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Weiße Rosen in Dresden

Die Gedenkkultur anlässlich der Bombardierung am 13. Februar 1945 erfährt nicht erst zum 60. Jahrestag braune Schatten, allerdings dieses Mal deutlicher als je zuvor

Seit Wochen schon mobilisiert die rechte Szene, als ginge es darum, den Zweiten Weltkrieg noch nachträglich gewinnen zu wollen, wenigstens plakativ historisch umdeutend auf den Straßen der sächsischen Landeshauptstadt. Nicht, dass dort nicht schon seit Jahren am 13. Februar Rechtsextremisten jeglicher Couleur ihr vorgebliches Gedenken der Opfer zelebrieren würden (Dresden – wieder Zentrum der rechtsextremen ’Bewegung’?). Der 13. Februar 2005 soll nunmehr ein weiterer Meilenstein werden – hin zur Etablierung als jährlich größter bundesweiter Nazi-Aufzug, getarnt als “Trauermarsch zum Gedenken der Opfer des alliierten Bombenterrors 1945 in Dresden“.

Ein kleiner historischer Einschub sei an dieser Stelle erlaubt. Der Publizist Sebastian Haffner zitiert in seinen “Anmerkungen zu Hitler“ den als Nerobefehl in die Geschichte eingegangenen so genannten Führerbefehl vom 19. März 1945:

Alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen, sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebiets, die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören.

Weiter dokumentiert Haffner in seinem Buch die Erläuterung dieses Befehls durch Hitler:

Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil ist es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört ausschließlich die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen.

Außer auf der Website der auch in diesem Jahr verantwortlich zeichnenden Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) wird der Demonstrationsaufruf nach Dresden online so umfangreich plakatiert, wie selten zuvor für einen rechtsextremen Aufmarsch in der Bundesrepublik geworben wurde. Die avisierte Mobilisierung – teilweise ergänzt durch eigene Aufrufe und Kommentare sowie Angebote für organisierte Mitfahrgelegenheiten – ist politisch entsprechend kompatibel sowie geografisch fast schon flächendeckend. Dabei reicht das Spektrum unter anderem vom Störtebeker-Netz über Wikingerversand, Aktionsbüro Norddeutschland, Widerstand Nord, Aktionsbüro Mitte, Freier Widerstand, Aktionsbüro Rhein-Neckar, Aktionsbüro Saar, Aktionsbüro Thüringen, Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg, Elbsandsteinportal, Nationales Infoportal Bayern hin zu weiteren diversen Freien Kameradschaften. Ebenso aktiv in das rechtsextreme Mobilisierungsnetz eingebunden sind die “Deutsche Stimme“, Junge-Nationaldemokraten- und NPD-Websites sowieso und darüber hinaus natürlich auch das Nationale Jugendbündnis sowie das Nationale Bündnis Dresden.

Der Fraktionsvorsitzende der NPD im Sächsischen Landtag und Dresdner Stadtrat für das Nationale Bündnis, Holger Apfel, betonte im Vorfeld, die JLO sorge “seit vielen Jahren dafür, dass das Gedenken an die Opfer des Terrorangriffs nicht jenen überlassen wird, die sich durch einseitige Schuldbekenntnisse hervortun oder gar die gnadenlose Bombardierung deutscher Städte als Befreiungsakt feiern“. Apfel tritt nunmehr als Schirmherr über die JLO-Veranstaltung am 13. Februar auf, nach dem die JLO zuvor diese Schirmherrschaft Ministerpräsident Georg Milbradt und auch Fritz Hähle (CDU-Fraktionsvorsitzender) erfolglos angetragen hatte.

