Archiv der Kategorie: CulturalScene

MedienScreen # 89 [DDR-Märchenwald. Pittiplatsch, Schnatterinchen, Mischka. Geheimnisse?]

[Fundstück] Stefan Schwarz, “Pitti kam aus Afrika“, schwarzleser.de, 18. Oktober 2010 –

[…] Kurz gesagt geht es mir um den Nachweis, dass die Charaktere des DDR-Kinderfernsehens Problemlagen und Gruppenkonflikte des Ostens zwar im Puppenformat aber ansonsten völlig unverhüllt darstellten. Genauer gesagt: Was da jeden Abend über den Bildschirm flimmerte, war ein realistischer Spiegel der Gesellschaft, gegen die jede Prenzlberger Untergrund-Lesung wie eine Grußadresse ans Politbüro wirken musste. Dass die Oberen dessen nie gewahr wurden, kann man nur dem professionellen Tunnelblick der Parteizensoren zuschreiben, der – wie der Betrunkene seinen Schlüssel unter der Laterne – seine Feinde immer nur dort suchte, wo er sie üblicherweise zu finden hofft. Was also verkörperten die Figuren des DDR-Abendgrußes?

Pittiplatsch

Pittiplatsch wird immer als Kobold bezeichnet. Das ist nicht nachvollziehbar. Ein oberflächlicher Blick auf Begriff und Bild des Kobolds in der germanischen Mythologie zeigt, dass keinerlei Ähnlichkeiten bestehen. Tatsächlich ist Pittiplatsch von außerordentlich dunkler Hautfarbe, hat eine runde Nase und große leuchtende Augen (die Ähnlichkeit mit dem ehemaligen mosambiquanischen Präsidenten Samora Machel geht ins Doppelgängerische), trägt eine saucoole Pelzweste, wie sie später verständlicherweise von der afroamerikanischen Rapperszene (vgl. Piff Diddy) übernommen wurde. Wenn man jetzt dazu noch weiß, dass Pittiplatsch Anfang der 1960er plötzlich bei Meister Nadelöhr auftaucht, also in der Zeit der intensiven Kontaktaufnahmen zwischen dem sozialistischen Lager und den afrikanischen Befreiungsbewegungen drängt sich der Schluss auf, dass Pitti mitnichten ein Kobold sondern vielmehr ein zu Ausbildungszwecken in die DDR verschickter Afrikaner ist. Ethnisch gesehen ist Pittiplatsch wahrscheinlich ein Bantu. Mit Pitti (vermutlich von Suaheli “Pitia“ = “Vorbeikommen“) kommt Jahre vorm westdeutschen Gastarbeitermitfühl-Hit “Griechischer Wein“ die Migrantenproblematik im (ost!)deutschen Fernsehen zur Sprache. Denn Pittiplatsch erweist sich selbst als außerordentlich schwer integrierbar. Obschon er versucht, sich äußerlich seiner deutschen Umgebung anzupassen (Filzpantoffeln!), verleitet ihn seine typisch afrikanische Impulsivität und sein Hang zu Schabernack immer wieder zu Disziplinverstößen und sehr undeutschen Eigenmächtigkeiten, um die sich die Großzahl aller Märchenwaldgeschichten drehen. Ein weiteres Indiz seiner afrikanischer Abkunft ist sein ausgesprochener Familiensinn. Anders als die meisten deutschen, sonderbar verwandtenlosen Märchenwaldbewohner (ein Hinweis auf die zerrissenen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West?) hat Pittipatsch eine ausgedehnte Familie von ähnlich pflichtvergessenen, der protestantischen Leistungsethik abgewandten Radaubrüdern und -schwestern, die er mindestens einmal im Jahr besucht.

