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“Sturm 34“ erneut in Aktion – und das Zeitgedächtnis der Behörden

Mittweida/Dresden. Während in der Landeshauptstadt der Prozess gegen führende Köpfe der rechtsextremen Kameradschaft weiter geführt wird, versammelten sich Mitglieder und Sympathisanten des “Sturm 34“ in der westsächsischen Kreis- und Hochschulstadt.

So wurde die Polizei am gestrigen Nachmittag gegen 17.30 Uhr darüber informiert, dass sich auf einem Supermarkt-Parkplatz in Mittweida ungefähr 30 Personen versammelt hätten.

Bei der anschließenden Personalienfeststellung von 16 vor Ort Anwesenden stellten Polizeikräfte sieben Mitglieder des “Sturm 34“ fest, die sich eigentlich seit dem Verbot der Kameradschaft im April 2007 nicht mehr treffen dürften. Gegen die Betroffenen wurden Anzeigen wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz erlassen, alle Anwesenden erhielten einen Platzverweis (dpa).

Unterdessen stellt sich die zeitliche Abfolge der aktiven Tätigkeit des sich in Dresden unter den Angeklagten befindlichen Informanten Matthias R. nach wie vor keineswegs deutlicher dar. Der Staatsschutz-“Joker“ behauptet, er sei bereits ab Oktober 2005 für den polizeilichen Staatsschutz Chemnitz tätig gewesen. Dagegen bekräftigte ein leitender Chemnitzer Staatsschützer gestern vor Gericht, ein erstes persönliches Treffen mit dem Informanten habe erst etwa acht Tage nach der Gründung des “Sturm 34“ – die in der Nacht vom 4. zum 5. März 2006 erfolgte – stattgefunden. Dabei hätte der 40-jährige Matthias R. zwar von der Gründungsveranstaltung berichtet, ohne jedoch die konkrete Ausrichtung der Gruppierung zu benennen (ddp).

Darüber hinaus widersprach der leitende Staatsschutzbeamte der Darstellung des sächsischen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU), dass die Ermittlungen gegen den “Sturm 34“ bereits im März 2006 angelaufen seien. Nach Aussage des “ranghohen Staatsschutzbeamten aus Chemnitz“ (Sächsische Zeitung) vor dem Dresdner Landgericht, wäre die Ermittlungsgruppe “Sturm 34“ erst Ende Mai 2006 gegründet worden. Dem entgegen steht Buttolos bisherige Angabe, die rechtsextreme Kameradschaft sei bereits im April und dann noch einmal von Mitte Juli bis Mitte August 2006 observiert worden. Dem Chemnitzer Staatsschutzbeamten nach “gab es jedoch nur im April eine solche Maßnahme“ (Sächsische Zeitung).

In der, redok vorliegenden, Verbotsverfügung des Sächsischen Staatsministerium des Innern gegen die Kameradschaft “Sturm 34“ – “Sie setzt sich im Wesentlichen aus Mitgliedern der damaligen ’Division Sächsischer Sturm’ (DSS) zusammen“ – wurde das erste relevant festgestellte schwere Körperverletzungsdelikt behördlich am 20. April 2006 dokumentiert.

[Dieser Artikel wurde am 25. April 2008 bei redok veröffentlicht.]

Staatsschutz-“Joker“ beim “Sturm 34“

Dresden. Am zweiten Prozesstag gegen fünf führende Kader der rechtsextremistisch-militanten Kameradschaft outete sich einer der Angeklagten nun auch öffentlich als Informant des polizeilichen Staatsschutzes – es bleiben weiter offene Fragen.

Bislang wurde eher orakelt, ob überhaupt und wenn, für welche Behörde – Polizei, Staatsschutz oder LKA – der als “Joker“ titulierte Angeklagte tätig gewesen sein könnte. “Aus den Akten ergebe sich nichts. Was vermuten lässt, dass sie unvollständig sind“ (Dresdner Morgenpost). Der 40-jährige hatte sich vor kurzem an den Petitionsausschuss des sächsischen Landtages gewandt, weil ihm die angeblich als Informant zugesicherte Straffreiheit nicht realisiert wurde. Der Vorsitzende Richter Martin Schultze-Griebler nannte es zu Beginn des zweiten Prozesstages einen “ausgesprochen schlechten Stil“, dass der Angeklagte in einer Zeitung detaillierte Angaben zu seiner vermeintlichen Tätigkeit für den Staatsschutz der Chemnitzer Polizei gemacht hatte, bevor er sich im Prozess dazu geäußert habe.

