Vier Tage nachdem der erste Abgeordnete die “starke Truppe“ verlassen hat, tritt auch schon der zweite aus der braunen Partei aus
Nach dem 9,2-Prozent-Wahlerfolg (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag) vermittelte das Auftreten der rechtsextremen Fraktion auch nach der ersten Euphorie einen geschlossenen Eindruck. Eine baldige Erosion – wie vormals bei rechtsextremen Landtagsfraktionen in Brandenburg, Bremen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein – lag nach ersten politischen Aufregungen in der Hochburg der NPD eher außerhalb jeglicher Prognosen.
Doch nach erst gut einem Viertel der Legislaturperiode erklärte jetzt Mirko Schmidt in einem Schreiben an den Landtagspräsidenten Erich Iltgen (CDU) seinen Austritt aus der NPD-Fraktion und kündigte an, als parteiloser Abgeordneter weiter im Landtag agieren zu wollen. Gleichzeitig ist Schmidt aus der NPD ausgetreten und verließ mit sofortiger Wirkung ebenso die Stadt- und Kreisfraktion in Meißen. Die einst vereinbarten monatlichen Spenden an die NPD-Landtagsfraktion sollen von ihm schon vor einiger Zeit eingestellt worden sein.
Erst vor einigen Tagen noch veröffentlichte die NPD-Fraktion eine Sonderausgabe ihres Informationsblattes “Klartext“, in dem nach einem Jahr Parlamentszugehörigkeit die “starke Truppe“ selbstlobend dargestellt wurde: “Warum die NPD im Sächsischen Landtag so wichtig ist.“ Auf dem Titelfoto ganz rechts außen und im Text extra besonders lobend bedacht: Mirko Schmidt.
Schmidt trat 1997 in die NPD ein, 1999 wurde er Stadtrat in Meißen, seit 2000 amtierte er als stellvertretender Landesvorsitzender und ab 2004 zudem als Meißner Kreisrat. Durchaus postenumtriebig kandidierte Schmidt – allerdings erfolglos, aber mit immerhin 12 Prozent Wählerstimmen – auch für das Oberbürgermeisteramt in Meißen. Bei der Landtagswahl konnte er in seinem Wahlkreis über dem NPD-Landesdurchschnitt liegende 10,1 Prozent der Erststimmen für sich verbuchen.
In seiner Zeit als NPD-Landtagsabgeordneter stand Schmidt, der von seinem politischen Anspruch her als “Anwalt des Volkes“ dem “Sozialabbau den Kampf“ angesagt und sich explizit gegen die Aufnahme weiterer Ausländer stark gemacht hatte, allerdings eigentlich nur zwei Mal mehr oder weniger auffällig im Rampenlicht. Bei seinem ersten Auftritt im Sächsischen Landtag reagierte er auf die Frage “Was ist Ihre Definition von ’deutsch’ und wer darf Ihrer Meinung nach in Deutschland bleiben?“ lediglich knapp und deutlich mit “Gute Heimreise!“ gegenüber dem fragestellenden dunkelhäutigen RTL-Reporter. Und dann zur Wahl des sächsischen Ausländerbeauftragten wurde Schmidt von der Fraktion als so titulierter “Ausländerrückkehrbeauftragter“ aufgestellt und erhielt dabei zwei Stimmen über die damalige NPD-Abgeordnetenzahl hinaus (Das Spiel mit zwei Unbekannten geht weiter).
