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Abenteuer Fußball im Osten: Stuttgart, Chemnitz und retour

Bekanntermaßen hat es in der 2. Hauptrunde um den diessaisonalen DFB-Pokal für den Chemnitzer FC gegen den VfB Stuttgart am 27. Oktober 2010 trotz eines großartigen Auftritts letztendlich nicht gereicht – aus ostneutraler Sicht betrachtet mit den Anmerkung: leider. Nach dem “Pokal-Aus mit Applaus“ resümierte CFC-Präsident Matthias Hänel: “Die Mannschaft hat unseren Verein deutschlandweit würdig vertreten. Dafür gebührt ihr ein großes Dankeschön“ (Dresdner Morgenpost, 30. Oktober).

Vom deutschlandweiten Applaus für den CFC ist der Natur der Sache nach die Anhängerschaft des VfB Stuttgart als Partie-Rivale de facto fast logischerweise ausgenommen, zumal einige Stuttgarter sowieso ihre ganz eigene Sicht zur Pokal-Begegnung auf der Chemnitzer Fischerwiese hatten und diese auch postulierten.

So gibt es im Online-Forum der Stuttgarter Nachrichten einen VfB-Stuttgart-Thread, in dem sich, unter zwischenzeitlich geänderter Headline (Original: “Wer ist heute Abend in der DDR dabei?“), gut zwanzig Jahre nach dem Wegfall der vormaligen Zonenrandförderung einige durchaus bemerkenswerte Auffassungen zur Pokal-Begegnung in Chemnitz widerspiegeln.

Der Eröffnungsbeitrag besagten Threads beginnt mit der durchaus prosaischen Frage an die VfB-Fangemeinde –

Wer von Euch traut sich denn heute Abend in den wilden Osten zum Spiel in der Stadt mit 3 Oh’s: Gorl-Morx-Stodt

– um gleichzeitig fürsorglich warnend anzufügen –

Wie man hört, sollte man gute Laufschuhe mitnehmen.

Gar aufklärerisch geht es aber weiter –

Ich kann nur jeden ermutigen mal hinzufahren und sich die “DDR“ mal anzuschauen, vielleicht hört das Ost-West-Karl-Marx-Stadt-Klischee-Gequatsche dann mal auf, wenn man feststellt, dass man echt mit der Lupe suchen muss, um andere Unterschiede als die Dialekte zu finden.

Einige folgende Beiträge reflektieren dann eher die Formalia der Einreisemodalitäten in die Ost-Zone –

Ich hoffe, ihr habt alle daran gedacht ein Visum zu beantragen!!!!!!!! (…) Begrüßungsgeld für die Brüder und Schwestern nicht vergessen (…) Wo fahret ihr über die Grenze? (…) Hoffentlich sind die Wartezeiten am Grenzübergang nicht zu lang und alle VfB-Fans kommen rechtzeitig in Gorl-Morgs-Stodt an (…)

Und wie nebenbei wird auch noch ein wenig pseudopolitisch vor sich hingepostet –

Hätte es bloß nie die Wiedervereinigung gegeben (…) Den Soli zahlen wir wohl noch bis zum St. Nimmerleinstag, warum zahlen den eigentlich alle, sollen doch nur die zahlen, die mit den Ossis solidarisch sind, ich bins jedenfalls nicht (…) Sächsisch ist der beschissenste Dialekt der jemals erfunden worden ist (…) Baut die Mauer wieder auf, diesmal aber richtig und alle Ossis wieder zurück!!! (…)

Nach einigen sexistischen Beiträgen über die Ossi-Frau als solche, à la –

Da kenn ich mindestens drei bildschöne junge Frauen, die geburtsmäßig aus den neuen Bundesländern kommen und die in dem Fall dringend hier bleiben sollten und gern auch bei mir Asyl beantragen könnten! (…) So eine Ossi-Maus nehme ich auch (…) die können einen Tennisball durch einen Gartenschlauch saugen (…)

– folgt dann unvermittelt ein völlig überalteter und zudem nur vorgegebener Link zum Chemnitzer Fight Club mit der Anmerkung –

Dann heute Abend noch 1000 VfB-Fans der Kategorien B & C

Einige Posts später wird in scheinbar lauter Vorab-Aufregung sogar noch ein älterer Ostfussball.comArtikel verlinkt, zudem flankierend garniert mit der gar mehr als bange klingenden Frage –

(…) Amole schaue wie viele von denne 1000 VfB’ler wieder hoimkommet heit Nacht.

