Schlagwort-Archive: Sibylle Berg

MedienScreen # 294 [What the Hell …?]

[Fundstück] Sibylle Berg, “Wir machen uns die kurze Zeit auf der Welt zur Hölle“, SPIEGEL ONLINE, 2. Juli 2022 –

(…) Beraubt jeden Gefühls einer angenommenen Sicherheit beobachten viele, wie die Welt sich trotz all der wunderbaren Digitalisierung zurückentwickelt. Keine neuen Formen des Zusammenlebens werden probiert, auch nicht die Idee eines neuen ökonomischen Systems – außer dem Siegeszug des Kapitalismus, welchen Namen von “Turbokapitalismus“ bis “Neofeudalismus“ man ihm auch geben mag (…)

Mit flackernden Nerven schlagen so viele um sich, süchtig nach dem kurzen Triumph des Sich-im Recht-Fühlens. Die meisten fühlen sich betrogen um ihre Ruhe, ihre Gewohnheiten, Rechte und Sicherheit und kämpfen gegen das große Gefühl der Sinnlosigkeit an. Der letzte Kampf, das letzte Aufbäumen der traumatisierten Massen ist nicht gegen die Ungerechtigkeit gerichtet, die Menschen nach ihrer Verwertbarkeit für die Märkte unterteilt; gegen die Gesetze, die Milliardären ein Steuerschlupfloch nach dem anderen bescheren und SchwarzfahrerInnen in den Knast bringen.

Der Kampf gilt jenen, die in der gleichen Ohnmacht nach einer Bedeutung suchen wie man selbst. Doch wie sollte man zuhören auf der sinkenden Titanic, wenn man angeschrien wird? (…)

Wie schön, wären die Menschen (…) altmodisch und würden wieder miteinander reden. Dem Ende unserer Zeitrechnung, das ich vermute – das durch jahrelange Fehlentscheidungen, einen drohenden Weltkrieg, unfähigen Regierungen, die genauso ratlos scheinen, wie wir alle, beschleunigt wird – in schöner Eintracht beizuwohnen, das klingt erfreulich.

MedienScreen # 265 [Hope? “(… Go!)“]

[Fundstück] Sibylle Berg, “Lehren aus Corona – Ich hoffe wieder“, SPIEGEL ONLINE, 2. Januar 2021 –

(…) Ich unterstelle den meisten Menschen, dass sie das Sterben anderer nicht gleichgültig in Kauf nehmen, sondern dass sie, nachdem sie an sich gedacht haben, auch an andere denken. Ich unterstelle auch Menschen, die jetzt nach Wahrheiten suchen und im Netz auf Vitamin D und auf Checker-Osteopathen stoßen, die ihnen Hoffnung geben, keine böse Absicht, sondern einfach – Verzweiflung.

Doch sosehr die Vielen auch nach Begründungen suchen für ihren Aufenthalt auf der Erde, ihrem Lebensentwurf, sosehr sie daran glauben mögen, dass es ein höheres Wesen gibt, das die Welt lenkt. Oder dass ausgerechnet ihr Geburtsort, ihr Beruf, ihr Sein sich vor anderen auszeichnet oder die Seuche ein Konstrukt des Bösen ist, ist es nicht so. Es ist Pech, dass es eine Pandemie gibt. Und es ist Gier, die das Gesundheitssystem in den westlichen Ländern privatisiert und gewinnorientiert wirtschaften lässt. Es ist Zufall, dass wir leben und wie lange und wo oft auch (…)

Ich glaube, dass Regierungen das sind, was man wählt, und Kapitalisten die Macht haben, die man ihnen gibt. Und dass viele Menschen in der großartigen Lage sind, ihr Leben angenehmer zu gestalten als bis jetzt. Und vielleicht ein bisschen die Welt zu retten, statt Leuten zu folgen, die mit der Angst des Einzelnen Geschäfte machen wollen. Ich wünsche Ihnen wirklich allen ein besseres neues Jahr. Außer den Faschisten (…)

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[* “Harter Weg (Go!)“, Broilers, 2011]

MedienScreen # 168 [Press The Restart Button?]

[Fundstück] Sibylle Berg, “Ausschreitungen und Überwachung – Staatstrojaner brennen nicht so gut wie Autos“, SPIEGEL ONLINE, 15. Juli 2017 –

(…) Brennende Autos sind der absolute super Aufmerksamkeitsgau gegen etwas so Trocknes wie Überwachung. Mit Zeug, das irgendwo unsichtbar passiert, holt man keinen hinter dem Ofen vor. Zumal ja noch nichts passiert ist. Das Sammeln all Ihrer Mails, der besuchten Websites, Ihrer Fitnessdaten und Kaufgewohnheiten, die Gesichtserkennung, die tollen Smart-Geräte, die viele sich selbst kaufen, das ist ein bisschen wie Benzin zur Selbstentzündung zu erwerben. Das süße Netz. Das den Welthandel befeuert hat und Einsame zueinander bringt, müsste im Moment gelöscht und neu gestartet werden (…)

MedienScreen # 166 [Laughing Out Loud]

[Fundstück] Sibylle Berg, “Besser leben durch Humor – Selten so gelacht“, SPIEGEL ONLINE, 17. Juni 2017 –

(…) “Man muss auch einfach mal über sich lachen können“ ist das neue “Ich bin nicht ironisch“ (…)

Ich bin ein prima Mensch. Das Problem sind die anderen. Ich bin so ein fantastischer Mensch, dass ich die Erde mit mir bevölkert sehen möchte, und darum erlaube ich mir, über mich zu lachen. Statt über mich zu weinen, den ganzen Tag. Über meine Sterblichkeit, meine Hilflosigkeit, meine Inkonsequenz, meine Ratlosigkeit, meine Angst in der Nacht und die Angst am Tag und die Angst vor dem Ende. Lache ich. Bis mir die Tränen kommen, über so viel Erbärmlichkeit.

MedienScreen # 162 [Thomas Fischer. Weißer Mann …]

[Fundstück] Sibylle Berg, “Frauen gegen Machos – Humor entwickeln! Besser werden!“, SPIEGEL ONLINE, 25. März 2017 –

(…) Jüngst zog eine Journalistin los, um Thomas Fischer mal so richtig an die Wand zu klatschen. Was herauskam, war eine Punktlandung für den ehemaligen Bundesrichter und ein anklagend-quengelnder Artikel einer Frau. Wenn man Herrn Fischer begegnen will, sollte man sich klar darüber sein, dass das nur auf einer intellektuellen Ebene und am besten mit sehr viel Humor stattfinden sollte (…)

Fischer vorzuwerfen, dass er ist, wie er ist – ein in seiner Zufriedenheit gut eingerichteter, intelligenter, weißer, vermutlich wohlhabender Mann -, ist genauso blöd, wie einem Menschen das Atmen vorzuhalten. Fischer verachtet nicht Frauen, sondern Dummheit. Daran ist nichts verkehrt (…)