, wie der junge Mann gleich in der Überschrift zu seinem Erlebnisbericht der Partie Dynamo gegen Union Berlin reißerisch titelt.

Die Hölle von Dresden

Nun gut, gehen wir das ganze mal chronologisch durch. Zunächst kündigt Böni groß an: “Ich habe alles miterlebt, was am Samstag in Dresden passiert ist.“ So weit so gut. Alles noch ihm Rahmen. Wir sind gespannt.

Doch dann haut Böni schon den ersten Lacher raus. Er “stand [nämlich] nicht irgendwo, sondern mittendrin in Block K2 des Rudolf-Harbig-Stadions.“ Ui ui ui, harter Tobak Herr Böni. Dass Sie sich das trauen, Wahnsinn. Jedem gemeinen Fußballfan und regelmäßigem Stadiongänger steht die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben.

Weiter im Text. Böni klagt an: “Ist denn nichts passiert, wenn ich Angst um mein Leben haben muss?“ Nein, Herr Böni, vermutlich ist wirklich nichts passiert.

Aber was Weltbewegendes geschehen sein soll, möchte der motivierte Jung-Redakteur uns natürlich nicht vorenthalten, jetzt geht es in die Detail-Beschreibung des vermutlich ersten Stadionbesuchs von Sportjournalist Böni.

Der Horror beginnt, Union kommt

“Als gegen halb eins die 2.000 Fans aus Berlin da sind werden sie von Polizisten aus drei Bundesländern begleitet, während über ihnen ein Hubschrauber kreist.“ Sicherlich ist es schade, dass für ein Fußballspiel solche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Was daran aber so besonders sein soll, erklärt der Herr Böni nicht. Das ist weitestgehend Alltag in den Ligen eins bis drei, wenn auch nicht oft in dieser Größenordnung. Ok, Herr Böni, ich gebe zu, so ein Hubschrauber ist schon was besonderes, was man nicht alle Tage beim Fußball zu sehen bekommt. Insofern haben Sie Recht.

Aber dann: Neben Böni steht ein “glatzköpfiger Jugendlicher mit Bomberjacke und Springerstiefeln. Nervös tigert er auf und ab. Er wartet sehnsüchtig auf den Gegner.“ Es ist sicherlich schade, dass es solche Menschen gibt. Doch es gibt sie leider, dass sollte auch dem Herrn Böni nicht allzu neu sein. War es auch nicht, denn es ist offensichtlich, dass der gerade die Nähe zu diesen “glatzköpfigen“ Leuten gesucht hat. Dies ist auf dem großen Foto neben seinem Bericht zu erkennen, auf dem Böni galant mit Rollkragenpulli inmitten von “motivierten“ Jugendlichen zu sehen ist – natürlich völlig unauffällig, aber dazu später mehr.

Hier wird es deutlich: Böni sucht die “Brennpunkte“ rund ums Stadion, da wo sich die Idioten tummeln. Da darf er sich auch nicht wundern, wenn er mal neben einem Nazi steht. Er ist selbst schuld, wenn er “mittendrin“ ist, denn genau da will er als Journalist schließlich hin. Doch auch dort wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Natürlich herrscht in der Regionalliga mehr “Aggression“ vor, als in den wohlbetuchten Kreisen der Bundesliga, in deren Pressetribünen ein Herr Böni sonst zu finden ist (sofern er den Fußball nicht über “Arena“ verfolgt). Aber üble Massenschlägereien entspringen auch dort oft dem Märchen-Buch oder der Phantasie gewisser Redakteure. Oftmals werden die Rangeleien nur verbal ausgetragen. Übermotivierte Jugendliche beschimpfen, bepöbeln und gucken sich böse an. Hin und wieder gibt es eine kleine Rangelei. Manchmal fliegen sogar vereinzelt Flaschen. Ja, das ist dramatisch und schlimm. Aber wer nur das Spiel sehen möchte, der kommt gar nicht in solche Situationen. Böni darf sich nicht beschweren, wenn er die Nähe zu einem “Flaschenwerfer“ sucht, und dann um sein Leben fürchtet. Man kann diese Brennpunkte leicht vermeiden. Selbst wenn man mal “hineingerät“, um sein Leben muss man auch dort sicher nicht fürchten.