Für jemanden, der jahrelang schon fast als Multifunktionär in den rechtsextremen Zusammenhängen der NPD involviert gewesen ist, liest sich allerdings einer der Austrittgründe von Schmidt schon durchaus bemerkenswert: “Die NPD hat die demokratischen Grundsätze verlassen“, erklärte er so im Interview der Sächsischen Zeitung: “Wir sind einst gewählt worden, um etwas gegen Hartz IV zu tun. Um die sozialen Themen hat sich im Landtag aber meist nur die PDS gekümmert, während wir ständig versucht haben, im Parlament unsere nationalsozialistische Schiene durchzuziehen. Statt für die Interessen der Bürger setzt sich die NPD-Fraktion lieber für ein viertes Reich ein.“ Zuvorderst allerdings sei er von der Entwicklung innerhalb der NPD “seit dem Einzug in den Landtag menschlich und politisch enttäuscht, sodass eine Mitgliedschaft in der Partei mit meinem Gewissen und meinen Idealen nicht mehr vertretbar ist“ (Dresdner Morgenpost).
Ausschlaggebend waren aber wohl eher die mittlerweile mehr oder weniger offen ausgetragenen Machtkämpfe in der Fraktion im Spagat zwischen Landes- und Bundesebene, kolportiert als “bodenständig“ gegen “herrischen Führungsstil“. Die Bild-Zeitung vermutete gar sogleich einen “Ossi-Wessi-Krieg in der NPD“. Aus NPD-Kreisen wurde Schmidt derweil als “Querkopf und Hinterbänkler“ bezeichnet, der sich besonders “durch Nichtstun hervorgetan“ habe – aus nationaldemokratischer Sicht scheinbar die vor nicht all zu langer Zeit noch prädestinierte Qualifikation für den angestrebten “Ausländerrückkehrbeauftragten“.
Die politische Zukunft von Schmidt scheint offen. Zwar kursieren schon Spekulationen über einen etwaigen Wechsel in die CDU-Fraktion, allerdings ohne seriösen Hintergrund. Seitens der NPD wurde Schmidt umgehend zum Mandatsverzicht aufgefordert. Mit seinem Verhalten habe sich Schmidt – so der NPD-Fraktionsvorstand – “in eine Riege charakterlich und weltanschaulich nicht gefestigter, wohl nicht selten vom System gekaufter Verräter“ eingereiht. Angeblich soll der Verfassungsschutz Schmidt bei seinen Entscheidungen helfend unter die Arme gegriffen haben. Auf eine Interview-Frage, ob Schmidt nach seinem Austritt Angst um sich oder seine Familie habe, antwortete er: “Eigentlich nicht, eventuelle Übergriffe würden nur bestätigen, was ich … über die NPD erzähle“. Nach jahrelanger rechtsextremer Parteiarbeit schon eine Erkenntnis der ganz eigenen Art.
Update
Inzwischen entfaltet die Personalentwicklung in der NPD-Fraktion eine ganz eigene Dynamik – mit derzeit scheinbar durchaus offenem Ausgang. Denn fast unmittelbar nach dem Abgang von Schmidt folgte nunmehr auch der Partei- und Fraktionsaustritt von Klaus Baier. Der vormalige Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Annaberg-Buchholz erreichte zur Landtagswahl 13,7 Prozent der Erststimmen. In seinem Wahlkreis Annaberg konnte die NPD – nach der Sächsischen Schweiz – mit 14,0 Prozent ihr zweitbestes landesweites Wahlergebnis verzeichnen. Baier war seit 1998 Mitglied der NPD, zudem seit 1999 im Landesvorstand und gilt als Anhänger des ehemaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert. Seinen Austritt begründete Baier mit einer “mittlerweile unüberbrückbaren Distanz“ zur NPD und deklarierte seinen Schritt gleichzeitig zum “solidarischen Akt“ gegenüber Schmidt.
Inwieweit das gegenwärtige Abschmelzen der NPD-Fraktion Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Landtag haben wird, bleibt allerdings abzuwarten. Ebenso offen ist zudem, ob Baiers Austritt, wie bei Schmidt nunmehr offiziell bestätigt, vom Verfassungsschutz hilfreich unterstützt und befördert wurde – und ob Schmidt und Baier die einzigen sächsischen NPD-Renegaten bleiben werden.
[Dieser Artikel wurde ursprünglich am 20. Dezember 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]