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Thor Steinar – mehr als nur ein Intermezzo?

Einmal mehr behandelt gegenwärtig die Rechtsprechung das öffentliche Tragen der von Neonazis bevorzugten Runen-Textilie regional unterschiedlich

Über einen nur relativ kurzen Zeitraum arrivierte Thor Steinar zur wohl bedeutendsten Modemarke in rechtsextremen Kreisen. Nach Angaben des Antifaschistischen Infoblatts (AIB) ist die Marke mit dem damals zugehörigen Runen-Logo erst im Oktober 2002 international registriert worden. Im Frühjahr 2003 gründeten die brandenburgischen Protagonisten mit nachweislichen Kontakten zur rechtsextremen Szene die MediaTex GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 Euro. Fast gleichzeitig wurde unter rechtlicher Verantwortung der MediaTex eine entsprechende Thor-Steinar-Website ins Internet gestellt. Die Werbung für Kleidung mit Thor Steinar beziehungsweise DIVISION Thor Steinar war zudem eindeutig. So warb beispielsweise das einschlägig bekannte Magazin RockNord für “patriotische Kleidung“ mit “nordischer Attitüde“. Nach Darstellung der Berliner Zeitung werden die Jacken und Pullover der Marke Thor Steinar in der Türkei angefertigt.

Eine um sich greifende Bekanntheit und entsprechende Identifizierung erlangte Thor Steinar in rechtsextremen Kreisen wohl hauptsächlich durch zwei im Firmenlogo miteinander kombinierte Runen: “Jede für sich in der NS-Zeit als Symbol von SS-Unterorganisationen missbraucht“ (Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2004). Im Zusammenhang würden Tyr- und Sig-Rune letztlich die Doppel-Sig-Rune der ehemaligen Waffen-SS zeigen, beurteilte später das Landgericht Neuruppin. Darüber hinaus kann die Wahl des Firmennamens Thor Steinar – unter offensichtlicher Bezugnahme auf den General der Waffen-SS Felix Steiner – als nicht gerade zufällig eingeschätzt werden. Eindeutiger positioniert sich wohl nur noch der bundesweit bekannte Neonazi Thomas “Steiner“ Wulff mit seiner selbstgewählten Namenserweiterung.

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(Alte Thor-Steinar-Rune)

Im Laufe der Zeit gelang der Aufklärungsarbeit über Thor Steinar die Sensibilisierung einer breiteren Öffentlichkeit. Im März 2004 wurden erste Strafverfahren gegen die Verwendung der Thor-Steinar-Runen eingeleitet. Diese Vorgehensweise erhielt im August 2004 ihre erste Bestätigung durch die vom Amtsgericht Prenzlau angeordnete Zahlung von 300 Euro wegen des Tragens eines Thor-Steinar-Pullovers. Kurze Zeit später, Ende Oktober 2004, wurden in einem einschlägigen Hennigsdorfer Szene-Laden Thor-Steinar-Textilien beschlagnahmt – und wegen der nicht eindeutigen Rechtslage wieder retour geführt.

Die Rechtsprechung erfolgte dann im November 2004 durch das Landgericht Neuruppin, welches die Beschwerde wegen der Beschlagnahme eines Thor-Steinar-Shirts als unbegründet zurück wies. Nach dem Urteil habe das Thor-Steinar-Firmenlogo “keinen anderen Zweck, als den Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zum Verwechseln ähnlich zu sehen und damit ein entsprechendes verfassungsfeindliches Bekenntnis darzustellen“. Schlussfolgernd stand damit das öffentliche Tragen von Thor-Steinar-Bekleidung unter dem Strafbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Unmittelbar darauf folgte ein Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen gegen die Herstellerfirma zur Beschlagnahme von Thor-Steinar-Symbolen und damit markierter Kleidung. Das sich so bezeichnende Deutsche Rechtsbüro (Selbsthilfegruppe zur Wahrung der Grundrechte nationaler Deutscher) im brandenburgischen Birkenwerder bat hernach in seinen Monatsnachrichten: “Tragen Sie Bekleidungsstücke mit dem ’Thor-Steinar-Logo’ nicht in der Öffentlichkeit und halten Sie sie auch nicht vorrätig, – nur der private Besitz eines einzigen solchen Stückes ist erlaubt.“ Ebenfalls im November 2004 untersagte Tschechien den Verkauf von Thor-Steinar-Kleidung. Das Amtsgericht Neuruppin verurteilte noch im Dezember auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Träger einer Thor-Steinar-Kapuzenjacke, zuzüglich anderer Delikte, zu vier Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

