Archiv der Kategorie: Hooltras

MedienScreen # 8 [Hooligans Elbflorenz, Gerichtsauftakt]

(…) Fünf Männer stehen seit Mittwoch [24. August] unter anderem wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung vor dem Gericht. Die Gruppierung soll besonders für gewalttätige Randale bei Auswärtsspielen von Dynamo Dresden verantwortlich sein.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, die “Hooligans Elbflorenz“ gegründet und zahlreiche Gewalttaten in Zusammenhang mit Fußballspielen von Dynamo Dresden angezettelt zu haben. Die Gruppierung soll besonders für gewalttätige Randale bei Auswärtsspielen von Dynamo verantwortlich sein. Ein Angeklagter stand bereits im Sommer 2009 als “Organisator“ der EM-Krawalle von 2008 vor Gericht und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, die er inzwischen verbüßt hat. Für den Mammut-Prozess sind 30 Verhandlungstage angesetzt. Zum Prozessauftakt wurde die Anklage noch nicht verlesen, weil die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen die Staatsschutzkammer wegen “unrechtmäßiger Besetzung“ gestellt hatte (…) [Prozess gegen “Hooligans Elbflorenz“ vor dem Landgericht Dresdendresden-fernsehen.de, 24. August 2011]

(…) Vorrangiges Ziel der Gruppierung sei es allerdings gewesen, sich überwiegend bei Spielen des Fußballclubs Dynamo Dresden mit Hooligans der gegnerischen Vereine zu Schlägereien ohne Regeln zu treffen. Die Prügeleien in den Jahren 2008 und 2009 seien darauf ausgerichtet gewesen, ohne Rücksicht auf die Gesundheit zu kämpfen, sagte [Staatsanwalt] Wagner. Anreise, Kleidung und Auftreten seien detailliert geplant worden.

Unter anderem hätten sich die Mitglieder der “Hooligans Elbflorenz“ mit Mitgliedern der Gruppierung “Brigade Nassau 9“ aus dem Raum Frankfurt am Main getroffen. Bei den Auseinandersetzungen soll einer der Gegner zu Boden gestreckt und minutenlang blutend liegend gelassen worden sein. Der Mann habe mehrere Knochenbrüche im Gesicht erlitten, sagte der Staatsanwalt.

Einer der Anwälte erklärte, bei den verabredeten Schlägereien der Hooligans handele es sich nicht um Straftaten. Es sei lediglich eine “ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung“, sagte Rechtsanwalt Rolf Franek. Die Gruppierung sei daher auch keine kriminelle Vereinigung (…)

(…) Auch das Gericht stellte fest, dass einige Punkte der Anklage “hoch problematisch“ seien. Ob es sich bei den “Hooligans Elbflorenz“ um eine kriminelle Vereinigung handele, müsse im Prozess geprüft werden. Mit dem Tatvorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung bei verabredeten Hooligan-Schlägereien betrete das Gericht Neuland, sagte Richter Lames. Ein Urteil wird kurz vor Weihnachten erwartet. [Dresden – Hooligans schweigen zu Angriffen auf türkische Lokalemz-web.de, 24. August 2011]

(…) “Der Junge liegt auf der Intensivstation mit Kieferjochbein- und Augenhöhlenbruch.“ “Wir hatten auch schon so einen Fall, ist nach zwei Wochen ausgeheilt.“ Solche und ähnliche SMS tauschten sich Frankfurter und Dresdner Hooligans im Oktober 2009 nach einer wüsten Schlägerei in hessischen Wildeck-Obersuhl aus. Kurznachrichten von jungen Männern, die ganz selbstverständlich und trocken zertrümmerte Knochen und lebensbedrohliche Verletzungen kommentierten, ohne das eigene Handeln zu hinterfragen oder Reue zu zeigen. Die Dresdner gehörten zu den “Hooligans Elbflorenz“ – eine der extremsten und brutalsten Schlägertruppen in ganz Deutschland (…)

Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Zweck von organisierten Schlägereien bei Fußballspielen vorgeworfen, daneben Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung. Dabei bezieht sich die Staatsanwaltschaft auf sieben konkrete Fälle, wobei es bei zwei Schlägereien Schwerverletzte gab und bei einer dritten zumindest der Versuch von gefährlicher Körperverletzung. Alles spielte sich 2009 ab.