Wobei da schon fast alles über den Osten als solchen weniger als mehr gesagt scheint –

Schbinnsch denn du, mir gehn doch ned in die Zone (…) Ich wäre gerne zum Spiel gefahren, aber die Bilder aus Bratislava haben davon abgehalten (…)

Ob Bratislava oder Chemnitz, was soll’s? Alles Osten halt, Sachsen-Slowakei-Sibirien-Gulag gewissermaßen oder wenigstens Protektorat –

So, angekommen! 1000 Leute für ein Spiel in der tiefsten Ossiprovinz unter der Woche ist doch gar nicht so schlecht! War grad mal vorsichtig ums Stadion laufen, sieht für unsere Spassfraktion gut aus! (…) Die ersten Cottbuser sind auch gerade eingetroffen! (…) So? Batscht man sich heut noch bissle? (…) Obacht vor diesen Nazi-Kämpfern (…) Leider wurden zirka 200 VfB-Fans zumeist grundlos von der Polizei einkassiert. Die sitzen jetzt auf dem Revier in Chemnitz und werden bis nach dem Spiel fest gehalten, also in Sippenhaft genommen. Grund sei, dass es angeblich Pyro-Vorfälle gegeben habe. Die meisten sitzen dort garantiert GRUNDLOS. So eine Schweinerei! (…) Ein Freund, der vor Ort war, hat von 200 Verhaftungen gesprochen (4 Busse Kategorie C)? (…) Im Stadion NULL Support, sieht aus als sei das CC auch nie in Karl-Marx-Stadt angekommen? (…) Im VfB-Block einige Cottbusser und Freunde aus Dresden (…) Der VfB-Block war als solcher mit dem Auge nicht auszumachen, sah aus, als wären 50 Mann aus Stuttgart angereist? (…) Geile Choreographie der Klasse 3 b der Ernst-Thälmann-Schule Chemnitz im Block der CFC-Fans (…) Da haben sich die Kinder wirklich Mühe gegeben. Herrlich! (…) Für ihre Verhältnisse haben die es ganz gut hingekriegt! Respekt! (…) Ein wahrer Hexenkessel das Stadion in Chemnitz (…) Da ist in Ditzingen mehr los (…) Genau so viel wie in Degerloch (…) Degerlocher Entwicklungshilfe für die DDR (…) Ich kann nicht glauben, dass da nur ein VfB-Fan im Stadion war. Stimmung wie in einer Gruft umschreibt ganz gut, was man da im TV nicht gesehen hat (…) Das Commando Bieberle ist wohl zu Hause geblieben, war denen sicher zu gefährlich in den Osten zu fahren (…) Man muss leider sagen, dass ohne die Stimmung der Ultras überhaupt nix los ist. Kein Support, der Gästeblock als solcher war nicht zu erkennen und nicht zu hören. Das hatte 5.-Liga-Niveau. Dass knapp 150 Stuttgarter-Kategorie-C-Hools verhaftet wurden ist schade, denn außer ein paar Böllern ist ja nix passiert (…) Es war tatsächlich wie auf dem Zentralfriedhof. Enttäuscht war ich auch von den Chemnitzern. Für das Spiel des Jahres waren außer Tribüne links C, rechts F und Mitte C Geschrei auch nicht viel zu hören (…) War super, tolles Stadion, super packendes Spiel. Stuttgart leider ziemlich schwach, aber egal, dadurch wurde es umso interessanter. Die Gerüchtelage war sehr diffus, scheinbar waren einige Kat Cler unterwegs, anscheinend auch ein paar K’lauterer dabei. Die wollten sich wohl mit den Chemnitzern anlegen, ein paar Ultras waren wohl auch dabei. Naja, die haben dann erstmal die Grünen attackiert und die haben sich das nicht lang angeschaut und gleich alle weggeschlossen. So gab es keine Stimmung (…) da niemand da war, der die Initiative übernehmen hätte können, und (…) wohl auch per Stimmungs-Boykott gegen die Festnahmen protestiert werden sollte.  Naja, auf Chemnitzer Seite war da auch eine extrem schlechte Stimmung. 200 Leute hinterm Tor supporten aktiv, der Rest leider großteils still. Naja, sonst keine großen Vorfälle, auch nach dem Spiel alles soweit ruhig. Ein paar Pöbeleien und so durfte man sich mit dem roten Schal schon anhören, aber unterm Strich gabs damit keine Probleme (…)