Eine von der NPD-Fraktion angemeldete “Trauerkundgebung zum Gedenken an die Opfer des anglo-amerikanischen Terrorangriffs auf Dresden vor 60 Jahren“ auf dem Platz vor dem Sächsischen Landtag wurde von Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) mit der Begründung, das Ansinnen widerspreche der Wahrung der Würde des Gedenktages, abgelehnt. Reiner Pommerin, Geschichtsprofessor an der TU Dresden, erklärte unmissverständlich den historischen Standpunkt:

Das Wort Holocaust ist eindeutig auf das unvorstellbare Grauen von Millionen getöteter Juden konzentriert. Die NPD will mit dieser Relativierung von den Verbrechen der deutschen Seite ablenken.

Der NPD-Landtagsabgeordnete Klaus-Jürgen Menzel indes äußerte, er sei der Ansicht, dass der Zweite Weltkrieg den Deutschen von den Amerikanern aufgezwungen wurde. Anlässlich des stattgefundenen Neujahrsempfangs der NPD-Fraktion betitelte die Partei-Zeitung “Deutsche Stimme“ den Landtag übrigens bereits als “national befreite Zone“.

In seinem kürzlich auch in Dresden vorgestellten Buch “Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945“ analysierte Frederick Taylor die Stadt wegen ihrer Rüstungsindustrie als “durchaus legitimes“ Kriegsziel. Menschlich und kulturell sei der Angriff aber eine furchtbare Katastrophe gewesen. Keine abschließende Antwort habe er – während einer Veranstaltung des Hannah-Arendt-Institus darauf angesprochen – auf die Frage, ob die Bombardierung Dresdens ein Kriegsverbrechen war, zumal diese schwierige juristische Frage nur auf dem Boden der damaligen Rechtsauffassung zu beantworten sei. Der britische Historiker betonte allerdings: “Viele Briten und auch ich wünschen sich immer wieder, dass es niemals zur Zerstörung Dresdens durch die Royal Air Force gekommen wäre.“ Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (F.D.P.) äußerte zu Taylors Buch: “Man muss auch Wahrheiten zur Kenntnis nehmen, die möglicherweise unangenehm sind.“ Mehreren Medienberichten zufolge haben linke Gruppen für den 13. Februar tausende Antifaschisten angekündigt. Man wolle “das Trauern um die Täter nicht tatenlos hinnehmen“.

Dresdner Persönlichkeiten, darunter Pfarrer Frank Richter (Demokratische Vertrauenswürdigkeit steht auf dem Spiel) und Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge, beabsichtigen am Abend des 13. Februar mit möglichst vielen Menschen auf dem Theaterplatz als “Zeichen der Mahnung und des Gedenkens“ eine große symbolische Kerze nachzubilden. Die Interessengemeinschaft “13. Februar 1945“ hat mittlerweile die Dresdner Bevölkerung aufgerufen, an diesem Tag – als Zeichen stummen Protestes gegen den Auftritt von Neonazis beim Gedenken an die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg – eine weiße Rose zu tragen. “Wir sind für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt“, erklärte die Interessengemeinschaft, deren “Aktion Weiße Rose“ von Dresdner Zeitungen und verschiedenen Organisationen unterstützt wird. Einen Bezug zu den ursprünglichen Namensgebern für die politische Bedeutung der Weißen Rose, Sophie und Hans Scholl, wollte die Dresdner Interessengemeinschaft allerdings scheinbar nicht herstellen. Unbeeindruckt zeigte sich die Interessengemeinschaft “13. Februar“ dann auch davon, dass bereits bei einem so genannten Gedenkmarsch von rund 700 Rechtsextremisten am 15. Januar 2005 in Magdeburg unter dem Symbol der Weißen Rose marschiert wurde.

