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Nazis in Dresden: Keinen Meter gelaufen

Dresden. Es sollte die größte europäische Neonazi-Demonstration werden, doch der rechtsextreme “Trauermarsch“ in Dresden kam nicht von der Stelle. Das jährliche Rechtsaußen-Spektakel musste sich auf eine Standkundgebung vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt beschränken. Zudem waren deutlich weniger Rechtsextreme als zuletzt befürchtet in die sächsische Landeshauptstadt gekommen. Gegen deren Propagandaaktion wehrten sich weit über 10.000 Bürger und Nazigegner.

Die rechtsextreme Demonstration sollte um 12 Uhr beginnen. Doch am Mittag waren gerade ein paar Hunderte am Neustädter Bahnhof eingetroffen, darunter NPD-Chef Udo Voigt, der Parteibarde Frank Rennicke und der DVU-Vorsitzende Matthias Faust. Erst zwei Tage zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die Rechtsextremen in Dresden demonstrieren dürfen. Ausgerechnet vor dem Bahnhof wollten sie sich versammeln, von dem aus während der Herrschaft des Nationalsozialismus Juden deportiert wurden. Dort hatten die Nazis im Oktober 1938 vor aller Augen über 700 Dresdner Juden nach Polen abgeschoben. Zwischen 1942 und 1944 war der Güterbahnhof Ausgangspunkt oder Zwischenstation für zahlreiche Deportationen in die Ghettos Riga und Theresienstadt sowie in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Gegendemonstrationen waren am diesjährigen 13. Februar eigentlich nur jenseits der Elbe in der Altstadt erlaubt, in der Dresdner Neustadt waren sie nicht zugelassen. Dennoch versammelten sich Tausende dort, wo die Neonazis sich treffen wollten. Nach Angaben von Aktivisten hatten sich trotz Demonstrationsverbot an mindestens vier verschiedenen Orten um die 10.000 Menschen zusammengefunden, um den Neonazi-Aufmarsch zu blockieren. Polizei und Nachrichtenagenturen gaben sich zurückhaltender und sprachen von etwa 2.000 Blockierern, die den Aufrufen von linksgerichteten Organisationen und Bündnissen gefolgt waren.

Menschenkette in der Altstadt

In der Altstadt hatten sich Bürger aus verschiedenen politischen Richtungen versammelt. Erstmals sprach mit Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) eine hochrangige Vertreterin der Stadt zu Anti-Nazi-Demonstranten und selbst Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nahm an der Kundgebung teil. Später wurde eine Menschenkette als geschlossener Ring um die Altstadt gebildet, zu der sich erheblich mehr Teilnehmer fanden als erwartet. Zehntausend bildeten die Kette, hieß es von der Stadt; die Sächsische Zeitung berichtete sogar von 15.000.

Während dessen marschierten die Nazis in der Neustadt keinen Meter weit. Bis zum späteren Nachmittag waren es wohl an die 5.000, die der Monate langen Propaganda von rechtsextremen Parteien und Gruppen aller Schattierungen Folge geleistet hatten beziehungsweise zum Aufmarschort durchgekommen waren. Die Polizeidirektion Dresden bezifferte die Stand-Demonstrierer auf 6.400 Personen. Eigentlich war für diesen Tag bis zuletzt mit 8.000 Rechtsextremen gerechnet worden.

Die Blockaden der Nazigegner in der Neustadt hielten offenbar. Die Polizei hatte zunächst vereinzelt versucht, Sitzblockaden aufzulösen. Doch schon bald gestand Einsatzleiter Ludwig-Gerhard Danzl ein: “Die Polizei sieht sich außerstande, die Blockade zu räumen“. Nach Beendigung der Menschenkette in der Altstadt kamen noch viele von dort in die Neustadt und verstärkten die Blockaden. Zeitweilig schränkte die Polizei ohne ersichtlichen Grund die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten am Schlesischen Platz ein, mit der einzigen Erklärung: “Das ist jetzt eben mal so“.

Kein Marsch in der Neustadt

Den Neonazis blieb nichts anderes übrig, als vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt zu verharren und dort eine Standkundgebung abzuhalten. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass sie keinen Meter ihrer vorgesehenen Demonstrationsroute laufen würden. Aber auch die Standkundgebung begann eigentlich nie so richtig, weil erheblich verspätet immer noch Demo-Teilnehmer eintrafen. Eine Gruppe von rund 100 Rechtsextremen beispielsweise erreichte den Versammlungsort quasi kurz vor Beendigung der Veranstaltung. Die bis dahin gehaltenen, fast endlos scheinenden Redebeiträge sowie die Sangesdarbietungen von Frank Rennicke waren ob der Akustik und zudem fast ständig über dem Platz kreisender Hubschrauber kaum weiter als bis zum inneren Rand des Schlesischen Platzes vernehmbar. Da ging es aber eigentlich auch schon nur noch darum, die rechte Menge ohne größere Zwischenfälle zurück zu ihren weiteren Abreisemöglichkeiten zu bringen.

