Archiv der Kategorie: Hooltras

FC Hansa Nazi?

Vier Tage nach den Ausschreitungen von Rostock schlagen die Betroffenheitswellen nach wie vor hoch, allerdings mehren sich auch Vorwürfe um das Versagen eigentlich Verantwortlicher.

Die Bilanz des Skandals am Rande der Zweitliga-Begegnung zwischen dem FC Hansa Rostock und dem FC St. Pauli am Abend des 26. September lautete aus offizieller Sicht: Einsatz von zwei Wasserwerfern und Tränengas, 52 vorläufige Festnahmen, 15 Verletzte, darunter sechs Polizisten. Die Polizei war, so die Nachrichtenagentur DPA, mit einer Deeskalationsstrategie und über 600 Beamten in Bereitschaft. Das Spiel war vorab nicht als Risikospiel eingestuft worden. Vielleicht auch deswegen, weil der Weltfußballverband Fifa den Spieltag weltweit als so genannten Fair-Play-Day tituliert hatte.

Theo Zwanziger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und sich gerade auf Promotion-Tour durch die fußballgeografische Landschaft des Ostens der Bundesrepublik befindend, reagierte mit Unverständnis (“enttäuschend und frustrierend“) auf die Rostocker Randale und befand zugleich, die Gesellschaft müsse sich fragen, “warum die Hemmschwelle für Gewalt so niedrig ist“. Nach Darstellungen der Rostocker Polizei hätten sich die einheimischen Fans nicht an eine Abmachung gehalten, die zuvor zwischen Anhängern, Verein, Ordnungsdienst und Polizei getroffen worden seien – Absprachen also mit einem Ordnungsdienst beispielsweise, der “sich davon machte, als Hansa-Hooligans zum Sturm auf den Gästeblock ansetzten“ (welt.de).

Mittlerweile hat der FC St. Pauli die skandalösen Umstände im Umfeld des Rostocker Zweitliga-Spiels zusammen gefasst und eine Stellungnahme mit dokumentierten Vorkommnissen des Abends beim DFB sowie bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) eingereicht. Einer unter mehreren aufgeführten Punkten ist, “dass St. Pauli-Profi Morike Sako aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe zum Opfer rassistischer Beschimpfungen durch die Rostocker Anhänger geworden war“.

“Es ist nichts ungewöhnliches, dass Neonazis beim Fußball auftauchen, das ist nicht schön, kommt aber des Öfteren vor“, so der auch fußballerisch bewanderte Journalist Patrick Gensing – mitnichten alle Hansa-Fans als Nazis bezeichnend – in seinem Erlebnisbericht zu besagtem Abend. “Das Erschreckende in Rostock ist das (Nicht-)Verhalten der Masse der Zuschauer gegenüber Nazis und Schlägern, nicht einmal gab es Unmutsbekundungen über die aggressiven Pöbeleien“. Für Gensing durchaus Zeichen einer “volksgemeinschaftlichen Abwehrreaktion“, zudem im Verbund mit augenscheinlich agierenden “rechten Hools [als] die Speerspitze und Vollstrecker des Hansa-Willens“. Eine Botschaft, die der FC Hansa Rostock so wohl nicht sehr gerne lesen dürfte. Oder? “Dazu kann man nicht mehr viel sagen“, scheinbar jedenfalls – so jedenfalls der lediglich als abhängig beschäftigt angestellte Hansa-Trainer Frank Pagelsdorf zum vergangenen Freitag Abend in Rostock. Wenigstens Hansa-Vorstandschef Dirk Grobow bezog Stellung und kündigte an, die Beteiligten zur Rechenschaft ziehen zu wollen.

Allerdings wird sich “ohne deutliche Distanzierungen der Verantwortlichen in Rostock niemals etwas ändern“ (Hamburger Abendblatt). Nach den Erfahrungen von Patrick Gensing dürfte es darüber hinaus sehr fraglich sein, “ob die Hansa-Verantwortlichen endlich einmal ihr rechtes Fanpotenzial thematisieren, ob sie die Feindseligkeit gegenüber Gästen ansprechen, ob sie die Gründe für den teilweise unzureichenden Schutz ihrer Gäste vor Angriffen aufgreifen“. Das versuchsweise Wortspiel, etwa gar einen Zwanziger dagegen wetten zu wollen, könnte man sich an dieser Stelle eigentlich sparen.

[Dieser Artikel wurde am 30. September 2008 bei Telepolis veröffentlicht.]

Hopperisierung der Fußball-Szene?

Der durchaus strittige Mäzen des Bundesligisten TSG Hoffenheim will augenscheinlich Kritiker aller Couleur auch virtuell zur Rechenschaft ziehen.

Wohl gelitten war Dietmar Hopp in gewissen Fan-Kreisen bereits vor dem letztendlichen Durchmarsch der TSG Hoffenheim in die 1. Bundesliga nicht unbedingt. Inzwischen wurde sein Wikipedia-Eintrag mehrmals verfälscht, es gibt bei fast jedem Spiel der TSG Bekundungen gegen seine als lediglich gönnerhaft persiflierte Person – die quasi dörfliche Gemeinde Hoffenheim als pseudo-künstlicher Brutkasten erfolgreichen Fußballs eingeschlossen.

Nach dem beim letzten Spiel der TSG Hoffenheim im gegnerischen Fan-Block der Dortmunder Borussen (BVB) “neben den schon üblichen ’Gegen den modernen Fussball’ hängenden Bannern ein Transparent mit dem Bild von Dietmar Hopp mit der Aufschrift: ’Hasta La Vista Hopp’ hochgehalten“ wurde (ultrafans.de), laufen gegen den mittlerweile ermittelten ’Täter’ Ermittlungen wegen Beleidigung. Philipp Markhardt von Pro-Fans findet das “überflüssig und sinnlos“.

Nach aktueller Darstellung der BVB-Freunde (“Diese Information kommt von höchster Stelle in Hoffenheim“) sei Dietmar Hopp mittlerweile “auf Fan-Jagd, anders kann man es nicht sagen“. So würden “seine Anwälte das Internet nach möglichen Beleidigungen und herablassenden Äußerungen gegen seine Person … durchforsten“. Daher sollten in besagtem Forum “sofort alle Avatare, Signaturen und eigene Beiträge löschen, die beleidigend gegen Hopp sind“ – zudem “bereits Anwälte … im Forum“ diesbezüglich aktiv gewesen wären.

Unterdessen persiflieren ultrafans.de aufgrund des offenbar auch hochoffiziell ausgerufenen Hopp-Kritik-Verbotes in ihrem Forum Hopp is’ ja nur ein kleiner Schoko-Riegel … Scha-la-la-la-la … – “wenn das mal keinen Ärger gibt“.

Eine wie auch immer – zivilisiert – kreativ geartete Kritik lässt sich virtuell nur schwer eindämmen – und Fußball-Fans sich in ihrer Meinung nicht gerne zensieren.

[Dieser Artikel wurde am 25. September 2008 bei Telepolis veröffentlicht.]

Der Fußball-Fan als Persona non grata

War der Versuch des Berliner Polizeipräsidenten, generell allen Anhängern von Dynamo Dresden den Zutritt zum Regionalliga-Spiel bei Union Berlin zu untersagen, ein nur vorerst geplatzter Testballon für zukünftige Szenarien?

