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“Hoo-Na-Ra“ – Zu Gast bei Freunden im Geiste

Hooligans, Nazis und Rassisten beabsichtigen, die Fußball-Weltmeisterschaft zur Bühne werden zu lassen. Warnende Zeichen gibt es schon länger

Ein szenetypisches Warm-up für das Begleitprogramm der immer näher rückenden Fußball-Weltmeisterschaft ist längst erfolgt. Am ersten Advent 2005 hatten sich an einem Grenzstein im Wald nahe dem brandenburgischen Briesen deutsche und polnische Hooligans verabredet. In verschiedenen Online-Foren war danach die Rede vom “Hooligan-Krieg der schlimmsten Art, generalstabsmäßig geplant, äußerst brutal durchgeführt“. Berichten zufolge sind nach der Hooligan-Schlägerei bei Briesen die Polen als Sieger aus dem Wald gekommen. Nach Darstellung der Polizei sollte bei der schlagkräftigen Auseinandersetzung die Frage geklärt werden, “wer bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 das Sagen in der Internationalen Fußballszene haben wird“.

Nach der Massenschlägerei von zirka 100 Beteiligten wurde durch Ermittlungsbehörden die Identität von 45 deutschen und 53 polnischen Hooligans festgestellt. Beteiligt an dieser “Drittortauseinandersetzung“ (Ermittler-Jargon) waren die so genannte deutsche Nordost-Fraktion und Hooligans von Lech Poznan, angeblich in einer Mann-Stärke von fünfzig gegen fünfzig – Sicherungsposten nicht eingerechnet. Dabei sei unter den beteiligten Deutschen einer der Schläger identifiziert worden, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 den französischen Gendarm Daniel Nivel in Lens zum Invaliden geprügelt hatte.

Die Polizei erklärte nach dem 27. November 2005, ihr seien in dieser Größenordnung “bislang keine ähnlichen Auseinandersetzungen bekannt gewesen“. Allerdings hält sich in der Hooligan-Szene hartnäckig die Darstellung, es habe sich bei der Schlägerei im brandenburgischen Wald um einen Revanchekampf gehandelt. So sollen bereits am 7. Juli 2005 bei Poznan über 500 polnische und deutsche Hooligans aufeinandergetroffen sein. Schon damals sei der Sieg der polnischen Seite “unbestreitbar“ gewesen.

Die polnischen Hooligans gelten mittlerweile als brutalste und härteste auf dem europäischen Kontinent. Im Forum der Ultras Deutschland spricht man gar von der “schlimmsten Hooliganszene“ überhaupt. Im so betitelten polnischen Hooligan-Krieg der letzten Jahre gab es schon mehrere Todesopfer. Schlagzeilenträchtig lesen sich Berichte, nach denen Hooligans in Polen zuweilen Polizeistationen belagern, um inhaftierte Kumpane befreien zu können. Eine detaillierte Hooligan-Erfassung durch polnische Behörden gibt es bisher nicht. Mit welcher Vehemenz sich die neue polnische Regierung – eine Koalition aus Nationalkonservativen, Rechtspopulisten und Rechtsradikalen – letztendlich auch dieser Problematik annimmt, ist derzeit nur schwer einzuschätzen.

Als einziger WM-Teilnehmer hatte Polen wenige Wochen vor Turnierbeginn noch keine Fernsehübertragungsrechte erworben. Schätzungen gehen davon aus, dass gut 300.000 Polen die WM-Spielorte beziehungsweise die Public-Viewing-Veranstaltungen mit Großbildleinwänden frequentieren werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet mit rund 3.000 gewaltbereiten polnischen Schlachtenbummlern. Von der Dresdner Morgenpost wurden bereits – unter Berufung auf Polizeikreise – “20.000 polnische Hools im Anmarsch“ vorausgesagt. Am 14. Juni treten in Dortmund die bundesdeutsche und die polnische Nationalmannschaft in der Vorrunde gegeneinander an. In einem deutschsprachigen Hooligan-Forum lautet die Antwort auf eine Suche nach Videobildern vom berüchtigten 1996er Freundschaftsspiel beider Länder mit damals rechtsextremistischen Ausschreitungen auf den Rängen: “Bald bekommst Du aktuelle Fernsehausschnitte zu sehen.“ Bei den Ultras Deutschland heißt es einfach nur: “Na dann kommt mal!“ Fundierte Hooligan-Strukturen gibt es allerdings nicht nur im östlichen Nachbarland des WM-Gastgebers.

