Archiv der Kategorie: Hooltras

Dresden: Den Wessi-Ultras aufs Maul

Nach quasi einer Erwärmungsphase in der 2. Bundesliga scheint es in einigen Gebieten des Einzugsbereiches dieser Liga langsam beginnend mehr und mehr zu grummeln, sagen des aufmerksamen Beobachters Rundblick nach hier und da sowie ebenso sein Bauchgefühl. Dabei fokussiert sich das Augenmerk nunmehr aktuell eher auf den südlichen Teil des Osten an die Elbe in das Umfeld der SG Dynamo Dresden (“Hohes Potential an fanatischen Kaffeesachsen“) und nicht – wie auch öfters plakativ seitens der Medien – Richtung Ostseeküste zum zweiten Liga-Aufsteiger FC Hansa Rostock (“Die Fans gelten als die wildesten im Osten“; Frank Willmann in ZONENFUSSBALL). Die oft kolportierten Vorgeschichten sind hinlänglich bekannt.

Beim jüngsten Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt glänzten die Dresdner Ultras mit der durchaus grandiosen Präsentation eines spektakulär großen Banners im K-Block des Rudolf-Harbig-Stadions. Einige Zeit vor Abpfiff der 1:4-Partie wurden im besagten Block dann nach und nach fast alle Zaunfahnen abgehangen. Dafür erschien dort ein bereits weit vorzeitlich bekanntes Banner aus Schals anderer Vereine neu – mittlerweile um einiges erweitert und nunmehr fast über die ganze Block-Länge reichend: “… Den Wessi-Ultras aufs Maul!“ Der mediale Nachgang rund um diese Begegnung konzentierte sich eher auf andere Dinge. Gab es da etwa irgendwo irgendwie Zusammenhänge, verklausulierte Botschaften?

(…) seit April mischen sich wieder verstärkt gewaltbereite Hooligans unter die Fans von Dynamo Dresden, wie ein szenekundiger Beamter (…) sagte. “Die Szene war jahrelang vom Fußball weg, weil ihre Vertreter 2004 bei einer Auseinandersetzung in Frankfurt/Main erwischt wurden und langjährige Stadionverbote erhielten, die jetzt ausgelaufen sind.“ (…) [dnn-online.de, 6. Oktober 2011]

Unterdessen kursiert nunmehr auf einigen Internet-Plattformen ein nicht eindeutig zuordenbarer Flyer …

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(ultras.ws, 7. Oktober 2011, 13:30)

… inhaltlich wahrlich ein absoluter Testosteron-Knüller, sprachlich mit Trilliarden Orthographie-Fehlern unterirdisch artikuliert, gewissermaßen nach Alfa-Telefon Münster schreiend (“Schreib dich nicht ab. Lern lesen und schreiben!“), und so wohl kaum jemanden bange machend – oder gerade deswegen?

[Dieser Artikel wurde am 7. Oktober 2011 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

MedienScreen # 14 [Hooligans Elbflorenz, Zeitläufe, Gerichtsrauch]

(…) Schon seit August stehen fünf Männer im Alter von 19 bis 35 Jahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am Landgericht Dresden – die mutmaßliche Führungsriege der “Hooligans Elbflorenz“. Doch inhaltlich ist die Staatsschutzkammer in der Beweisaufnahme noch nicht weit vorangekommen. Gestern [4. Oktober] flimmerten wieder Videobilder einer Schlägerei bei Obersuhl in Hessen, bei der ein Hooligan der “Brigade Nassau 96“ aus Frankfurt/Main schwerst verletzt wurde. Heraus kam bislang nur, dass Sachverständige zu allen Videos demnächst angehört werden sollen.

Noch immer streiten sich die bis zu zehn Verteidiger mit dem Staatsanwalt, ergreifen jeden Anlass, das Gericht mit Befangenheits-, Aussetzungs- oder Unterbrechungsanträgen zu beschäftigen. Ihre Argumentation ist: Einvernehmliche Schlägereien sind nicht strafbar.