Nach der Lektüre des kleinen Buches “Die 100 ’schönsten’ Schikanen gegen Fußballfans – Repression und Willkür rund ums Stadion“, bereits vor einigen Jahren vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) veröffentlicht, mag mancher ungläubig den Kopf geschüttelt haben. Geschieht derartiges wie “selbstherrliches Auftreten der Polizei, Schikanen durch ’Ordner’ verschiedenster Sicherheitsdienste, Willkürakte beim Stadionzutritt, sexuelle Übergriffe bei Personenkontrollen“ wirklich in bundesdeutschen Gefilden?

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(Babelsberger Fan-Protest bei der Begegnung gegen Dynamo Dresden am 27. April 2008 – Foto: O.M.)

Wer als ausgewiesener Fan seinen Verein des öfteren und noch dazu auswärts unterstützt, schüttelt über so etwas nicht ungläubig den Kopf – er erlebt es fast jede Woche selbst. Auch infolge dessen gibt es seit einiger Zeit Projekte wie Fußballfans beobachten Polizei, Fanrechtefonds und Fansmedia. Denn dem bereits schon “öfters beschwerlichen Leben des Fußballfans“ (BAFF) widerfuhren in den letzten Jahren zunehmend Restriktionen durch Vereine und staatliche Institutionen wie Zensur, Stadionverbote, Reisebeschränkungen, Datensammlungen, DNA-Analysen sowie der vermehrte Technik-Einsatz zur Video-Überwachung, wie beispielsweise der in Sachsen am 30. April 2008 erstmals praktizierte Einsatz einer Drohne. Wohlgemerkt handelt es sich um die Reflektierung eines Umgangs mit aktiv engagierten und zuweilen auch sehr emotional agierenden Anhängern des runden Leders. Doch “Fußball-Fans haben keine Lobby“ und zudem lässt sich mit dem Hooligan-Totschlagargument “jede noch so absurde Maßnahme rechtfertigen“ (BAFF). Andeutungsvolle Parallelen zum täglichen Leben scheinen da nicht nur zufällig.

Es ist nicht überliefert, wie der amtierende Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch seine Entscheidungen fällt und welcher Argumente er sich dabei bedient. Überliefert dagegen ist, dass Glietsch dem 1. FC Union Berlin in einem Brief mit Posteingang am 18. April 2008 untersagte, für das Regionalliga-Heimspiel gegen die SG Dynamo Dresden auch nur irgendeine Gästekarte zu verkaufen. Als Grundlagen für dieses Vorgehen bemühte der Polizeipräsident angeblich gesichert vorliegende Erkenntnisse sächsischer Behörden, dass Dresdner-Hooligans bei dieser Begegnung in der Köpenicker Wuhlheide auf Krawall aus seien, sowie das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) des Landes Berlin, welches eine solche Maßnahme erlaube, um Gefahren für die Stadt abzuwehren. Ein daraufhin einberufener erster Krisengipfel mit Vertretern der Polizei, des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des 1. FC Union endete ohne Ergebnis.

Am 21. April erklärte Glietsch vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden planten sogenannte Ultras aus dem Umfeld des Dresdner Vereins massive Ausschreitungen und nannte gleichzeitig die Verfügung, keine Karten an Dynamo Dresden abzugeben, das mildeste Mittel, dass den Behörden gegen diese Pläne zur Verfügung stehe. Bemerkenswert ist bei Glietschs Äußerungen allein schon der Wechsel von verdächtigen Hooligans zu Ultras, der von einzelnen Medien genau so unreflektiert übernommen wurde. Noch immer werden diese Begriffe (Ultras, Hooligans, Hooltras?) scheinbar beliebig austauschbar gehandhabt, “fehlt vielen Sportjournalisten jegliches Gespür für Fans und Fan-Interessen“ (BAFF).

Welche konkreten Anhaltspunkte die Berliner Polizei indes zu Grunde legte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Im Gegensatz zu anderen Brisanz-Spielen, in deren Umfeld es quasi mit Ansage zu gewalttätigen Ausschreitungen kam (Die “Freiheit“ der 5. Liga), war in einschlägigen Internet-Foren für die Berliner Begegnung nicht einmal eine nur versehentliche Andeutung für eine wie auch immer geplanten “Hoolerei“ zu finden. Medienöffentlich wurde lediglich vage auf das vorsaisonale Gastspiel der Dresdner in Berlin verwiesen. “(…) Mit dem Großaufgebot von 1350 Beamten konnte die Polizei schwerere Ausschreitungen verhindern. Das habe die Gewalt-Szene als Niederlage empfunden, für die es nun Revanche zu nehmen gelte, wird vermutet (…)“ (Sächsische Zeitung).

Damals wurden 16 Personen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Sachbeschädigung festgenommen, 170 Fans wurde der Zugang zum Stadion verweigert. Nach Angaben der Ultras Dynamo soll nach besagtem Gastspiel der Dresdner ein Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten an die Geschäftsführung und das Fanprojekt der SG Dynamo Dresden erfolgt sein, in dem Glietsch den ruhigen Ablauf der damaligen Partie gelobt habe und sich schon auf das nächste Spiel freue. Auch wenn dem wirklich so wäre: Das besagte Hooligan-Totschlagargument grüßt nach wie vor ganz normale Fußball-Interessierte, Fans, Ultras.

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(Schuhe aus am Gästeeingang der Alten Försterei am 8. Mai 2008 – Foto: O.M.)

“Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist das das Ende des deutschen Fußballs“

Unterdessen hatte das bisher in der Bundesrepublik einmalige Ansinnen, eine ganze Fan-Gruppierung ohne auch nur den Ansatz einer Differenzierung unter Generalverdacht zu nehmen und ein Liga-Spiel unter Ausschluss von Gäste-Fans durchführen zu wollen, nicht nur in der Fan-Szene für Aufregung gesorgt – von “3.000 Mal Stadionverbot“ und einem “Novum in der Geschichte des deutschen Fußballs“ schrieb Spiegel-Online. In den offiziellen Foren der beiden Vereine erfolgten regelrechte Solidaritätsbekundungen – und das bei einer jahrelang gepflegten gegenseitigen Abneigung der Anhänger. Die Vorschläge reichten beispielsweise vom generellen Zuschauer-Boykott und einer Demonstration vor dem Stadion, über den ersatzweisen Kartenkauf für Fußball-Fans der Sachsen, hin zu einem gemeinsamen Fan-Block. Ein für die Szene erstaunlich einheitlicher Tenor – abgesehen von den üblichen Schmähungen – machte nicht nur in den offiziellen Fan-Foren der beiden betroffenen Vereine die virtuelle Runde: Heute ist es Dresden – morgen sind es wir …

Darüber hinaus wurden in dem gepflegten Durcheinander vor dem nächsten sportpolitischen Krisengipfel – diesmal dann auch mit Vertretern der Dresdner Dynamos – fanseitig verschiedenste verschwörungstheoretische Ansätze kolportiert. Soll die Union-Heimstätte “An der Alten Försterei“ in diesem Zusammenhang vielleicht so diskreditiert werden, um sie als Austragungsort der Union-Spiele letztendlich doch noch unmöglich zu machen? Wie profilierungssüchtig ist der Berliner Polizeipräsident – im nachhinein auch zu den Ereignissen am diesjährigen 1. Mai – und welche haushaltspolitischen Finanzierungsengpässe könnten mit derart ordnungspolitischer Omnipräsenz erweitert werden? Braucht etwa gar die Einsatzgruppe Hooligan (EGH) der Berliner Polizei eine Legitimation für ihre Daseinsberechtigung? Und nicht zuletzt: “Es gibt auch in Berlin Leute, die einen Spielabbruch mit null Punkten für Union genießen würden. Sie hassen zwar auch die Saxen, aber uns noch viel mehr! Und sie werden da sein!“ (Union-Forum) – “Mit dieser Aktion haben die Berliner Revierförster dieses Spiel erst recht zu einem Brisanzspiel werden lassen“ (Dynamo-Forum).