Zwei verabredete Prügelorgien, im Mai 2009 mit gewaltbereiten Fans vom Fußballclub Erzgebirge Aue sowie im August des selben Jahres mit Hooligans des FC Nürnberg, konnten durch die Polizeipräsenz verhindert werden. Zwei weitere angekündigte Aufmärsche von verfeindeten Hooligans im September 2009 verliefen ebenfalls im Sande. So hatten sich die Dresdner Schläger in Tschechien mit russischen Hooligans prügeln wollen. Eine Auseinandersetzung Anfang November 2009 in Jena forderte einen Verletzten, eine weitere Schlägerei mit Radikalen von Lok Leipzig verlief dagegen “relativ“ unblutig. Und dann bleibt noch die Begegnung der Frankfurter Hooligans “Brigade Nassau 96“ mit den Schlägern aus Elbflorenz im Oktober, die beinahe ein Leben kostete. Gerade die dort im Nachgang verschickten SMS bezeugten, dass die Hooligan-Gruppen bewusst und willig aufeinander losgeschlagen hatten (…)

Nach Aussage der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei den “Hooligans Elbflorenz“ um eine straff und regelrecht militärisch durchorganisierte Gruppierung. Ihr Ziel sei es, gemeinsam schwere Straftaten zu begehen, die sich nicht mehr nur auf das Umfeld von Fußballspielen konzentrieren (…) [Landgericht Dresden verhandelt über “Hooligans Elbflorenz“dnn-online.de, 25. August 2011]

(…) Der übergeordnete Zweck der Gruppierung soll darin bestanden haben, “erprobtes Personal“ für die legalen Sicherheitsdienste des Rädelsführers der Vereinigung zu rekrutieren.

Dieser Chef ist laut Anklage ein 35-jähriger Versicherungsmakler aus Pirna, verheiratet, ein Kind (…) Die Anklage wirft ihm zudem vor, versucht zu haben, im Raum Löbau ein Sicherheitsunternehmen mit seinen Leuten “abzulösen“. Neben dem Rädelsführer sitzt sein mutmaßlicher Stellvertreter, ein 34-jähriger Dresdner (…) Die beiden führten auch die Untergruppe der “Althools“ an, so Wagner.

Die Jüngeren – “Jungsturm“ genannt – wurden vom Mitangeklagten Willi K. (24) geführt. Als einziger hat er bereits zweieinhalb Jahren wegen schweren Landfriedensbruchs gesessen und ist erst seit Juni wieder auf freiem Fuß. In seinem ersten Prozess im März 2009 hatte er gestanden, zu Überfällen auf vier Dönerläden in der Neustadt aufgerufen zu haben (…)

Die Verteidiger bestreiten, dass sich ihre Mandanten schuldig gemacht haben. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung sei eine “strafprozessuale Wundertüte“, die Ermittlern etwa Telefonüberwachungen erlaube. Schlägereien unter Hooligans seien aber nicht strafbar, da die gegnerischen Gruppen einvernehmlich gehandelt hätten. “Allein im Boxsport hat es seit 1990 rund 180 Tote gegeben“, sagt Willi K.s Anwalt Rolf Franek.

Für den Prozess sind bis Ende des Jahres 31 Verhandlungstage vorgesehen. Das zeigt, dass das Gericht vor einer aufwendigen Beweisaufnahme steht. Die Frage ist tatsächlich, was da einmal herauskommen kann. Als die Verfahren nach einer Großrazzia Ende 2009 bekannt wurden, klangen die Vorwürfe weit gravierender. Zurzeit laufen noch Ermittlungsverfahren gegen 24 weitere Beschuldigte der “Hooligans Elbflorenz“. [Hooligan-Maskerade vor GerichtSächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 25. August 2011]

[Dieser Beitrag wurde am 25. August 2011 als Presse-Spiegel bei Ostfussball.com publiziert.]

Ultras: Rückblick voraus?

Vor bereits gut einem Monat veröffentlichte das Magazin Blickfang Ultra (BFU) in einer Sonderausgabe etwas so bislang noch nicht praktiziertes und präsentierte – in gewohnt hochwertiger Druckqualität – “einen einzigartigen und noch nie dagewesenen Rückblick auf die vergangene Saison“ aus der Sichtweise von 46 Ultra-Gruppierungen aus dem Bundesgebiet der Republik.