Der Vorsitzende Richter Peter Lames sieht das anders und reagiert in der ihm eigenen Weise (…) erst vergangene Woche gab er den Hinweis, dass die “Hooligans Elbflorenz“ nicht erst vor den Dönerüberfällen in der Neustadt – nach dem EM-Halbfinale Deutschland gegen Türkei im Juni 2008 – sondern im Jahr zuvor in Erscheinung traten. Ein szenekundiger Polizist berichtete von einem “Testmatch“ der Dresdner Hooligans im Juli 2007.

“Die Tendenz ist erkennbar, dass der Tatzeitraum so erweitert werden soll“, vermutete ein Verteidiger. So könnte auch die größte Dresdner Randale der letzen Jahre ins Visier der Richter rücken: Am 28. Oktober 2007 hatten Hunderte Gewalttäter nach einem Dynamo-Spiel gegen Lok Leipzig [*] in der St.-Petersburger-Straße gewütet und Polizisten angegriffen. Zu klären ist nun wohl, welche Rolle die Angeklagten bei diesen schweren Landfriedensbrüchen gespielt haben (…)

[Quelle – “Viel Rauch um nichts bislang im Hooligan-Prozess“, sz-online.de, 5. Oktober 2011]

[*] SG Dynamo Dresden (A) vs. 1. FC Lok Leipzig – Die “Freiheit” der 5. Liga (30. Oktober 2007)

[Dieser Beitrag wurde am 5. Oktober 2011 bei Ostfussball.com publiziert.]

MedienScreen # 13 [Hooligans aus Elbflorenz, Feldforschung vor Gericht]

(…) Deutschland hat am 3. Juni das Qualifikationsspiel für die Fußball-Europameisterschaft in Wien gegen Österreich mit 2:1 gewonnen. Am Rande des Spieles gab es einen weiteren Sieg: Deutsche Hooligans schlugen im wahrsten Sinne des Wortes Gleichgesinnte aus Österreich im Vergnügungspark “Prater“. Rund 60 junge Männer von jeder Nation prügelten aufeinander ein.

“Erst standen sie sich gegenüber und machten sich mit Dehnübungen warm. Dann sind die Fäuste geflogen. Das Ganze dauerte zwei bis drei Minuten. Danach sind alle in Windeseile verschwunden“, erklärte (…) ein Polizist aus Nürnberg als Zeuge im Landgericht Dresden. Der Beamte ist einer von 14 Polizisten in der deutschen Delegation, die die Spiele der Nationalmannschaft begleiten. Den Spuk verhindern konnte er nicht. “Die uniformierten österreichischen Polizeikräfte waren mit rund 500 deutschen Hooligans in der Innenstadt beschäftigt.“ (…)

Ob Hooligans aus Dresden in Wien mitgemischt haben, ist nicht bekannt. Bei den schweren Krawallen am Rande des Länderspiels gegen die Slowakei am 1. September 2005 in Bratislava waren aber 30 Dresdner Hooligans mit dabei, sagte ein szenekundiger Polizeibeamter aus Dresden aus. Es sei zu befürchten, dass es bei der Fußball-Europameisterschaft im nächsten Jahr in Polen und der Ukraine nicht nur Länderspiele auf dem Rasen gibt. Sondern auch ein Kräftemessen zwischen den Hooligan-Gruppierungen der für die Endrunde qualifizierten Staaten, mutmaßte der Nürnberger Polizist.

Seit Ende August verhandelt die Staatsschutzkammer des Landgerichts (…) gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung “Hooligans Elbflorenz“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Gestern verschaffte sich die Kammer einen allgemeinen Überblick über die Hooligan-Szene in Deutschland und Dresden. Nach den Angaben des fränkischen Beamten hat fast jeder Bundesligist einen Hooligan-Trupp, der sich regelmäßig außerhalb des Stadions zu sogenannten Drittort-Auseinandersetzungen mit den Hooligans anderer Vereine trifft (…)

Auch die “Hooligans Elbflorenz“ sollen bei solchen “Matches“ fleißig mitgemischt haben. Rund 75 gewaltbereite Hooligans gibt es im Umfeld von Dynamo Dresden, dazu 450 zur Gewalt neigende Anhänger, die sogenannten “Ultras“. Die meisten “Ultras“ seien politisch dem linken Spektrum zuzuordnen. Eine Untergruppierung namens “Faust des Ostens“ stehe aber dem rechtsextremen Lager nahe, so der Dresdner Beamte.

