Sprache entlarvt?

Lautstark. Oh? Bürger-Protest. Ahja. Nur keine Aufregung. So scheint die Morgenpost am Sonntag mit ihrer Titelseite vom Tage beinahe beruhigend zu wirken. Ein bisschen. Gewollt?

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(Faksimile: O.M.)

“Besorgte Bürger“ dann im Innenteil der Sonntagszeitung. “Aber auch erkennbar Rechtsradikale.“ Vier Seiten “Akte Pegida“. Verkürzend resümiert in der Rubrik “Wohin hat PEGIDA uns gebracht?“: “(…) 1,7 Prozent weniger Besucher kamen nach Dresden. Die Übernachtungen gingen um 3,2 Prozent zurück. Hoteliers berichten, dass Reisende konkret wegen PEGIDA absagen würden.“ Vielleicht zu stark verkürzt? Ja. Aber es beruhigt. Oder auch nicht.

“Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag. (…) die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen“ (Victor Klemperer).

Diesem Zitat aus “LTI – Notizbuchbuch eines Philologen“ folgend, reflektiert Anna-Maria Schielicke aktuell Pegida im Spiegel ihrer Sprache (sehnsuchtsort.de, 6. Oktober 2015).

“(…) Sämtliche Parteien von links bis rechts, von Landtag bis Stadtrat lassen sich gerade ohne Gegenwehr den gesamten Diskurs aus der Hand nehmen. Sie lassen die Straße sprechen, unkommentiert und ungestraft, und sie lassen die Straße handeln (…)“

Lautstarker Bürger-Protest? Oder rational befreite mitteldeutsch sächsische Zone? Und Dresden, Perle der Willkommenskultur? Fragen?

Dresden, Perle der Willkommenskultur

Die Zeiten sind hart. Und das Leben ist eines der härtesten. Sowieso. Da stellen sich schon mitunter existenzielle Menschheitsfragen. In aller gebotenen Härte. Darf man über ein Kunstprodukt GröFaZ lachen? Über eine wie zufällig nicht ganz optimal layoutete TagesspiegelTitelseite schmunzeln? Oder gibt es keine Zufälle? Fragen über Fragen.

Und nun Dresden. Wieder einmal. Immer noch. Was ist zu dieser Stadt “nicht schon alles geklöppelt, gebatikt und gelyrikt worden“ (Gunnar Schubert). Neues Zentrum der rechtsextremen ’Bewegung’. Einst. Perle einer abendländisch besorgten Protestkultur. Heute. Und morgen, übermorgen? Fragen über Fragen.

Aber Dresden kann geholfen werden. Und die Stadt ist nicht allein. Denn, nicht umsonst gleichfalls Elbflorenz geheißen, bleibt Dresden keineswegs gänzlich in einem sich bürgerlich besorgt gebenden Kokon verschlossen. Eine andere, neue Kultur des Willkommens scheint sich zart anzudeuten, lässt sich nicht länger wegreden und schon gar nicht – Lügenpresse hin oder her – medial verschweigen, auch jenseits der Stadtgrenzen …

Die Begeisterung für solcherart kulturelles “Willkommen in Dresden“ – von Caro Korneli via extra 3 rund um den Erdball und darüber hinaus verkündet – hält sich bei einigen Regionalvertretern offenbar jedoch in Grenzen. “Pegida-Unterstützer schäumen vor Wut und bedrohen die Moderatorin, eine gebürtige Dresdnerin“ (Hannoversche Allgemeine).

“Es wird eine Mammutaufgabe, diese Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren“, resümierte gleichsam prophetisch Caro Korneli in ihrem Beitrag für extra 3.

Übrigens präsentierte dieser Tage aktuell die Dresden Marketing GmbH (DMG) den neuen Tourismus-Werbeslogan für die sächsische Landeshauptstadt: “Dresden. Gemeinsam feiern“. Eine Realsatire?

Sind die Wiesn angezündet …

… nein, nein und nochmals nein – das wurden sie natürlich keineswegs. Und schon gar nicht in Dresden, bei der sächsisch landeshauptstädtischen Oktoberfest-Ersatzveranstaltung namens Pichmännelfest, nahe am Haus der Presse. Aber es liest sich andeutungsvoll.

Womit wir quasi schon sogleich mittendrin statt nur dabei wären. Lesetechnisch. Stimmungsvoll. Prosaisch bebildert.

Denn im Dresdner Lokalteil der heutigen Sächsischen Zeitung gibt es unter der Rubrik Menschen in der Stadt kein Vorbeischummeln am Pichmännelfest. Unweit vom Haus der Presse, wir erinnern uns. Die wenigen Meter zwischen Presserefugium und Partyzelt scheint Nadja Laske mühelos überwunden zu haben. Denn es bricht hernach regelrecht aus ihr heraus, lebhaft sprudeln ihre Schilderungen.

Allein davon wird einem nur beim Lesen schon schunkelschummrig. Am morgendlichen Frühstückstisch. Ach, wäre man dabei gewesen. Aber die Laske Nadja lässt uns nicht außen vor.

Und der selbsternannte König von Mallorca war auch noch mit von der Partie bei der festlichen Pichmännel-Party. Der heimatliche Frühstückstisch wankt. Enjoy your emotions.

Wer nun die orgiastische Macht der Laske’schen Sprachbilder ohne papierenes Zeitungsrascheln auf sich wirken lassen will, ist allerdings leicht gehandicapt. Lesetechnisch. Denn bei sz-online.de baumelt ein Exclusiv-Schlösschen vor dem Lesegenuss. Gewissermaßen ein virtueller Coitus interruptus.

Aber ein klitzekleiner Leckerbissen sei vergönnt. So, als würde man selbst aus dem Dunkel der Nacht unbeobachtet durch einen der Festzeltschlitze auf das Treiben im Inneren schmulen können. Hand in Hand schunkelnd mit Nadja Laske im heimeligen Dresden, ihre Worte im Ohr –

“… Ahhh! Deutschland! Oktoberfest! Ahhhdeutschlandeierschecke sagt niemand … Der deutsche Osten schien lange resistent. Aber nun überschwemmt das Ozapfte auch Sachsen … Jürgen Drews will zum Auftakt in sein Cabrio steigen, doch der Motor stockt. Mehrmals dreht der 70-Jährige den Zündschlüssel … Nichts zu machen, kein vernünftiger Ton … er verlangt nach der Tontechnik … lässt den Motor wieder an. Doch die Karre verreckt … Dann kehrt das Cabrio quietschend zurück. Muss wohl der Keilriemen sein. Klingt scheußlich, aber der Wagen rollt … bis Onkel Jürgen mit dem Hintern einreißt, was er mühsam mit den Händen aufbaut … ’Puhhhhhh!’ … ’Puhhhhhh!’ … ’Puhhhhhh!’ …“

Das ist Heimat. Das ist Kultur. Sprache kann so viel.

Nadja Laske, you just made my day.

Schierke
(Weltfrieden? – Foto: O.M.)

“Das Wesen der Wiesn – Jürgen Drews sollte das Pichmännelfest rocken. Doch die Stimmung kippte noch vor den ersten Bierbänken.“, Sächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 7. Oktober 2015

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