Nur eine Landtagssitzung in Sachsen?

Während einer Aktuellen Stunde redet die NPD Klartext. Nur politisch Naive dürften sich jetzt verwundert die Augen reiben

Der neu gewählte Sächsische Landtag ist gut 100 Tage in Amt und Würden und hat in dieser Zeit schon mehrfach für Aufsehen weit über seine eigentlichen Ländergrenzen hinaus gesorgt (Demokratische Vertrauenswürdigkeit steht auf dem Spiel). Und die Sitzung vom 21. Januar 2005 dürfte vorläufig einen weiteren Tiefpunkt in der vormals demokratischen Geschichte des Hohen Hauses markieren.

Während einer anberaumten Schweigeminute für alle Opfer des Nationalsozialismus – “gleichviel durch welche Willkür- und Gewaltmaßnahmen sie zu Schaden gekommen sind“ – verließen die 12 Abgeordneten der NPD das Plenum. Die NPD-Fraktion wolle allein der Opfer der Bombardierungen deutscher Städte durch die Luftangriffe der Alliierten gedenken, wurde erklärt.

In seinem nachfolgenden Redebeitrag erklärte der NPD-Abgeordnete Jürgen W. Gansel: “Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaftigkeit aufgenommen.“ Gansel bezeichnete die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 als “Bomben-Holocaust“.

Der Alterspräsident des sächsischen Landtags, Cornelius Weiss (SPD), sagte in seiner Rede zur geschichtlichen Verantwortung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg den NPD-Beiträgen entgegenhaltend unter anderem:

Am Ende kehrte das Feuer in das Land der Brandstifter zurück. Wie sagte Heinrich Heine in hellseherischer Voraussicht: “Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Eine deutsche Stadt nach der anderen fiel den alliierten Bombenangriffen zum Opfer. Keine drei Monate vor Kriegsende traf dieses Schicksal auf besonders furchtbare Weise die Kunst- und Kulturstadt Dresden. So wichtig es ist, diese schrecklichen Ereignisse unserer gemeinsamen Geschichte in Erinnerung zu bewahren, so sinnlos, ja gefährlich ist es, sie gegeneinander aufzurechnen … Zur Erinnerung: Erst wollte der “größte Führer aller Zeit“ Österreich, dann das Sudetenland, dann Rest-Tschechien, dann den “Korridor“, dann ganz Polen und schließlich die ganze Welt. Ein Ver-Führer – ein ver-führtes Volk, das am Ende die Zeche zahlen musste. … Sorgen wir gemeinsam dafür, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Das und nichts anderes ist das Vermächtnis von Dresden, die Lehre aus jener furchtbaren Nacht vor 60 Jahren.

Weiss betonte weiter: “Wir dürfen das Dresdner Inferno niemals vergessen, wir dürfen aber auch nicht vergessen, wie es dazu kam.“ Hier nannte er beispielsweise die Machtergreifung Hitlers 1933, die Verfolgung der Juden, den Massenmord in Konzentrationslagern, die deutschen Bombardements auf das spanische Guernica und das englische Coventry. An die Demokraten im Parlament richtete der Alterpräsident seinen Appell, “mit aller Entschiedenheit jenen in den Arm zu fallen, die schon wieder nach der Brandfackel greifen“. Von der Zuschauertribüne des Landtags wurde die Rede von Cornelius Weiss aus einer Gruppe sehr zahlreich anwesender Rechtsextremisten heraus mit “alter Jude“ kommentiert.

Gansel wiederum sagte im Hinblick auf die Ausführungen des Alterspräsidenten, dass moralische Betroffenheit keine historischen Fakten ersetze. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS verließen daraufhin vollständig, die von SPD, CDU und F.D.P. teilweise den Plenarsaal. Gansel wörtlich: “Der Bomben-Holocaust von Dresden steht ursächlich weder im Zusammenhang mit dem 1. September 1939 noch mit dem 30. Januar 1933.“

Der NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel titulierte – “mit Schaum vor dem Mund und in Goebbelscher Manier“ (Weiss) – den 8. Mai 1945 als den “Tag der vermeintlichen Befreiung Deutschlands“ und sprach des weiteren davon, die “gleichen Massenmörder“, die Dresden am 13. Februar ausgelöscht hätten, seien “heute drauf und dran, neue Kriege vom Felde zu ziehen“.

Die Staatsanwaltschaft Dresden prüft gegenwärtig rechtliche Schritte. Die Vorgänge und Aussagen in der Landtagssitzung vom 21. Januar sollen wegen des Verdachtes auf Volksverhetzung “genauer ausgewertet“ werden.

Die NPD-Fraktion hat mittlerweile eine Kundgebung zum “Gedenken an die Opfer des anglo-amerikanischen Terrorangriffs auf Dresden vor 60 Jahren für den 13. Februar 2005“ vor dem Landtagsgebäude in Dresden angemeldet. Die Schirmherrschaft über den abendlichen so genannten Trauermarsch der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen hat “auf Beschluss der Fraktion“ Holger Apfel übernommen. Die Ordnungsbehörde der Stadt Dresden rechnet für diesen Tag mit 5.000 Rechtsextremisten.

[Dieser Artikel wurde am 22. Januar 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]

Demokratische Vertrauenswürdigkeit steht auf dem Spiel

In Sachsen wollen Wähler von Abgeordneten genaue Antworten zum politischen Verhalten gegenüber der NPD im Landtag

Nicht gerade alltägliche Post erhielten im letzten Monat des vorigen Jahres alle Abgeordneten der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, F.D.P., PDS und SPD im Sächsischen Landtag. Grund hierfür war nicht nur allein der Einzug von 12 rechtsextremen Mandatsträgern vor vier Monaten in das Dresdner Landtagsgebäude (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag) . Denn während der quasi ersten parlamentarischen Handlungen erhielt bei der Wahl des Ministerpräsidenten (Niemand will es gewesen sein) sowie auch der Ausländerbeauftragten (Das Spiel mit zwei Unbekannten geht weiter) der zu diesen Wahlgängen ebenfalls aufgestellte NPD-Kandidat jeweils zwei Stimmen aus anderen Fraktionen.

