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Update: “Sturm 34“-Prozess

Dresden. Bei der heutigen Prozessfortsetzung gegen führende Köpfe der militant-rechtsextremistischen Kameradschaft stellten Vertreter der Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen einen der Schöffen. Nach bisheriger Planung soll der Prozess in der nächsten Woche zu Ende gehen.

Die Verteidigung zitierte gegenüber der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden nach Darstellung der Nachrichtenagentur ddp aus einem medizinischen Gutachten, wonach der besagte Schöffe körperlich nicht in der Lage gewesen sei, dem seit 10. April diesen Jahres laufenden Verfahren länger als täglich zwei Stunden aufmerksam zu folgen. Diese gesundheitliche Beeinträchtigung des Schöffen wiederum hatte während der bisherigen Gerichtsverhandlungen zu lediglich einer – allerdings formal zulässigen – Unterbrechung des Prozesses geführt.

Darüber hinaus saß heute die Freundin des mitangeklagten Matthias R. (Staatsschutz-“Joker“) im Zeugenstand, der seit Juli 2007 eine zweijährige Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung verbüßt. Die junge Frau gab an, “dass ein Teil der Angeklagten an mehreren Überfällen teilgenommen habe“ (ddp).

Der Prozess gegen die führenden Kader der Ende April 2007 vom sächsischen Innenminister offiziell verbotenen Kameradschaft – deren Personenzusammenhänge offenbar nichtsdestotrotz quasi als Märtyrer der Bewegung weiter aktiv sind – soll nach den bisherigen Planungen in der nächsten Woche abgeschlossen werden.

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Ergänzung vom 10. Juli 2008:

Wie der Vorsitzende Richter Martin Schultze-Griebler heute gegenüber der Nachrichtenagentur ddp äußerte, wird das Urteil voraussichtlich am 18. August gesprochen.

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[Dieser Artikel wurde – vorerst ohne Ergänzung – ursprünglich am 3. Juli 2008 bei redok veröffentlicht.]

Sächsischer April-Ausklang

Dresden/Mittweida. Gegen den im presserechtlichen Sinn Verantwortlichen für die Schülerzeitschrift “perplex“ wurde Anklage erhoben. Mitglieder und Sympathisanten des “Sturm 34“ verstießen wiederholt gegen Auflagen des Verbotes der rechtsextremistischen Kameradschaft.

Wegen des Vorwurfes der Verunglimpfung des Staates, der Volksverhetzung sowie Verstößen gegen das Jugendschutz- und Pressegesetz hat die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Publikation “perplex“ vor dem Landgericht Dresden Anklage gegen den Landesvorsitzenden der sächsischen Jungen Nationaldemokraten (JN), Jens Steinbach, erhoben, wie am 29. April mitgeteilt wurde. Im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb besagter Zeitschrift führen Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt aktuell insgesamt zwölf Verfahren wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. So wird dahingehend unter anderem auch gegen den NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen W. Gansel ermittelt. Ob die Staatsanwaltschaft ihn anklagt, wird sich in den nächsten Tagen entscheiden (ddp). Weiterhin seien bislang gegen insgesamt fünf Beschuldigte Anklagen erhoben worden, vier davon seien “perplex“-Verteiler im Alter zwischen 18 und 31 Jahren. Die erste Auflage der Zeitschrift der rechtsextremen NPD-Nachwuchsorganisation wurde kurz nach ihrem Erscheinen als jugendgefährdende Schrift bundesweit indiziert – die zweite “perplex“-Ausgabe wurde teilweise konfisziert, die entsprechende Online-Version musste als Internet-Angebot stillgelegt werden.

Unterdessen teilte die Chemnitzer Polizei mit, am Abend des 28. April hätten sich mehrere Personen – “augenscheinlich der rechten Szene“ – in Mittweida zusammengefunden. Eine Überprüfung der Personalien habe ergeben, dass von den zwölf vor Ort befindlichen Jugendlichen sechs von den in der Verbotsverfügung gegen die Kameradschaft “Sturm 34“ erteilten Auflagen betroffen seien. Demnach dürfen sie sich nicht mehr an bestimmten Orten versammeln (dpa). Allen anwesenden 12 Personen wurde ein Platzverweis ausgesprochen. Die gesondert Betroffenen erhielten – teilweise erneut – Anzeigen wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz.

[Dieser Artikel wurde am 2. Mai 2008 bei redok veröffentlicht.]

“Sturm 34“ erneut in Aktion – und das Zeitgedächtnis der Behörden

Mittweida/Dresden. Während in der Landeshauptstadt der Prozess gegen führende Köpfe der rechtsextremen Kameradschaft weiter geführt wird, versammelten sich Mitglieder und Sympathisanten des “Sturm 34“ in der westsächsischen Kreis- und Hochschulstadt.

So wurde die Polizei am gestrigen Nachmittag gegen 17.30 Uhr darüber informiert, dass sich auf einem Supermarkt-Parkplatz in Mittweida ungefähr 30 Personen versammelt hätten.