Genug der Sachlichkeit, zurück zu Herrn Böni und weiter im Text. Nun greift er ganz tief in die Horror-Kiste: “Die Meute benimmt sich, als hätte sie Stierblut getrunken.“ Aha, so ist das. Nun ja. Dafür sind die Leute in Dresden und Berlin ja auch bekannt. Der halbe Liter Stierblut auf dem Weg zum Stadion gehört einfach dazu …

Aber nicht dass man denkt, Böni würde damit übertreiben. Keinesfalls! Um zu verdeutlichen, wie sich die stierblutgetränkten Werwölfe unter dem Vollmond aufführten folgte auch gleich eine explizite Beschreibung des unfassbaren Verhaltens: “Hunderte Stinkefinger werden den Dresdnern entgegengestreckt. Immer wieder diese Rufe: “****** Dynamo.“ Wirklich schlimm. Die Stinkefinger werden dem Herrn Böni wohl noch eine Weile ganz schlimme Albträume bescheren. Unfassbar dieser Anblick, mit nichts zu vergleichen. Aber noch gar nichts gegen diese schrecklichen Rufe, die sich wahrscheinlich ganz tief in seine Erinnerung eingebrannt haben. Hoffen wir, dass er lernt, mit diesem Trauma zu leben. So etwas gibt es wirklich nur in Dresden …

Wie im Krieg

Das Spiel hat noch nicht einmal begonnen, doch der rasende Reporter aus dem Hause Sport-Bild lässt die Superlative heute gleich reihenweise purzeln: “die Bedrohung steigt. Und ich plötzlich mittendrin. […] Schweiß auf der Stirn. Angst pur. Kein Entkommen.“ Konnte der durchschnittlich intelligente Leser bisher schön schmunzeln, bricht spätestens hier eine allgemeine Welle des Gelächters los. Andernorts könnte natürlich auch Verwirrung die Reaktion auf die Zeilen des Herrn Böni gewesen sein, denn was soll der normale Dresdener-Fußballanhänger bei solchen Zeilen denken? Wie auch immer, Schwachsinn ist es allemal. Die pure Polemik, vielleicht DER sachliche Tiefpunkt (beziehungsweise humoristische Höhepunkt) in einem unglaublich verzerrten und reißerischen Böni-Bericht (falls man da überhaupt etwas noch hervorheben kann).

Böni bläst auch im Folgenden ins gleiche Horn: “Wie komme ich hier raus? Wieder eine Detonation.“ (!). Detonation. Eine Vokabel, die man sonst nur aus Kriegsberichten kennt. Böni wendet sie für ein simples Fußballspiel an. Der Leser könnte meinen, Sachsen hätte Preußen den Krieg erklärt.

Im weiteren Verlauf dieser abstrakten Szenerie erklärt Böni noch, dass er seinen Fotografen am Eingang zum Block zurücklassen musste, weil “die Angst […] größer als der Mut“ war. Na, da wird der Herr Böni ja doch noch zum Helden, weil er sich todesmutig in den Block stürzt, während sein Fotograf es vorzieht, dem einfachen Volk aus dem Weg zu gehen.

Das Spiel

So, Böni ist also im Block. Nun wird es wieder interessant, das Spiel beginnt. Erst einmal im Stadion angekommen ist Böni verblüfft, erstaunt – aber vor allem geschockt. Scheinbar zum ersten Mal hört er diese grausigen Gesänge, die Mark und Bein erschüttern. “Ihr seid Preußen, asoziale Preußen, ihr schlaft unter der Brücke, oder in der Bahnhofsmission.“ Schlimmer noch: “Ihr habt bezahlt, ihr kriegt aufs Maul.“ Oder: “Ihr seid die Hauptstadt der Schwulen.“ Ein Schock für Böni, der bisher seine Wochenenden dem Anschein nach eher in der Kirche verbracht hat als im Stadion.