Schnatterinchen

Im scharfen Kontrast zu Pittiplatsch steht Schnatterinchen: Eine gelbe, damit – wie das Federkleid verrät – noch sehr junge, aber schon sichtbar korpulente und unaufgefordert altkluge Ente. Schnatterinchen, das fleischgewordene Hausbuch, die gegen alles, was spannender ist als Aufräumen und Stühlehochstellen, erhebliche Bedenken trägt, zeigt den jungen Fernseh-Zuschauern drastisch, was aus einem werden kann, wenn man die sozialistischen Moralgebote wirklich verinnerlicht. In ihrer demonstrativen Fadheit steht Schnatterinchen für einen asexuellen FDJ-Kreisleitungstypus, der auf die Beschränkungen des real existierenden Sozialismus reagiert, in dem er seine Individualität quasi wegpackt, und im hegelschen Sinne lieber “heiß auf Langeweile“ wird. Es ist sicher diesem abtörnenden Role Model zu verdanken, dass sich die allermeisten Mädchen in der DDR später dafür entschieden, keine “Schnattchen“ zu werden, wie die öde Flauschente in Kurzform hieß, sondern lieber “Schnittchen“.

Mischka

Die Ersetzung der braven deutschen Teddyfigur Bummi durch den russischen Schwarzbären Mischka Anfang der 70er Jahre, macht nun auch den Vorschulkindern klar, dass der Kurs Walter Ulbrichts, die DDR aus dem Status eines Satellitenstaates des russischen Kolonialreichs herauszuführen, auf der ganzen Linie gescheitert ist. Gleichsam mit der von Moskau beförderten Amtseinführung des gehorsameren Honeckers erscheint in der Parallelwelt des DDR-Abendgrußes der Bär Mischka als russischer Beobachter, der seine aufreizende dramaturgische Überflüssigkeit gar nicht zu verbergen sucht. Mischka, der Bär ohne Eigenschaften, der entbehrbare Bär, ist nicht auf Abenteuer und Geschichtchen aus. Er soll den Märchenwaldbewohner nur als Erinnerung dienen, dass es nicht nur den lustigen ostdeutschen Märchenwald gibt, sondern auch weniger lustige, aber dafür ausgedehnte boreale Nadelwaldzonen jenseits des Urals mit sehr unkomfortablen Barackensiedlungen.

[…] Natürlich ist diese kleine Soziologie des DDR-Abendgrußes unvollständig […]

MedienScreen # 88 [Grabendenken]

[Fundstück] Richard Schuberth, “Denken? Denken!“, konkret, 3/2016 –

(…) Emotion verwechselt sich dieser Tage mit Aufklärung. Dabei ist die Emotion durchaus berechtigt, sie merkt nur nicht, dass sie sich, ihres Korrektivs, des kritischen Denkens, entledigt, in genau jene Kanäle ergießt, die für sie ausgehoben wurden (…)

MedienScreen # 87 [Fischer im Recht. Journalismus und Qualität als solche]

[Fundstück] Thomas Fischer, “Im Rausch – Warum dürfen wir nicht betrunken Auto fahren? Sie glauben es zu wissen? Wenn Sie sich da mal nicht täuschen.“, Zeit Online, 1. März 2016 –

Bitte erlauben Sie mir, liebe Leser der heutigen Kolumne, einen kleinen Rückblick auf die vorausgegangenen vier voranzustellen (…)

(…) Von 30 Journalisten, mit denen der Kolumnist gesprochen hat, meinten 29, sie selbst, ihr Medium, ihre Redaktion und ihre Arbeit könnten unmöglich mit den (angeblich feindseligen, “pauschalisierenden“ oder verzerrenden) Urteilen des Kolumnisten gemeint oder getroffen sein. Diesem mangele es eklatant an Differenzierung, Genauigkeit und Unterscheidung von “Qualität“ und “Nicht-Qualität“. Ein besonders schmerzlicher Vorwurf: Der Kolumnist “betreibe das Geschäft von Pegida“. Manche meinten, im Vertrauen, man dürfe die von mir kritisierten Beispiele sowieso nicht dem “Qualitätsjournalismus“ zurechnen (…)

(…) Verehrte Qualitätsjournalisten! Lassen Sie mich (…) sagen, dass ich diesen Begriff, den Sie für sich ausgewählt haben, um sich von irgendeinem verachteten Untergrund zu differenzieren (wenn er nicht dabei ist), ausgesprochen albern finde. Es ist daher wahrscheinlich, dass er mir etwas ironisch herausrutscht. Kein Richter, Rechtsanwalt, Schriftsteller oder Musiker würde auf die Idee kommen, sich öffentlich als “Qualitätsjurist, -musiker usw.“ zu bezeichnen, um sich damit von einer imaginären Bande von Nichtskönnern abzuheben, die immer aus denen besteht, die gerade nicht mit am Tisch sitzen. Schon das (ganz ernsthafte!) Hervorheben des Begriffs des “Qualitätsjournalismus“ und der Vorwurf an den Kolumnisten, er verwende dieses Wort “ironisch“ (wohl wahr!), offenbart das Jammertal eines Berufsstands, der sich als solcher ständig in einer Selbstbehauptungs- und Verteidigungsposition wähnt (…)

MedienScreen # 86 [Sachsen-Anhalt – Blood, Sweat and Tears?]