Bei der anschließenden Personalienfeststellung von 16 vor Ort Anwesenden stellten Polizeikräfte sieben Mitglieder des “Sturm 34“ fest, die sich eigentlich seit dem Verbot der Kameradschaft im April 2007 nicht mehr treffen dürften. Gegen die Betroffenen wurden Anzeigen wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz erlassen, alle Anwesenden erhielten einen Platzverweis (dpa).

Unterdessen stellt sich die zeitliche Abfolge der aktiven Tätigkeit des sich in Dresden unter den Angeklagten befindlichen Informanten Matthias R. nach wie vor keineswegs deutlicher dar. Der Staatsschutz-“Joker“ behauptet, er sei bereits ab Oktober 2005 für den polizeilichen Staatsschutz Chemnitz tätig gewesen. Dagegen bekräftigte ein leitender Chemnitzer Staatsschützer gestern vor Gericht, ein erstes persönliches Treffen mit dem Informanten habe erst etwa acht Tage nach der Gründung des “Sturm 34“ – die in der Nacht vom 4. zum 5. März 2006 erfolgte – stattgefunden. Dabei hätte der 40-jährige Matthias R. zwar von der Gründungsveranstaltung berichtet, ohne jedoch die konkrete Ausrichtung der Gruppierung zu benennen (ddp).

Darüber hinaus widersprach der leitende Staatsschutzbeamte der Darstellung des sächsischen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU), dass die Ermittlungen gegen den “Sturm 34“ bereits im März 2006 angelaufen seien. Nach Aussage des “ranghohen Staatsschutzbeamten aus Chemnitz“ (Sächsische Zeitung) vor dem Dresdner Landgericht, wäre die Ermittlungsgruppe “Sturm 34“ erst Ende Mai 2006 gegründet worden. Dem entgegen steht Buttolos bisherige Angabe, die rechtsextreme Kameradschaft sei bereits im April und dann noch einmal von Mitte Juli bis Mitte August 2006 observiert worden. Dem Chemnitzer Staatsschutzbeamten nach “gab es jedoch nur im April eine solche Maßnahme“ (Sächsische Zeitung).

In der, redok vorliegenden, Verbotsverfügung des Sächsischen Staatsministerium des Innern gegen die Kameradschaft “Sturm 34“ – “Sie setzt sich im Wesentlichen aus Mitgliedern der damaligen ’Division Sächsischer Sturm’ (DSS) zusammen“ – wurde das erste relevant festgestellte schwere Körperverletzungsdelikt behördlich am 20. April 2006 dokumentiert.

[Dieser Artikel wurde am 25. April 2008 bei redok veröffentlicht.]

“Sturm 34“: Staatsschutz-“Joker“ wird passive Rolle zugeschrieben

Dresden. Im Prozess gegen fünf führende Köpfe der rechtsradikalen Kameradschaft bekräftigte heute ein leitender Staatsschutz-Beamter vor Gericht, der Informant sei erst nach der Gründung des “Sturm 34“ für die Behörde tätig geworden.

Die für den weiteren Prozessverlauf durchaus wichtige Zeitschiene der aktiven Tätigkeit eines der im Prozess Angeklagten für die Staatsschutz-Behörde ist nicht erst seit Beginn der Gerichtsverhandlung Gegenstand des Interesses. Die Sachlage stellte sich in der vorigen Woche vor Gericht so dar: Der als Staatsschutz-“Joker“ titulierte “Matthias R. will ab Oktober 2005 Informant gewesen sein. [Ein Staatsschutz-Beamter] im Zeugenstand: ’Nein. Erst im März 2006’“ (Dresdner Morgenpost).

Die bisherigen behördlichen Angaben – “seit Mitte März 2006“ – bestätigte heute der Leiter der Chemnitzer Staatsschutzabteilung vor Gericht. “Wir haben ihn nicht losgeschickt, um irgendwie Einfluss zu nehmen“, versicherte der Beamte. Der 40-jährige Informant sei auch belehrt worden, sich in heiklen Situationen zurückzuziehen und Alkohol möglichst zu meiden (AP). Der Staatsschützer bekräftigte zudem, dass der “Joker“ erst nach Gründung des “Sturm 34“ Anfang März 2006 direkt mit der Polizei in Chemnitz in Kontakt kam. Wobei dem beamtlichen “direkten“ Wortspiel vielleicht noch eine besondere Bedeutung zukommen könnte. Vorherige Kontaktversuche seien ohne Erfolg geblieben, so der Leiter des Chemnitzer Staatsschutzes. Weitere Informanten habe es in der im April 2007 verbotenen Kameradschaft – deren Strukturen nach wie vor aktiv scheinen – nicht gegeben.

Der Angeklagte sei im Mai 2006 selbst an einem brutalen Überfall beteiligt gewesen, hätte aber dazu von sich aus “sehr umfangreiche Angaben“ geliefert. Nachdem ein anderer Zeuge die Informationen bestätigte, seien Staatsschutz-Ermittlungen wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung angelaufen (AP). Gleichzeitig räumte der leitende Staatsschutzbeamte ein, dass es im Raum Mittweida bereits seit 2004 von einer Gruppe Jugendlicher immer wieder Überfälle auf Ausländer und Linke gegeben hat. Diese Taten seien allerdings lediglich als Einzelverfahren aktenkundig geworden.