Bereits früher am Nachmittag hatte offenbar eine Gruppe von Neonazis in der Neustadt das alternative Kulturzentrum Conni angegriffen; dabei soll es mehrere Verletzte gegeben haben. Auf rechtsextremen Internetseiten war vorab kaum verbrämt zur Gewalt gegen das Zentrum aufgerufen worden: “Kleiner Tipp an Dresdner: Das Conni liegt cirka 300 Meter rechts von der Hechtstraße, parallel in der Rudolf-Leonhard-Straße“, war durchgegeben worden.

Wurfgeschosse und Todes-Gerüchte

Gegen 16.30 Uhr wurden die Rechtsextremen auf dem Schlesischen Platz zunehmend aggressiver. Aus der Menge heraus flogen vereinzelt Wurfgeschosse und Böller in Richtung Polizei und Journalisten. Nach Angaben erlitten dabei sechs Polizei-Beamte leichte Verletzungen. Skandiert wurde unter anderem “Wir wollen marschieren“, “Straße frei für die deutsche Jugend“ und “Wir sind das Volk“. Es gab kurzzeitig einige Rangeleien der vorderen Reihen der Demo-Teilnehmer mit der Polizei. Über die Lautsprecher-Anlage wurde die Bundesrepublik Deutschland als “faschistisches System, wie es uns in der Schule gelehrt wurde“ tituliert, anwesende Polizeibeamte zum Wechseln auf die “richtige Seite“ aufgefordert. Das Absingen aller Strophen der deutschen Nationalhymne war eher kläglich. Die Lautsprecher-Verlautbarung der Demo-Leitung – mit dem gleichzeitigen Beschwichtigungsversuch “Bleibt ruhig!“ – es habe im Umfeld der Blockaden neben mehreren schwerverletzten Kameraden vielleicht “sogar durch die Polizei zu bestätigende zwei Tote“ gegeben, reihte sich nahtlos an.

Die Veranstalter des Nazi-Spektakels wollten eigentlich bis Mitternacht demonstrieren, doch die Veranstaltungsbehörde hatte den “Trauermarsch“ bis 17 Uhr begrenzt. Zu diesem Zeitpunkt erklärte die Polizei über Lautsprecher die Versammlung als beendet. Die Rechtsextremen aus ganz Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern wurden aufgefordert, in Züge zu steigen. Laut Polizei bestand für die Rechtsextremen “zur eigenen Sicherheit“ die einzig mögliche Fortbewegungsmöglichkeit per Bahn nach Dresden-Klotzsche, wo ein Großteil der Busse zur weiteren Abfahrt bereit gestellt wurde. Erfahrungsgemäß war während der Abreisebewegungen der Rechtsextremen noch mit verschiedenen Spontan-Aktionen zu rechnen. Tatsächlich wurde am Abend beispielsweise noch berichtet, dass mehrere Hunderte Rechtsextreme durch Pirna gezogen seien und das dortige Bürgerbüro der SPD-Landtagsabgeordneten Dagmar Neukirch militant attackiert hätten.

Nicht weit vom Versammlungsort der Rechtsextremen hatten die meisten Blockierer auch auf dem Albertplatz ausgeharrt. Dort begann gegen 18 Uhr eine Abschlusskundgebung, mit der die erfolgreiche Verhinderung des Neonazi-Marsches gefeiert wurde.

Erstmals ist es 2010 gelungen, den jährlichen Marsch der Rechtsextremen durch die sächsische Landeshauptstadt letztendlich so zu blockieren, dass er nicht einmal auch nur ansatzweise möglich wurde. Und erstmals seit Jahren hat die Zahl der sich zum 13. Februar in Dresden versammelnden rechtsextremen Demonstranten abgenommen.

[Letzte Bearbeitung: 23:55 Uhr]

[Dieser Artikel (Albrecht Kolthoff/Olaf Meyer) wurde am 13. Februar 2010 bei redok veröffentlicht.]

Die Reihen licht geschlossen

War die fünfjährige Präsenz der NPD im Sächsischen Landtag nur ein Intermezzo?