(…) Der Prozess wird voraussichtlich bis ins Frühjahr 2012 fortgesetzt.

[Quelle – “Dynamo-Hooligans: Problemfall in der Liga und bei Länderspielen“, Dresdner Neueste Nachrichten, 29. September 2011]

[Dieser Beitrag wurde am 29. September 2011 bei Ostfussball.com publiziert.]

Rostocker Pyro Games in Frankfurt

War das am 8. Spieltag in der 2. Bundesliga bei der Begegnung Eintracht Frankfurt gegen FC Hansa Rostock nun die ganz eigene Antwort der Rostocker Anhänger auf den seitens des DFB und der DFL quasi eingestellten Dialog hinsichtlich der Kampagne Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren? Sollte das Geschehen im Frankfurter Stadion eine wie auch immer zu interpretierende Zeichensetzung im Heimbereich der selbsternannten Randale-Meister 2011 sein? Oder passierte das einfach nur, weil es bei Rostocker Auswärtsauftritten mehr als hin und wieder schon öfters loderte und rauchte?

Durch das massive Abbrennen von Pyrotechnik haben Fans von Hansa Rostock für eine Spielverzögerung gesorgt. Zu Beginn der zweiten Halbzeit der Zweitliga-Partie bei Eintracht Frankfurt musste die Begegnung fünf Minuten später als geplant fortgesetzt werden. Die Hansa-Anhänger hatten bengalische Feuer gezündet und Leuchtraketen auf das Spielfeld abgefeuert. [spiegel.de, 16. September]

Fast reflexartig pulsierte nach den Geschehnissen die verbal pyrotechnische Pro- und Kontra-Diskussion innerhalb und außerhalb der Fan-Szene seismografisch nach oben. Der Hansa-Rostock-Thread im Ultras.ws-Forum wurde aufgrund von teilweise ausufernd qualitativ unterirdischen Beiträgen vorübergehend geschlossen (“Gute Nacht – Finster, was hier einige vom Stapel lassen“).

Noch am Abend des 16. September verurteilte der Vorstand des FC Hansa Rostock die Vorkommnisse zu Beginn der zweiten Halbzeit in Frankfurt: “Leider vergessen die Fans, die dafür verantwortlich sind, welchen Schaden sie mit dem Einsatz von Pyrotechnik ihrem Verein zufügen und welcher Gefahr sie andere Menschen aussetzen. Wir werden die zuständigen Behörden in vollem Umfang bei der Aufklärung und Strafverfolgung mit aller Konsequenz und den dafür nötigen Mitteln unterstützen.“ [fc-hansa.de, 21:20 Uhr]

Wie das Polizeipräsidium Frankfurt/Main dann gegen Mitternacht zusammenfassend mitteilte, trafen nach Spielende “am Bahnhof Stadion kurzfristig mehrere Personen beider Fanlager aufeinander, in dessen Zusammenhang erneut zahlreich Pyrotechnik auf beiden Seiten gezündet wurde. Der Polizei gelang es mit starken Kräften beide Parteien zu trennen. Hierbei musste der Schlagstock sowie Pfefferspray eingesetzt werden“. Weiterhin habe es vor dem Spiel im Zusammenhang mit der Anreise des Rostocker Anhangs den Versuch gegeben, zwei Polizeifahrzeuge in Brand zu setzen Insgesamt seien am 16. September 24 Personen zur Identitätsfeststellung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden.

Die Nachwehen der Frankfurter Aufführung dürften allerdings genau so reflexartig ausfallen, wie nunmehr die Diskussion um Pyrotechnik in bundesdeutschen Stadien erneut aufgeflammt ist: Ermittlungen, Schuldzuweisungen, Distanzierungen, Geldstrafen, Geisterspiel(e) – und der vielzitierte vormalige Dialog zwischen DFB, DFL und den bis dato involvierten Ultraguppierungen dürfte nicht nur noch kühler werden, sondern wahrscheinlich längerfristig im Frostfach der Geschichte vor sich hin frieren.