Die Lage nicht gerade erleichternd machte zudem der Fakt, dass dieses Ost-Derby an einem Donnerstag für 20.30 Uhr angesetzt wurde. Wer letztendlich diesen Zeitpunkt festlegte, mag dahin gestellt bleiben. Eine geschickte Planung sieht allerdings anders aus. Vielleicht erhofften sich die beiden live übertragenden Sender, RBB und MDR, besonders hohe Einschaltquoten. Es geht schließlich auch ums Geld. Besonders wenn – wie in der Regionalliga Nord – die Spanne zwischen 2. Liga, der in der nächsten Saison neuen 3. Liga und dem Absturz in die 4. Spielklasse nur wenige Punkte liegen. Dem 1. FC Union Berlin stand ohne Gäste-Fans ein Einnahmenverlust von geschätzten 30.000 Euro ins Haus. Das Datum und die sich androhenden Umstände der Begegnung ließen in Fankreisen zudem noch eine Frage entstehen: “Lassen wir den 8. Mai zum Tag der Befreiung werden, gegen die Willkür der Staatsmacht?“ (Union-Forum).

Die Verantwortlichen der beiden Vereine reagierten mit Unverständnis auf die geplante Polizei-Verfügung. “Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist das das Ende des deutschen Fußballs“ (Dirk Zingler, Union). “Fans haben ein Recht, bei einem Spiel dabei zu sein … Ansonsten muss sich jeder über die Konsequenzen dieses Schrittes bewusst sein“ (Bernd Maas, Dynamo). Für das Dresdner Fanprojekt wiederum war die Ankündigung der Berliner Polizei “Provokation pur“ – Fans würden dadurch von vorn herein kriminalisiert (Torsten Rudolph). Das Fanprojekt wurde übrigens erst Anfang dieses Jahres für seine “auf Prävention angelegte vorbildliche Jugendarbeit weit über den sportlichen Bereich hinaus“ mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.

Unterdessen reagierte auch der DFB “mit Sorge auf die Verbannung der Anhänger von Regionalligist Dynamo Dresden durch die Berliner Polizei im Ost-Derby bei Union Berlin“ und plädierte dafür, “eine einvernehmliche Lösung zu finden, damit die echten Dresdner Fans ins Stadion dürfen“. Beim DFB verstehe man die Sorge der Sicherheitsbehörden und nehme die Hinweise sehr ernst, das Vorgehen der Berliner Polizei könne in der Weise trotzdem nicht akzeptiert werden (DFB-Sprecher Harald Stenger).

Das Verhältnis der Dresdner Dynamo-Fans zur Berliner Polizei gilt spätestens seit Oktober 2006 als völlig zerrüttet. Damals war es beim Spiel gegen Hertha BSC (A) in Berlin zu Ausschreitungen gekommen. Nach offiziellen Angaben wurden dabei 38 Menschen, davon 23 Polizeibeamte, verletzt. Die anderen 15 Verletzten sollen nach Dresdner Fan-Darstellungen sämtlich Dynamo-Anhänger gewesen sein. Der damalige Geschäftsführer des Dresdner Vereins, Volkmar Köster, attestierte den Berliner Einsatzkräften im Nachhinein fahrlässiges Handeln und überhartes Vorgehen auch gegen völlig Unbeteiligte. Glietsch wiederum unterstellte Köster daraufhin eine “Förderung des Hooliganismus“.

Am 23. April 2008 vereinbarten beide Vereine und die Berliner Polizei hinsichtlich der Partie gemeinsame “Maßnahmen gegen Gewalt“. Diese beinhalteten unter anderem die geschlossene Anreise der Dresdner in Entlastungszügen, die Abgabe von Karten ausschließlich gegen Vorlage eines Personaldokuments am Zug in Dresden sowie vorab erfolgende Meldeauflagen und so genannte Gefährdenansprachen für zirka 400 bundesweit mit Stadionverbot belegten Problemfans der SG Dynamo Dresden durch die sächsische Polizei. Für Dynamo-Anhänger wurde das Kartenkontingent auf 1.200 beschränkt. Übrigens ist in einer DFB-Regelung für Gästefans ein 10 Prozent-Anteil an Eintrittskarten für das jeweilige Stadion vorgesehen. Das Fassungsvermögen der Union-Heimstätte “An der Alten Försterei“ in Berlin-Köpenick wird auf 18.100 Zuschauer beziffert.

Da allein aus logistischen Gründen die Kartenübergabe an Dynamo-Anhänger im Dresdner Hauptbahnhof doch schwerlich umsetzbar schien, erfolgte der registrierte Vorverkauf letztendlich doch im Fanshop des Rudolf-Harbig-Stadions in Dresden. Für auswärtige Fans – Wohnort mindestens 50 km von Dresden entfernt – wurden einigermaßen verträgliche Karten-Zugangsmöglichkeiten realisiert. Ebenso war überraschend eine individuelle Fahrzeug-Anreise von Dynamo-Fans möglich. Eigentlich wurden damit allerdings auch die Festlegungen mit der Berliner Polizei – beispielsweise die geforderte geschlossene Anreise in Entlastungszügen – unterlaufen. Aber irgendwie schien dies nun wiederum plötzlich niemanden mehr so richtig ernsthaft zu interessieren.

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(Protestbanner im Union-Block am 8. Mai 2008 – Foto: Bultras Dynamo)

Derweil plakatierte die Dresdner Initiative Pro Fankultur! ein in ehemalig ost-staatsparteilichem Duktus (“Liebe Genossen …“) gehaltenes “Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Schon mehrere Tage vor dem Derby freuten sich Ultrafans (Infos aus der Fanszene – Die Wahrheit ist oft schmerzhaft!) “auf die vielen Protestbanner überall im Stadion gegen die Polizeiwillkür in unserem Land“. Von den Ultras Dynamo erfolgten zum Auswärtsspiel gegen den 1. FC Union Berlin keine weiteren Informationen, “da bestimmte Organe nur darauf warten, entsprechend reagieren zu können und so die Rechte und Freiheiten aller Dynamofans nur noch weiter einzuschränken“.

“Fußball-Fans sind keine Verbrecher!“

Um es noch einmal deutlich zu machen: Es geht nicht um “die Vollidioten, die nur Ärger wollen“ (Christian Beeck, Union). Diese sind allerdings in der bundesdeutschen Ultra-Szene in der Regel auch nicht wohl gelitten. Nach dem letzten schweren Zwischenfall beim Bundesliga-Spiel Arminia Bielefeld gegen VfL Bochum mit mehreren durch eine Böller-Explosion Verletzten und einem brutal attackierten Ordner verurteilten die Ultras Bochum diese Tat umgehend. Gleichzeitig kündigte die Gruppe in einer Erklärung an, in Zukunft zu versuchen, “so auf die Kurve einzuwirken, dass solche Szenen nicht wieder vorkommen“. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Fan-Kurven in Stadien keine rechtsfreien Räume sind, in denen einige Unverbesserliche glauben, sich auf Kosten anderer mit krimineller Energie austoben zu können. Letzten Angaben zufolge werden bundesweit rund 3.500 Leute der polizeilichen Fan-Kategorisierung “C“ zugeordnet, davon im Umfeld von Dynamo Dresden zirka 100 und knapp 300 in der Stadt Berlin. Als “Kategorie A“ gelten in dieser Einteilung friedliche Fans, die nur das Spiel sehen wollen. Die “Kategorie B“ umfasst die so genannten “gewaltbereiten“ Fans, die nicht mit der Absicht kommen, Gewalt auszuüben, aber Aggressionspotenzial in sich tragen. In der “Kategorie C“ werden die “gewaltsuchenden“ Fans erfasst, die weniger an den Fußballspielen als an Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans und der Polizei interessiert sind (wikipedia).

