MedienScreen # 97 [Darmstadt: Fußballfans haben Rechte? Terra incognita?]

[Fundstück] Florian Nussdorfer, “Aufenthaltsverbot für Eintracht-Fans sorgt für Empörung“, fanzeit.de, 28. April 2016 –

(…) Das von der Stadt Darmstadt und der örtlichen Polizei für Fans von Eintracht Frankfurt ausgesprochene dreitägige Betretungsverbot für die Darmstädter Innenstadt sorgt für massive Empörung. Während Eintracht Frankfurt und einige Politiker die Maßnahme kritisierten, will der Fanclubverband des Vereins gegen die Allgemeinverfügung vor Gericht ziehen.

“Das ist ein Grundrechtseingriff. Die Verfügung ist unverhältnismäßig“, wird Waltraut Verleih, die Anwältin des Verbandes, (…) zitiert (…)

Das Bündnis ProFans kritisiert die Maßnahme von Stadt und Polizei ebenfalls “aufs Schärfste“ und fordert die sofortige Aufhebung der Allgemeinverfügung. “Wir haben den Eindruck, dass die Einschränkung von Bewegungsfreiheit den Behörden zunehmend als das probateste Mittel erscheint, um in ihren Augen für Ruhe und Ordnung zu sorgen“, bemerkt ProFans-Sprecherin Gabriele Mateika (…)

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Nota bene. Wie so etwas – aktuell für Darmstadt – seinen kleinen Anfang nahm. Damals. Die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern …

Der Fußball-Fan als Persona non grata

War der Versuch des Berliner Polizeipräsidenten, generell allen Anhängern von Dynamo Dresden den Zutritt zum Regionalliga-Spiel bei Union Berlin zu untersagen, ein nur vorerst geplatzter Testballon für zukünftige Szenarien?

… veröffentlicht am 10. Mai 2008. The Future Is Now?

MedienScreen # 96 [Green Suits]

[Fundstück] “Die Firma“, DER SPIEGEL, 23. April 2016 –

(…) Die Partei hat sich über die Jahre mit der Mitte der Gesellschaft versöhnt, auch weil die Grünen-Wähler mit ihrer Partei in die Mitte gewandert sind. Wer von den Linken heute noch bei den Grünen ist, kennt das Geschäft der Kompromisse. Die anderen haben die Partei verlassen (…)

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Notabene – Der Zitator [OM] ist, als damals amtierender Stadtrat in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden sowie Regionalbüroleiter einer Bundestagsabgeordneten, – einen Tag nach dem Bielefelder ’Kriegsparteitag’ 1999 – einst aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten.

 

Ben Becker in der Dresdner Lukaskirche: Irgendwer hat ihn verraten

Es geht viel um Verrat an diesem Abend. Geschichte spielt eine Rolle. Religion sowieso. Der Aufführungsort scheint gut gewählt. Als Bühne ist das Gotteshaus am Lukasplatz in Dresden bereitet. Die Titelung des Programms provoziert – “Ich, Judas – ’Einer unter euch wird mich verraten’“. Erwartung. Der Künstler ist nicht irgendwer. Ben Becker. Ein Typ für entweder oder. Es gibt nicht viele wie ihn.

Und die Erwartungen werden erfüllt. Von Becker. Vielleicht sogar übertroffen. Für jene, die ihn uneingeschränkt genießen können.

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(Die ihr eintretet … à la Dante Alighieri – Foto: O.M.)

Denn es begab sich, dass Plätze der ersten Preiskategorie nicht etwa vorn an der Bühne des Theatergeschehens, sondern auf den Seitenemporen der Kirche zu finden waren. Und diese Emporen konnte augenscheinlich erklimmen wer wollte. Woraufhin sich Kulturbürgerinnen und Kulturbürger auf Plätzen fläzten, die der Himmel ihnen geboten hatte. Oder war es der Platzanweiser? Eben jener, der den dann Nachgekommenen zwei, drei, vier Stühlchen anbot? Im toten Winkel zur Bühne. Aus dem später Kulturmenschen ihre Leiber auf und fast über die steinerne Balustrade schoben, um einen Blick vom künstlerischen Geschehen erhaschen zu können. Der Platzanweiser hat Schuld? Eben jener, der Treppenstufen freihalten sollte? Solche mit Bühnenblick, die dann von quasi sitzplatzlosen Gesellinnen und Gesellen zwangsokkupiert wurden? Armer Platzanweiser.

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(Die Botschaft hör ich wohl … à la Goethe – Foto: O.M.)

Verräter? Ja, irgendwer war nicht in der Lage, Plätze entsprechend zu kennzeichnen, nummerierend etwa noch dazu. Ja, irgendwer hat fleißig auch Karten für Sitzplätze hinter herrlich blickdichten Steinsäulen verkauft. Monumental. Das System ist der Verräter? Fuck the system. Wenigstens ist die Akkustik in der Dresdner Lukaskirche nicht die schlechteste. Danke dafür, Georg Weidenbach.

Und Ben Becker? Trifft es grandios? Furios? Subjektiv formuliert, ohne anderweitige Bühnenvergleiche. Objektiv verglichen mit Auftritten im Film und Fernsehen. Es gibt nicht mehr viele wie ihn.

Weiß gewandet begibt sich Becker auf seine Reise. Vom Matthäus-Evangelium über Amos Oz’ Roman “Judas“ hin zur “Verteidigungsrede des Judas Ischariot“ von Walter Jens. Ohne die Judastat – im Auftrag Gottes? – keine Kreuzigung, keine Auferstehung, kein Christentum, keine Pogrome, keine Lager, kein Gas? Weltfrieden?

“Beckers Idee, Judas nicht als Bösewicht, sondern als intellektuellen Zweifler oder wahren Liebenden darzustellen, ist allerdings kein neues Motiv“, resümierte Gunda Bartels am 21. November 2015 auf der Online-Präsenz vom Tagesspiegel nach einer Becker’schen “Sakralrezitation“ im Berliner Dom.

Aber wie Ben Becker diese versuchte Rehabilitation des so betitelten größten Verräters der Weltgeschichte zelebriert – Chapeau! Subjektiv betrachtet. Oder besser: Mehr gehört als gesehen. In der Lukaskirche zu Dresden.

Ständig mit seiner markanten Stimme spielend, bleibt Becker zu Beginn gestenarm. Liest. Um sich dann später, frei deklamierend, als Judas regelrecht in Rage zu steigern. Stimmlich und schauspielerisch. Vom Boden der Kirchenbühne auf einen dargestellten Altartisch. Himself furiosus.

Applaus. Stehend. Auch von jenen, die zuvor genusssehend sitzen konnten. Ebenso von Kulturbürgerinnen und Kulturbürgern, die – auf vom Himmel gegebenen Plätzen fläzend – trotz Hinweisen sich nicht zu blöd waren, ihre Smartphones dokumentieren zu lassen. Fast wie im K-Block bei Dynamo. Whatever.

Applaus. Und ein ergriffener Becker. Den Ovationen gerührt dankend. Großes Schauspiel. Oder mehr. Gäbe es noch lange einen wie ihn.

Was bleibt? Erhobene Daumen für Ben Becker. Empor gestreckter Mittelfinger für das Verräterlein im Kartensystem. Und die Feststellung: Wer an einem Montagabend in Dresden zu Ben Becker geht, geht nicht zu Pegida. Venceremos!

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