[Fundstück] Reinhard Bingener, “Sachsen-Anhalt – Zehn Gründe, warum die AfD durch die Decke schießt“, FAZ Online, 1. März 2016 –

(…) Wer durch das Land fährt, beobachtet gleichwohl eine Unzufriedenheit, die zur Lebenshaltung geworden ist. Wenn die Aufnahmegeräte ausgeschaltet sind, beklagen sich Landespolitiker, dass der Wähler in Sachsen-Anhalt ziemlich oft ein verdrießlich schauendes, schnoddriges, mürrisch-mauliges Wesen ist. Im “Glücksatlas“ belegt Sachsen-Anhalt in der Tat regelmäßig einen der hintersten Plätze (…)

(…) Kommunalwahlen in dem Bundesland werden regelmäßig als Feste des Desinteresses begangen. Mit dem Fernbleiben von der Wahl wollen viele Nichtwähler ihre Verachtung für das politische System dokumentieren – ein politisches System, das zig Milliarden Euro für die Sanierung der Städte ausgegeben hat und viele weitere Milliarden für den Bau der Straßen, auf denen sie tagtäglich fahren. Ohne das Geld aus Westdeutschland würden auch die Nichtwähler noch heute durch verrottete Innenstädte laufen. Man kann lange darüber grübeln, worauf ein solcher Mangel an Einsicht über den Grund für den eigenen Lebensstandard beruht. Man kann die Sache aber auch einfach moralisch betrachten: als Undankbarkeit (…)

Mit mehr als achtzig Prozent Konfessionslosen ist Sachsen-Anhalt das Bundesland, in dem die Entchristlichung am weitesten vorangeschritten ist (…)

[Fundstück] “Hass in Fontänen: Die Schande Ostdeutschland“, politplatschquatsch.com, 3. März 2016 –

(…) Was für ein Hass, den der FAZ-Analyst Reinhard Bingener da in Fontänen ausstößt (…)

Es ist die Logik eines wahren Gläubigen: Wo kein Christ, da kein Gott. Wo kein Gott, da kriminelle Enthemmung, Verfall der Sitten, Grenzbruch und Gewalt (…)

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Mit Dank & Gruß an PPQ und dortselbst im vollständigen Original.

“Die schützende Hand“ spricht

“Wolfgang Schorlau hat einen Detektiv erfunden, der an den Säulen der Gesellschaft sägt“ (Neue Ruhr Zeitung) – steht im Klappentext zum fünften Fall von Georg Dengler, besagtem Detektiv, zu lesen.

Nunmehr durchlebt der fiktive Privatermittler mit BKA-Vergangenheit seine achte Geschichte und erfreut sich dabei offenbar einer gewissen Aufmerksamkeit. Was nicht allein am – aus der bisherigen Dengler-Reihe herausragenden – Buchformat liegt.

Die Krux scheint im Inneren, beim Thema von “Die schützende Hand“, zu finden sein. Geht es doch zuvorderst um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Besser gesagt: Was war oder was nicht war. Und was wahr sein könnte. Denn allein strafprozesstechnisch ist die Geschichte des NSU längst nicht durchreflektiert. Und der so genannte NSU-Prozess ist nur eine Seite der Historie. Open End?

Offene Fragen scheint es auch in puncto Schorlaus Werk zu geben. Auf jeden Fall deutliches Interesse. Oder Schwierigkeiten beim Verständnis. Teilweise zumindest. Vielleicht auch nur Interpretationsfragen. Tiefergehend?