Und dann ward es Licht am Ende des Thread-Tunnels –

(…) Wieder im Ländle.

Ob nun besagtes VfB-Forum unter der Ägide der Stuttgarter Nachrichten etwa nur ein Spam-Modul ist, sei dahingestellt. Mithin verbringen einige Leute Zeit damit, sich dort zu artikulieren, wie auch immer. Und aus diesem gegebenen Anlass sollte freundlich darauf hingewiesen sein, dass Soljanka beileibe kein Brauchtumsritual oder gar Paarungstanz und Goldbroiler genau so wenig eine Währungseinheit ist – Helau.

Alle angeführten Zitate stammen übrigens, hier und da lediglich entsprechend leicht modifizierend redigiert, aus dem VfB-Stuttgart-Forum beim Online-Angebot der Stuttgarter Nachrichten.

[Dieser Artikel wurde am 30. Oktober 2010 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Fußballfans brüllen wie Affen

Proteste der eigenen Fans gegen fußballerische Leistungen des VfB Stuttgart verführten Welt-Online zu einer eher tiefergelegten Reflexion.

Anhänger des runden Leders sind zuweilen alles andere als unschuldige Waisenknaben, per se allerdings mitnichten durch und durch gewalttätig und kriminell. Wie zur eigenen Verteidigung, denn die Würde der Fans ist antastbar, skandieren sie des öfteren “Fußballfans sind keine Verbrecher“. Ihr öffentlicher Leumund ist schließlich aus mannigfaltigen Gründen doch nicht immer der günstigste. Allerdings stellte im März 2009 Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekt (KOS), gleichfalls fest, auch die Polizei müsse ihre Einsatzkonzepte rund um Fußballspiele hinterfragen. “Das Arsenal, das man mal für die Hooligans entwickelt hat, ist Eins-zu-Eins auf die Ultras angewandt worden.“

Durch diese Gängelungen seien gewaltbereite Gruppen bei den Ultras, “die mit positiven Absichten in die Stadion gekommen sind und mit Choreographien und anderen Dingen die Stimmung verbessern wollen“, stärker geworden. “Die Zunahme der Gewalt ist eine Art selbsterfüllende Prophezeiung.“ Sogar der Fan-Soziologe Gunter A. Pilz gab fast zeitgleich zu bedenken: “Wenn die Polizei Fans mit einer Hundertschaft empfängt und in einem mobilen Kessel abschirmt, darf man sich nicht wundern, wenn Situationen eskalieren. Es gilt, die Räume von Hooltras einzuengen. Aber gleichzeitig friedlichen Ultras Räume zu lassen – für Selbstinszenierung, Choreografien, Stimmung. Sie sollen ihre Identifikation ausleben können. Leider sehen das viele Polizei-Hardliner anders.“

