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MedienScreen # 161 [Faust des Ostens. Liest Christoph Ruf den SPIEGEL nicht?]

[Fundstück] Christoph Ruf, “Dynamo-Fans kämpfen gegen schlechtes Image“, Stuttgarter Nachrichten Online, 29. März 2017 –

(…) “Dynamo hat eine der größten und vitalsten Fanszenen in Deutschland. Da kann es bei einzelnen Spielen immer mal zu unschönen Vorfällen kommen“, sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinierungsstelle der Fanprojekte in Frankfurt. “Das verbreitete Klischee, die Dynamo-Fans seien in der Mehrzahl gewalttätig und rechts, trifft aber schon lange nicht mehr zu.“

Immer noch kommen allerdings viele kampfsportgestählte Männer zu den Spielen, die politisch der Pegida-Bewegung näherstehen als dem demokratischen Spektrum. Doch im Gegensatz zu den 1990er Jahren, als rassistische Rufe noch an der Tagesordnung waren, bleiben die heute aus. Nicht nur, weil der Verein seit Jahren viel deutlicher Position bezieht als früher. Nicht nur, weil auch in Dresden die Mehrheit der Stadionbesucher findet, dass “Rassismus kein Fangesang“ ist, wie auf der Anzeigetafel steht. Sondern vor allem, weil die enorm große Ultraszene des Vereins sich als “unpolitisch“ erklärt. Der Begriff ist umstritten, im Kurven-Alltag aber bedeutet er, dass jeder Fan, der sich politisch äußert, gegen den Minimalkonsens verstößt – egal, ob er als Privatperson rechts oder links tickt. Das “Keine Politik im Stadion“-Dogma führte auch dazu, dass der rechtsextreme Schlägertrupp “Faust des Ostens“ aus dem Stadion komplimentiert wurde, die Linie schränkt aber auch Fans ein, die sich offensiver gegen rechts positionieren wollen (…)

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Abenteuer Fußball im Osten: Stuttgart, Chemnitz und retour

Bekanntermaßen hat es in der 2. Hauptrunde um den diessaisonalen DFB-Pokal für den Chemnitzer FC gegen den VfB Stuttgart am 27. Oktober 2010 trotz eines großartigen Auftritts letztendlich nicht gereicht – aus ostneutraler Sicht betrachtet mit den Anmerkung: leider. Nach dem “Pokal-Aus mit Applaus“ resümierte CFC-Präsident Matthias Hänel: “Die Mannschaft hat unseren Verein deutschlandweit würdig vertreten. Dafür gebührt ihr ein großes Dankeschön“ (Dresdner Morgenpost, 30. Oktober).

Vom deutschlandweiten Applaus für den CFC ist der Natur der Sache nach die Anhängerschaft des VfB Stuttgart als Partie-Rivale de facto fast logischerweise ausgenommen, zumal einige Stuttgarter sowieso ihre ganz eigene Sicht zur Pokal-Begegnung auf der Chemnitzer Fischerwiese hatten und diese auch postulierten.

So gibt es im Online-Forum der Stuttgarter Nachrichten einen VfB-Stuttgart-Thread, in dem sich, unter zwischenzeitlich geänderter Headline (Original: “Wer ist heute Abend in der DDR dabei?“), gut zwanzig Jahre nach dem Wegfall der vormaligen Zonenrandförderung einige durchaus bemerkenswerte Auffassungen zur Pokal-Begegnung in Chemnitz widerspiegeln.

Der Eröffnungsbeitrag besagten Threads beginnt mit der durchaus prosaischen Frage an die VfB-Fangemeinde –

Wer von Euch traut sich denn heute Abend in den wilden Osten zum Spiel in der Stadt mit 3 Oh’s: Gorl-Morx-Stodt

– um gleichzeitig fürsorglich warnend anzufügen –

Wie man hört, sollte man gute Laufschuhe mitnehmen.