Rund um die “Schützende Hand“ (Kiepenheuer & Witsch, 2015) möge das Folgende – mit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit – einfach mal so stehen bleiben. Vorerst? Lesen bildet …

friedensblick.de [7. Dezember 2015, Dirk Gerhardt] – (…) Eine fiktive Aufbereitung eines Themas bedeutet nicht, dass alles Fiktion ist. Dies ist nur der Wunschglaube oder besser das, was einige gerne glauben wollen oder glaubend gemacht werden sollen. Die Phantasten sind doch diejenigen, die meinen, nur weil es fiktiv daherkommt, können die behandelten Fakten auf keinen Fall der Wahrheit entsprechen, weil “Die so etwas nicht machen würden” (kategorisch, a priori) oder “Irgend jemand davon berichtet” hätte oder andere, naive Weltvorstellungen (…)

rotfuchs.net [7. Dezember 2015, Arnold Schölzel] – (…) Die Rezensenten der “Schützenden Hand“ trauen sich nicht, das Fazit des Buches zu formulieren: Behörden und Beamte der Bundesrepublik Deutschland sind Urheber und Vertuscher von Kapitalverbrechen. Da ist die Rede von “irritierend“ (Hessischer Rundfunk), “dubiose Rolle der Ämter für Verfassungsschutz“ (Freitag), “Blick in den Abgrund“ (Süddeutsche Zeitung). Das ist gegenüber dem “Pannen“-Gefasel ein enormer Schritt, aber das BRD-Biedermeier wird nicht verlassen, etwa um für Aufklärung zu sorgen. Schorlau liefert sie (…)

Telepolis [11. Dezember 2015, Walter Gröh] – NSU-Terroristen: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese (…)

hagalil.com [28. Januar 2016, Ramona Ambs] – (…) Es ist ein mühsames Buch. Mühsam zumindest für Journalisten, die beim Lesen ständig gegen checken (wollen & müssen), was Fiktion ist, und was real. Und vieles von dem, was real ist, würde man sich ins Reich der Fiktion wünschen, … in das Hirn eines verschrobenen Autors, der sich wilde Verschwörungstheorien baut. Leider aber sind die schockierendsten Details stets real – und die schöneren Momente – fiktiv … (…)

konkret [2/2016, Friedrich C. Burschel] – (…) An Wolfgang Schorlaus neuem Polit-Krimi zum NSU werden auch Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger ihre Freude haben (…)

nsu-watch.info [13. Februar 2016] – (…) Eine literarische oder künstlerische Verarbeitung des Stoffes des NSU-Komplexes ist legitim, sie ist auch wünschenswert und die vielen meist guten, mitunter misslungenen Theaterstücke zeigen, dass das möglich ist. Doch der Krimi “Die schützende Hand“ verkauft sich als “Dokufiktion“, er will mehr sein als nur Literatur – und das ist sein großer Fehler (…)

lecorte.de [15. Februar 2016, Tomas Lecorte] – (…) Ein Kriminalroman darf gewiss zuspitzen, manches übertreiben, ohne sich am gleichen Maßstab messen zu lassen wie ein Sachbuch. Doch Schorlaus Buch ist kein Kriminalroman. Schorlau selbst ist es, der die Messlatte bedeutend höher legt, wenn er sagt, sein Buch solle der Aufklärung dienen und “zeigen, wie es wirklich ist“, es sei die “Ermittlung eines Staatsverbrechens“ und seines Erachtens “deutlich realitätstüchtiger als die offiziellen Bekundungen“ (…)

Telepolis [20. Februar 2016, Wolfgang Schorlau] – Mundlos und Böhnhardt: Zweifel an Selbstmord-Hypothese. Antwort und Richtigstellung eines Telepolis-Artikels (…)

lecorte.de [22. Februar 2016, Tomas Lecorte] – NSU: Schorlau verteidigt seine “Schützende Hand“ gegenüber telepolis (…)

Telepolis [1. März 2016, Walter Gröh] – Mundlos und Böhnhardt: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese. Eine Antwort auf Wolfgang Schorlaus Richtigstellungen seiner Argumentation in “Die schützende Hand“ (…)

“Sprich zu der Hand!“, fabulierte der Terminator in Rebellion der Maschinen. So zweifelsfrei einfach ist es allerdings nicht immer.