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(Das neue Firmensymbol)

Mit Beginn des Jahres 2005 präsentierte MediaTex ein neues Firmensymbol, welches nunmehr das verbotene Runen-Logo ersetzte. “Das neue Logo ähnelt dem Andreaskreuz, dem Kreuz an der Bahnschranke“, ließ MediaTex verlautbaren. Dieses Zeichen sei zudem “von der Staatsanwaltschaft begutachtet und nicht beanstandet worden“. Im darauffolgenden Februar befand das Landgericht Potsdam die Beschlagnahme der Runen-Symbole von Thor Steinar erneut als rechtens.

Gut ein halbes Jahr danach erklärte das Oberlandesgericht Brandenburg die Thor-Steinar-Runen für wiederum nicht verfassungswidrig. Zwar verkannte das Gericht bei seinem Urteil nicht, “dass die Textilien der Marke durch ihre farbliche Gestaltung und verwendeten Aufschriften gerade Personen der rechtsextremen Szene“ ansprechen würden. Allerdings sei derzeit “noch davon auszugehen, dass das Markenlogo – ähnlich der Assoziation der Zahl ’88’ mit dem Gruß ’Heil Hitler!’ – lediglich in rechtsextremen oder in polizeilichen oder juristischen Kreisen bekannt ist“. Somit waren Thor-Steinar-Verfahren wegen Benutzung verfassungswidriger Symbole eigentlich hinfällig und nichtig und das Tragen von jeglicher Thor-Steinar-Kleidung – zumindest in der Mark Brandenburg – generell wieder straffrei.

Aber es scheint für Neonazis durchaus schon beachtenswert, in welchen geografischen Gefilden sie mit Thor-Steiner-Runen in einer dahingehend – so jedenfalls nach Ansicht des Brandenburgischen Oberlandesgerichts – ungebildeten Öffentlichkeit posen. Ende Februar 2006 fällte das Berliner Amtsgericht Tiergarten auch wegen des Tragens von Thor-Steinar-Runen ein Urteil von sieben Monaten Haft auf Bewährung, verbunden mit 150 Arbeitsstunden gegen den Kapuzenshirt-Besitzer. Im Land Brandenburg wäre ihm das nicht passiert. Allerdings ist auch in der Bundeshauptstadt die Rechtssprechung nicht konform. Die Revision beim Kammergericht Berlin durch die Staatsanwaltschaft gegen einen richterlichen Freispruch in einem ähnlichen Thor-Steinar-Fall ist noch nicht entschieden. Eine bundesgerichtliche Rechtsprechung bezüglich der Thor-Steinar-Runen gibt es bisher nicht. Überdies steht die Erwägung einer millionenschweren Schadenersatzklage von MediaTex gegen das Land Brandenburg nach wie vor im Raum.

Die Agentur für soziale Perspektiven (ASP) bilanzierte in der letzten Auflage der von ihr herausgegebenen Broschüre Versteckspiel (Lichtstrahl in den Code-Dschungel der Neonazi-Szene): “Thor Steinar ist in vielen nichtrechten Ladengeschäften und Bekleidungsketten weiterhin erhältlich, obwohl im Zuge der juristischen Auseinandersetzungen um diese Marke ein rechter Hintergrund mehr als deutlich wurde.“ Zudem lässt sich bekanntlich auch trefflich über den tieferen Sinn oder Unsinn staatlicher Verbote rechtsextremer Symbolik diskutieren. Die Gesinnung ausgewiesener Rechtsextremisten ändert das allerdings nicht. Aber Legenden mit einem – vorerst noch vagen – Märtyrerhauch wie Thor Steinar verbinden. Legenden können mitunter lange fortleben.