Grund genug beispielsweise für Studienleiterin Ramona Kapielski und Pfarrer Frank Richter, um die Vertrauenswürdigkeit gewählter Volksvertreter in Erfahrung bringen zu wollen. Beide sächsische Wähler baten fast zeitgleich und mit analoger Intention 112 Abgeordnete per Email und Postbrief um “klare Antwort“.

So fragte Ramona Kapielski – “entsetzt über die Ereignisse im Sächsischen Landtag“ – die angeschriebenen Abgeordneten unter anderem:

Wo stehen Sie? Ist es Ihre Stimme gewesen, die an die NPD-Abgeordneten gegangen ist? … Es ist nicht nötig, mich auf das Wahlgeheimnis aufmerksam zu machen. Das kenne ich, doch darum geht es mir an dieser Stelle nicht. Ich möchte konkret wissen, woran ich mit Ihnen als Person bin, mit Ihnen als Abgeordneten einer demokratischen Partei. … Ich frage mich schon jetzt: Wie soll ich je wieder zur Wahl gehen? … wen kann ich in Zukunft noch wählen? Wem kann ich vertrauen?

Im Telepolis-Gespräch betonten Kapielski und Richter übereinstimmend, dass es ihnen nicht darauf ankomme, die zwei unbekannten NPD-Unterstützer im Sächsischen Landtag ausfindig machen zu wollen. Für Ramona Kapielski konnte es hinsichtlich der politischen Verantwortung und Vorbildwirkung von gewählten Volksvertretern “so nicht einfach unwidersprochen“ weiter gehen. Frank Richter: “Die Aufforderung zu einem entsprechenden Outing der beiden politischen Hasenfüße überlasse ich der NPD selbst.“

Allerdings, so Richter weiter, setze ein solcher Bekenntnisschritt ja eine gewisse öffentliche Courage voraus, “die ich bei den ’unbekannten NPD-Abgeordneten’ nicht sehen kann“. Ramona Kapielski geht es mit ihren Fragen an die Abgeordneten hauptsächlich “um die politische Kultur und Zukunft unseres Landes“. Kapielski verdeutlichte darüber hinaus gegenüber Telepolis ihr eigenes Credo:

Pro Demokratie einzutreten und diese sowie parlamentarische Transparenz von Abgeordneten zu fordern, schließt für mich rechtsradikales Gedankengut allerdings aus.

Für Holger Apfel ist der Offene Brief von Ramona Kapielski ein “eklatanter Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ sowie “gegen demokratische Grundprinzipien, wie sie im Grundgesetz und in der sächsischen Verfassung festgeschrieben sind“. In seiner Funktion als NPD-Fraktionsvorsitzender reichte er diesbezüglich bei der Staatsanwaltschaft Dresden fast umgehend Strafanzeige wegen Nötigung von Verfassungsorganen ein. Frank Richter hält es für “zynisch, wenn Herr Apfel meint, die Gewissensfreiheit der Abgeordneten verteidigen zu müssen. Welche Gewissensgründe könnten es denn sein, die einen Abgeordneten dazu bewegen, heimlich die NPD zu wählen und öffentlich das eigene Parteiprogramm zu vertreten.“ Weiter sagte Richter zu Telepolis: “Soll mich Herr Apfel doch ebenso verklagen. Und vielleicht muss Herr Apfel ja zukünftig auch immer mehr sächsische Wähler so verklagen, wie er es gerade bei Ramona Kapielski versucht.“

Das rechtsextreme Störtebeker-Netz wiederum stellte die dort als “echt inquisitorisch“ titulierten Wähler-Anfragen an Abgeordnete des Sächsischen Landtags in einen Kontext mit “Hexenjagden … die in Vergangenheit und Gegenwart jeden freiheitlichen Gedanken bekämpften und noch bekämpfen“. Holger Apfel übrigens fungiert mittlerweile als diesjähriger Schirmherr über den so genannten Trauermarsch der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen anlässlich der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 (Dresden – wieder Zentrum der rechtsextremen ’Bewegung’?).

Über vier Wochen nach ihren Anschreiben liegen Ramona Kapielski und Frank Richter bisher Reaktionen von 45 Landtagsabgeordneten vor. Beide Fragesteller kündigten gegenüber Telepolis an, dass möglichst zeitnah eine publizistische Dokumentation dieser legitimen Wahrnehmung von politischen Auskunftsrechten veröffentlicht werden soll. Die erste Antwort aus dem Sächsischen Landtag ließ dazumal übrigens lediglich ganze zwei Stunden auf sich warten und beinhaltete die Aussage, es sei “ein wichtiger Brief zur richtigen Zeit“ gewesen. Scheinbar tritt also – wie oft unterstellt – nicht bei allen gewählten Volksvertretern nach Erreichen eines Mandats zwangsläufig eine Pseudo-Amnesie von urdemokratischen Grundsätzen ein, so wie beispielsweise des in Artikel 3 der Sächsischen Verfassung formulierten: “Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.“ Sachsen hat am 19. September 2004 gewählt – und sollte sich gerade auch aus diesem Wahlergebnis heraus täglich demokratisch deutlich verantwortungsvoll positionieren.

[Dieser Artikel wurde am 20. Januar 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]