Umrahmt von zahlreichen Fotos bilanzieren die Gruppen auf insgesamt 276 Seiten in unterschiedlicher Quantität – und durchaus auch unterschiedlicher Qualität – ihre jeweilig spezifische Sicht zu Ereignissen und Entwicklungen im zurückliegenden Fußballjahr, zu Höhen und Tiefen, zu Gängelung und Repression; aber auch in Hoffnung auf Änderung der offenbar immer mehr um sich greifenden restriktiv unhaltbaren Zustände gegenüber des aktiven Fanbereiches.

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“Zustande gekommen sind ehrliche, selbstkritische, aber auch nachdenkliche und somit sehr interessante Texte“ (BFU), die letztendlich mehr als nur ein Spotlight auf und in die bundesdeutsche Fußballszene werfen. Gleichzeitig wird allerdings im Vorwort der gedruckten Ausgabe auch die Entstehungsgeschichte des Heftes ein klein wenig näher beleuchtet, die scheinbar von geprägten Abneigungen untereinander über generelle Verweigerung zur Mitarbeit bis hin zum unterstellten “Schwanzvergleich“ innerhalb eines solchen Projektes reichte. Derlei interne Querelen sind letztendlich aber dem vorliegenden Endprodukt nicht anzumerken, anzulasten ist jedenfalls die gefühlte Unvollständigkeit der Gruppen-Rückblicke den engagierten Machern des Heftes sowieso mitnichten.

Bei diesem saisonalen Rückblick kommen aus dem ostdeutschen Raum sieben Ultra-Gruppierungen zu Wort und Bild. Grund genug, auszugsweise einige deren hervorstechend dargestellten Statements gruppenalphabetisch widerzuspiegeln und gleichzeitig vielleicht auch ein wenig Lust zum ausführlicheren weiterlesen zu implizieren.

* Block U Magdeburg # 1. FC Magdeburg –

“Gepaart mit einem ’Discoverbot’ bis zum Saisonende schienen diese Ansagen zu wirken und am vorletzten Spieltag konnte der Klassenerhalt quasi sicher gemacht werden. Glückliches Ende einer selten miesen Saison! (…) Konflikte wie in anderen Städten sind bei uns undenkbar und werden nicht geduldet (…)“

* Erfordia Ultras # FC Rot-Weiß Erfurt –

“Plötzlich war jeder unbekannte Typ, der bei den Spielen im Block Platz suchte, seit Ewigkeiten ein glühender Anhänger und lebte den Ultragedanken Tag und Nacht (…) Das Dach sollte helfen, das Potential der Erfurter Fanschar unter Beweis zu stellen, doch der Kartenverkauf erfolgte über den Verein und so gesellte sich wieder Hinz und Kunz in den Stimmungskern und schmälerte das gewünschte Ziel merklich (…)“

* Horda Azzuro # FC Carl Zeiss Jena –

“Das Thema der Stadionverbote ist in Jena ungebrochen omnipräsent, auch weil wir als Gruppe nicht nachlassen, der Thematik immer und immer wieder eine zentrale Rolle in unserem Miteinander zukommen zu lassen. Allerdings entsteht durch die gesonderte und unheimlich solidarische Behandlung der Diffidati auch die Gefahr, dass der Zustand ’Stadionverbot’ für junge Ultras eine gewisse Anziehungskraft besitzt (…) Zu viel situationsbedingte und emotionale Kräfte spielten eine Rolle, als dass es Sinn macht, alles zu verteufeln oder im Gegenzug uneingeschränkt zu rechtfertigen. Fußball! (…) Die Thematik ’Massenkompatibilität vs. Kreativität’ beschäftigte uns in dieser Spielzeit ohnehin wieder häufig, wobei sich dies auch in den vergangenen Jahren lediglich in der Intensität anders darstellte. Fest steht, dass die Wahl nicht so einfach ist, da es nicht nur Schwarz und Weiß gibt und beide Vorgehensweisen auch keinesfalls immer den entsprechend erwarteten Erfolg mit sich bringen (…)“

