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Staatsfeind Fußballfan? Fußballfanfeind Polizei? Oder …?

Es ist aktuell zu lesen, dass der Dachverband der Fanhilfen – mal wieder? – ein Umdenken bei Polizeieinsätzen rund um Fußballspiele gefordert hat.

In einem beim Bundestreffen in Münster verabschiedeten Positionspapier werden ein Schusswaffen- und Pfefferspray-Verbot sowie ein Verzicht auf Taser verlangt. Außerdem sollten Spezialeinheiten nicht im Fußball eingesetzt werden.

“Es muss ein grundlegendes Umdenken innerhalb der Polizei stattfinden, sodass schon in der Ausbildung neuer Polizisten klar ist, dass Fußballfans keine Staatsfeinde sind“, sagte Linda Röttig, Vorsitzende des aus 26 Fanhilfen bestehenden Dachverbands. “Wir fordern mehr Selbstbestimmung und Bewegungsfreiheit innerhalb der Fankurven und eine Abrüstung der Polizei.“ (faz.net, 9. September 2024)

Keineswegs erstaunlich hat jemand auf dieses Forderungspapier der Fußballfans reagiert. Und nicht etwa irgendwer – Alles klar, Herr Kommissar?

“Es zeigt bereits im Titel [’Fanhilfen fordern Abrüstung der Polizei’], dass die Verfasser wenig bis nichts von Polizeiarbeit verstehen“, sagte Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. “Von der Polizei zu erwarten, dass sie ’abrüsten’ solle, würde voraussetzen, dass diese jemals ’aufgerüstet’ habe. Diese militärische Denkweise ist der Polizei in Deutschland fremd.“ (a.a.O)

Aber die Eine oder der Andere mag sich derweil leise erinnern, wie alles begann, einst.

Und das bleibt – auch in diesem Zusammenhang – derweil einfach mal so stehen, wohin die Reise auch noch geht …

(TwitterX, 9. September 2024 – Screenshot: O.M.)

The Times They Are a-Changin’.

Was macht eigentlich Gunter A. Pilz, alias “Vader Abraham der deutschen Fanszene“?

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MedienScreen # 150 [Alles klar, Herr Kommissar?]

[Fundstück] “Rainer Wendt: Polizist am Abgrund – Deutschland lebt in einer Zeit der Angst. Der Polizeibeamte Rainer Wendt hat aus diesem Gefühl einen knalligen Bestseller gemacht. Unser Autor hat ihn gelesen.“, Zeit Online, Thomas Fischer, 12. Januar 2017 –

[…] Meint der Autor ernst, was er schreibt? Ist er überzeugt, einem Staat zu dienen, der “kein Rechtsstaat“ ist und der “mit demokratischer Kultur nichts gemein hat“? Wieso kündigt er dann nicht? Wieso flieht er nicht, geht in den Untergrund? Wieso beantragt er nicht Asyl in Ungarn? […]

[…] Kommissar Wendt ist ein richtig harter Hund: “Wir müssen Menschen schlagen können, und wir müssen Menschen wehtun. Das ist richtig und wichtig (…) Wir können unsere Arbeit nicht mit Schlagsahne-Gewehren erledigen.“ […]

Kein Sachbuch ohne Ausweg. Auch Wendt hat einen: Eine Wende soll es sein, ein Es-muss-etwas-geschehen. Zwar sagt er nicht, was geschehen soll, aber der Leser kann es sich denken. Wendt verbirgt persönliche Wut, biografische Erniedrigung und Verachtung für Eliten hinter Behauptungen über angeblich unterdrückte Meinungen. Das ist ein tausendfach erprobtes Mittel der Demagogie. Man muss es hier nicht ein weiteres Mal entlarven, wohl aber dem Befremden darüber Ausdruck verleihen, dass der Vorsitzende einer Interessenvereinigung von 60.000 Polizisten glaubt, solches Tun werde ihm den Beifall des Volkes einbringen und ihn an die Spitze des Deutschen Beamtenbunds tragen […]

[…] Deutschland in Gefahr ist nicht bloß ein inhaltlich unzutreffendes und literarisch schlechtes Buch. Bedauerlich ist, dass der Autor behauptet, Sprachrohr der deutschen Polizei zu sein. Dass er deren Interessen vertritt, ist zu bezweifeln. Sicher ist nur eines: Er vertritt die Interessen des Rainer Wendt.