[Dieser Artikel wurde am 17. September 2011 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

MedienScreen # 11 [Hooligans Elbflorenz, Rechtsauslegung]

(…) Die Angeklagten im Prozess gegen die “Hooligans Elbflorenz“ könnten den Durchschnitt der männlichen deutschen Bevölkerung zwischen 19 und 35 Jahren repräsentieren: ein Versicherungskaufmann, ein Inhaber eines Parkettstudios, ein Türsteher, ein Auszubildender und ein organisierter Neonazi. Ihre Gemeinsamkeit besteht in der Freude an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Ihresgleichen: Über Jahre hinweg sollen die fünf Männer Anführer einer Gruppe von bis zu 50 Hooligans gewesen sein, die sich in der bundesdeutschen Szene durch zahlreiche erfolgreiche “Matches“ einen Namen gemacht hat. Bei diesen “Matches“ handelt es sich um sogenannte Drittortauseinandersetzungen, das heißt um Verabredungen mit anderen Hooligan-Gruppen, um nach vereinbarten Regeln, jenseits von Stadion und Ligabetrieb, aufeinander loszugehen. Ein “Match“ dauert in der Regel nicht länger als eine Minute. Die Staatsanwaltschaft Dresden und eine Sonderermittlungsgruppe des LKA Sachsen vermuteten die Bildung einer kriminellen Vereinigung und verfolgten die Gruppe.

Zahlreiche Telefonate wurden über einen Zeitraum von wahrscheinlich mehr als zwölf Monaten abgehört, mindestens ein verdeckter Ermittler wurde eingeschleust, es wurden Observationen durchgeführt und Hausdurchsuchungen vorgenommen. Dass man in Sachsen manchmal zu einer speziellen Rechtsauslegung neigt, ist nicht neu (…) So wurden im Ermittlungsverfahren nach Angabe des Rechtsanwaltes Rolf Franek die Gespräche zwischen Verteidigung und Mandanten vom LKA abgehört und protokolliert. Bei der ersten Akteneinsicht seien diese Protokolle noch zugänglich gewesen, inzwischen seien sie entfernt worden. Weitere Kompetenzüberschreitungen der Behörden werden nach Ansicht der Verteidigung in der Hauptverhandlung (…) eine Rolle spielen. Die große Frage der ersten Verhandlungstage ist die Feststellung der Sittenwidrigkeit der verabredeten “Matches“. Die Verfolgung von Hooligans nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches ist ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte, das stellten sowohl die Verteidigung als auch der Vorsitzende Richter des Landgerichtes fest. Franek argumentiert, dass eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten grundsätzlich nicht rechtswidrig sei, wenn keine Sittenwidrigkeit vorliege. Die vorher von den Beteiligten vereinbarten Regeln der “Matches“ schlössen eine solche Sittenwidrigkeit aus.

Der Schweizer Soziologe und Hooligan-Experte Marice Illi sagte gegenüber der Jungle World: “Hooligans im klassischen Sinne, die ihre Aktionen bewusst planen und mit den gegnerischen Hooligans teils sogar in kollegialem Kontakt stehen, halten sich bei ihren Kämpfen an einen Ehrenkodex: gleich große Gruppen, kein schweres Schuhwerk, keine Waffen, kein Nachtreten bei Fall zu Boden. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass bei einem fairen Fight dies auch eingehalten wird.“

(…) Beim Prozess am Dresdner Landgericht wird ein Grundsatzurteil zur Frage der Strafbarkeit solcher “Matches“ erwartet. Illi verweist darauf, dass Repression nichts am Vorhandensein gewalttätiger Subkulturen ändern kann: “Unsere Gesellschaft, wenn auch immer zivilisierter, bringt ein gewisses Maß an Gewaltbereitschaft mit sich. Wenn durch solche Hooligan-Aktionen dieses Potential auf Feld, Wald und Wiese abgebaut werden kann, sehe ich darin nicht nur Nachteile.“

[Quelle – “Prozess gegen Hooligans in Dresden – Verprügeln mit Fair Play“, jungle-world.com, 8. September 2011]

[Dieser Beitrag wurde am 8. September 2011 bei Ostfussball.com publiziert.]