Nach seiner heutigen Darstellung hatte der “Joker“ bereits mehrere Monate vor Gründung des “Sturm 34“ regelmäßige Kontakte zum Staatsschutz gehabt. So habe er per SMS Hinweise über Aktivitäten der Kameradschaft an Mitarbeiter der Staatsschutzabteilung bei der Chemnitzer Polizei gesendet, zudem auch Fotos übergeben. Im Gegenzug habe er Handykarten und etwa 1.000 Euro erhalten. Außerdem bestätigte der Angeklagte Vorwürfe aus der Anklageschrift. Der “Sturm 34“ sei gegründet worden, um in der Region Mittweida eine “national befreite Zone“ zu schaffen. “Der Staatsschutz war über die Gründung informiert“, betonte er. Im bisherigen Prozessverlauf hatte die Staatsanwaltschaft angegeben, Matthias R. sei erst nach der Gründung der Kameradschaft auf die Ermittler zugegangen. Bei der Gründung des “Sturm 34“ Anfang März 2005 wäre er, so der Angeklagte, aber dabei gewesen.

In gewisser Weise merkwürdig ist es allerdings wiederum schon, dass in der –  redok vorliegenden – Verfügung zum Verbot der Kameradschaft durch den sächsischen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU) vom 23. April 2007 bei den detaillierten Schilderungen der “Sturm 34“-Gründung besagter Informant nicht namentlich erwähnt wird.

Unterdessen verlangt die Abgeordnete Kerstin Köditz (Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag) von Minister Buttolo Antworten darauf, warum durch das Innenministerium über Jahre und auch nach dem Verbot von “Sturm 34“ die Existenz der Vorläuferorganisation “Division Sächsischer Sturm“ verschwiegen und zudem nicht darüber informiert wurde, dass ein erheblicher Teil der Tatverdächtigen des “Sturm 34“ nicht aus dem Kreis Mittweida, sondern aus dem Kreis Stollberg beziehungsweise aus Chemnitz stammt. Zudem sollen durch die Staatsregierung Erkenntnisse über die “enge Verflechtung zwischen dem gewalttätigen ’Sturm 34’ und der NPD“ offen gelegt werden. So seien nach einem Bericht der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge aus dem Mai 2006 die meisten Angehörigen des “Sturm 34“ ausdrücklich dem NPD-Kreisverband Mittweida zugeordnet worden. Zudem gebe es Berichte, dass der “Sturm 34“ – wie vormals ebenso die Skinheads Sächsische Schweiz – den Saalschutz bei NPD-Veranstaltungen gestellt habe.

Der Vorsitzende Richter vor dem Landgericht Dresden machte schon am ersten Prozesstag deutlich: “Das Gericht wird nicht zögern, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, auch wenn das für einige Behörden unangenehm ist“. Gleichfalls hatte Schultze-Griebler klar gestellt, dass das Verfahren platzt, wenn eine Mitwirkung des Staatsschutzes an der Gründung der Kameradschaft offenkundig wird.

[Dieser Artikel wurde am 11. April 2008 bei redok veröffentlicht.]

“Sturm 34“ – ein politisch missglückter Koitus interruptus?

Dresden/Mittweida. Der sächsische Innenminister hatte für die durch ihn letztendlich plakativ verbotene rechtsextrem-militante Kameradschaft wohl nicht alle Facetten im Blick – zur mittlerweile bekannt gewordenen augenscheinlichen Vorgängerorganisation “Division Sächsischer Sturm“ schweigt er bisher.