Gar aufklärerisch geht es aber weiter –

Ich kann nur jeden ermutigen mal hinzufahren und sich die “DDR“ mal anzuschauen, vielleicht hört das Ost-West-Karl-Marx-Stadt-Klischee-Gequatsche dann mal auf, wenn man feststellt, dass man echt mit der Lupe suchen muss, um andere Unterschiede als die Dialekte zu finden.

Einige folgende Beiträge reflektieren dann eher die Formalia der Einreisemodalitäten in die Ost-Zone –

Ich hoffe, ihr habt alle daran gedacht ein Visum zu beantragen!!!!!!!! (…) Begrüßungsgeld für die Brüder und Schwestern nicht vergessen (…) Wo fahret ihr über die Grenze? (…) Hoffentlich sind die Wartezeiten am Grenzübergang nicht zu lang und alle VfB-Fans kommen rechtzeitig in Gorl-Morgs-Stodt an (…)

Und wie nebenbei wird auch noch ein wenig pseudopolitisch vor sich hingepostet –

Hätte es bloß nie die Wiedervereinigung gegeben (…) Den Soli zahlen wir wohl noch bis zum St. Nimmerleinstag, warum zahlen den eigentlich alle, sollen doch nur die zahlen, die mit den Ossis solidarisch sind, ich bins jedenfalls nicht (…) Sächsisch ist der beschissenste Dialekt der jemals erfunden worden ist (…) Baut die Mauer wieder auf, diesmal aber richtig und alle Ossis wieder zurück!!! (…)

Nach einigen sexistischen Beiträgen über die Ossi-Frau als solche, à la –

Da kenn ich mindestens drei bildschöne junge Frauen, die geburtsmäßig aus den neuen Bundesländern kommen und die in dem Fall dringend hier bleiben sollten und gern auch bei mir Asyl beantragen könnten! (…) So eine Ossi-Maus nehme ich auch (…) die können einen Tennisball durch einen Gartenschlauch saugen (…)

– folgt dann unvermittelt ein völlig überalteter und zudem nur vorgegebener Link zum Chemnitzer Fight Club mit der Anmerkung –

Dann heute Abend noch 1000 VfB-Fans der Kategorien B & C

Einige Posts später wird in scheinbar lauter Vorab-Aufregung sogar noch ein älterer Ostfussball.comArtikel verlinkt, zudem flankierend garniert mit der gar mehr als bange klingenden Frage –

(…) Amole schaue wie viele von denne 1000 VfB’ler wieder hoimkommet heit Nacht.

Wobei da schon fast alles über den Osten als solchen weniger als mehr gesagt scheint –

Schbinnsch denn du, mir gehn doch ned in die Zone (…) Ich wäre gerne zum Spiel gefahren, aber die Bilder aus Bratislava haben davon abgehalten (…)

Ob Bratislava oder Chemnitz, was soll’s? Alles Osten halt, Sachsen-Slowakei-Sibirien-Gulag gewissermaßen oder wenigstens Protektorat –