* Red Kaos # FSV Zwickau –

“Es fällt uns auch jetzt noch schwer, das Geschehene in Worte zu verpacken, denn der Frust und die grenzenlose Enttäuschung sind immer noch nicht abgeklungen (…) Wenngleich wir selber nur darauf warteten, wann uns der Spagat zwischen Ultra und Verein das Genick brechen würde (…) Für Außenstehende wahrscheinlich schwer verständlich, haben wir eben über Jahre eine ganz besondere und vielleicht eigene Beziehung zum Spielgeschehen entwickelt, sodass oberflächig betrachtet der Eindruck entstehen könnte, wir singen stets völlig losgelöst von allen Ereignissen (…)“

* Saalefront Ultras # Hallescher FC –

“Die Saison 2010/11 stand von Anfang an unter keinem guten Stern und gehört rückblickend zum absoluten Tiefpunkt der Gruppe Saalefront und der Ultraszene Chemie Halle (…) Insgesamt gesehen war die Saison ein fast durchgängiger Tiefpunkt mit einigen kleinen Ausreißern nach oben. Das Verhältnis zwischen Vorstand und Ultras wird immer eisiger (…)“

* Ultras Chemnitz # Chemnitzer FC –

“Die Saison war geprägt von Euphorie, die man allerdings nicht wirklich nutzen konnte. Teilweise musste man zu viel Kleinkrieg untereinander ertragen, anstatt sich die Euphorie zu Nutze zu machen und einen geilen Auftritt auf’s Parkett zu legen (…) Alles wurde ausdiskutiert, statt einfach zu machen. Eine gewisse Portion Spontanität fehlt einfach zur Zeit und sorgt dafür, dass diverse Ideen eben doch nicht umgesetzt werden (…) Der Verlust einer weiteren Generation von potentiellen Ultras wäre für unsere Gruppe und die Szene fatal, das ist uns klar (…)“

* Ultras Dynamo # SG Dynamo Dresden –

“Intern durchlief die Gruppe eine Berg- und Talfahrt zwischen beinahem Zerfall der Gruppe und denkwürdiger Zehnjahresfeier (…) Klar geworden ist uns mittlerweile, dass es in Dresden nahezu unmöglich ist, eine 9.000-Personen-Tribüne zum dauerhaften Singen zu animieren. Das zu realisieren, war teils schmerzhaft und sorgte nachvollziehbar für Unmut (…) Um das medial geförderte Bild vom betrunkenen, partygeilen Idioten, für den jede Sicherheitsmaßnahme recht ist, zu bekämpfen und für eine bunte & freie Entfaltung der Fankurven zu protestieren, nahm die Dynamo-Szene ebenfalls an der Fandemo 2010 in Berlin teil. Wie bereits im BFU kommentiert, betrachten wir diese Demo als bedeutsamen und sehr konstruktiven Meilenstein in der deutschen Ultra-Bewegung (…)“

Der Vollständigkeit halber sei natürlich noch angemerkt, welche Gruppierungen der bundesdeutschen Ultra-Szene im BFU-Saisonheft 2010/11 darüber hinaus ebenfalls vertreten sind –

Boys Offenbach, Ultras Hannover, Brigade Nord 99, Commando Cannstatt, Frenetic Youth, Generation Luzifer, Kohorte Duisburg, Nordkaos Victoria Hamburg, Ultras Nürnberg, Ultraszene Mainz, Ultras Black Side, Ultras Darmstadt, Insane Ultra Trier, Karlsbande Ultras Aachen, Turnschuhcrew Siegen, Legio Augusta, Schickeria München, Ultras Essen, Horidos 1000 Fürth, Supporters Worms, Ultras Bochum, Ultras Regensburg, Weekend Brothers Wolfsburg, Commando Donnerschwee, Boys Saarbrücken, Ultra Kollektiv Lübeck, Wilde Jungs Freiburg, Amisia Ultra Meppen, Ultras Wuppertal, Wilde Horde Köln, Coloniacs, Ultras Krefeld, The Unity, Szene E Reutlingen, Ultras Mannheim, Violet Crew Osnabrück, Ultras Gelsenkirchen, Chosen Few Hamburg, Lokal Crew Bielefeld

Das 276-seitige Saisonheft 2010/11 von Blickfang Ultra ist mit fünf Euro ausgepreist und beim Händler des jeweiligen Vertrauens aktuell durchaus noch erhältlich.

