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MedienScreen # 4 [Heterogener Blick auf Ultras]

[Fundstück] Michael Wollny, Blog: Ultra unschuldig!, eurosport.yahoo.com, 9. Mai 2011 –

(…) Sie fühlen sich missverstanden. Nicht ausreichend gewürdigt in ihrem moralischen Kampf gegen den schnöden Mammon, gegen Kommerz und Ausverkauf. Dabei sind sie doch ehrenhafte Ritter, Verteidiger des heiligen Fußball-Grals. Sie sind doch die Unverzichtbaren, die wahren, echten authentischen Fans … pardon: Ultras, no Fans!

Ohne ihren meditativen Dauergesang würde schließlich keinem Stürmer das Standbein beim Torschuss einschlafen.

Ohne ihre Grünflächenpflege beim Rasensprengen mit Böllern und Bengalos müsste man wohl bald schon wieder auf roter Asche kicken.

Ohne ihre Transparente “Diffidati con noi“ wüsste niemand, dass deutsche Ultras auch drei Worte Italienisch können.

Ohne ihre Transparente “Ausgesperrte immer bei uns“ wüsste niemand, dass der “moderne Fußball“ für “Diffidati con noi“ auch Untertitel anbietet.

Ohne ihre Beute aus fremden Fanshop-Schals wüsste niemand, dass man einem normalen Fan ab und an auch einfach mal ordentlich den Frontspoiler polieren muss.

Ohne ihre Abneigung auf das Fanshop-uniformierte Event-Publikum wüsste niemand, dass schwarze Jacken, Sonnenbrille, Gürteltasche und Gesichtsvermummung vollkommene Individualität widerspiegeln.

Ohne ihr “A.C.A.B.“ wüsste niemand, dass Polizisten keine echten Menschen sind, sondern bestenfalls der schweflige Auswurf des Satans höchstselbst. Obwohl sich letztlich doch beide Seiten nichts schenken und sogar gegenseitig bedingen.

Ohne ihr Credo wüsste niemand, dass nur Ultras die höchste Ebene des menschlichen Seins erreichen können, ohne sich selbst noch ans eigene Credo halten zu müssen.

Ohne ihre allwöchentlichen Stellungnahmen wüsste niemand, dass Ultras grundsätzlich immer nur Opfer und nie Täter sind.

Ohne ihre Aversion gegen anstrengende Gesellschaftsnormen wüsste niemand, dass Ultras lieber eigene Regeln aufstellen, an die sie sich dann selbst nicht immer halten.

Ohne ihr Mantra “Fußballfans sind keine Verbrecher“ wüsste niemand, dass Körperverletzung, Sachbeschädigung und Diebstahl eigentlich gar keine Verbrechen sind, sondern nur kriminelle Lügen der Medien.

Ohne ihr isolationistisches Weltbild wüssten wir nicht, dass Hans Kasper recht hatte, als er vor Jahrzehnten feststellte: “Gib einem Fanatiker zur Hälfte recht, und du tötest ihn.“

Ohne ihr eitles Selbstbild wüssten wir nicht, dass Ultras die Exklusivrechte an echter Leidenschaft für den Verein besitzen.

Ohne ihr ausgewogenes Rechtsverständnis wüsste niemand, dass chronisch erfolglose Fußball-Profis zwingend totgeschlagen gehören.

Ohne ihr aggressives Selbstmitleid wüsste niemand, dass weniger der “moderne Fußball“ ein Problem darstellt, als viel mehr der moderne Ultra.

Ohne ihre krude Überhöhung des Fußballs wüsste niemand, dass Gott am 7. Tag in seiner Mittagspause den Ultra erschaffen hat.

(…)

Ohne all diese Dinge und den Mangel an kritischer Selbstreflexion wüssten wir nicht, dass moderne Ultras ihren traditionellen Werten und dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Anerkennung selbst am meisten schaden.

Und so schwebt Sir Winston Leonard Spencer-Churchill auf seinem Union-Jack-Wölkchen über einem deutschen Fußballstadion, senkt den Blick nach unten, zieht an einer Romeo y Julieta und denkt sich wieder mal: “Ein Fanatiker ist ein Mensch, der seine Ansicht nicht ändern kann, und das Thema nicht wechseln will.“

Doch eines darf zum Schluss festgehalten werden:

Ohne ihre Heterogenität wüsste niemand, dass es auch noch Ultras gibt, für die Fußball und Verstand tatsächlich noch glaubhaft im Vordergrund stehen (…)

[Dieser Beitrag wurde am 10. Mai 2011 bei Ostfussball.com publiziert.]