Inwieweit beispielsweise das Vorgehen der britischen Behörden gegen aktenkundig bekannte Hooligans von der Insel Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. So wurde angekündigt, dass 3.286 Hooligans kurz vor der Weltmeisterschaft der Reisepass abgenommen werde und diese sich zudem im Laufe des Turniers wiederholt bei der örtlichen Polizei melden müssten. Wer allerdings jemals die dreiteilige BBC-Dokumentation “Hooligans – Das Netzwerk der Gewalt“ gesehen hat, weiß um den Unterschied zwischen postuliertem Anspruch und letztendlicher Realität in der internationalen staatlichen Auseinandersetzung mit der Hooligan-Szene. Mittlerweile gibt es Hinweise, dass englische Hooligans auch Reiserouten über Polen in Erwägung ziehen, um so Einreiseverboten ins WM-Gastgeberland aus dem Weg gehen zu können.

In bundesdeutschen Gefilden werden im Vorfeld der Weltmeisterschaft die “Hoo-Na-Ra“-Schlachrufe auf den Stadien-Rängen und darüber hinaus nicht gerade leiser. “Hoo-Na-Ra“ bedeutet nichts anderes als “Hooligans-Nazis-Rassisten“ und hat als eindeutiges Bekenntnis nicht allein im Umfeld von Fußball-Ereignissen gewisse Bedeutung erlangt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen konstatierte bereits im November 2004: “Neben den Medien Musik und Internet nutzen Rechtsextremisten schon seit einiger Zeit sportliche Aktivitäten, um Jugendliche anzusprechen und an sich zu binden. Dabei spielt der Fußball auf Grund der verbreiteten Beliebtheit eine besondere Rolle“.

Ob allerdings ohne das Weltfußball-Turnier im eigenen Land beispielsweise eine Meldung über Attacken auf einen dunkelhäutigen Fußballer (Wird die Fußball-Welt zu Gast bei Freunden sein?) ebenso die Öffentlichkeit erregt hätte, ist zumindest fraglich. Die Affinität von Hooligan- oder Ultra-Gruppierungen zum Rechtsextremismus – natürlich nicht generell verallgemeinernd und mit ebenso couragierten Ausnahmen – ist mehrfach national und international nachgewiesen worden.

Der NPD-Landesverband Sachsen kündigte bereits vor einiger Zeit “Aktionen zur Fußball-WM“ an. So wolle die NPD “vor allem die Fußballmannschaft des Iran zu ihrem am 21. Juni in Leipzig stattfindenden Spiel im Freistaat begrüßen“. Dabei wollen “die sächsischen Nationaldemokraten ein bewusstes Zeichen der Solidarität mit einem Volk setzen, das wohl in nicht allzu ferner Zukunft mit einem brutalen Militärschlag der USA und ihrer Verbündeten rechnen muss, weil es sich dem Diktat des angeblich ’freien Westens’ nicht unterordnen will“. In diesem Zusammenhang werden länderübergreifende judenfeindliche Kampagnen während der WM-Tage prognostiziert. Auf einer Demonstration der so genannten Freien Nationalisten um Christian Worch am 1. Mai 2006 in Leipzig wurde der kürzlich verstorbene Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, von Sascha Krolzig mit dem Nachruf “Über Tote nur Gutes – Gut, dass er tot ist!“ bedacht.

Darüber hinaus hat die NPD bereits Demonstrationen in mehreren WM-Spielorten und in Thüringen (Die neue braune Mitte im Schatten des Ettersberg) angemeldet. Besondere rechtsradikale Zuwendung soll dabei augenscheinlich das bereits erwähnte Leipziger Vorrunden-Spiel Iran gegen Angola erfahren. Hooligans und Rechtsextremisten aller Couleur (Neonazis entdecken WM) gehen offenbar davon aus, dass während der Weltmeisterschaftswochen die stark beanspruchte Polizei “ein geschwächter Gegner sein wird“, so jedenfalls die Einschätzung des Verfassungsschutzes. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist sich indes aller national und international getroffenen Vorkehrungen sicher: “Wer stören will, soll besser fern bleiben.“

[Dieser Artikel wurde am 8. Mai 2006 – bebildert – bei Telepolis veröffentlicht.]