[Dieser Artikel wurde am 18. August 2011 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

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MedienScreen # 4 [Heterogener Blick auf Ultras]

[Fundstück] Michael Wollny, Blog: Ultra unschuldig!, eurosport.yahoo.com, 9. Mai 2011 –

(…) Sie fühlen sich missverstanden. Nicht ausreichend gewürdigt in ihrem moralischen Kampf gegen den schnöden Mammon, gegen Kommerz und Ausverkauf. Dabei sind sie doch ehrenhafte Ritter, Verteidiger des heiligen Fußball-Grals. Sie sind doch die Unverzichtbaren, die wahren, echten authentischen Fans … pardon: Ultras, no Fans!

Ohne ihren meditativen Dauergesang würde schließlich keinem Stürmer das Standbein beim Torschuss einschlafen.

Ohne ihre Grünflächenpflege beim Rasensprengen mit Böllern und Bengalos müsste man wohl bald schon wieder auf roter Asche kicken.

Ohne ihre Transparente “Diffidati con noi“ wüsste niemand, dass deutsche Ultras auch drei Worte Italienisch können.

Ohne ihre Transparente “Ausgesperrte immer bei uns“ wüsste niemand, dass der “moderne Fußball“ für “Diffidati con noi“ auch Untertitel anbietet.

Ohne ihre Beute aus fremden Fanshop-Schals wüsste niemand, dass man einem normalen Fan ab und an auch einfach mal ordentlich den Frontspoiler polieren muss.

Ohne ihre Abneigung auf das Fanshop-uniformierte Event-Publikum wüsste niemand, dass schwarze Jacken, Sonnenbrille, Gürteltasche und Gesichtsvermummung vollkommene Individualität widerspiegeln.

Ohne ihr “A.C.A.B.“ wüsste niemand, dass Polizisten keine echten Menschen sind, sondern bestenfalls der schweflige Auswurf des Satans höchstselbst. Obwohl sich letztlich doch beide Seiten nichts schenken und sogar gegenseitig bedingen.

Ohne ihr Credo wüsste niemand, dass nur Ultras die höchste Ebene des menschlichen Seins erreichen können, ohne sich selbst noch ans eigene Credo halten zu müssen.

Ohne ihre allwöchentlichen Stellungnahmen wüsste niemand, dass Ultras grundsätzlich immer nur Opfer und nie Täter sind.

Ohne ihre Aversion gegen anstrengende Gesellschaftsnormen wüsste niemand, dass Ultras lieber eigene Regeln aufstellen, an die sie sich dann selbst nicht immer halten.

Ohne ihr Mantra “Fußballfans sind keine Verbrecher“ wüsste niemand, dass Körperverletzung, Sachbeschädigung und Diebstahl eigentlich gar keine Verbrechen sind, sondern nur kriminelle Lügen der Medien.

Ohne ihr isolationistisches Weltbild wüssten wir nicht, dass Hans Kasper recht hatte, als er vor Jahrzehnten feststellte: “Gib einem Fanatiker zur Hälfte recht, und du tötest ihn.“

Ohne ihr eitles Selbstbild wüssten wir nicht, dass Ultras die Exklusivrechte an echter Leidenschaft für den Verein besitzen.

Ohne ihr ausgewogenes Rechtsverständnis wüsste niemand, dass chronisch erfolglose Fußball-Profis zwingend totgeschlagen gehören.

Ohne ihr aggressives Selbstmitleid wüsste niemand, dass weniger der “moderne Fußball“ ein Problem darstellt, als viel mehr der moderne Ultra.

Ohne ihre krude Überhöhung des Fußballs wüsste niemand, dass Gott am 7. Tag in seiner Mittagspause den Ultra erschaffen hat.

(…)

Ohne all diese Dinge und den Mangel an kritischer Selbstreflexion wüssten wir nicht, dass moderne Ultras ihren traditionellen Werten und dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Anerkennung selbst am meisten schaden.

Und so schwebt Sir Winston Leonard Spencer-Churchill auf seinem Union-Jack-Wölkchen über einem deutschen Fußballstadion, senkt den Blick nach unten, zieht an einer Romeo y Julieta und denkt sich wieder mal: “Ein Fanatiker ist ein Mensch, der seine Ansicht nicht ändern kann, und das Thema nicht wechseln will.“

Doch eines darf zum Schluss festgehalten werden:

Ohne ihre Heterogenität wüsste niemand, dass es auch noch Ultras gibt, für die Fußball und Verstand tatsächlich noch glaubhaft im Vordergrund stehen (…)

[Dieser Beitrag wurde am 10. Mai 2011 bei Ostfussball.com publiziert.]