Als die NPD im September 2004 nach 36 Jahren wieder in ein bundesdeutsches Landesparlament einzog, stellte dies für die Einen das logische Resultat durch “die durchaus straffe personelle Organisation sowie eine mittlerweile erfolgte Verankerung der NPD in der Mitte der Gesellschaft“ dar. Andere prognostizierten “eine mittlere Kurzlebigkeit“ dieses Wahl-Erfolges und hofften “auf eine ’Entzauberung’ im Parlament und Selbstbeschäftigung der Rechtsextremen mit sich selbst“ (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag). Schaut man nun kurz vor der Landtagswahl in Sachsen auf die letzten fünf Jahre zurück, sind für beide Ansätze exemplarische Beispiele zu finden.

Nachdem sich besonders bei den so genannten Freien Kameraden die erste Aufregung um die Anschaffung von zwei Mercedes-Limousinen der E-Klasse als Fraktionsdienstwagen etwas gelegt hatte, konnte die NPD im November 2004 ihren ersten öffentlichkeitswirksamen Coup im Landtagsgeschäft landen. Zur Wahl des Ministerpräsidenten stellte die Fraktion mit Uwe Leichsenring, dem Mäzen der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (Trotz Verbot nach wie vor aktiv), einen eigenen Kandidaten.

In beiden zur Wahl des Ministerpräsidenten notwendigen geheimen Abstimmungen erhielt Leichsenring jeweils zwei Stimmen aus anderen Fraktionen des Landtages (Niemand will es gewesen sein). Das Procedere wiederholte sich kurz danach, als auch bei der Wahl zum Ausländerbeauftragten der als “Ausländerrückkehrbeauftragte“ aufgestellte Kandidat der NPD, Mirko Schmidt, erneut zwei zusätzliche Stimmen erhielt (Das Spiel mit zwei Unbekannten geht weiter).

Im Januar 2005 fabrizierte die NPD-Fraktion dann einen offenbar wohlkalkulierten Eklat, als während einer anberaumten Schweigeminute für alle Opfer des Nationalsozialismus die gesamte damalige Fraktion den Plenarsaal des Landtages verließ. Darüber hinaus titulierte Jürgen W. Gansel zu jenem Zeitpunkt die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 als “Bomben-Holocaust“ (Nur eine Landtagssitzung in Sachsen?). Im Januar 2006 noch erklärte die NPD-Fraktion – erneut öffentlichkeitsheischend – “Warum wir nicht nach Auschwitz fahren“ (Auschwitz als demokratische Falle?). Da allerdings hatte sich das Abgeordnetenkarussell schon zu drehen begonnen.

Bereits Ende des Jahres 2005 waren alle Bemühungen um die bis dato offiziell gezeigte Geschlossenheit nur noch Schall und Rauch. Zuerst verließen Mirko Schmidt und Klaus Baier die deutsch-nationale “Denkfabrik“ im Landtag (Update: Die sächsische NPD-Fraktion bröckelt). Kurz darauf folgte ihnen Jürgen Schön. Schmidt beispielsweise wurde im Zusammenhang seines Fraktionsaustrittes mit der Aussage zitiert: “Wenn die NPD die Macht hätte, würde ich Deutschland verlassen.“ Alle drei waren danach weiter als Abgeordnete im Landtag tätig. Ihre politischen Neuorientierungen sind eher als bedeutungslos einzuschätzen.

Im August 2006 verunglückte dann der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion bei einem Autounfall mit überhöhter Geschwindigkeit tödlich (Ian Stuart Leichsenring). Im November 2006 wurde öffentlich, dass wegen des Verdachtes auf Besitz kinderpornografischer Schriften gegen Matthias Paul ermittelt wird. Paul legte daraufhin sämtliche Fraktions- und Parteiämter nieder und verließ die Fraktion. Über einen Ausschluss aus der Partei wurde nichts bekannt.

Wenige Tage vor Pauls Rücktritten wurde Klaus-Jürgen Menzel nach einem geheim durchgeführten Votum einstimmig aus der NPD-Fraktion ausgeschlossen, nach offizieller Darstellung wegen “finanzieller Unregelmäßigkeiten“. Menzel verblieb als fraktions- und parteiloser Abgeordneter im Landtag.

