Es ist nur zu vermuten, ob sich einige der Kapitelüberschriften dieses Buches der geneigten Leserschar auch jenseits des vormalig ostzonalen Kerngebietes auf Anhieb im beabsichtigten Kontext erschließen werden: “Wie wir den Kalten Krieg gewannen“, “Russisch Fluchen Lektion 1“, “In jeder Imbissbude ein Spion – Fußballfans in der DDR“. Das gemeine Ossi dagegen wird wahrscheinlich nur müde wissend vor sich hin schmunzeln, bei der Überschrift “Wie der Stahl gehärtet wurde“ fast zwangsläufig zuerst irgendwie an Pawel Kortschagin denken und dann vielleicht ebenso wie das gemeine Wessi grübeln, worum es denn genau genommen geht.
Es geht um Fußball, eigentlich. Um den früheren Fußball und andeutungsweise gleichfalls schon auch um den heutigen, zuvorderst den Fußball in und aus dem Osten der jetzigen Bundesrepublik, der früheren Zone. Folgerichtig trägt das nunmehr neueste Werk von Frank Willmann – überregional durchaus bekannt geworden durch das Buch “Stadionpartisanen – Fußballfans und Hooligans in der DDR” – also bezeichnenderweise den einfachen Titel “ZONENFUSSBALL – Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen”.
FIGHT FOR YOUR RIGHT TO PARTY
Der Fußballplatz. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2011. Dies sind die Abenteuer des Zonenfußballs, seit über zwanzig Jahren unterwegs auf der Suche nach Glück und Erfolg. Viele Lichtjahre dringt die Kunde seines Scheiterns in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
Verehrter Leser, glaube mir und schau auf das gegenwärtige deutsche Fußballland. Überall verblühte Ostklubs im Meer westgermanischer Großkopfeten. In der ersten deutschen Spielklasse findet sich nicht ein Zonenklub wieder. In Liga zwo nagen Union Berlin, Erzgebige Aue, Dynamo Dresden, Hansa Rostock und Energie Cottbus an Schinkenknochen. In Liga drei sind Carl Zeiss Jena, Rot-Weiß Erfurt, Babelsberg 03 und der Chemnitzer FC anzutreffen. Gerade mal neun Klubs von sechsundfünfzig dürfen sich Profiverein nennen.
Auf den folgenden Seiten erzählen wir euch, warum das so ist (…)
Was waren das für selige Zeiten, als man rechtschaffende Fußballer noch auf der Straße traf und ihnen in Ost und West ehrlich die Meinung geigen konnte. Heute ist hochklassiger Fußball zum fettigen Event verkommen. Kapital und Werbeindustrie diktieren uns den Spielplan (…)
Verlogene Geschäftemacherei, soweit mein entzündetes Auge blickt!
Doch bedenke, früher waren auch alle gegen alle (…)
Haltet euch fest, KameradInnen: Beamen wir uns zurück in eine Zeit, als rote Brause in Strömen floss und bisweilen alles 7, 8, 9, 10, Klasse war.
[Aus dem Vorwort von Frank Willmann]
Neben Willmann erzählen 29 weitere Autoren ihre ganz eigenen Geschichten rund und runder über und um das Fußball-Fan-Leben im damaligen ostzonal begrenzten geografischen Raum, mitunter auch darüber hinaus und durchaus bis in die heutigen Tage reichend. Dabei fließt nicht nur besagte rote Brause verbal in Strömen, auch die überschriftliche “Bockwurst mit Senf“ kommt zu ihrem mehr oder weniger nostalgischen Recht. Es ist zuweilen fast so, als würde man auf der Zunge schmecken und mit den Augen sehen können, was im Buch zu lesen ist. Chapeau!
Allerdings krankt ZONENFUSSBALL mit seiner weiteren Titulierung “Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen“ daran, dass leider kein hilfreiches Vereinsverzeichnis im Anhang aufgelistet ist, Schade ’drum. Aber zur allgemeinen Gesundung des Werkes sei angemerkt: Kaum nirgends, außer wohl in ZONENFUSSBALL, sind aktuell solcherart explizit zusammengestellte und durchaus skurrile Statistiken kompakt zu finden, wie beispielsweise in den Rubriken “Die höchsten Niederlagen in der DDR-Oberliga“, “Die torreichsten Oberligaspiele“, “Die Fußball’dörfer’ der DDR“, “Oberligaspiele mit den wenigsten Zuschauern“, “Die fleißigsten Auf- und Absteiger der Oberliga“, “Oberligavereine mit den häufigsten Namenswechseln“, “Straße der besten DDR-Vereinsnamen“.
Und über den kleinen Lapsus, dass – wie von Frank Willmann im Buch dargestellt – die wöchentliche DDR-Zeitschrift “Fußballwoche“, im Volksmund “FuWo“, nicht am jeweiligen zweiten Wochentag auch außerhalb der DDR-Hauptstadt käuflich erwerbbar war – Stichwort: Bahnhofskiosk früh am Dienstagmorgen – kann am flackernden Erinnerungslagerfeuer rückblickend durchaus großzügig hinweg gesehen werden.
Frank Willmann ist die Stimme des Fußball-Ostens, Enzyklopäde und großväterlicher Anekdotenerzähler längst verstaubter ehemaliger DDR-Oberligisten, Kuttenfan, stiller Beobachter und kritischer Zeitgeist in einer Person. [11 Freunde – Magazin für Fußballkultur]
Resümee: ZONENFUSSBALL einfach selbst lesen. Pawel Kortschagin muss ja nun nicht unbedingt von jedermann gekannt oder gar auch noch verstanden werden, aber vielleicht der Fußball in und aus der Zone ein wenig, oder nunmehr auch noch ein wenig mehr, so quasi als kleinster gemeinsamer Nenner, irgendwie – Danke für den Versuch, Frank Willmann.
ZONENFUSSBALL
Frank Willmann (Hrsg.)
Verlag Neues Leben, 2011
[Dieser Artikel wurde am 23. August 2011 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]