Die sich im Zusammenhang mit diesem Spiel der Regionalliga Nord sukzessiv andeutende weitere Einschränkung von Fan-Rechten reflektierte Frank Willmann, Autor des Buches “Stadionpartisanen“: “Ich sehe es als eine Gefahr für den Fußball an, wenn Polizeipräsidenten beginnen, ganzen Fangemeinden Stadionverbot zu erteilen. Zu Recht hat das einen riesigen Aufschrei gegeben. Die Fußballanhänger dürfen heute nicht mehr schadenfroh über Probleme gegnerischer Fans sein, sondern müssen solidarisch zusammen stehen“. Im Union-Forum wurde resümiert: “Wer glaubt, dass es hier um Dresden geht, der frisst gerade den Knochen, den die Strategen euch hingeschmissen haben“.

“Bei all den Einschränkungen, die Fußballfans allwöchentlich erleben müssen, gerät … in Vergessenheit, dass es diese Fans sind – unangepasst, lautstark, kreativ und erlebnishungrig -, die dem Fußball das Leben einhauchten, das ihn zum Zuschauersport ’Nummer Eins’ gemacht hat“ (BAFF).

Wie kreativ und eindrucksvoll diese Fankultur sein kann, zeigten nicht zuletzt die Ultras Dynamo Ende August 2006 mit einer Choreografie von 420 Bengalo-Feuern anlässlich der offiziellen Verabschiedung von den markanten Flutlichtmasten des alten Rudolf-Harbig-Stadions.

Übrigens hielt auch Gunter A. Pilz, Fanforscher vom sportwissenschaftlichen Institut an der Universität Hannover, die Vorab-Pauschalverurteilung der Dresdner Fans “für keine besonders pfiffige Idee“ (taz). So lange sich allerdings der “Vader Abraham der deutschen Fanszene“ (ultrafans.de) bezüglich der von ihm angeblich so differenziert beobachteten Fan-Szene eher abfällig äußert, wie beispielsweise am 10. April diesen Jahres geschehen, kann sein dahingehendes Engagement durchaus als lediglich populistisch eingeschätzt werden: “Für viele Ultras ist ein Gefängnisaufenthalt sogar die bessere Perspektive als das bisherige Leben.“ Selbst ernannte Fußball-Experten, angebliche Szene-Kenner aller Couleur, gibt es landauf und landab; sich zudem teilweise mit virtuellen Internet-Ultras und Foren-Hooligans gegenseitig fast perfekt niveaulos ergänzend.

Das brisante Ost-Derby entschied vor knapp 12.000 begeisterten Zuschauern im Stadion an der Alten Försterei in Köpenick Union Berlin mit 4:2 über die Dresdner Dynamos. Gegen Elf Leute – sieben Dresdner und vier Berliner – wurden vorab Aufenthaltsverbote verhängt. Weitere 120 als Gewalttäter Bekannte erhielten Meldeauflagen. Rund 800 Polizeibeamte wurden während der Regionalliga-Begegnung am 8. Mai eingesetzt, insgesamt waren 1.400 Polizisten vor Ort. Der Abend verlief ohne größere Zwischenfälle. Während des Spiels präsentierten die Union-Fans das Spruchband “Gleiches Recht für alle“ und intonierten schließlich gemeinsam mit den rund 500 anwesenden Dresdnern “Fußball-Fans sind keine Verbrecher!“

Allerdings wurde seitens der Dresdner nicht einmal das sowieso schon reduzierte Kartenkontingent ausgeschöpft. Viele der ansonsten als reiselustig bekannten Dresdner Anhänger waren der Begegnung in Berlin einfach fern geblieben, augen- und ohrenscheinlich auch der Stimmungsmotor Ultras Dynamo. Richtigen Derby-Charakter wie in den Vorjahren hatte das Ganze so jedenfalls nicht, der war schon im Vorfeld auf der Strecke geblieben. Wenn das wiederum die Zukunft im Umgang mit der in sich wie auch immer differenzierten Fan-Szene sein soll, dann ist es einfach nur Schade für die Fußball-Kultur in diesem Land.

[Dieser Artikel wurde am 10. Mai 2008 bei Telepolis veröffentlicht. Nachpublizierung u.a. in “Der Zwölfte Mann – Fanprojekt Magazin“, Ausgabe 27, September/Oktober 2008]

Die “Freiheit“ der 5. Liga

Die Krawalle in Dresden zeigen, was Fangruppen in unteren Ligen mitunter zelebrieren, um ihre “Ehre“ zu verteidigen

Fan-Forscher konstatieren schon längere Zeit, dass sich die von ihnen gern so genannten Problem-Fans immer mehr in untere Spielklassen zurückziehen. Denn dort wäre nach Ansicht dieser Anhänger des runden Leders der Fußball nach wie vor ursprünglich – zuweilen zwar frei von spielerischer Qualität -, aber eben auch relativ frei vom verpönten Kommerz. Dort sei ihr wie auch immer geartetes Engagement wirklich noch etwas wert. In jenen Fankreisen gilt bekanntermaßen: Immer und überall alles für den Verein!

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(Am 28. Oktober 2007 im Rudolf-Harbig-Stadion – Foto: O.M.)

In der Fußballszene geschieht vieles rituell, unabhängig von der Liga-Zugehörigkeit. Die gegnerischen Fans sollen übertönt, wenn es geht gedemütigt und vorgeführt werden. Es geht um die Vorherrschaft im eigenen Stadion, in der Region, im Land. Schließlich ist es immer eine Frage von Sieg oder Niederlage. Es geht um die Ehre. Und es gibt auch offizielle Ehren. So kürt die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur im Rahmen ihres Deutschen Fußball-Kulturpreises beispielsweise den besten Fan-Gesang des Jahres. Ist so eine Ehrung schon Kommerz? Nicht nur darüber gibt es in der Szene geteilte Meinungen.

Ein Teil der Fußball-Fans verweigert sich – aufgrund schlechter Erfahrungen – dem öffentlichen Dialog. Wiederum andere suchen ihn regelrecht. Auch darüber wird beispielsweise in vielen Fan- und Ultra-Foren gern ausgiebig mit durchaus sehr unterschiedlicher Qualität diskutiert. Bei solcherlei Diskussionen stößt man immer wieder auf das so genannte Ultra-Manifest. Dieses Manifest wurde erstmalig auf der Homepage der Ultras des AS Roma veröffentlicht und ist für den deutschen Sprachraum “nur unwesentlich verändert beziehungsweise an die Verhältnisse in Deutschland angepasst“ worden.

Im Ultra-Manifest werden unter anderem “Meinungsfreiheit und Freiräume zur kreativen Entfaltung der Fans im Stadion“ gefordert, welche “Choreografien, Spruchbänder, Schwenkfahnen, Plätze für Zaunfahnen, keine Unterhaltungsshow – die jegliche Fangesänge übertönen“ beinhalten. In vielen bundesdeutschen Stadien, egal welcher Liga, ist das schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Zugleich endet das Ultra-Manifest in Forderungen wie “die Ware ’TV-Fußball’ unattraktiver machen beziehungsweise boykottieren“ und “die Kommerzialisierung des Fußballs nicht fördern“ sowie “sich nicht von den Autoritäten unterdrücken lassen“ zu wollen.