Ich empfehle das Buch trotzdem: Wendt schreibt, was er meint. Das ist im Konkreten beispielhaft und im Allgemeinen wichtig. Er geriert sich als Stimme einer Empörung, ja einer “Bewegung“. Sonst würde er sich nicht trauen, Regierung, Parlament und Justiz jenes Staates zu beschimpfen, den er zu repräsentieren behauptet. Sein Buch gibt Einblick in Niveau, Tendenz und Aufgeregtheit der aktuellen Diskussion […]

“Die Kirche im Dorf lassen“

Nach erneuten Ereignissen um Fußball-Begegnungen wird dem Phänomen Ultras und Gewalt zum Teil wieder nur populistisch begegnet

“Krawalle, Pyro und Ausschreitungen“ (ultrafans.de) prägten am ersten März-Wochenende dieses Jahres mehrere Partien von der Bundesliga bis zur Regionalliga. Die Rauchschwaden sind kaum verzogen, körperliche und materielle Lädierungen noch nicht geheilt sowie sportrechtliche Nachwehen gerade erst angekündigt. Fast umgehend wird allerdings der Fußball-Fan als solcher und – Hooligans gleich mit in den Topf werfend – die Spezies Ultra im besonderen nahezu reflexartig und gleichwohl kaum differenzierend mit teilweise martialisch anmutenden Reaktionen aus gesellschaftlichen Höhenlagen bedacht.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, verlangte, Spiele notfalls ohne Publikum zu veranstalten: “So extrem muss das möglich sein“. Nach Ansicht von Freiberg sei es nur eine Frage der Zeit, dass es beim Fußball Todesopfer geben werde. Gleichzeitig wurde die Forderung nach einem Reiseverbot von so genannten Problem-Fans zu Auswärtsspielen erhoben. Aus den Reihen der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) folgte der Vorschlag für die Möglichkeit von Präventivinhaftierungen “für Hooligans“. Rainer Wendt, DPolG-Bundesvorsitzender, erklärte, “notorische Krawallmacher“ ließen sich mit Reiseverboten oder Meldeauflagen kaum von den Stadien fernhalten. “Diese Schwerkriminellen beeindruckt nur, wenn sie die Spieltage hin und wieder in der Zelle verbringen“. Bereits im April 2008 hatte Fan-Forscher Gunter A. Pilz festgestellt: “Für viele Ultras ist ein Gefängnisaufenthalt sogar die bessere Perspektive als das bisherige Leben“.

Der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Helmut Spahn, bezeichnete die GdP-Befürchtung, künftig sei bei Fußball-Ausschreitungen mit Toten zu rechnen, als “völlig unseriös“. Zwar wolle er diesbezüglich “nicht von geistiger Brandstiftung reden, aber es ist nicht weit davon entfernt“.

Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) resümiert aktuell allerdings schon eine “problematische Entwicklung in den Fan-Kulturen“. Erst vor wenigen Tagen dokumentierte der Tagesspiegel die teilweise Entwicklung der bundesdeutschen Ultra-Szene von bedingungslosen Fans ihres Vereins hin zum Gang-Verhalten außerhalb der Stadien. Darin sieht Gunter A. Pilz jetzt seine vor rund drei Jahren aufgestellte These vom “Hooltra“ (Ultras, Hooligans, Hooltras?) bestätigt, nach der er damals prognostizierte, dass in den weitgehend friedlichen Ultra-Gruppen verstärkt gewaltbereite Teilgruppen entstehen würden.

Wie genau sich Gunter A. Pilz in der Ultra-Szene auskennt, verdeutlichte er beispielsweise wenige Monate nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, als er innerhalb nur weniger Interview-Zeilen feststellte: “Die eingefleischten Fans, die Ultras, bekunden kein besonders großes Interesse an der Nationalmannschaft. Für sie sind diese Spiele ein Ausbund des Kommerzes. In Deutschland demonstrierten Ultras vor der WM gegen das Turnier, weil ihre Kreativität und Fankultur keinen Platz hatten (…) In Deutschland ist ein Teil der Ultra-Szene in den letzten Jahren gewalttätig geworden, vor allem in den neuen Bundesländern. Es handelt sich meist um Jugendliche mit wenig Bildung und Perspektiven, die ihre Ohnmacht mit Gewalt kompensieren. Weil diese Ultras politisch Rechtsextreme sind, identifizieren sie sich mit der Nationalmannschaft und provozieren Ausschreitungen (…)“. Und die seit gut einem Vierteljahr sagenumwobene Spezies des Hultra (Ultras? Hooligans? Hultras?) erforscht Gunther A. Pilz scheinbar noch, zudem vermutlich allein im Osten der Bundesrepublik.

Der KOS-Leiter Michael Gabriel sieht durchaus begründet nach den jüngsten Geschehnissen auch die Polizei in der Verantwortung, die ihre Einsatzkonzepte hinterfragen müsse, denn “das Arsenal, das man mal für die Hooligans entwickelt hat, ist Eins-zu-Eins auf die Ultras angewandt worden“. Die hauptsächlichen Ursachen für die vermehrt erscheinende Gewaltakzeptanz unter Ultras liegt für Gabriel in “zu wenig Wertschätzung von Seiten der Vereine“ und im Verhalten der Polizei, “die teilweise zu massiv und unverhältnismäßig gegen die Ultras vorgeht“. Diese Gängelungen hätten letztendlich gewaltbereite Gruppen bei den Ultras, “die mit positiven Absichten in die Stadion gekommen sind und mit Choreographien und anderen Dingen die Stimmung verbessern wollen“, gestärkt.

