MedienScreen # 52 [BRDDR, Damaliger Dank Reloaded]

[Fundstück] Peter Richter, in “89/90“, Luchterhand Literaturverlag, 2015 –

(…) es würde Beton in unser Land gegossen werden bis jede alte Hitlerautobahn wieder als strahlend weißes Band in der Landschaft lag. Es würden Häuser in unsere Städte gebaut werden, die hässlicher, engherziger, dümmer aussehen würden als alles, was je gebaut worden war, aber die Älteren würden es schätzen, weil es neu war und sauber. Unsere Schmuddelecken würden verschwinden, Feldwege würden, wie im Westen, asphaltiert sein, und die alten, grauen Häuser würden mit Farbe zugeschmiert werden wie die Mädchen an der Straße jenseits der Grenze. Wir konnten das ahnen, wir hatten den Westen gesehen, besuchsweise, und es machte uns jetzt schon krank, dass wir auch noch Danke sagen sollten dafür (…)

Sachsen den sächsischen Indianern

Wer erklärt uns nicht alles die Welt. Dieser und schon früherer Tage. Manchmal besonders eindringlich auch die kleine sächsische Welt. Wie sie so ist, wie sie ist. Und wie es dazu kam, dass sie so ist, wie sie ist. Oder scheint. Mehr oder weniger philosophisch betrachtet, mit weltlicher Weitsicht. Irgendwie. Gewissermaßen gleichfalls aufklärend für die kleine Frau und den kleinen Mann in der Mitte der Gesellschaft.

Nein, nicht durch Kurt Biedenkopf schon wieder. Der ist erst einmal durch mit seinen lodernden Thesen zur Immunität. Es geht auch anders.

Der letztzurückliegende Sonntag bescherte uns in der Morgenpost vom selbigen Tag ein großformatiges Interview mit der “Ex-Politikerin“ Antje Hermenau. “Urmutter der sächsischen Grünen“, “Finanz-Ass“, “Verräterin“ – so im Intro andeutungsvoll durch den Gesprächsführer Torsten Hilscher vorgestellt. “Vor genau einem Jahr verließ sie die Landtagsfraktion, nach Streit um ein schwarz-grünes Bündnis, für das sie eintrat. Im Januar legte sie auch ihre Parteimitgliedschaft nieder, um dann ein ganz neues Berufsleben zu beginnen“, so Hilscher weiter.

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(“Von der liberalen Grünen zur Wirtschaftsberaterin – das neue Leben der Antje Hermenau (51). Ein Interview zu Lobbyismus, Briten und Pegida.“, Dresdner Morgenpost am Sonntag, 27. September 2015 – Faksimile: O.M.)

Viele Worte weiter hinten im Interview wird es dann doch noch einmal politisch, mithin so richtig. Nämlich der Welt die Sachsen-Welt erklärend. Und der kleinen Frau und dem kleinen Mann. Vom Standpunkt der sächsischen Indianer aus.

Torsten Hilscher fragt also die Ex-Politikerin: “Werden Sie international auch auf Dresden und seine Haltung zum Fremden, zu Asyl, Pegida angesprochen?“

Und Antje Hermenau antwortet unter anderem: “Ja, aber seltener als man denkt. Im Allgemeinen geht es dann darum zu erklären, dass die hiesige Bevölkerung 25 Jahre lang unter hohem Anpassungsdruck stand und natürlich nun auch sagt: ’Wir waren zuerst hier und haben alles selbst wieder aufgebaut’. Das ist eine schwer zu erklärende psychologische Frage.“

’Wir waren zuerst hier.’ Das sächsische Indianervolk eben. Darauf muss Frau oder Mann erst einmal kommen. Da sieht der Biedenkopf Kurt aber blass aus.

Pfründe wollen verteidigt sein. Auch in einer Demokratie. Offensiv. So wie einst, als 2004 mitnichten überraschend die NPD im Sächsischen Landtag einzog.

“Es ist Zeit, dass wir uns mit der NPD politisch auseinander setzen“, bemerkte damals am Wahlabend Antje Hermenau. Ja, ja – ’Wir waren zuerst hier.’ Schon zu jener Zeit eine psychologisch scheinbar schwer zu erklärende Frage. Zu politisch? Historisch eine holzschnittartig unzulässige Parallele? Sei’s drum. Sächsische Indianerinnen und Indianer kennen keinen Schmerz.

Immerhin wird der Slogan “Kuba den Kubanern, Indien den Indianern“ Walter Ulbricht zugeschrieben. Aber das ist dann schon wieder eine ganz andere Geschichte.

MedienScreen # 51 [Rational befreite mitteldeutsch sächsische Zone]

[Fundstück] Thorsten Mense, “Der nahe Osten“, konkret, 10/2015 –

(…) Die Flut, die Flüchtlinge, die Grenze zu Osteuropa – Sachsen war schon immer am liebsten Opfer. Ein kleines Bundesland, an den östlichen Rand der Republik gedrängt, vom gesamtdeutschen Kapital kurz freudig in die Höhe gehalten und dann gelangweilt zur Seite gelegt, nicht fähig, sich selbst zu finanzieren. Die neonazistischen Massendemonstrationen in Erinnerung an den “Bombenholocaust“ sind nicht zu verstehen ohne den Dresdner Opfermythos um die vermeintlich unschuldig bombardierte Stadt, Heidenau und Freital nicht ohne die Angst- und Opferrhetorik von CDU und Mitteldeutschem (!) Rundfunk (MDR) (…)

Der Bezug der rassistischen Wutbürger auf die Montagsdemonstrationen der Wendezeit, der Sachsens Elite so schwer aufstößt, ist dabei nur konsequent. Sie beweisen bloß ein weiteres Mal, dass “Volk“ in Deutschland nur völkisch zu denken ist (…)

Sachsen ist eben in vielerlei Hinsicht doch Mitteldeutschland – außer im geografischen. Die Menschen hier sind nicht unbedingt rassistischer als der Rest der Republik. Sie haben einfach weniger Hemmungen, ihren Hass offen auszusprechen und auszuleben, weil sie sich hier zu Recht vom “Volk“ beauftragt wähnen und kaum Strafverfolgung zu fürchten haben. Während Angriffe auf Flüchtlingsheime im Westen nachts und heimlich stattfinden, trifft man sich in Sachsen abends auf Bier und Bratwurst zum fröhlichen Pogrom. Schließlich hält hier Pegida in der Landeszentrale für politische Bildung Pressekonferenzen ab, und der MDR veröffentlicht eine Karte mit Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte unter der Überschrift “Angst vor Flüchtlingen“. Mit Aufklärung ist in der rational befreiten Zone nicht viel zu holen (…)

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