Für Fußball-Fans und besonders für Ultras geht es um viel Ehre und im Prinzip gegen diese zuweilen doch sehr gut bezahlten reinen Fußball-Funktionäre. Denn “diese Menschen verstehen nicht, dass Fußball unser Leben ist, dass wir für unseren Verein leben, dass wir unsere Schals und unsere Kleidung tragen, die unsere Stadt oder Region repräsentiert“. Mit der Ware Fußball wollen aber im 21. Jahrhundert sehr viele möglichst noch mehr Geld verdienen. Der wie auch immer geartete Fan als solcher käme mit einem in diesem Industriezweig gezahlten Monatssalär wohl weit länger als vier Wochen aus. Soziale Gefälle grüßen nicht immer zwangsläufig freundlich.

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(Szenerie nach Spielschluss in der Dresdner Innenstadt – Foto: O.M.)

Im Fußball geht es ganz profan – als immer noch fast reine Männerdomäne – um Geld, Macht, Einfluss und Ehre, nur eben nicht für alle Beteiligten in dieser Reihenfolge. Nicht zu vergessen geht es dabei auch nach wie vor – um die gesellschaftsscheuen Teile der Fan-Szene nicht noch weiter in das von ihnen teilweise selbstgewählte Abseits zu drängen – um ein bewusst verantwortungsvolles Agieren der Medien (Ultras, Hooligans, Hooltras?). Was allerdings für niemanden als Entschuldigung dienen sollte. Es geht ja, wie bei anderen Sportarten auch, um Provokation, den Gegner in seine Schranken zu verweisen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen, ihn zu verunsichern, ihn zu bezwingen – the winner takes it all. Doch wie weit darf Provokation gehen? Gewalt – auch verbale – ist der Fußballszene bekanntlich leider nicht unbedingt fremd. Aber es gibt im zwischenmenschlichen Miteinander Grenzen, bei körperlicher und sächlicher Gewalt sowieso, sollte man meinen.

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig bekannte kürzlich, auf die Frage angesprochen, ob Randale im Stadion Ausdruck einer Brutalisierung der Gesellschaft sei, er glaube, “früher wurde bei Spitzenmannschaften mehr randaliert als heute. Mir ist es fast zu clean. Natürlich dürfen keine Tribünen einstürzen, es darf keine Verletzten oder gar Tote geben. Wichtig ist es, dass Zuschauer, die nicht dabei sein wollen, weg können. Aber ein bisschen Rabatz gehört zum Fußball. Es ist ein Ausnahmezustand, so etwas wie Karneval …“ Mit “Karneval“ und “bisschen Rabatz“ kann das, was beispielsweise aktuell in einer der bundesdeutschen fünften Ligen vor sich geht, allerdings wahrlich nicht abgetan werden.

Das für den 28. Oktober 2007 angesetzte Sachsenliga-Punktspiel zwischen Dynamo Dresden (Amateure) und Lok Leipzig warf bereits lange vorab dunkle Gewaltschatten auf diesen Sonntag im Herbst. Der plakative Ursprung dafür sucht seinen Ausgangspunkt in einer zwischen ehemaligen Ost-Fußball-Spitzenclubs nachwirkenden Rivalität und einer durchaus nachhaltig gepflegten Fan-Feindschaft. Äußern sich, was eher selten ist, in die nachfolgenden Auseinandersetzungen involvierte Einzelpersonen, ist es schon erstaunlich, dass nicht wenige der emotionsgeladenen Derbys in der DDR-Oberliga oder im FDGB-Pokal zwischen Dynamo Dresden und Lok Leipzig fast mit der Nähe des eigenen Geburtstages korrespondieren. Ostalgie pur? Geil auf ein Derby? Oder einfach nur geil auf Gewalt?

Wer angefangen hat, die Provokationen im Vorfeld dieser Begegnung über das unter Fußballfans und auch Ultras hinaus bekannte Maß zu forcieren, ist schwer nachvollziehbar. Begann es schon im Spätsommer mit der SMS-Message an Eingeweihte beider Seiten, mit der martialisch formulierten Aufforderung, um die Ehre des jeweiligen Vereins kämpfen zu wollen? In einem hernach auf YouTube veröffentlichtem Videoclip stilisierte sich ein unbekannter Dresdner bereits vorab zum Märtyrer und verabschiedete sich waffenbastelnd und einen Abschiedsbrief schreibend schon mal von seiner Mutter, falls er nach besagtem Fußballspiel nicht mehr heimkommen würde.

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(Plakat gegen Dresden)

In Dresden häuften sich derweil gesprayte Parolen “28.10. – Lok töten!“. Dresdner suchten das Lok-Stadion in Leipzig heim und übersprühten die nicht nur sachsenweit bekannten Graffitis der Lokisten mit eindeutigen Parolen. Daraufhin überwanden wenige Tage später Lok-Anhänger die Zäune des Dresdner Rudolf-Harbig-Stadions und hinterließen dort ihre gesprayten Visitenkarten. Noch am Tag vor dem Spiel gegen Leipzig wurden beim auch nicht gerade sicherheitsunproblematischen Spiel von Dynamo Dresden gegen Union Berlin aus dem Dresdner Ultra-Block Handzettel für den bevorstehenden “Kampf um Sachsen“ verteilt. Unterstützung dabei wurde in der Szene auch von außerhalb Desdens und Sachsens erwartet.

In der Zwischenzeit hatte ein regelrechter “Internetkrieg“ (ultrafans.de) eingesetzt. So kursierte – zuerst virtuell und später in Leipzig plakatiert und kurzzeitig im dortigen Stadion käuflich erwerbbar – ein Plakat, das die Siegesgöttin mit Lok-Fahne über der am 13. Februar 1945 zerstörten Dresdner Stadt-Silhouette zeigt. Die unmissverständliche Parole lautete “Auf nach Dresden“. Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten und war nicht nur noch geschmackloser als das gegen Dresden gerichtete Plakat. Eindeutig interpretierbar in der Zeit des Nationalsozialismus auf einen Transport mit gewissem Ziel gehenden Juden wurden Lok-Fahnen in die Hände fotomontiert. Die Unterschrift dieses mehr als makaberen Produktes: “Endstation … 28.10.07 – Dresden“. Gegen beide Plakatisten wird Verlautbarungen nach derzeit strafrechtlich ermittelt.

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(Plakat gegen Leipzig)

Bemerkenswerterweise berichteten Print- und Onlinemedien ausschließlich über die gegen Dresden gerichtete Plakat-Aktion sowie die gegenseitigen Spray-Aktionen und auch über das YouTube-Video. Zwar war immer von gegenseitigen Provokationen die Rede, das imaginäre Juden-Plakat gegen die Leipziger Anhänger kam darin allerdings nicht vor. Zufall? Das Plakat gegen Dresden kursierte in vielen Online-Foren und wurde ob seiner Aussage kaum ernsthaft bemängelt. Dem Plakat gegen Leipzig wiederum erfuhr beispielsweise in Leipziger und Dresdner Foren gewisse Aufmerksamkeit – unter einem bemäntelten Aspekt einer angestrebten strafrechtlichen Verfolgung – bis es zuerst aus dem Dynamo-Forum und später auch aus dem Lok-Forum entfernt wurde. Allein das – subjektiv – sehr informativ gehaltene Forum von ultrafans.de (“Für die ganze Kurve“) hat nach Auftauchen des Anti-Leipzig-Juden-Plakats dieses umgehend dauerhaft gebannt.