Fast umgehend wurde auf einer rechtsextremen “Dresden-Gedenkseite-13. Februar“, auch unter “Massenmord“ auf einem russischen Server gehostet, aufgerufen: “Tragt in Dresden weiße Rosen! Als Zeichen stummen Protestes gegen das Gedenken an die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg soll die Bevölkerung nach dem Willen von Gutmenschen am 13. Februar ausgerechnet eine weiße Rose tragen … Zum Gedenktag kommen alljährlich Oppositionelle nach Dresden, die den alliierten Bombenholocaust anprangern … Weiße Rosen gehören uns allen! Wir fordern daher alle Teilnehmer des Gedenkmarsches auf: Tragt weiße Rosen zum Gedenken an die Opfer des Holocaust von Dresden!“

Allerdings ist dieses Ansinnen in der rechten Szene nicht unumstritten. So wurde es beispielsweise im Störtebeker-Netz als “schlechter Scherz“ kommentiert. Originalzitat: “Offensichtlich ist dem Verfasser des … Aufrufs nicht bekannt, dass es sich bei der Weißen Rose um ein Antifa-Symbol schlechthin handelt, mit dem man für gewöhnlich an die sogenannte Widerstandsgruppe der Geschwister Scholl & Co. handelt, die während des Zweiten Weltkrieges wegen fortgesetzter Wehrkraftzersetzung und Begünstigung von Feindmächten hingerichtet wurde. Und ausgerechnet damit soll man sich am 13. Februar in Dresden schmücken wollen … Wenn man partout den Blumenfreund spielen will, dann sollte man dies gefälligst mit einer Blume tun, die als Symbol des Deutschtums gilt, nämlich der Kornblume oder besser auf Blumen am Revers ganz und gar verzichten. Besser man verzichtet ganz darauf, als das man für nichts und wieder nichts die Äußerlichkeiten linksextremer Splittergruppen kopiert.“

Abschließend sei – der historischen Klarheit des Deutschtums wegen – noch einmal aus dem bereits erwähnten Haffner-Buch zitiert:

Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit genug ist, sein eigenes Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden … Ich werde dann dem deutschen Volk keine Träne nachweinen. (Adolf Hitler)

Die Ordnungsbehörden erwarten mittlerweile gut 5.000 Rechtsextremisten für den Abend in der sächsischen Landeshauptstadt. Dresden am 13. Februar – ein ganz normaler deutscher Trauertag im deutschen Winter 2005?

[Dieser Artikel wurde am 5. Februar 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]

Nur eine Landtagssitzung in Sachsen?

Während einer Aktuellen Stunde redet die NPD Klartext. Nur politisch Naive dürften sich jetzt verwundert die Augen reiben

Der neu gewählte Sächsische Landtag ist gut 100 Tage in Amt und Würden und hat in dieser Zeit schon mehrfach für Aufsehen weit über seine eigentlichen Ländergrenzen hinaus gesorgt (Demokratische Vertrauenswürdigkeit steht auf dem Spiel). Und die Sitzung vom 21. Januar 2005 dürfte vorläufig einen weiteren Tiefpunkt in der vormals demokratischen Geschichte des Hohen Hauses markieren.

Während einer anberaumten Schweigeminute für alle Opfer des Nationalsozialismus – “gleichviel durch welche Willkür- und Gewaltmaßnahmen sie zu Schaden gekommen sind“ – verließen die 12 Abgeordneten der NPD das Plenum. Die NPD-Fraktion wolle allein der Opfer der Bombardierungen deutscher Städte durch die Luftangriffe der Alliierten gedenken, wurde erklärt.

In seinem nachfolgenden Redebeitrag erklärte der NPD-Abgeordnete Jürgen W. Gansel: “Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaftigkeit aufgenommen.“ Gansel bezeichnete die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 als “Bomben-Holocaust“.

Der Alterspräsident des sächsischen Landtags, Cornelius Weiss (SPD), sagte in seiner Rede zur geschichtlichen Verantwortung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg den NPD-Beiträgen entgegenhaltend unter anderem:

Am Ende kehrte das Feuer in das Land der Brandstifter zurück. Wie sagte Heinrich Heine in hellseherischer Voraussicht: “Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Eine deutsche Stadt nach der anderen fiel den alliierten Bombenangriffen zum Opfer. Keine drei Monate vor Kriegsende traf dieses Schicksal auf besonders furchtbare Weise die Kunst- und Kulturstadt Dresden. So wichtig es ist, diese schrecklichen Ereignisse unserer gemeinsamen Geschichte in Erinnerung zu bewahren, so sinnlos, ja gefährlich ist es, sie gegeneinander aufzurechnen … Zur Erinnerung: Erst wollte der “größte Führer aller Zeit“ Österreich, dann das Sudetenland, dann Rest-Tschechien, dann den “Korridor“, dann ganz Polen und schließlich die ganze Welt. Ein Ver-Führer – ein ver-führtes Volk, das am Ende die Zeche zahlen musste. … Sorgen wir gemeinsam dafür, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Das und nichts anderes ist das Vermächtnis von Dresden, die Lehre aus jener furchtbaren Nacht vor 60 Jahren.

Weiss betonte weiter: “Wir dürfen das Dresdner Inferno niemals vergessen, wir dürfen aber auch nicht vergessen, wie es dazu kam.“ Hier nannte er beispielsweise die Machtergreifung Hitlers 1933, die Verfolgung der Juden, den Massenmord in Konzentrationslagern, die deutschen Bombardements auf das spanische Guernica und das englische Coventry. An die Demokraten im Parlament richtete der Alterpräsident seinen Appell, “mit aller Entschiedenheit jenen in den Arm zu fallen, die schon wieder nach der Brandfackel greifen“. Von der Zuschauertribüne des Landtags wurde die Rede von Cornelius Weiss aus einer Gruppe sehr zahlreich anwesender Rechtsextremisten heraus mit “alter Jude“ kommentiert.

Gansel wiederum sagte im Hinblick auf die Ausführungen des Alterspräsidenten, dass moralische Betroffenheit keine historischen Fakten ersetze. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS verließen daraufhin vollständig, die von SPD, CDU und F.D.P. teilweise den Plenarsaal. Gansel wörtlich: “Der Bomben-Holocaust von Dresden steht ursächlich weder im Zusammenhang mit dem 1. September 1939 noch mit dem 30. Januar 1933.“

Der NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel titulierte – “mit Schaum vor dem Mund und in Goebbelscher Manier“ (Weiss) – den 8. Mai 1945 als den “Tag der vermeintlichen Befreiung Deutschlands“ und sprach des weiteren davon, die “gleichen Massenmörder“, die Dresden am 13. Februar ausgelöscht hätten, seien “heute drauf und dran, neue Kriege vom Felde zu ziehen“.

Die Staatsanwaltschaft Dresden prüft gegenwärtig rechtliche Schritte. Die Vorgänge und Aussagen in der Landtagssitzung vom 21. Januar sollen wegen des Verdachtes auf Volksverhetzung “genauer ausgewertet“ werden.

Die NPD-Fraktion hat mittlerweile eine Kundgebung zum “Gedenken an die Opfer des anglo-amerikanischen Terrorangriffs auf Dresden vor 60 Jahren für den 13. Februar 2005“ vor dem Landtagsgebäude in Dresden angemeldet. Die Schirmherrschaft über den abendlichen so genannten Trauermarsch der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen hat “auf Beschluss der Fraktion“ Holger Apfel übernommen. Die Ordnungsbehörde der Stadt Dresden rechnet für diesen Tag mit 5.000 Rechtsextremisten.

[Dieser Artikel wurde am 22. Januar 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]

Demokratische Vertrauenswürdigkeit steht auf dem Spiel

In Sachsen wollen Wähler von Abgeordneten genaue Antworten zum politischen Verhalten gegenüber der NPD im Landtag

Nicht gerade alltägliche Post erhielten im letzten Monat des vorigen Jahres alle Abgeordneten der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, F.D.P., PDS und SPD im Sächsischen Landtag. Grund hierfür war nicht nur allein der Einzug von 12 rechtsextremen Mandatsträgern vor vier Monaten in das Dresdner Landtagsgebäude (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag) . Denn während der quasi ersten parlamentarischen Handlungen erhielt bei der Wahl des Ministerpräsidenten (Niemand will es gewesen sein) sowie auch der Ausländerbeauftragten (Das Spiel mit zwei Unbekannten geht weiter) der zu diesen Wahlgängen ebenfalls aufgestellte NPD-Kandidat jeweils zwei Stimmen aus anderen Fraktionen.