Die Freie Presse berichtet aktuell – “Wie aus der ’Division Sächsischer Sturm’ in Mittweida der ’Sturm 34’ wurde“ – nach offenbar neu gesichteten Materialien, dass “die gewalttätigen Aktivitäten von Mitgliedern der Gruppe nicht erst im Jahr 2005, sondern bereits im Jahr 2003“ begonnen hätten.

So zitiert die Zeitung beispielsweise einen Sachstandsbericht der Staatsschutzabteilung der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge vom 15. Mai 2006: “Der Großteil dieser Personen [’Sturm 34’] ist als Gruppe schon seit mehreren Jahren unter dem Namen ’Division Sächsischer Sturm’ zusammen, wo sie bereits gemeinsam Straftaten aus politischer Motivation heraus begangen haben.“

Am 21. Mai 2007 formulierte Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU): “Im Zusammenhang mit der verbotenen rechtsextremistischen Kameradschaft ’Sturm 34’ wird von organisierten Übergriffen ausgegangen, die im Jahr 2006 im Landkreis Mittweida durch Mitglieder der Kameradschaft veranlasst und begangen wurden. Da verschiedene Angehörige dieses Personenzusammenschlusses bereits im Jahr 2005 als gemeinsame Tatverdächtige bei rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ermittelt wurden, ist jedoch nicht auszuschließen, dass auch diese Taten gezielt begangen worden sind.“

Ein wenig merkwürdig erscheinen Buttolos dahingehende Äußerungen schon, wenn man sie – wie es die Freie Presse getan hat – mit der von ihm selber unterzeichneten Verbotsverfügung gegen den “Sturm 34“ vom April 2007 vergleicht: “In der Nacht vom 04.03. zum 05.03. wurde die Kameradschaft ’Sturm 34’ gegründet. Sie setzt sich im wesentlichen aus Mitgliedern der ehemaligen ’Division Sächsischer Sturm’ zusammen, die sich aus der rechtsextremistischen Szene Mittweida heraus bildete.“ Laut Angaben der Freien Presse habe ein Insider aus der Szene berichtet, “dass ’Sturm 34’ wohl nur gegründet wurde, um ein Verbot der Division ’Sächsischer Sturm’ zu umgehen“.

In den öffentlich zugänglichen Dokumenten des sächsischen Verfassungsschutzes (LfV) findet sich – so die Freie Presse – nur ein einziger Hinweis auf die “Division Sächsischer Sturm“ – und zwar “in einer Aufzählung über rechtsextremistische Bands“. Nach Recherchen spielte der mutmaßliche Rädelsführer von “Sturm 34“ in einer gleichnamigen Band sowie auch in der Vorgänger-Band mit dem Namen “Division Sächsischer Sturm“ – ebenso wie ein weiteres Mitglied des vor einem Jahr offiziell verbotenen “Sturm 34“.

Allein schon das Text-Repertoire der Bands zeige “die wahren Absichten der Truppe“ (Freie Presse):

“Das Dritte Reich muss wieder auferstehn. Die schwarz-weiß-rote Flagge wird wieder wehen.“

“Marschier für deine Sache, stell die Bonner an die Wand. Wir werden uns organisieren, Skinheads werden die Welt regieren.“

Bedeutend schwerer als diese Liedzeilen wiegen wohl allerdings die Straftaten aus dem Umkreis der “Division Sächsischer Sturm“ sowie nachfolgend des “Sturm 34“, die zudem noch nach der augenscheinlichen Enttarnung eines V-Mannes – mittlerweile “Joker“ genannt – und der ersten großen Razzia im Juli 2006 gegen die Kameradschaftsstrukturen weiter verübt worden sind. Das offizielle Verbot des “Sturm 34“ erfolgte im April 2007. Allerdings sei augenscheinlich “die Skinhead-Kameradschaft bereits seit 2003 aktiv [gewesen] und nicht erst ab 2005, wie Behörden und Staatsregierung bislang erklärten“ (ddp).

Zu Fragen “wieso nicht schon die Gründung von ’Sturm 34’ verhindert [wurde], wo doch bekannt war, dass ein Großteil der späteren ’Sturm-34’-Mitglieder bereits in der ’Division Sächsischer Sturm’ aktiv an politisch motivierten Straftaten beteiligt waren“ (Freie Presse), lehnt Sachsens Innenminister Buttolo bislang jede Stellungnahme ab.