Aktionistisch beschloss der Sächsische Fußballverband (SFV) hinsichtlich dieser Sachsenliga-Begegnung ein generelles TV-Verbot für das Dresdner Stadion. Diese Dreh-Untersagung wäre wohl als das erste TV-Verbot in die Geschichte des deutschen Fußballs eingegangen. Später verkaufte der SFV allerdings die alleinige Film-Genehmigung an den MDR. Die TV-Rechte in der 5. Liga liegen eigentlich beim Verein selbst und so äußerte der Dresdner Marketing-Chef dazu lediglich: “Ich sag’ dazu lieber nichts, bin allerdings ziemlich verwundert.“ Eine zwischenzeitlich angestrebte Verlegung der Partie scheiterte am Bedenken des SFV ebenso wie an den Einsatzplanungen der Polizei.

Die gegenseitig so enorm aufgeheizte Stimmung veranlasste den Leipziger Trainer zu einer drastischen Ankündigung: “Sollte es im Stadion zu Ausschreitungen unserer sogenannten Fans kommen, werde ich die Mannschaft in die Kabine schicken und freiwillig auf die Punkte verzichten.“ Es kam anders. Das Sachsenliga-Spiel war zwar von dauernden Böllern, Raketen und Rauchschwaden begleitet, wurde allerdings nicht unterbrochen, geschweige denn abgebrochen. Das Szenario im Stadion war allerdings nicht vergleichbar mit dem Regionalliga-Spiel am Tag zuvor. Es war eindeutig kein Familien-Fußballtag: Schwarze Kleidung, nur sehr vereinzelt Zaunfahnen, kaum Fan-Utensilien, gut 6.000 Zuschauer insgesamt. Und Hass auf vieles und den Gegner sowieso, der allerdings gut eingekesselt keinerlei Angriffspunkte bot. Dafür Gerangel mit dem Sicherheitsdienst beim Einlass und ein völlig unnötiger und provozierender Aufmarsch polizeilicher Einsatzkräfte in der 2. Halbzeit vor einem Dresdner Block. Deeskalationsstrategie in einer solch emotionalen Situation sollte anders aussehen.

Und danach geschah das, was alle ja schon vorher gewusst haben könnten und was nunmehr zusammengepuzzelte Fernsehbilder mehr schlecht als recht zeigen – Gewalt im Osten. Straßenschlachten in der Dresdner Innenstadt: Raketen, Böller, Steine, Gewalt, Verletzte, Festnahmen in Größenordnungen von mehreren Hundert – Einsatz von weit über 1.000 Polizisten; Wasserwerfer, Hunde, Pferde, Hubschrauber vor Ort. War das nur ein Punktspiel der 5. Liga? Die Gazetten schreiben und tun so, als ob sie berichten und Ursachen suchen würden. Die Video-Portale quellen über von Sequenzen von diesem Tag in Dresden. Die Szene feiert sich selbst. Es geht um Ehre – in diesem Fall um einen zu hohen Preis. Auch ein selbst postulierter Anspruch auf Ehre legitimiert keinesfalls den Einsatz von Gewalt – und hat nichts mehr mit dem Fußballsport als solchem zu tun. So artet ein unterstellt gutgemeinter Kampf gegen den Kommerz im Fußball schnell zu einer ganz billigen Pseudo-Schlacht gegen die vielleicht von wenigen als staatsautoritär empfundene Unterdrückung aus – mit einigen mehr als nur andeutungsweise Verletzten, virtuell und real.

Es geht bezüglich dieser gewaltbereiten Fußballszene bei weitem nicht um die Verschärfung des bestehenden und auf Gewaltorgien wie diese anwendbaren Strafrechtes, wie im Nachhinein der Dresdner Ereignisse richtig festgestellt wurde. Es geht allerdings um die Achtung voreinander, auch im sehr emotionalen Bereich des Fußballs, wie überall in der Gesellschaft. Das schließt die Achtung vor dem Andenken Verstorbener und diesbezügliche historische Grundkenntnisse unbedingt ein – und nicht, dass man dies für irgendetwas missbraucht und besudelt. Besonders Ultras betonen immer wieder, dass Politik beim Fußball nichts zu suchen habe.

Der Kommentator bei MDR-Info äußerte am Tag nach den Dresdner Krawallen die Hoffnung, solcherart Gewalttäter möchten doch bitte den Fußballsport tunlichst in Ruhe lassen und sich seinetwegen “in guter alter Hooligan-Manier“ abseits der Öffentlichkeit miteinander beschäftigen. Was an diesem Sonntag Gerüchten zufolge nahe Dresden zudem auch noch der Fall gewesen sein soll. “Ich glaube nicht, dass man vom Zustand des Fußballs auf den der Welt schließen kann“ (Thomas Brussig). Vielleicht kann man ja vom Zustand der Welt zuweilen ein wenig auf den des Fußballs mit all seinen Facetten schließen? Fragen bleiben – und Lösungsansätze sind dringender denn ja gefragt, nicht nur für eine 5. Fußball-Liga.

[Dieser Artikel wurde am 30. Oktober 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]

Ultras, Hooligans, Hooltras?

Ein Streiflicht auch auf die Verantwortung der Medien

Exemplarische Ereignisse im Umfeld von Dynamo Dresden zeigen, wie schnell der sportliche Support einer Fußballmannschaft Nebensache werden kann – und wie mitunter undifferenzierte Medienberichte noch ihren Teil dazu beitragen

Die Bilder gingen um die Welt. Einem zu Tränen gerührten Diego Armando Maradona wurde von den Fans von Boca Juniors am 10. November 2001 im vollbesetzten Stadion Bombonera in Buenos Aires eine rauschende und farbenprächtig rauchende Choreographie zu dessen Abschiedsspiel geboten. Jahre später, tausende Kilometer entfernt und einige Fußball-Welten tiefer, spielte am 30. August 2006 Dynamo Dresden im Sachsenpokal gegen den Bischofswerdaer SV. Nach dem Spiel tauchten 420 Bengalo-Feuer das Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion in glutrotes Licht. Aus Anlass eines aktuell allerdings immer noch ausstehenden Baubeginns für ein neues Stadion wurde auf diese Weise Abschied von den markanten Flutlicht-“Giraffen“ genommen. Diese Europa-, wenn nicht gar Weltrekord verdächtige Choreographie in Dresden wurde hauptsächlich von den Ultras Dynamo getragen und auch finanziert und war mit der Club-Leitung abgesprochen.

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(Rudolf-Harbig-Stadion, 30. August 2006 – fanlager.de)

Der beeindruckende Abschied von Maradona, so die BBC-Dokumentation Hooligans – Das Netzwerk der Gewalt war “ein Feuerwerk von den Rängen – ebenso gefährlich wie illegal“. Der angestrengte Vergleich mag zwar hinken, deutet aber kleine und durchaus feine Unterschiede in Berichterstattung und Wahrnehmung zumindest an. Zumal fast kein Medienfeld so emotional reflektiert wird wie Berichte und Reportagen über Fußball und ihn begleitende Ereignisse – nur ist eben der gesetzte mediale Fokus mitunter schon vorentscheidend für resultierende Urteile und auch Vorurteile.