Nun kann man wie auch immer zum Fußball und all seinen Facetten stehen. Auch das sportliche Schicksal des Bundesligisten VfB Stuttgart mag die Eine mehr, den Anderen weniger interessieren. Viele werden die Proteste von Stuttgarter Fans gegen die eigene Mannschaft vor, während und nach der letzten Bundesliga-Begegnung gegen den VfL Bochum nicht einmal registriert haben. Da kochten natürlich Emotionen hoch. Genau so natürlich ist es im menschlichen Miteinander nicht hinnehmbar, dass wie auch immer geartete Emotionen in Gewalt gegen Personen und Sachen münden, Menschen zu Schaden kommen. Auch verbale Gewaltandrohungen in Form von “Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot“, verbieten sich eigentlich von selbst. Die polizeiliche Bilanz des 5. Dezember, an dem “zwischenzeitlich rund 3.000 Personen vor dem Verwaltungsgebäude des VfB ihrem Unmut wegen der Tabellensituation des Vereins lautstark Luft machten“: Zwei verletzte Polizisten, drei vorübergehende Festnahmen von Zuschauern unter anderem wegen Körperverletzung und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz. So weit – so schlecht sowie in diesen Entgleisungen, Emotionen hin oder her, verurteilenswert und dem allgemeinen Ansehen von Anhängern des runden Leders nicht zuträglich.

Eine emotional aufgeheizte Stimmung baut sich allerdings kaum ab, wenn kurz hernach ein Kolumnist von Welt-Online – im Tenor durchaus generalisierend – vom “Hörgenuss schrillen Affengebrülls … beim Stadionbesuch“ schreibt sowie davon, dass “sich quer durch die Liga wilde Horden im Rahmen der kochenden Massenhysterie, entgleisten Gefühle und schlechten Durchblutung“ zusammen rotten würden – und man als Journalist die Schnauze voll habe “angesichts dieser armseligen und tiefergelegten Krawallos, die sich beim Versuch, ihre Schlappen des frustrierenden Alltags zu kanalisieren, jeden vorknöpfen, der bei drei nicht auf dem Baum ist, von den Polizisten über die Spieler bis zum Hoffenheimer Leistungsträger Dietmar Hopp, der sich aus Angst vor der Macht des Mobs schon nicht mehr zu Auswärtsspielen traut“.

Die polemische Frage “Was tun?“ beantwortet der eifernde Welt-Kolumnist Oskar Beck mit seiner augenscheinlichen amerikanischen Vision, den “Störer … noch vor Spielschluss … in Fußfesseln dem Haftrichter“ vorzuführen. “Womöglich könnte auf dieser Idee auch der Fußball aufbauen.“ Und falls diese Vision, vielleicht an irgendwelchen hierzulande postulierten Grundrechten, scheitern sollte, hätte er zumindest noch den Stinkefinger a la Schiedsrichter Massimo Busacca gegen Ultras, Fans, Zuschauer und Unbeteiligte schlechthin parat. Zwar verurteilt Kolumnist Beck einerseits die “pädagogische Methode“ scheinheilig als “Idee aufs Schärfste“, hält sie andererseits “bislang für die mit Abstand beste“.

Nun kann innerhalb einer Kolumne oder eines Kommentars so einiges zugespitzt formuliert werden, mit Emotionen, lebendig für die Leserschaft. Der Kolumnist hat zudem unbesehen die Freiheit, seine Meinung so zu schreiben, wie er will – aber auch derartige Verbalinjurien?

“Man merkt, der Typ, der das verfasst hat, geht nicht gerne ins Stadion und schreibt nur das, was er im Fernsehen sieht“, lautet ein noch relativ gelassener Kommentar im – mit rund 250.000 Klicks pro Tag keinesfalls zu vernachlässigenden – Forum von ultras.ws zur Welt-Online-Kolumne.

Vielleicht ist ja aber der Fußball und die Auseinandersetzung damit auch wirklich nur – wie im Juni 2009 in der Sendung Studiozeit des Deutschlandfunk resümiert – “die Projektionsfläche einer zusehends kommerzialisierten und reglementierten Gesellschaft“?

[Dieser Artikel wurde am 7. Dezember 2009 bei Telepolis veröffentlicht.]