[Dieser Artikel wurde am 8. April 2008 bei redok veröffentlicht.]

Hakenkreuz in menschlicher Haut

Mittweida. Die Kameradschaft Sturm 34 lässt offenbar nach wie vor grüßen. Eine 17-jährige Frau, die einer bedrängten sechsjährigen Spätaussiedlerin beistehen wollte, wurde von vier augenscheinlichen Rechtsextremisten schwer misshandelt.

Der Übergriff fand bereits am 3. November statt, wurde nach Polizeiangaben jedoch erst am 12. November angezeigt. Vorausgehend sei eine sechsjährige Spätaussiedlerin von den Rechtsextremisten herumgeschubst worden und habe laut geweint. Daraufhin kam die junge Frau dem kleinen Mädchen zu Hilfe. Berichten zufolge wurde die 17-jährige dann von drei Männern festgehalten, während ihr der Vierte mit einem skalpellähnlichen Gegenstand ein Hakenkreuz in die Haut ritzte. Der weitere Versuch, der 17-jährigen zudem noch ein SS-Zeichen in die Wange zu ritzen, scheiterte an der Gegenwehr des Opfers. Die junge Frau habe eine fünf Zentimeter große Schnittverletzung im Hüftbereich davon getragen. Tatbeteiligte seien vier glatzköpfige Männer gewesen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit.

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet, müssten eigentlich zahlreiche Menschen, die sich zum Tatzeitpunkt auf Balkons umliegender Häuser aufhielten, den Überfall bemerkt haben. Die Polizei hat allerdings bisher nach eigenen Angaben noch keine weiteren Zeugen ermitteln können. Das sechsjährige Mädchen habe den Hergang bestätigt, sagte ein Polizeisprecher. Rechtsmediziner hätten ausgeschlossen, dass sich die junge Frau die Verletzung selbst zufügte.

Mittlerweile gibt es einen Verdächtigen aus dem Raum Burgstädt, ein Haftbefehl wurde durch das Amtsgericht Chemnitz wegen nicht ausreichendem Tatverdacht allerdings abgelehnt. Der Beschuldigte sei nicht eindeutig identifiziert worden und habe Alibi-Zeugen gehabt (AFP). Bei einer Durchsuchung seines Zimmers in der Wohnung der Eltern wurden mit Sand gefüllte Lederhandschuhe und ein Abzeichen der rechtsextremen Kameradschaft Sturm 34 sicher gestellt.

Der Sturm 34 wurde Ende April 2007 vom sächsischen Innenminister nach dem Vereinsrecht als kriminelle Vereinigung verboten. Die staatliche Verbotsverfügung scheint die Strukturen dieser Kameradschaft jedoch nicht sehr nachhaltig beeinträchtigt zu haben, wie auch nach dem April 2007 wiederholt erfolgte rechtsextremistische Aktivitäten aus dem Umfeld des Sturm 34 in der westsächsischen Region zeigen.

Andererseits wurde Mitte November diesen Jahres die Verurteilung zu neun Monaten Haft auf Bewährung eines der führenden Köpfe des Sturm 34, Tom Woost, vor dem Landgericht Chemnitz rechtskräftig. Woost muss sich zudem noch vor dem Amtsgericht Chemnitz wegen gefährlicher Körperverletzung in mehreren Fällen, Nötigungen, Beleidigungen und dem Tragen von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen verantworten. Das Amtsgericht erklärte sich jedoch am Dienstag für einige der Anklagepunkte als nicht zuständig und verwies sie an die beim Landgericht Dresden angesiedelte Staatsschutzkammer, wo bereits gegen zehn Sturm 34-Mitglieder Verfahren anhängig sind.

Der bündnisgrüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi wirft unterdessen Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) vor, diesem sei “es offenbar nicht gelungen, für Sicherheit in Mittweida zu sorgen“.

[Dieser Artikel wurde am 23. November 2007 bei redok veröffentlicht.]