Betrachtet man beispielsweise die Medienaufmerksamkeit für die wie auch immer geartete Fan-Szene in der Bundesrepublik etwas näher, scheint die jeweilige Liga-Zugehörigkeit eine eher untergeordnete, dafür die geografisch-soziale Verortung zuweilen die größere Rolle zu spielen. So scheint es eine – bei weitem nicht repräsentative, aber durchaus so wahrnehmbare – Gewichtung in der spielabseitigen überregionalen Berichterstattung zu geben: Hooligans, Randale, Nazis, Osten. Dabei wiederum fokussieren sich einige Medien teilweise völlig undifferenziert auf die mittlerweile üblichen Verdächtigen.

Natürlich ist unbestritten, dass Medien nichts darstellen können, wo nichts ist. Und mitnichten sollen beispielsweise die schweren Ausschreitungen vom 10. Februar 2007 am Rande eines Landespokal-Spiels zwischen Lok Leipzig und der zweiten Mannschaft von Wismut Aue verschwiegen werden. Genau so wenig außen vor bleiben kann an dieser Stelle auch die oft beschriebene Tatsache von mehrfach dokumentierten rechtsextremistischen Bestrebungen im Umfeld der Fußball-Fan-Szene. Allerdings bleibt deutlich festzuhalten: Nicht alle Fußball-Fans sind potentielle Straftäter; Widerstände gegen Nazis gibt es in Stadien genau so wenig wie im anderweitigen öffentlichen Leben – und Ultras sind nicht per se Hooligans. “Dass die beiden Begriffe öfter verwechselt werden, ist einfach dumm“, lautet ein Statement aus dem Buch “Schwarzer Hals Gelbe Zähne – Fußballfans von Dynamo Dresden“ von Veit Pätzug. Eine nicht gerade neue Erkenntnis, allerdings hierzulande in nicht wenigen medialen Darstellungen mehr schlecht als recht nach wie vor so gehandhabt.

Die Befürchtungen der Ultras

Der etwas genauere Beobachter weiß sehr wohl um die Geschichte und die länderspezifischen Unterschiede in der Ultra-Szene, beginnend und mit erschreckenden Vorfällen und Gewalt-Bildern auch irgendwie in Italien endend. “In Italien ist das ganze Ultra-Ding vor allem auch ziemlich politisch, da hast du die finstersten Faschisten, aber auch total Gestörte, die im Block riesige Sowjet-Fahnen hochziehen“, wird in Pätzugs Buch ein Dresdner Ultra zitiert. Das eigentliche Selbstverständnis bekennender Ultras ist bekanntermaßen ein anderes, vielschichtigeres, aber eindeutiges: Immer und überall alles für die eigene Mannschaft! Allerdings flattert bei diesem postulierten Ultra-Engagement der Fan-Schal auch nicht immer nur unbedingt zurückhaltend-passiv im Wind.

Darüber hinaus mag es Außenstehende erstaunen, worüber sich Ultras Gedanken machen, wofür sie sich einsetzen. Gemeint ist an dieser Stelle wiederum nicht die oft kolportierte Einflussnahme von insbesondere italienischen Ultras auf die Vereinspolitik und sogar Spielertransfers. Immer wieder liest man in einschlägigen Foren und Fan-Veröffentlichungen von nicht gerade unbegründeten Befürchtungen vor dem fortschreitenden Cleaning und vor der Kommerzialisierung des vormaligen Volkssportes Fußball. Und wer hin und wieder einmal ein Stadion aufsucht, weiß um den fast unisono gemeinsamen ’Feind’ der Ultras: So wird der Deutsche Fußball Bund (DFB) bei den je nach Darbietungsqualität mehr oder weniger berühmten UFFTA!- Choreographien quer durch die bundesdeutschen Stadien entsprechend ’gewürdigt’.

Nicht nur in Ultra-Kreisen vieldiskutiert sind beispielsweise so betitelte “Zukunftsvisionen“, erstmalig veröffentlicht auf der Homepage der Ultras des AS Roma. Trotz eines erstaunlichen Konsenses über die Besonderheit der italienischen ’Verhältnisse’ und eine höchstens ansatzweise Übertragbarkeit auf die Szene im Land, wird eine “nur unwesentlich veränderte beziehungsweise an die Verhältnisse in Deutschland angepasste“ deutschsprachige Version in den verschiedensten Fan-Foren kommentiert. Der Tenor dieser Ultra-Publikation ist bereits in der Eröffnung ersichtlich:

Es wird Zeit, dass alle Fußballfans verstehen, was die UEFA, die FIFA und die Fernsehanstalten unter tatkräftiger Mithilfe der nationalen Verbände mit unserem Fußballsport veranstalten. Die Bestrebungen der Spitzenclubs gehen dahin, eine Europaliga einzurichten, die im Endeffekt nur für die finanzstarken Vereine der einzelnen Verbände gedacht ist. Dies würde diesen Vereinen auf Grund der Vermarktung der TV-Rechte enorme Einnahmen sichern, die kleineren Vereine würden aber ausgeschlossen und auf lange Sicht in den Ruin getrieben.

Darüber hinaus wird bei gleichbleibender Politik der Fußballverbände prognostiziert, dass “der Stadionfußball in seiner ursprünglichen Form nach und nach verschwinden wird. In ein paar Jahren wird selbst der Rasen in den Stadien mit Sponsorenwerbung verunstaltet werden und Choreographien werden verboten, weil sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer am Bildschirm von den Werbetafeln abziehen“. Eine solche Zukunft habe in den Köpfen der Funktionäre bereits Gestalt angenommen.

Man will keine Fans, die aktiv am Spiel teilhaben, man will die Art von Zuschauer, die man in einem Kino oder einem Theater antrifft. Diese Menschen verstehen nicht, dass Fußball unser Leben ist, dass wir für unseren Verein leben, dass wir unsere Schals und unsere Kleidung tragen, die unsere Stadt oder Region repräsentiert.

“Die Hölle von Dresden“

Scheinbar viel lieber und ausführlicher berichten Medien hierzulande im Zusammenhang mit der Fußball-Szene von anderen Dingen, beispielsweise “die Wahrheit über Dresden“. So titelte Sport-BILD am 8. November 2006, um dann im Innenteil nicht weniger reißerisch Reporter Andreas Böni seine Sicht aus “der Hölle von Dresden“ erleben zu lassen. Teilweise erstaunlich unreflektiert bezogen sich danach auch eher linksliberale Medien auf die Darstellungen von Böni. Der Tenor des Reports – obwohl von der sonst so kritisch gesehenen BILD – stimmte: Hooligans, Randale, Nazis, Osten.

Es handelte sich um ein Fußball-Spiel der 3. Liga, das Polizeiaufgebot war enorm. Die Fan-Lager beider Mannschaften sind als nicht gerade unproblematisch bekannt, zudem mit einer gemeinsamen Vergangenheit aus DDR-Oberliga-Zeiten. Aber: die “Hölle von Dresden“? Auch nur einen Ansatz von Differenzierung oder den Versuch aufhellender Hintergründe, gar gesellschaftlicher Ursachen, bietet so eine Darstellung nicht. Auf Nachfrage von Telepolis bezeichnete der Pressesprecher von Dynamo Dresden, Peter Tauber, besagten Sport-BILD-Artikel nach wie vor als “in jeglicher Form übertrieben“. In einem stimmt der Autor, an jenem Tag ebenfalls im und um das Dresdner Stadion unterwegs, dem BILD-Reporter allerdings nach Lesen des von ihm geschriebenen und Böni selbst zitierend zu: “War ich im falschen Film?“ Vielleicht sind es ja auch gerade solche immer wiederkehrenden holzschnittartigen Darstellungen, die – ob nun beabsichtigt oder nicht – Stigmatisierungen hervorrufen, Vorurteile wach halten und dazu noch neue schüren.