[Dieser Artikel wurde am 5. März 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Deutsche Weltmachtansprüche – dieses Mal ohne die Waffen-SS

Eine Europaparlamentarierin versucht sich mit einer Polit-Annonce der besonderen Art. Ob sie auch verstanden wird?

Zugegeben, die Überschrift mag irritieren – und das soll sie auch. Mehr als nur zu irritieren, liegt wohl allerdings in der Absicht der Europaabgeordneten Ilka Schröder (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke).

Wer nach der Lektüre, oder dem einfachen Durchblättern, der letzten 2003er Ausgabe von konkret die hintere Umschlagseite erreicht hatte, der dürfte zumindest gestutzt haben. “Sie schaffen es – ohne Waffen-SS*“ prangt da auf grün-rotem Untergrund. Ist es schon wieder so weit?

Etwas kleiner gedruckt erforscht das aufmerksame Auge sodann “Deutschland wollte zwei Mal gegen Europa Weltmacht werden, der dritte Versuch wird mit der und durch die EU unternommen.“ Und noch kleiner gedruckt erspäht der immer noch Weiterlesende die Bedeutung des Sternchens hinter … Waffen-SS: “Nach einer Idee von Wolfgang Neuss.“

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Politische Werbung kommt häufig mit wenigen Schlagworten aus, erscheint demzufolge fast zwangsläufig holzschnittartig verkürzt in der Aussage. Deutschland – Europa – Weltmacht – EU – Waffen-SS: Was will uns die streitbare Parlamentarierin damit wohl nahe bringen? Ein ’Nie wieder!’? Ein ’Nicht weiter so!’? Oder ist gar Wolfgang Neuss (“Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“) an allem Schuld?

Über die Rolle und Bedeutung der Waffen-SS, nach dem II. Weltkrieg als verbrecherische Organisation verurteilt, muss an dieser Stelle wohl nichts weiter geschrieben werden. Die von Ilka Schröder in ihrer Anzeige – unterstellt wissentlich – herbeigeführte polemische Verbandelung politischer und historischer Stichwörter sollte allerdings durchaus einer aufmerksam näheren Betrachtung Wert sein. Oder ist doch Wolfgang Neuss an allem Schuld?

Wolfgang Neuss nämlich wird der Ursprung des von Ilka Schröder abgewandelt verwendeten Zitats zugerechnet. “Wir schaffen es, ohne Waffen-SS“ war einst Neuss’ satirischer Parolenvorschlag für den 1965er SPD-Wahlkampf. Zu gern immer wieder einmal aufgegriffen, kam – zugegeben vor Ilka Schröder – auch der Herausgeber von konkret, Hermann L. Gremliza, wiederholt kolumnen- und leitartikelmäßig um den Neuss-Satz nicht herum. Da zeigt sich scheinbar im Nachhinein sogar die Waffen-SS zumindest für die eine oder andere linke Polemik durchaus verwendbar.

Was Wolfgang Neuss (“Wir müssen Hitler so lange wiederholen, bis er ein Hit ist … ab 5 Uhr 45 wird zurückgelächelt“) zu seiner Instrumentalisierung in diesem Zusammenhang selbst sagen würde, werden wir nie erfahren. Immerhin vertrat Neuss die Auffassung “Es gibt ja gar kein geistiges Eigentum.“ Das sollte allerdings überdies nicht als etwaige Entschuldigung für alles aufgefasst werden können.

Ilka Schröder wiederum war auf mehrmalige Anfragen von Telepolis nur bereit, sich zu ihrer Annonce zu äußern, falls für sie die Gelegenheit bestehe, “etwas zu Deutschlands dominanter Stellung in der EU und der dazu nötigen Vergangenheitsbewältigung unterzubringen“. Fernerhin herrschte heftiges Schweigen aus Schröders EU-Abgeordnetenbüros. Vielleicht würde Neuss dazu letztendlich auch einfach nur anmerken: “Eine Frage schwirrt mir durchs Hirn: Kann man so geschickt schweigen, dass man verstanden wird?“

[Dieser Artikel wurde am 8. März 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]