Es sollte aber noch schlimmer kommen für den armen Mann. Viel schlimmer. Plötzlich der Hammer, der den Reporter aus der Bahn wirft. “Einer rempelt mich mit Wucht von hinten. Absichtlich. […] Ich bin enttarnt. Und alleine.“ Böni hilflos – wie konnte es dazu kommen? Die Geschichte ereignete sich wie folgt. Böni sandte alle paar Minuten per Handy Kurzmitteilungen an die Sport-Bild-Zentrale, um direkt aus der “Hölle“ zu berichten. Dies fiel offenbar einem Fan auf, und schon war Böni enttarnt. Hier wären wir wieder beim eben bereits erwähnten Punkt “(Un-)Auffälligkeit“. Ein Punkt ist, dass Böni mit aalglatter Frisur und im noblen Rollkragenpulli geschniegelt zwischen einigen glatzköpfigen Jugendlichen in Dynamo-Outfit und Kaputzenpulli steht. Böni undercover, Agent 00 ermittelt. So weit so “unauffällig“. Aber dann sendet der Undercoveragent alle paar Minuten SMS mit vermuteten Inhalten wie: “Hier ist die Hölle los, neben mir stehen nur Asis“, “Ich bin von Nazis umgeben“, oder “Ich fürchte um mein Leben.“ So was kommt natürlich bei den Nebenstehenden prächtig an und erregt auch kaum Aufmerksamkeit. Gut gemacht, Herr Böni. Sie fragen sich nun zu recht “Wo sind die Polizisten oder Ordner, die eingreifen, falls ich geschlagen werde?“ Doch Böni hat Glück, es bleibt, wie gewohnt, bei Verbalattacken.

Böni hat es geschafft, er erreicht sein Auto unbeschadet. “Erst im Auto fühle ich mich zum ersten Mal seit drei Stunden sicher.“ Ich hingegen meine, dass man auf der Autobahn wesentlich mehr um sein Leben fürchten muss, als bei einem Heimspiel von Dynamo Dresden.

In diesem Sinne
Berthold Berg

Gegen Gewalt, gegen Rassismus,
aber auch gegen Sensations-Journalismus und Polemik.

[Leicht redigiert aus verschiedenen Online-Quellen zitiert. Die eigentliche Ur-Quelle (transferwelt.de, 10. November 2006) verbreitete ihre letzte öffentliche Verlautbarung augenscheinlich Anfang Februar 2007.]

Es ist wieder Februar in Dresden

Gerade zum 65. Jahrestag der Bombardierung der Elbmetropole wollen Rechtsextremisten aller Provenienz besonders zahlreich gegen jeden Widerstand vor allem ihres eigenen Geschichtsbildes gedenken

“Für unseren neuen Bebauungsplan hätten Sie allein in Berlin 80.000 Häuser abreißen müssen. Leider haben die Engländer diese Arbeit nicht genau nach Ihren Plänen durchgeführt. Aber immerhin ist ein Anfang gemacht“, zitiert Ralph Giordano aus dem Jahr 1944 Adolf Hitler gegenüber seinem damaligen architektonischen Planer, Albert Speer. Berlin spielt im inszenierten Gedenkkult rechtsextremistischer Gedankengänger, neben anderen deutschen Städten, eine eher marginale Rolle. Ihr Fanal zelebrieren Neu- und Altnazis dagegen seit Jahren in Dresden.