Rot-Weiß Erfurt gegen Dynamo Dresden: Ost-Klassiker geht anders

Gerade einmal offiziell 8.858 Zuschauer wollten am 16. Oktober 2010 die Begegnung des 12. Spieltages in der 3. Liga zwischen dem FC Rot-Weiß Erfurt und der SG Dynamo Dresden im altehrwürdigen Steigerwaldstadion miterleben, mithin eine Partie, die durchaus in der Rubrik Ost-Derby firmiert. Im Vorfeld des Aufeinandertreffens beider Mannschaften hatten die Ultras Dynamo aufgrund der Erfurter Preispolitik bei den Eintrittskarten zu einem Boykott des Dresdner Auswärtsspiels aufgerufen, dem sich zahlreiche Fan-Gruppierungen anschlossen. Während am Rand der Begegnung die Zahl der letztendlich angereisten Dynamo-Anhänger auf 1.800 beziffert wurde, schrieb einen Tag später die Morgenpost von “1.500 Dresdner Fans, die trotz Boykotts nach Erfurt gekommen waren“.

(…) Natürlich hätte man sich weniger gewünscht, aber in den letzten vier Spielzeiten hat Dynamo immer zwischen 3.000 und 4.000 Fans nach Erfurt mitgebracht, obwohl da auch Freitagsspiele dabei waren. Von daher ist das schon im Rahmen der Erwartungen (…) [ultras.ws-Forum, 16. Oktober, 16:40]

In der Anfangsphase der Partie war der Dresdner Anhang dann durchaus noch im Steigerwaldstadion zu vernehmen. Allerdings kann dies auch daran gelegen haben, dass die Erfordia Ultras bis zur exakt 30. Spielminute einen fast durchgehenden akustischen Stimmungsboykott vollzogen, optisch artikuliert durch lediglich zusammengerollte oder verkehrt herum hängende Flaggen am Zaun und beispielsweise ein Banner mit der Aufschrift “Nischelmann sei Dank bleibt die Choreo heut im Schrank!“.

Aber auch nach dem “Jetzt gehts los!“ und danach im Erfurter Block auftauchenden Doppelhaltern und Schwenkfahnen entzündete sich keine wirkliche Derby-Stimmung im weiten Rund, allein einige umstrittene Entscheidungen von Schiedsrichter Deniz Aytekin sorgten kurz vor dem Pausenpfiff temporär ansatzweise für hochkochende Emotionen auf den Rängen. Da allerdings war im Dresdner Zuschauerbereich schon so gut wie nichts mehr an Fan-Aktivitäten auszumachen. Den stimmungsvollen Charakter eines Ost-Klassikers hatte diese Begegnung jedenfalls nicht. Was, abgesehen der Begleitumstände vorab um die jeweiligen Fanszenen – wie im Nachhinein trefflich diskutierbar ist – einerseits auch am schmuddeligen Oktoberwetter, andererseits am klaren Spielverlauf gelegen haben kann. Aus dem Dresdner und Erfurter Fanbereich wurde während des Spiels übrigens jeweils ein Böller in den Stadioninnenraum geworfen. Herr Mohren (“Die DFB-Strafen durch Böller und Co. muss der Verein tragen. Durch den Aufschlag kassieren wir das Geld dafür vorher von den Fans.“) – übernehmen Sie!

Letztendlich fertigte der FC Rot-Weiß Erfurt die Dresdner Dynamos, besonders in der zweiten Halbzeit, auf dem Rasen klar und deutlich ab. Die Tore für die Erfurter erzielten Rudolf Zedi (20.), Thomas Ströhl (56.) und Tino Semmer (62.). Eine Gegenwehr eines Großteils der Dresdner Spieler hielt sich dabei in sehr überschaubaren Größenordnungen und auch der Dresdner Anhang war schließlich nur noch körperlich anwesend. Ob nach dem Abpfiff die auf die Kurve zulaufende Mannschaft von den angereisten schwarz-gelben Fans zurück gebuht wurde oder ob die Spieler schon weit vor Erreichen des Zauns freiwillig wieder umkehrten, spielte dann schon fast keine Rolle mehr.