Grund genug beispielsweise für Studienleiterin Ramona Kapielski und Pfarrer Frank Richter, um die Vertrauenswürdigkeit gewählter Volksvertreter in Erfahrung bringen zu wollen. Beide sächsische Wähler baten fast zeitgleich und mit analoger Intention 112 Abgeordnete per Email und Postbrief um “klare Antwort“.

So fragte Ramona Kapielski – “entsetzt über die Ereignisse im Sächsischen Landtag“ – die angeschriebenen Abgeordneten unter anderem:

Wo stehen Sie? Ist es Ihre Stimme gewesen, die an die NPD-Abgeordneten gegangen ist? … Es ist nicht nötig, mich auf das Wahlgeheimnis aufmerksam zu machen. Das kenne ich, doch darum geht es mir an dieser Stelle nicht. Ich möchte konkret wissen, woran ich mit Ihnen als Person bin, mit Ihnen als Abgeordneten einer demokratischen Partei. … Ich frage mich schon jetzt: Wie soll ich je wieder zur Wahl gehen? … wen kann ich in Zukunft noch wählen? Wem kann ich vertrauen?

Im Telepolis-Gespräch betonten Kapielski und Richter übereinstimmend, dass es ihnen nicht darauf ankomme, die zwei unbekannten NPD-Unterstützer im Sächsischen Landtag ausfindig machen zu wollen. Für Ramona Kapielski konnte es hinsichtlich der politischen Verantwortung und Vorbildwirkung von gewählten Volksvertretern “so nicht einfach unwidersprochen“ weiter gehen. Frank Richter: “Die Aufforderung zu einem entsprechenden Outing der beiden politischen Hasenfüße überlasse ich der NPD selbst.“

Allerdings, so Richter weiter, setze ein solcher Bekenntnisschritt ja eine gewisse öffentliche Courage voraus, “die ich bei den ’unbekannten NPD-Abgeordneten’ nicht sehen kann“. Ramona Kapielski geht es mit ihren Fragen an die Abgeordneten hauptsächlich “um die politische Kultur und Zukunft unseres Landes“. Kapielski verdeutlichte darüber hinaus gegenüber Telepolis ihr eigenes Credo:

Pro Demokratie einzutreten und diese sowie parlamentarische Transparenz von Abgeordneten zu fordern, schließt für mich rechtsradikales Gedankengut allerdings aus.

Für Holger Apfel ist der Offene Brief von Ramona Kapielski ein “eklatanter Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ sowie “gegen demokratische Grundprinzipien, wie sie im Grundgesetz und in der sächsischen Verfassung festgeschrieben sind“. In seiner Funktion als NPD-Fraktionsvorsitzender reichte er diesbezüglich bei der Staatsanwaltschaft Dresden fast umgehend Strafanzeige wegen Nötigung von Verfassungsorganen ein. Frank Richter hält es für “zynisch, wenn Herr Apfel meint, die Gewissensfreiheit der Abgeordneten verteidigen zu müssen. Welche Gewissensgründe könnten es denn sein, die einen Abgeordneten dazu bewegen, heimlich die NPD zu wählen und öffentlich das eigene Parteiprogramm zu vertreten.“ Weiter sagte Richter zu Telepolis: “Soll mich Herr Apfel doch ebenso verklagen. Und vielleicht muss Herr Apfel ja zukünftig auch immer mehr sächsische Wähler so verklagen, wie er es gerade bei Ramona Kapielski versucht.“

Das rechtsextreme Störtebeker-Netz wiederum stellte die dort als “echt inquisitorisch“ titulierten Wähler-Anfragen an Abgeordnete des Sächsischen Landtags in einen Kontext mit “Hexenjagden … die in Vergangenheit und Gegenwart jeden freiheitlichen Gedanken bekämpften und noch bekämpfen“. Holger Apfel übrigens fungiert mittlerweile als diesjähriger Schirmherr über den so genannten Trauermarsch der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen anlässlich der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 (Dresden – wieder Zentrum der rechtsextremen ’Bewegung’?).

