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MedienScreen # 66 [Besorgte Kameraden]

[Fundstück] “Tag der Patrioten?“, Antifaschistisches Infoblatt (AIB), Nummer 109, Winter 2015 –

(…) Viele Mitglieder der militanten Parteien und Organisationen der 1990er Jahre scheinen durch die aktuellen rassistischen Mobilisierungen reaktiviert und bringen sich und ihre Erfahrungen wieder in die politischen Kämpfe der Neonaziszene mit ein. Neben den teils neu politisierten “besorgten BürgerInnen“, stellen die “alten Kämpfer“ weiterhin eine relevante Gruppe dar, da sie aus teils jahrzehntelanger Erfahrung schöpfen, bundesweit durch persönliche Kontakte partei- und organisationsunabhängig bestens vernetzt sind und eine hohe Gewaltaffinität mitbringen (…)

Auftrag Deutsches Fußball-Fan-Reich?

Dresden. Einige Anhänger des Drittligisten Dynamo Dresden fühlen sich offenbar dazu berufen, plakativ Anleihe bei der Rechtsrock-Band Stahlgewitter nehmen zu müssen.

Bei der Begegnung SV Werder Bremen (A) gegen SG Dynamo Dresden umrahmten am 12. Spieltag der 3. Liga in der Saison 2009/10 wie so oft zahlreiche Zaunfahnen die Partie. Wie ebenso üblich, kursieren seit dem in verschiedenen Fan- und Ultra-Foren Schnappschüsse dieses Events.

In einem deutschsprachigen Ultra-Forum wurde indessen eine verblüffende Ähnlichkeit einer der Dresdner Zaunfahnen-Losungen von besagtem Tag in Bremen mit einem Liedtext der Rechtsrock-Band Stahlgewitter festgestellt.

“Die BRD ist uns egal und völlig gleich – für uns zählt nur Sachsens Königreich“

(Bremen, 3. Oktober 2009 – Foto: Frank Dehlis, dehli-news.de)

“(…) Die BRD ist uns egal und völlig gleich,
denn unsere Heimat ist das Deutsche Reich.
Die Republik ist uns egal, vollkommen gleich,
denn unser Auftrag ist und bleibt das Deutsche Reich (…)“
[vgl. Stahlgewitter: Auftrag Deutsches Reich]

Das Antifaschistische Info Blatt (AIB) berichtete in seiner Sommer-Ausgabe 2009 über “Dresdner Neonazi-Hooligans und die SG Dynamo Dresden“, hauptsächlich im Zusammenhang mit den Übergriffen in der Dresdner Neustadt nach dem Türkei-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2006 und einer späteren Attacke von Dresdner Nazis gegen einen Zeugen einer diesbezüglichen Gerichtsverhandlung.

Bezüglich der vormals im AIB darüber hinaus erhobenen Vorwürfe gegen die Vereinsführung der SG Dynamo Dresden, beispielsweise –

“[…] verweigerte der Verein im Jahr 2008 ohne Begründung eine Aktion im Rahmen von ’FARE’ (Football against Racism in Europe), die durch die Faninitiative vorbereitet wurde […]“

“[…] ist es auch nicht verwunderlich, dass auch auf der offiziellen Dynamo-Homepage Bilder von Unterstützungstransparenten für Willy Kunze, den verurteilten und mit Stadionverbot belegten Neonazischläger auftauchen. Zwar hatte der Verein Zaunfahnen, die keinen Dynamobezug haben, untersagt. Aber bis zum letzten Spieltag der Saison tauchten die ’Alles Gute Willy’ und ’Grüße in den Knast’-Transparente bei den Spielen auf […]“

– scheint der amtierende Pressesprecher, Enrico Bach, auch auf mehrmalig dahingehende Anfragen von redok, nicht in der Lage zu sein, richtigstellend antworten zu können. Immerhin ist ja zumindest die Stahlgewitter-Anleihe vom Auswärts-Auftritt einiger Dynamo-Fans am 3. Oktober in Bremen offenbar nicht in der aktuellen Bildergalerie auf der Homepage des Vereins gelistet. Hat ja auch fast niemand gesehen – und bemerkt?