Schon seit Beginn der 1990er Jahre, damals eher überregional als regional medial reflektiert, regte sich in Dresden couragierter Widerstand gegen die immer mehr werdenden rechtsextremen Geschichtsklitterer. Beobachter der Szene gingen allerdings bereits im Februar 2004 davon aus, “dass sich der jährliche Aufmarsch von um deutsche Bombenopfer des II. Weltkriegs trauernder Rechtsextremisten um den 13. Februar herum in Dresden zu den größten bundesweiten und zudem regelmäßigen Nazi-Aufmärschen etablieren könnte“ (Dresden – wieder Zentrum der rechtsextremen ’Bewegung’?).

Sechs Jahre später nun wird in der sächsischen Landeshauptstadt der längst europaweit größte Aufmarsch von Rechtsextremisten aller Couleur stattfinden. Nachdem im vorigen Jahr (Fast wie immer im Februar in Dresden) rund 6.500 rechtsextreme Demonstranten ihre Gesinnung über die Straßen der Stadt trugen, werden am 13. Februar 2010 deutlich mehr erwartet. Geschuldet auch der Tatsache, dass dieser Tag im Jahr 2010 auf einen Sonnabend fällt und zudem die wegen interner Szene-Auseinandersetzungen ansonsten quasi vorab parallel stattfindende Demonstration der so genannten Freien Kräfte mit all ihrem Potential direkt in den originären Aufmarsch eingehen dürfte.

Die Aufregung in allen staatlichen Instanzen scheint nunmehr größer denn je, als ob die Entwicklung nicht absehbar gewesen wäre. Einzig sicher, dabei nicht unbedingt erfolgreich, schien sich in den letzten Jahren lediglich ein zunehmender bunt gefächerter Widerstand gegen das jährliche Dresdner Nazi-Event zu sein. Was allerdings wiederum in die durchaus beschaulich barocke politisch offizielle Dresdner Denkweise übersetzt heißt: Würde es keine Proteste gegen diesen rechten Aufmarsch geben, dann hätten wir in dieser Stadt auch keine Probleme, jedenfalls nicht am 13. Februar, und schon gar nicht so öffentlich.

Einige aktuelle politische und justiziable Entscheidungen (Früchte der eigenen Verbotsvorstellungen) vor dem diesjährigen 13. Februar werden wohl durchaus ihren Eingang in demokratietheoretische Annalen finden. Aber “was ist zu Dresden nicht schon alles geklöppelt, gebatikt und gelyrikt worden“? (Die kollektive Unschuld).

Das Szenario für den 13. Februar 2010 jedenfalls scheint angerichtet: Mehrere tausend Rechtsextremisten wollen in Dresden pseudo-gedenkmarschieren. Der Widerstand dagegen reicht mittlerweile von der politisch offiziös organisierten Menschenkette, über weit als 20 angemeldete Gegenveranstaltungen bis hin zum Aufruf verschiedenster Organisationen und Persönlichkeiten, den Aufmarsch der Rechtsextremisten mit gewaltfreien Mitteln nicht möglich zu machen.

Neben einem extra eingerichteten staatsanwaltlichen Notdienst wird, wie unterdessen das Sächsische Innenministerium bestätigte, das SEK der sächsischen Polizei am 13. Februar erstmals auch das Distanzmittel PepperBall anwenden können. Eine Verwaltungsvorschrift sei Anfang Februar 2010 erlassen worden.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen hat am 11. Februar letztendlich entschieden, dass die Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) ihren Aufzug am 13. Februar in der sächsischen Landeshauptstadt durchführen kann. Offenbar sollen die rechtsextremen Marschierer dabei auf ihrer Demo-Route auch durch den als links-alternativ geltenden Stadtteil der Neustadt geleitet werden. Vermutungen gehen davon aus, dass an diesem Tag deutlich mehr als 8.000 Rechtsextremisten in Dresden anwesend sein werden.

[Dieser Artikel wurde am 12. Februar 2010 bei Telepolis veröffentlicht.]