So, angekommen! 1000 Leute für ein Spiel in der tiefsten Ossiprovinz unter der Woche ist doch gar nicht so schlecht! War grad mal vorsichtig ums Stadion laufen, sieht für unsere Spassfraktion gut aus! (…) Die ersten Cottbuser sind auch gerade eingetroffen! (…) So? Batscht man sich heut noch bissle? (…) Obacht vor diesen Nazi-Kämpfern (…) Leider wurden zirka 200 VfB-Fans zumeist grundlos von der Polizei einkassiert. Die sitzen jetzt auf dem Revier in Chemnitz und werden bis nach dem Spiel fest gehalten, also in Sippenhaft genommen. Grund sei, dass es angeblich Pyro-Vorfälle gegeben habe. Die meisten sitzen dort garantiert GRUNDLOS. So eine Schweinerei! (…) Ein Freund, der vor Ort war, hat von 200 Verhaftungen gesprochen (4 Busse Kategorie C)? (…) Im Stadion NULL Support, sieht aus als sei das CC auch nie in Karl-Marx-Stadt angekommen? (…) Im VfB-Block einige Cottbusser und Freunde aus Dresden (…) Der VfB-Block war als solcher mit dem Auge nicht auszumachen, sah aus, als wären 50 Mann aus Stuttgart angereist? (…) Geile Choreographie der Klasse 3 b der Ernst-Thälmann-Schule Chemnitz im Block der CFC-Fans (…) Da haben sich die Kinder wirklich Mühe gegeben. Herrlich! (…) Für ihre Verhältnisse haben die es ganz gut hingekriegt! Respekt! (…) Ein wahrer Hexenkessel das Stadion in Chemnitz (…) Da ist in Ditzingen mehr los (…) Genau so viel wie in Degerloch (…) Degerlocher Entwicklungshilfe für die DDR (…) Ich kann nicht glauben, dass da nur ein VfB-Fan im Stadion war. Stimmung wie in einer Gruft umschreibt ganz gut, was man da im TV nicht gesehen hat (…) Das Commando Bieberle ist wohl zu Hause geblieben, war denen sicher zu gefährlich in den Osten zu fahren (…) Man muss leider sagen, dass ohne die Stimmung der Ultras überhaupt nix los ist. Kein Support, der Gästeblock als solcher war nicht zu erkennen und nicht zu hören. Das hatte 5.-Liga-Niveau. Dass knapp 150 Stuttgarter-Kategorie-C-Hools verhaftet wurden ist schade, denn außer ein paar Böllern ist ja nix passiert (…) Es war tatsächlich wie auf dem Zentralfriedhof. Enttäuscht war ich auch von den Chemnitzern. Für das Spiel des Jahres waren außer Tribüne links C, rechts F und Mitte C Geschrei auch nicht viel zu hören (…) War super, tolles Stadion, super packendes Spiel. Stuttgart leider ziemlich schwach, aber egal, dadurch wurde es umso interessanter. Die Gerüchtelage war sehr diffus, scheinbar waren einige Kat Cler unterwegs, anscheinend auch ein paar K’lauterer dabei. Die wollten sich wohl mit den Chemnitzern anlegen, ein paar Ultras waren wohl auch dabei. Naja, die haben dann erstmal die Grünen attackiert und die haben sich das nicht lang angeschaut und gleich alle weggeschlossen. So gab es keine Stimmung (…) da niemand da war, der die Initiative übernehmen hätte können, und (…) wohl auch per Stimmungs-Boykott gegen die Festnahmen protestiert werden sollte.  Naja, auf Chemnitzer Seite war da auch eine extrem schlechte Stimmung. 200 Leute hinterm Tor supporten aktiv, der Rest leider großteils still. Naja, sonst keine großen Vorfälle, auch nach dem Spiel alles soweit ruhig. Ein paar Pöbeleien und so durfte man sich mit dem roten Schal schon anhören, aber unterm Strich gabs damit keine Probleme (…)

Und dann ward es Licht am Ende des Thread-Tunnels –

(…) Wieder im Ländle.

Ob nun besagtes VfB-Forum unter der Ägide der Stuttgarter Nachrichten etwa nur ein Spam-Modul ist, sei dahingestellt. Mithin verbringen einige Leute Zeit damit, sich dort zu artikulieren, wie auch immer. Und aus diesem gegebenen Anlass sollte freundlich darauf hingewiesen sein, dass Soljanka beileibe kein Brauchtumsritual oder gar Paarungstanz und Goldbroiler genau so wenig eine Währungseinheit ist – Helau.

Alle angeführten Zitate stammen übrigens, hier und da lediglich entsprechend leicht modifizierend redigiert, aus dem VfB-Stuttgart-Forum beim Online-Angebot der Stuttgarter Nachrichten.

[Dieser Artikel wurde am 30. Oktober 2010 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]