Am 15. Oktober verlautbarte die SG Dynamo Dresden, sich in Zusammenarbeit mit der Dresdner Fan-Initiative 1953international mit verschiedenen Aktionen an der europaweiten Aktionswoche 2009 des internationalen Fan-Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE) zu beteiligen.

Heißt es das jetzt in Dresden etwa auch von offizieller Seite? – “Faschos passen hier nicht rein!“

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Ergänzung vom 19.10.2009

Mittlerweile hat der Verein zu den beiden im AIB erhobenen Vorwürfen sowie zu dem obigen redok-Bericht Stellung genommen.

Laut Dynamo-Pressesprecher Enrico Bach hatte der Verein im Jahr 2008, wie in den Vorjahren, an der FARE-Woche teilgenommen und am damaligen 25. Oktober im Stadionheft einen bezüglichen Text veröffentlicht. Dagegen sei in gemeinsamer Entscheidung mit dem Hauptsponsor verweigert worden, die Trikotfläche bei einem Spiel der FARE beziehungsweise der lokalen Initiative zur Verfügung zu stellen, “was angesichts der wirtschaftlichen Situation des Clubs auch nachvollziehbar ist und sicher nicht nur in Dresden so entschieden wurde oder worden wäre“.

Das “Grüße-in-den-Knast“-Banner weise Dynamo-Logos auf, sei aber keiner speziellen Person zuzuordnen. Dem Verein sei es nicht möglich, “diese Grüße pauschal zu verbieten und die Straftäter, die eine Strafe absitzen, aber deswegen ja gesellschaftlich nicht abgeschrieben werden, per se aus seiner Fanszene auszuschließen“. Bilder mit “Alles-Gute-Willy“-Bannern seien bei einer stichprobenhaften Suche in der Bilder-Datenbank mit etwa 3.000 Bildern zum Thema “Fans“ nicht gefunden worden; bei einem konkreten Hinweis würden sie entfernt.

Die beim Auswärtsspiel in Bremen aufgetauchten fragwürdigen Banner seien bereits intern auf eine schwarze Liste gesetzt worden, die der Verein bei zukünftigen Auswärtsspielen verschicken werde und um deren Verbot die Heimvereine gebeten werden. Das im obigen redok-Bericht angesprochene Banner (“Die BRD ist uns egal und völlig gleich“) erschließe sich dem Nicht-Nazi-Liedgut-Kenner nicht sofort, sei aber jetzt auf die Liste mit aufgenommen worden.

[Dieser Artikel wurde am 18./19. Oktober 2009 – mit einem Foto gleichen Motivs von bultras.net – bei redok veröffentlicht.]

Anti-Antifa-Akten – und der Umgang damit

Dresden. Schon wiederholt in der bundesdeutschen Geschichte haben Rechtsextremisten zu missliebigen Personen Dossiers angelegt. Veröffentlichungen über eine neuerlich publik gewordene Datensammlung rufen die Staatsanwaltschaft auf den Plan – und die aus neofaschistischen Dunstkreisen heraus agierenden Datensammler selbst.

Bereits zu Beginn der 1990er Jahre veröffentlichten Aktivisten der sich so betitelnden Anti-Antifa in der damaligen Szene-Publikation “Einblick“ zusammengetragene Daten über antifaschistisch engagierte Personen aus dem gesamten Bundesgebiet. Weiterhin oder mittlerweile neu tätige Anti-Antifa-Strukturen informieren nach ihrer Selbstdarstellung unter anderem “über linksextremistische Bestrebungen und antifaschistische Gewalt“. Nach Einschätzung der Berliner Agentur für soziale Perspektiven (ASP) dient dabei die Bezeichnung “Anti-Antifa“ auch als identitätsstiftende Sammelbezeichnung für militante und pseudomilitante rechtsextremistische Gruppen. Als weiteres Ziel von Anti-Antifa-Aktivitäten wird darüber hinaus die versuchte Einschüchterung politischer Gegner gesehen.