[Dieser Artikel wurde am 24. April 2008 bei redok veröffentlicht.]

“Sturm 34“: Lückenhafte Zeitreise mit dem Staatsschutz-“Joker“

Dresden. Nach wie vor wird während des laufenden Prozesses gegen fünf führende Köpfe der rechtsextremen Kameradschaft nicht eindeutig ersichtlich, welche Rolle der Staatsschutz-Informant unter den Angeklagten zu welchem Zeitpunkt und mit wem gespielt hat. Die offenen Fragen werden nicht weniger.

Nach Darstellungen des Angeklagten Matthias R. habe er bereits mehrere Monate vor Gründung des “Sturm 34“ regelmäßige Kontakte zum Staatsschutz der Chemnitzer Polizei gehabt. Am gestrigen dritten Verhandlungstag wurde vor dem Landgericht Dresden eine Zusammenarbeit mit der Polizeibehörde mittlerweile auch offiziell nicht mehr in Abrede gestellt. Zwei Polizeibeamte bestätigten vor Gericht die Existenz des Informanten. Für seine Dienste erhielt der “Joker“ des Staatsschutzes 910 Euro sowie mehrere Telefonkarten im Wert von 100 Euro. Die durchaus brisante Frage, ob Matthias R. bereits vor der Gründung des “Sturm 34“ Staatsschutz-Informant gewesen ist, steht allerdings nach wie vor ungeklärt im Raum.

Matthias R. hatte erst kürzlich erklärt, er habe sich bereits Anfang Februar 2006 – vier Wochen vor der danach bekannt gewordenen Gründung des “Sturm 34“ – erstmals mit dem Staatsschutz getroffen. Mittlerweile stellt der “Joker“ des Staatsschutzes dar, “dass er bereits Ende 2005 auf die Ermittler zugegangen sei und ihnen seine Dienste angeboten habe“ (ddp). Unterdessen sagte einer der vor Gericht geladenen Staatsschützer aus, der 40-jährige Angeklagte habe sich erstmals im Januar 2006 an die Behörde gewandt. “Bislang hatte die Staatsanwaltschaft angegeben, dass der Angeklagte erst nach der Gründung der inzwischen verbotenen Gruppierung im März 2006 als Informant für die Staatsschutzabteilung der Polizei gearbeitet hat“ (ddp). Die Treffen, so die gegenwärtigen Staatsschutzangaben, hätten Mitte März beginnend stattgefunden – also gut eine Woche nach Gründung der militant-rechtsextremistischen Kameradschaft. Am 26. April 2007 wurde der “Sturm 34“ offiziell verboten.

Die gegenwärtige Sachlage stellt sich also – so die Dresdner Morgenpost – mehr oder weniger wie folgt dar: “Matthias R. will ab Oktober 2005 Informant gewesen sein. Polizist Jens L. (38) im Zeugenstand: ’Nein. Erst im März 2006.’“

Im Dunklen ist zudem nach wie vor, wie ein – wann auch immer stattgefundenes – erstes Date zwischen Staatsschutz und Informant zustande gekommen ist. So habe Matthias R. “am 8. März“ (ddp) eine SMS auf das Diensttelefon der Staatsschützer gesendet. Woher er zum damaligen Zeitpunkt allerdings “die geheime Nummer hatte, konnten weder Jens L. noch dessen Kollege Enrico K. (36) bei der Vernehmung erklären“ (Freie Presse).

Auch sei die Informanten-Tätigkeit von Matthias R. “bisher nicht in den Akten vermerkt“ (Dresdner MoPo). Dazu erklärten die beiden Staatsschützer vor Gericht, dies wiederum wüsste nur allein der Dezernatsleiter. Der Staatsschutz-Vorgesetze sei nun für den kommenden Donnerstag als Zeuge geladen worden, kündigte der Vorsitzende Richter Martin Schultze-Griebler an – der besagte Beamte “kommt heute erst aus dem Urlaub zurück“ (Dresdner MoPo).

Unterdessen lieferte der sächsische Landesverband der NPD mittels einer Erklärung – “Politisch inszenierte ’rechte Gewalt’ durch V-Leute von Polizei und Geheimdiensten?“ – ein durchaus pikantes Detail zum “Sturm 34“-Prozess. So erklärte der Parteisprecher Andreas Storr, der Angeklagte Matthias R. habe ab 2. November 2005 der NPD angehört – also lange vor dem ersten Treffen mit der Polizei (Freie Presse). Matthias R. hatte bislang behauptet, er sei auf Geheiß des Staatsschutzes Mitglied der NPD geworden.

Zudem werden – beispielsweise in der Sächsischen Zeitung – neue Fragen laut: Warum beantragten die Ermittler schon nach zwei Wochen eine Prämie von 500 Euro für ihren Informanten? Enttarnten sie R. durch eine Ungeschicklichkeit möglicherweise selbst? Und unter welchen Umständen wechselte der V-Mann vom Zeugen zum Beschuldigten und Angeklagten? – Fragen über Fragen.

[Dieser Artikel wurde am 18. April 2008 bei redok veröffentlicht.]