Es geht nicht, um das klar und deutlich herauszustellen, um eine auch nur ansatzweise Tolerierung von Gewaltexzessen von Hooligans. Vielmehr geht es um den Fußball und seine Fans im wahrsten Sinne des Wortes, um deren Befindlichkeiten und auch Ängste um ihren Sport. Dazu gehört unter anderem auch die Jugendarbeit in den Vereinen, die Sozialarbeit der Fan-Projekte unter der Ägide immer knapperer finanzieller Mittel. Der Soziologe Gunter Pilz benannte Mitte Februar 2007 in einem Gespräch soziale Perspektivlosigkeit und das kurzsichtige Agieren der politisch Verantwortlichen als Ursachen für den Hooliganismus. Nach der Darstellung von Pilz habe man allerdings generell “eher einen Rückgang der Gewalt zu verzeichnen – mit Ausnahme der neuen Länder, wo die Gewalt schon seit Jahren auf einem hohen Level ist. In den alten Ländern hat die Gewalt abgenommen“. Den von ihm geprägten Begriff Hooltra erklärt Pilz aus einer von ihm beobachteten Verquickung von Teilen der gewaltlosen Ultra-Gruppen, “die sich nun einerseits klar zu Gewalt bekennen und andererseits weiter ihr Ultra-Leben führen, sich von daher also von den Hooligans unterscheiden“.

Die Ende Oktober 2006 beim DFB im Bestreben gegen Gewalt und Rassismus im Fußball eingerichtete Task-Force kommt bislang eher plakativ und zudem mit einigem zeitlichen Verzug daher. Und die gegenseitige Abneigung sitzt tief. So äußert man sich in Fan-Foren auch nicht gerade zurückhaltend:

Da wird nichts bei ’rauskommen. Gar nichts. Und warum? Weil beide Seiten kein Interesse haben aufeinander zuzugehen und man der Meinung ist, dass es gar nicht mehr miteinander geht. Bei den ’Ultras’ (oder was sich alles dafür hält) kommt der DFB und die Polizei auf der Beliebtheitsskala noch hinter Syphilis und der DFB inklusive Vereine hält große Teile der Ultras für Hooligans. [Aus: sportforen.de]

Relativ anerkannt versucht dagegen beispielsweise das Bündnis Aktiver Fußballfans (B.A.F.F.) schon seit über zehn Jahren die konstruktive Umsetzung einer Politik für den “Erhalt der historisch gewachsenen Fankultur als Stadion-Live-Ereignis mit hohem Unterhaltungs- und sozialem Integrationswert“. Dazu gehört seit 1993 für B.A.F.F. auch “der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, gegen die übertriebene Kommerzialisierung des Fußballs mit all ihren negativen Auswirkungen und gegen die zunehmende Repression von Seiten der Polizei und der Ordnungskräfte“. Und es geht nach wie vor um die Verantwortung der Medien in der Berichterstattung.

Von Schüssen auf dem Vereinsgelände

Ein vom MDR produzierter Beitrag über die mittlerweile als bekannt vorausgesetzten Vorfälle am 25. Februar beim Sonntagstraining der Nord-Ost-Regionalliga-Mannschaft von Dynamo Dresden wurde – offenbar ungeprüft und schlecht nachrecherchiert – von zahlreichen Medien übernommen und weiter verbreitet: Chaoten hätten Spieler auf dem Weg zum Training attackiert und körperlich angegriffen, auf dem Vereinsgelände sei geschossen worden. Erstaunlicher Weise war danach in diesem Zusammenhang ausgerechnet in der BILD-Zeitung zu lesen: “Zum Glück blieb es gestern nur bei verbalen Attacken. Nach einem 20-Minuten-Gespräch konnten Trainer Norbert Meier und die Spieler die erhitzten Gemüter beruhigen.“ Allerdings war zuvor auch in BILD im Konjunktiv “eine Schreckschuss-Pistole im Spiel“.

In einer Pressemitteilung vom 5. März distanzierte sich die Dresdner Polizei von fälschlichen Medienberichten und stellte bezüglich der Vorfälle im Rudolf-Harbig-Stadion unter anderem fest: “Ermittelt wird wegen Beleidigung. Hinweise auf andere Straftaten liegen nicht vor.“ Während der MDR verschiedenen Verlautbarungen zufolge mittlerweile eine in diesem Fall nicht unbedingt geschickte Berichterstattung eingeräumt haben soll, flogen vereinsintern sinnbildlich die Fetzen. Politiker aus der 3. Reihe meldeten sich unverhofft mit Rücktrittforderungen und quasi Sponsorenerpressungsversuchen zu Wort.

Die Außenwirkung für den Verein war entsprechend. Verschwörungstheoretiker könnten ein unterstelltes Zusammenwirken gar nicht so geheimer Kräfte vermuten. Mehr oder weniger offene Machtkämpfe gibt es wohl allerdings bei jedem Fußballverein. Im weiteren Nachgang wurden schließlich gegen elf der an dem Trainingsauftritt Beteiligten Stadionverbote verhängt. Viel zu spät, zudem nicht unbedingt klar formuliert und heftig diskutiert, erfolgte eine Stellungnahme von den Ultras Dynamo. Darüber hinaus erfolgte die Ankündigung – “in den eigenen Reihen nicht unumstritten und zuvor heftig diskutiert“ -, dass die Ultras bis Saisonende bei Heimspielen nicht mehr im heimischen Dresdner Stadion präsent sein werden und sich auf diese “Art und Weise mit den zu Unrecht Verurteilten solidarisch zeigen“. Bezüglich dieses Verhaltens war der Pressesprecher von Dynamo Dresden gegenüber Telepolis zu keiner Aussage bereit.

Wie zuweilen subtil auch renommierte Medien Berichterstattung betreiben, zeigt ganz aktuell die Sächsische Zeitung. Die Diskussion um den Dresdner Stadionneubau gilt als hochemotional und zudem politisch belastet. Oft genug ist kolportiert worden, das Regierungspräsidium Dresden verzögere den Baustart des Stadions nur deswegen, weil ein Teil des Dresdner Stadtrates sich mit allen juristischen Mitteln gegen den Bau der Waldschlösschen-Brücke über die Elbe sperre. Erst vor einigen Tagen schien der sowieso schon verspätete Stadionneubau endgültig besiegelt – ein durchaus gewichtiger Punkt in den beim DFB einzureichenden Unterlagen für die Spiellizenz von Dynamo Dresden.

Am 14. März berichtete nunmehr die Sächsische Zeitung, dass die Planungen für den Bau des Stadions vorerst wieder ruhen, bis über die Klage des bei der Vergabe nichtberücksichtigten Baukonzerns Hochtief gegen die erfolgte Zuschlagserteilung entschieden sei. Weiter heißt es bei der Sächsischen Zeitung “Pikant: Hochtief hat kürzlich dem 1. FC Magdeburg, einem Dynamo-Konkurrenten, ein neues Stadion übergeben.“ Am 24. März bestreitet Dynamo Dresden das nächste Punktspiel auswärts gegen die – zudem in tiefer Fan-Abneigung verbundenen – Magdeburger. Verantwortungsvolle Medienarbeit sollte im emotional besetzten Bereich im und um den Fußball eigentlich anders aussehen.

[Dieser Artikel wurde am 15. März 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]