In seiner aktuellen Ausgabe berichtete das Antifaschistische Infoblatt (AIB) über “Einblicke in die Arbeitsweise der ’Anti-Antifa’ in Dresden“. Fast zeitgleich teilte am 22. Januar das Dresdner Medien-Projekt a.l.i.a.s. mit, durch sächsische und speziell Dresdner rechtsextremistische Kreise seien augenscheinlich umfangreiche und detaillierte Daten-Sammlungen über Personen angelegt worden, die sich couragiert gegen Rechtsextremismus engagieren. Die Bandbreite der Anti-Antifa-Aktenlage reiche von Antifaschisten, Gewerkschaftsmitgliedern, Mitarbeitern einer Schülerzeitschrift und linken Politikern bis hin zu Professoren und einfach zivilgesellschaftlich engagierten Menschen.

Als besonders pikant erscheint in diesem Zusammenhang, dass ein nicht unwesentlicher Teil der dem a.l.i.a.s. anonym zugänglich gemachten und von Szene-Kennern als authentisch eingestuften Anti-Antifa-Akten “offensichtlich aus der Einsichtnahme in staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten erlangt“ wurde. Zu dem Verdacht einer Aktenweitergabe an Rechtsextremisten sagte der Leiter der Staatsschutzabteilung bei der Staatsanwaltschaft Dresden, Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, Vorschrift der Strafprozessordnung sei es, “dass Privatpersonen keinen Zugang zu Ermittlungsakten haben, wenn denn nicht über ihren Anwalt“.

Nachdem Berichte in der Tageszeitung junge welt und bei redok zu den Anti-Antifa-Akten mit Dossiers über mehr als 100 Personen erschienen waren, durchsuchten Beamte des Dezernates Staatsschutz am 29. Januar die Räume des a.l.i.a.s. in Dresden. Dabei händigten – entgegen teilweise anderslautenden Berichterstattungen – Mitarbeiter des a.l.i.a.s. der Staatsanwaltschaft die gesuchten Unterlagen freiwillig aus. Als “prikär“ bezeichneten es Vertreter des Dresdner Medien-Projektes, “dass die Anzeige, welche zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens führte, von einem langjährig bekannten Neonazi, just aus dem Spektrum der Freien Kräfte Dresden, gestellt wurde. Tilo K. ist Mieter des Objekts auf der Oskar-Röder-Straße, was von Neonazis genutzt wird und in welchem die Unterlagen entwendet worden sein sollen“. Gleichzeitig betonten Vertreter des a.l.i.a.s. nochmals, dass “das Vorgehen der Szene, mittels Anzeigen an Daten politischer Gegner zu gelangen, in Dresden nichts neues“ darstelle. So enthalte “nicht zuletzt die ’Anti-Antifa-Akte’ eine Vielzahl von Informationen, die nur aus solchen Ermittlungsverfahren stammen können“.

Das AIB erklärte im Zusammenhang mit der staatsanwaltlichen Durchsuchung des a.l.i.a.s.: “Das Redaktionsgeheimnis und der Informantenschutz zählen zu den elementaren Voraussetzungen einer freien Presse, an ihnen darf nicht gerüttelt werden“. Dabei bezieht sich das AIB direkt auf das so genannte SPIEGEL-Urteil, wonach Durchsuchungen unzulässig seien, wenn sie vor allem dazu dienten, einen mutmaßlichen Informanten aufzuspüren. Darüber hinaus verweist das AIB auf die Cicero-Affäre und die Bedeutung des Informantenschutzes für die Pressefreiheit. So sei schließlich das Zeugnisverweigerungsrecht “nicht umsonst im Jahr 2002 zugunsten der Journalisten erweitert worden“.

Mittlerweile hat sich auch die so genannte “Freie Offensive Sachsen“ unter der Online-Führung des militanten Nazi-Kaders Ronny Thomas zu Wort gemeldet – und angekündigt: “Sollten also nationale Aktivisten dazu übergehen, einen Selbstschutz zu organisieren, indem man Daten von Protagonisten der antifaschistischen Szene sammelt, so ist dieser Akt nur eine Antwort auf die jahrelangen Umtriebe der selbigen“. Die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt derweil unter anderem zur Herkunft der den Anti-Antifa-Dossiers zugrunde liegenden Strafakten.

[Dieser Artikel wurde am 6. Februar 2007 bei redok veröffentlicht.]