Während innerhalb der Legislaturperiode gegen einige der NPD-Landtagsabgeordneten “mehrere Dutzend Strafanzeigen“ (Dresdner Morgenpost) anhängig wurden, ragten allein die bizarren Gepflogenheiten Menzels unter dem Abgeordneten-Deckmantel heraus. So hatte Menzel beispielsweise im Dezember 2006 einen Revolver in den Sächsischen Landtag schmuggeln lassen, legte später Patronen auf das Rednerpult im Plenarsaal und wurde zudem unter anderem wegen uneidlicher Falschaussage sowie versuchter Strafvereitelung verurteilt und handelte sich mehrere Ordnungsrufe, Hausverbot und den Ausschluss von Landtagssitzungen ein. Nichts desto trotz war Menzel in diesem Jahr beim vorabendlichen Aufmarsch zum 13. Februar (Fast wie immer im Februar in Dresden) als quasi einziger Landtagsvertreter im Spektrum der freien Kameradschaften mit entsprechender Beachtung zu sehen.

Mit zwölf Abgeordneten ist die NPD im September 2004 in den Landtag eingezogen. Nach den wie auch immer bedingten Wechseln verblieben ihr zum Ende der Wahlperiode lediglich noch acht Mandate (Braune Schwindsucht an der Elbe). Zudem war unterdessen die Landesliste mit dem für Matthias Paul nachgerückten Peter Klose personell ausgeschöpft. Weder die in der Legislatur versuchte Belebung einer so genannten “Dresdner Schule“ durch Jürgen W. Gansel, noch die Verbal-Ausfälle von Holger Apfel konnten über die rechtsextreme Leere der Mitte hinwegtäuschen. Die konnte auch Anfang 2009 durch die plakative Entsendung von Frank Rennicke als Sachverständiger in den Landtagsausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien nicht mehr übertüncht werden. Nicht zuletzt waren beispielsweise nachrückende Abgeordnete mit ihrem Fachwissen à la NPD kaum in der Lage die Lücke zu füllen, die zugebener Maßen der Unfalltod eines Uwe Leichsenring hinterlassen hatte.

Die 2006 ausgerufene länderübergreifende Achse Dresden-Schwerin (Die braune Achse Dresden-Schwerin) scheint mittlerweile nur noch auf dem Papier zu existieren oder äußerst konspirativ im Untergrund tätig zu sein. Auch das vormals mit viel Fraktionsprominenz zelebrierte “Pressefest“ der Deutschen Stimme (Im braunen Schlamm bei Pappritz) sowie der nachfolgende “Sachsentag“ der Jungen Nationaldemokraten (Wo man singt …) verloren zunehmend an Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der Binnenwirkung für die zuweilen mit Brot-und-Spielen versuchsweise zu befriedende freie Kameradschaftsszene. Nicht zufällig endete der ausgefallene “Sachsentag“ 2008 mit Körperverletzungen und Ausschreitungen durch Rechtsextremisten in der Dresdner Innenstadt.

Hinderten NPD-Fraktionsmitglieder noch 2005 ihren damaligen Abgeordneten Menzel gewaltsam daran, an das Rednerpult im Plenarsaal treten zu können, erreichte diese Streitkultur zum Ende der Legislaturperiode auch den Mitarbeiterstab. Ursprünglich war dieser in seiner Personalvielfalt unter anderem zur Errichtung einer so genannten “Denkfabrik“ in den Landtag nach Dresden rekrutiert worden. Stattdessen ging im November 2008 während einer Auseinandersetzung der Abgeordnete Jürgen W. Gansel “nach einem Faustschlag“ durch den damaligen Fraktionsmitarbeiter Peter Naumann “zu Boden“ (Dresdner Morgenpost).

Trotz aller Querelen in der Bundespartei, den Länderstrukturen, in Bezug auf die Freien Kameradschaften nach Auflösung des so genannten Deutschlandpaktes innerhalb der rechtsextremen Partei-Szene, schätzt der Verfassungsschutz die NPD aktuell nach wie vor als “kampagnenfähig“ ein. Unter anderem mit einem ausrangierten und entsprechend ausstaffiertem Feuerwehrauto auf Wahlkampf-Tour, stellte das die NPD in der sächsischen Landeshauptstadt deutlich unter Beweis. So wurde zur im Stadtgebiet nicht gerade spärlich vorhandenen rechtsextremen Wahlwerbung am Wochenende vor den Landtagswahlen eine der vierspurigen Einfallstraßen mit zusätzlichen NPD-Plakatierungen regelrecht zugepflastert.

Ob und in welcher Stärke die Nationaldemokratische Partei Deutschlands im 5. Sächsischen Landtag vertreten sein wird, werden die Stimmauszählungen am Abend des 30. August zeigen. Die Forschungsgruppe Wahlen veröffentlichte am 21. August in ihrer bis dato letzten Projektion 6 Prozent Stimmanteil für die NPD. Sachsen hat die Wahl.

[Dieser Artikel wurde am 27. August 2009 bei Telepolis veröffentlicht.]