Über vier Wochen nach ihren Anschreiben liegen Ramona Kapielski und Frank Richter bisher Reaktionen von 45 Landtagsabgeordneten vor. Beide Fragesteller kündigten gegenüber Telepolis an, dass möglichst zeitnah eine publizistische Dokumentation dieser legitimen Wahrnehmung von politischen Auskunftsrechten veröffentlicht werden soll. Die erste Antwort aus dem Sächsischen Landtag ließ dazumal übrigens lediglich ganze zwei Stunden auf sich warten und beinhaltete die Aussage, es sei “ein wichtiger Brief zur richtigen Zeit“ gewesen. Scheinbar tritt also – wie oft unterstellt – nicht bei allen gewählten Volksvertretern nach Erreichen eines Mandats zwangsläufig eine Pseudo-Amnesie von urdemokratischen Grundsätzen ein, so wie beispielsweise des in Artikel 3 der Sächsischen Verfassung formulierten: “Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.“ Sachsen hat am 19. September 2004 gewählt – und sollte sich gerade auch aus diesem Wahlergebnis heraus täglich demokratisch deutlich verantwortungsvoll positionieren.

[Dieser Artikel wurde am 20. Januar 2005 bei Telepolis veröffentlicht.]

Das Spiel mit zwei Unbekannten geht weiter

Auch bei der Wahl zum Ausländerbeauftragten erhält der NPD-Kandidat im Sächsischen Landtag zwei zusätzliche Stimmen

Eigentlich weist die Sitzverteilung des Sächsischen Landtages für die NPD offiziell 12 Abgeordnetenplätze aus. Wie sich allerdings bereits bei der Wahl des Ministerpräsidenten vor gut vier Wochen zeigte, hat diese Parlamentsstärke der NPD scheinbar keine Gültigkeit. Damals gaben in zwei Wahlgängen jeweils zwei weitere Abgeordnete dem unter anderen als Mäzen der Skinheads Sächsische Schweiz geltenden Uwe Leichsenring (Trotz Verbot nach wie vor aktiv) als “Ministerpräsidentenkandidat“ ihre Stimme.

Und Geschichte wiederholt sich. Für die Nachfolge des bisherigen Ausländerbeauftragten Heiner Sandig (CDU) stellte die NPD unter der Titulierung “Ausländerrückkehrbeauftragter“ mit Mirko Schmidt wiederum einen eigenen Kandidaten zur Wahl auf. Der Landtagsabgeordnete Schmidt – der in der Vergangenheit die Aufnahme weiterer Ausländer desavouierte und sich als Anwalt des Volkes sieht – ist Mitglied des NPD-Landesvorstandes, Meißner Stadtrat und hat einen Sitz im Meißner Kreistag. Im geheimen Abstimmungsverfahren wählte der Landtag die vormalige Gleichstellungsministerin Friederike de Haas (CDU) zur neuen Ausländerbeauftragten des Freistaates Sachsen. Der NPD-Kandidat erhielt an diesem 9. Dezember – wie bei der Wahl des Ministerpräsidenten – die Stimmen von 14 Abgeordneten.