Selbstverständlich feierte man im anderen Teil des Steigerwaldstadions den Sieg ausgiebig und ließ die gesamte Erfurter Mannschaft mehrfach hochleben. Trotzdem bleibt der Eindruck: Ein so genanntes Ost-Derby geht auch anders.

Während Rot-Weiß-Trainer Stefan Emmerlich seinen Spielern “ein sehr gutes Spiel“ attestierte, kritisierte sein Dresdner Amtskollege Matthias Maucksch auf der anschließenden Pressekonferenz, ein Großteil der Dynamos sei aufgetreten “wie eine Jugendmannschaft, die ein bisschen Fußball spielen will“. Das Tischtuch zwischen Trainer und zumindest einigen Mannschaftsteilen scheint in Dresden mittlerweile mehr als nur ein wenig verrutscht zu sein. Man darf also auf die weitere Entwicklung durchaus gespannt sein, schließlich tritt nun bereits am 23. Oktober der FC Hansa Rostock zum nächsten Derby im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion an.

[Dieser Artikel wurde am 17. Oktober 2010 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Erfurter Preispolitik offenbart Generalverdacht gegen Fußballfans

Für das Punktspiel in der 3. Liga am 16. Oktober 2010 zwischen dem FC Rot-Weiß Erfurt und der SG Dynamo Dresden haben die Ultras Dynamo zu einem Boykott aufgerufen.

“(…) Die Entscheidung fiel uns bei weitem nicht leicht, denn gerade im sportlichen Aufschwung, in dem sich die Mannschaft derzeit befindet, fällt es uns besonders schwer, das Spiel nicht live zu verfolgen. Doch ist es in unseren Augen an der Zeit, den Finger gegen die Preistreiberei zu erheben! Reden wir heute über 13 Euro, sind es in einem Jahr vielleicht schon 20 Euro! Wann, wenn nicht heute, wollen wir dann auf die Machenschaften der Verantwortlichen aufmerksam machen? (…)“ [Ultras Dynamo, 7. Oktober]

Die Resonanz für den Boykott des Ost-Derbys in Erfurt scheint mittlerweile durchaus beachtlich. Mit Stand vom 14. Oktober (14:00 Uhr) haben sich bislang 40 Fan-Gruppierungen dem Aufruf der Ultras Dynamo unterstützend angeschlossen.

Unterdessen lieferte Wilfried Mohren, seines Zeichens amtierender Pressesprecher des FC Rot-Weiß Erfurt, eine fast schon verblüffend offenherzige Erklärung für das Zustandekommen exorbitant erhöhter Kartenpreise im Steigerwaldstadion.

“Erst die Partie gegen Jena hat gezeigt, dass bei solchen Klassikern die Emotionen der Fans hochschlagen. Die DFB-Strafen durch Böller und Co. muss der Verein tragen. Durch den Aufschlag kassieren wir das Geld dafür vorher von den Fans.“ [Dresdner Morgenpost, 14. Oktober]

Wenn dieses so praktizierte Beispiel des Generalverdachtes wirklich weiter Schule macht, könnten sich in Zukunft bisher vielleicht völlig ungeahnte Türchen zu verschieden angelegten, aber durchaus generell anwendbaren,  Szenarien im Umgang mit Fußballfans aller Couleur noch weiter öffnen. Irgendwie werden ja auch die unangepassten Auswärtsfahrer eines Fußballvereins zur Räson zu bringen sein – und letztendlich nicht nur die.

Ach ja, Herr Mohren, gibt es eigentlich den Preis-Aufschlag zurück erstattet, wenn die von Ihnen beschworenen “Böller und Co.“ dann gar nicht stattgefunden haben?

Post Scriptum: Es kursiert übrigens noch eine weitere Erklärung um die besagten Eintrittspreise für das Stadion in der thüringischen Landeshauptstadt. “Bei der Sicherheitsberatung hieß es, dass Erfurt die Stadionmiete angehoben hat und man jetzt gezwungen sei, dies auf Spitzenspiele umzulegen“, wird Jan Männig, Fanbeauftragter der SGD, dahingehend zitiert. Da kämen ja Auswärtsfans jeder Provenienz in nicht zu verachtender Größenordnung scheinbar gerade rechtzeitig, wenn sie denn auch alle kommen würden.

[Dieser Artikel wurde am 14. Oktober 2010 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]