Wird die Fußball-Welt zu Gast bei Freunden sein?

Nach einem Oberliga-Spiel wurde der nigerianische Spieler Ogungbure angegriffen, die Polizei jedoch ging nur gegen ihn vor

Es sind noch wenige Wochen bis zum Großereignis der Fußball-Weltmeisterschaft, die unter dem Slogan Die Welt zu Gast bei Freunden steht. Letzte Vorbereitungen dazu scheinen nahezu abgeschlossen. Reine Fußballwelt-Freundesbilder erwarten uns, so wird es versprochen – quasi ein unpolitisch-freundschaftliches Willkommen der Nationen in bundesdeutschen Gefilden.

Fußballerische Weltklasse konnte dem Punktspiel in der NOFV-Oberliga Süd zwischen dem Halleschen FC und Sachsen Leipzig vor rund 3.000 Zuschauern am 25. März wahrlich nicht unterstellt werden. Die Partie erregte vielmehr durch Geschehnisse Aufmerksamkeit, die nicht so recht ins freundschaftsbeseelte WM-Vorfeld zu passen scheinen, aber in bundesdeutschen Fußball-Stadien nicht erst seit gestern zu beobachten sind. So weist beispielsweise bereits seit Jahren das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) mit einer Wanderausstellung und einem Online-Nachrichtendienst auf den Tatort Stadion hin. Die Liste von Beispielen für offenen Rassismus und Diskriminierung in der bundesdeutschen Fußballwelt scheint eine Dokumentation ohne Ende.

Abgesehen von Ausschreitungen an besagtem Tag zwischen Anhängern beider Oberliga-Mannschaften im Halleschen Kurt-Wabbel-Stadion wurde der dunkelhäutige Leipziger Spieler Adebowale Ogungbure fortwährend mit gegrunzten Affenlauten von den Rängen verhöhnt. Nach Spielschluss dann – mitgereiste Leipziger hatten mittlerweile den Rasen gestürmt – attackierten Hallenser Zuschauer den Nigerianer körperlich, als dieser den Platz in Richtung Kabine verlassen wollte. Ogungbure wurde bespuckt, geschlagen und “Drecksnigger“ geheißen. Der 24-Jährige reagierte auf die Angriffe vor der Haupttribüne des Stadions mit einem offensichtlich verächtlich gemeinten Hitlergruß. Diesen wollte er nach eigener Darstellung so auch “nicht als Tolerierung der NS-Bewegung“ verstanden haben wissen. “Ich wurde geschlagen und wusste nicht, wie ich mich wehren sollte. In meiner ganzen Karriere wurde ich noch nie so schlecht behandelt wie in dieser Oberliga. Ich bin kein Affe oder Bimbo, sondern ein Mensch“, erklärte sich Ogungbure.

Wegen Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole wurde aufgrund von Zeugenaussagen gegen den Nigerianer seitens der Polizei erst einmal Anzeige erstattet, während man die verbalen und körperlichen Angriffe auf ihn anscheinend in Ordnung oder vernachlässigbar fand. Die Hallenser Staatsanwaltschaft hat immerhin die polizeilichen Ermittlungen gegen Adebowale Ogungbure gestern wieder eingestellt: “Das Zeigen des Hitlergrußes war in diesem Fall nicht strafrelevant. Ogungbure wurde provoziert, er identifiziert sich nicht mit den Zielen verfassungsfeindlicher Organisationen.“ Der Präsident des FC Sachsen Leipzig, Rolf Heller, übte gleichzeitig Kritik am Verhalten der Sicherheitskräfte: “Das Weggucken der Polizei ist bedenklich“. Solche Vorfälle können gerade im Vorfeld der Fußball-WM nur den erstaunen, der bisher nicht sehen wollte.

Für den erweiterten Schutz der Freundschafts-Fußball-Weltmeisterschaft beabsichtigt Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) in Absprache mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) das bereitstehende Bundeswehrkontingent von bisher geplanten 2.000 Soldaten auf 7.000 zu erhöhen. Der Koalitionspartner SPD signalisierte keine verfassungsrechtlichen Bedenken – “schließlich würden die Soldaten nicht mit der Waffe in der Hand eingesetzt“.

[Dieser Artikel wurde am 29. März 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]