Wie schon nach der Ministerpräsidentenwahl (Niemand will es gewesen sein) gibt es auch jetzt im Sächsischen Landtag fast umgehend gegenseitige politische Schuldzuweisungen sowie Unschuldserklärungen aller Fraktionen jenseits der NPD. Machten vor vier Wochen noch die teilweise unsinnigsten Verschwörungstheorien die Runde, zeigt sich jetzt ein durchaus differenzierteres Bild. Bei einer internen Vornominierung hatte de Haas in der CDU-Fraktion 29 Stimmen von 45 anwesenden Abgeordneten erhalten. Die eigens von Bündnis 90/Die Grünen sowie PDS aufgestellten Amtsbewerberinnen, Elke Herrmann und Cornelia Ernst, erhielten im Landtagswahlgang genau so viele Stimmen, wie jeweilige Fraktionsmitglieder anwesend waren. Die F.D.P. hatte vor der Wahl erklärt, sie unterstütze definitiv die Kandidatin der CDU/SPD-Koalition. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Fritz Hähle, sagte hernach, er gehe davon aus, “dass die Koalition gestanden hat“. Thomas Jurk (SPD) wiederum bezeichnete die unbekannten Abgeordneten als “zwei Chaoten“-NPD-Unterstützer.

Nicht nur demokratietheoretisch ist und bleibt eine geheime Wahl natürlich eine geheime Wahl. Bleibt allerdings die Frage, ob und wann sich die beiden NPD-Sympathisanten auch öffentlich zu erkennen geben oder ob sie ihre undemokratischen Spiele auf dem falschen politischen Ticket anonym fortzuführen gedenken. Vielleicht ergibt sich ja für die beiden illegalen NPD-Mitglieder im Sächsischen Landtag auch bald Gelegenheit, entsprechend Farbe zu bekennen. Der NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel hat angekündigt, einen von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) in seiner Regierungserklärung verwendeten Vergleich, die NPD betreibe eine Propaganda wie Goebbels, juristisch prüfen zu lassen. Zumindest die NPD scheint um die Identität der beiden “vernünftigen Abgeordneten, die unsere Ausländerpolitik unterstützen“ (Apfel), zu wissen. Fragt sich nur, ob die auch wissen, womit sie da spielen.

[Dieser Artikel wurde am 10. Dezember 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag

Zwei Wochen staatlicher Antifa-Bemühungen reichen nicht, den ersten Einzug der NPD nach 36 Jahren in ein Länderparlament zu verhindern – der politische Rechtsruck in Sachsen kommt allerdings auch nicht überraschend

Es war 1998, als ein noch relativ unbekannter Fahrlehrer aus der Sächsischen Schweiz im Zuge seiner damaligen Bundestagsdirektkandidatur verlautbarte: “… es geht auch darum, Strukturen aufzubauen, um bereit zu sein, wenn es mal zum Aufstand Ost kommt“. Gut ein Jahr zuvor forderte ein damals fast ebenso Unbekannter in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift EINHEIT & KAMPF den Friedensnobelpreis für Rudolf Heß, “Märtyrer des Friedens!“. Der eine heißt Uwe Leichsenring – mittlerweile nicht nur in seiner Heimatstadt Königstein bekannt durch sehr gute Kontakte zur verbotenen rechtsradikalen Schlägertruppe Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), der andere ist Holger Apfel, Geschäftsführer des “Deutsche Stimme“-Verlags in Riesa. Beide sind Mitglieder der NPD und beide sind nunmehr auch Abgeordnete des Sächsischen Landtages.

Die letzten Tage vor der Landtagswahl in Sachsen erinnerten Beobachter durchaus an den staatlichen “Schickeria-Antifa-Sommer“ des Jahres 2000. Plötzlich öffneten Prominente und Wählerinitiativen – durchaus erschrocken über vorab prognostizierte Wahlchancen der NPD – ihr bis dato halb geschlossenes politisches rechtes Auge und riefen zu Wahlbeteiligung und Stimmabgabe für demokratische Parteien auf.