“Die Zunahme der Gewalt ist eine Art selbsterfüllende Prophezeiung“, bilanzierte Gabriel noch Anfang März. Auch nach den Vorfällen in letzter Zeit ist sich Gabriel sicher, “dass wir diese Phase positiv überstehen“. Gleichfalls seien alle Fans in der Pflicht: “Die Fan-Szenen müssen stärker Verantwortung übernehmen, für das, was in den Kurven passiert. Der große Rest der Kurve muss sich zu Wort melden“.

Man müsse definitiv keine Angst vor einem Gang ins Fußball-Stadion haben, stellte er zudem nach den Geschehnissen des ersten März-Wochenendes klar. “Ich finde, man muss ein bisschen die Kirche im Dorf lassen“, verlangte Michael Gabriel hinsichtlich des Begehrens nach Präventivhaft und Reiseverbot. In der vorjährigen Saison noch scheiterte der Versuch, den gesamten Anhang eines Vereins der damaligen Regionalliga-Nord unter Generalverdacht zu stellen und allen Anhängern den Besuch eines Auswärtsspiels zu verwehren (Der Fußball-Fan als Persona non grata). Aus den momentanen Äußerungen seitens der Gewerkschaften spreche, so der Frankfurter KOS-Leiter, “mindestens Hilflosigkeit“, zudem würden die Vorfälle “politisch instrumentalisiert“. Das in der Bundesrepublik recht stabile Verhältnis zwischen Vereinen, Fangemeinschaften und der Polizei werde durch die Polizeigewerkschaften mit ihren Äußerungen jetzt beiseite gewischt.

In der laufenden Saison ist es schon wiederholt zu Zwischenfällen in den bundesdeutschen Ligen gekommen. Resultierend hat der DFB die Geldstrafen gegen beteiligte Vereine drastisch erhöht und verschärfend auch bereits in mehreren Fällen Begegnungen unter teilweisem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden lassen. Spiele ohne Zuschauer seien für die DFL nur “als äußerste Sanktion“ gegen einen Verein vorstellbar, so Holger Hieronymus, Geschäftsführer Spielbetrieb der Deutschen Fußball Liga (DFL). Allerdings habe nicht der Fußball Hooliganismus und Rechtsextremismus zu verantworten. Den Forderungen der Polizeigewerkschaften widersprechend betonte Hieronymus, dass die Sicherheits- und Fanbeauftragten in ständigem Kontakt mit der Polizei stünden – gleichwohl könne der Fußball nicht die Aufgaben der Polizei übernehmen oder diese gar finanzieren.

Im gerade in letzter Zeit stark frequentierten ultras.ws-Forum wird der zitierte Begriff der Hilflosigkeit allerdings mit Inkompetenz übersetzt, die Beobachtungen zufolge bei “unkoordinierten Polizeieinsätzen in der Vergangenheit bei Fußballveranstaltungen an den Tag gelegt wurde“. In Folge dessen sei “das Verhältnis zum Ultra/Fan in der Kurve auf ein Höchstmaß strapaziert“. Die von den Polizeigewerkschaften geforderten Maßnahmen werden mit “Auch eine Idee, den Hass weiter zu schüren“ kommentiert. Fast schon philosophisch lautet das Online-Fazit: “Nun hat die Krise den Staat auch in seinem eigenen Machtinstrument eingeholt …“.

Der Ball wird weiter rollen und die Wahrheit, jedenfalls nach Otto Rehhagel, auf dem Platz liegen. Die andere Wahrheit sieht allerdings immer stärker anders aus. Das Magazin für Fußball-Kultur 11Freunde bilanzierte in seiner Ausgabe vom Dezember 2008:

“Nun ist es ja so, dass der heutige Profifußball für jeden Fan, ganz egal ob Kuttenträger, Normalo oder Ultra, mitunter nur sehr schwer zu ertragen ist. All die falschen Emotionen auf dem Platz, der Super-Sonntag im DSF … Reinhold Beckmann, horrende Eintrittspreise, die absurden Gehälter der Spieler und bis zur Unkenntlichkeit zerpflückte Spielpläne …“

Zudem hätten Vereine und Polizei “in den Jahren zuvor jede nur erdenkliche Anstrengung unternommen, um aktiven Fans den Aufenthalt im Stadion gründlich zu verleiden“. Was also wird letztendlich aus den Fans jeder Provenienz und dem Fußball im eigentlichen Sinne des Sports?

[Dieser Artikel wurde am 14. März 2009 – bebildert – bei Telepolis veröffentlicht.]