Die Studie des Bundesamtes für Verfassungsschutz “Ein Jahrzehnt rechtsextremistischer Politik“, in der eine sich mehr und mehr etablierende “organisationsübergreifende gemeinsame Front des völkisch-revolutionären Rechtsextremismus“ beschrieben wird, ist allerdings bereits spätestens seit Dezember 2001 jedem zugänglich. Selbst nach den diesjährigen Ergebnissen zur Europa- und Kommunalwahl herrschte im bürgerlich politischen Sachsen eher betreten beschwichtigendes Schweigen denn aktive Parteinahme gegen rechtsextremistische Parolen. Bezeichnenderweise sagte die bündnisgrüne Spitzenkandidatin Antje Hermenau dann am Landtags-Wahlabend: “Es ist Zeit, dass wir uns mit der NPD politisch auseinander setzen“.

Der Verlust der absoluten Mehrheit für die CDU, die erneuten Stimmrückgänge für die SPD, die auf einen weiteren historischen Tiefstand gesunken ist, der Wiedereinzug von Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. in den Sächsischen Landtag – all das wird in den Berichterstattungen überlagert vom Stimmergebnis für die NPD. Es war an diesem Wahlsonntag genau 18.36 Uhr, als vor dem gläsernen Landtagsbau in Dresden das Medieninteresse nur noch ein Ziel kannte: die Spitzenkandidaten und die Parteispitze der NPD.

In Siegerpose, umschirmt von Bodyguards, schritt Holger Apfel – bereits auch Stadtrat für das so genannte “Nationale Bündnis“ in Dresden – mit seinem Gefolge die breite Freitreppe empor. Später musste dann selbst der amtierende Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) leicht genervt minutenlang im Vorbereich des MDR-Wahlstudios ausharren, weil dort erst einmal Apfel interviewt wurde. Mit kurzzeitig ausgestrecktem rechten Arm und an der Seite des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, im Hintergrund die NPD-Fahne, verkündete Apfel im Statement-Bereich des Landtages einen “großartigen Tag für alle Deutschen, die noch Deutsche sein wollen“. Begleitet wurde sein Auftritt allerdings von lautstarken Unmutsbekundungen und “Nazis raus!“-Rufen. Auch vor dem Sächsischen Landtag demonstrierten an diesem Abend rund 300 Menschen gegen den Einzug der NPD.

Bereits wie bei den Europa- und Kommunalwahlen (Die Mitte der Gesellschaft?) erreichte die NPD örtliche Spitzenwerte: Reinhardtsdorf-Schöna 23,1 Prozent; Hohnstein 18,3 Prozent; Kreba-Neudorf 16,8 Prozent; Sebnitz 15,8 Prozent. Und im Wahlkreis 22 – Mittweida 2 – konnte die NPD beispielsweise mit 18,1 Prozent hinter der CDU die zweit meisten Direktstimmen auf sich verbuchen.

Wenn Politikwissenschaftler nach dieser Sachsen-Wahl eine mittlere Kurzlebigkeit des NPD-Erfolges prognostizieren und – wie Parteienvertreter ebenso – auf eine “Entzauberung“ im Parlament und Selbstbeschäftigung der Rechtsextremen mit sich selbst setzen, dann lassen sie – auch im Vergleich mit Sachsen-Anhalt und Brandenburg – die durchaus straffe personelle Organisation sowie eine mittlerweile erfolgte Verankerung der NPD in der Mitte der Gesellschaft unbeachtet. Der sächsische Verfassungsschutz beispielsweise befürchtet – so berichtet die Tageszeitung “Rheinpfalz“ unter Berufung auf eine entsprechende Notiz – nach der Wahl steigende Mitgliederzahlen bei der NPD. Die finanziellen Mittel und die Logistik für die längst ins Auge gefassten Strukturen werden der NPD nun auch staatlicherseits zur Verfügung gestellt – mit garantierter Wirkung über Sachsen und den Osten der Bundesrepublik hinaus.

Wie formulierte der eingangs bereits zitierte Leichsenring schon vor Jahren: “Natürlich sind wir verfassungsfeindlich. Wir wollen eine andere Gesellschaftsordnung“. Sachsen hatte die Wahl.

[Dieser Artikel wurde am 20. September 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]