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Gewagter Ausflug nach “Pegidistan“

Ein Büchlein, das im Stil eines nicht gerade unbekannten Reiseführers daherkommt. Ganze 106 Seiten dünn. Die es dann teilweise wahrlich in sich haben. Bei den Beschreibungen von “Reisen im Land hinter der Mauer“.

Nein, es ist kein geschichtliches Déjà-vu in der Matrix. “Kuba den Kubanern, Indien den Indianern“ bleibt weiterhin Walter Ulbricht zugeschrieben. Historisch ist das Schriftwerk mithin schon. Ansatzweise jedenfalls. In seiner Betrachtung einer mehr oder weniger fiktiven, all zu nahen, Zukunft. Aus der Vergangenheit in der Gegenwart begründet. Wer wird in diesen Tagen, Wochen und Monaten ’Dresden’ nur mit ’Dynamo’, ’Sachsen’ lediglich mit ’Eierschecke’ assoziieren können …

“Armes Deutschland!!!!“ prangt vor dem Beginn der Reise, die Uwe Leuthold durchaus sprachgewaltig über einhundert Kapitel lang vor des Lesers Augen in sächsischer Ungemütlichkeit vorüber spazieren lässt. Denn “Pegidistan bedeutet in der Landessprache soviel wie ’Land des ewigen Spaziergangs’“ und dieser kleine Reiseführer “gibt Tipps, wie man in der fremdenfeindlichsten Region zwischen Polen und Frankreich seinen Urlaub zu einem unvergesslichen Erlebnis macht und überlebt“.

Soviel satirischer Sarkasmus darf schon mal sein auf der Tour durch die allgegenwärtige “Pegidische Abendland-Republik Dresden (PRD)“. Gewissermaßen realpolitisch betrachtet.

Einen seiner Höhepunkte hat das Büchlein gleich zu Beginn. In der geografischen Einordnung der PRD mit ihren vier Regionen, “die jede für sich schon eine Reise wert sind“. Als da neben dem eigentlichen “Tal der Ahnungslosen“ wären “Die Elfenbeinturmhänge“, “Die Neustadt“, “Das Schönfärber Hochland“ und nicht zuletzt “Das Hinterland“. Kostprobe?

“… Wenn ein Ort aussieht, als hätten Asylanten ihn zerstört, handelt es sich um Heidenau. Architektonisch erinnert es an eine Raststätte für Sondermüllfahrzeuge. Bedeutendstes Gebäude und gleichzeitig größter Arbeitgeber ist die zentrale Pack-Station.

Freital besticht durch das spröde Flair eines ost-europäischen Straßenstrichs, dem die Nutten abhanden gekommen sind. Berühmt ist die Ortschaft immerhin für die Gedenkstätte ’Grab der unbekannten Weltoffenheit’ …

Von Pirna eröffnet sich der Blick auf die beeindruckenden Felsmassive des Elb-SA-Stein-Gebirges und lenkt ein wenig davon ab, wie die Stadt im braunen Sumpf vermodert …“

Wobei es dem Autor gleichwohl wichtig ist, potenziellen Besuchern ländliche Strukturen zu bebildern, die nicht einmal bodenständig Einheimische wahrzunehmen in der Lage scheinen.

“… Ethisch und moralisch bilden die drei Städte als Hinterland eine Einheit. Die Bevölkerung ist äußerst konservativ. In vielen Tälern und Wäldern wird einer primitiven Urform des Pegidismus – dem Faschismus – gehuldigt. Fremden wird empfohlen, sich in diesen Regionen nur mit einer Führerfigur blicken zu lassen …“

Wohlan denn, sage niemand, er hätte es nicht gewusst, sie wäre nicht gewarnt gewesen. Vor Pegidistan – oder diesem Büchlein.

“… Nur wenige Menschen wagten bisher, was unser Team aus befangenen Überlebenskünstlern und hartnäckigen Schubladendenkern getan hat: Einen Fuß nach Pegidistan zu setzen …“ (Klappentext).

Ein literarischer Bericht à la Goethe ist es indes nicht geworden. Sei’s drum. Lesen bildet. Reisen ebenso. Und wer auf den Gutschein für die angepriesenen fünf Euro Rabatt bei Fahnen Friedrich aus ist, muss sich das Leuthold’sche Werk ohnehin kaufen.

Fahnen Friedrich? Auf nach Pegidistan …

leuthold_pegidistanPegidistan: Reisen im Land hinter der Mauer
Uwe Leuthold
Im Selbstverlag, Dresden 2016

Uwe Leuthold wurde 1976 geboren und lebt in der Dresdner Neustadt und in Berlin. Er hat Politikwissenschaft studiert, arbeitet als freier Autor und Journalist. Bei dem Namen handelt es sich um ein Pseudonym (neustadt-ticker.de, 20. Februar 2016).

Und immer wieder grüßt der Spuckelch [error left]

“Die schützende Hand“ spricht

“Wolfgang Schorlau hat einen Detektiv erfunden, der an den Säulen der Gesellschaft sägt“ (Neue Ruhr Zeitung) – steht im Klappentext zum fünften Fall von Georg Dengler, besagtem Detektiv, zu lesen.

Nunmehr durchlebt der fiktive Privatermittler mit BKA-Vergangenheit seine achte Geschichte und erfreut sich dabei offenbar einer gewissen Aufmerksamkeit. Was nicht allein am – aus der bisherigen Dengler-Reihe herausragenden – Buchformat liegt.

Die Krux scheint im Inneren, beim Thema von “Die schützende Hand“, zu finden sein. Geht es doch zuvorderst um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Besser gesagt: Was war oder was nicht war. Und was wahr sein könnte. Denn allein strafprozesstechnisch ist die Geschichte des NSU längst nicht durchreflektiert. Und der so genannte NSU-Prozess ist nur eine Seite der Historie. Open End?

Offene Fragen scheint es auch in puncto Schorlaus Werk zu geben. Auf jeden Fall deutliches Interesse. Oder Schwierigkeiten beim Verständnis. Teilweise zumindest. Vielleicht auch nur Interpretationsfragen. Tiefergehend?

Rund um die “Schützende Hand“ (Kiepenheuer & Witsch, 2015) möge das Folgende – mit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit – einfach mal so stehen bleiben. Vorerst? Lesen bildet …

friedensblick.de [7. Dezember 2015, Dirk Gerhardt] – (…) Eine fiktive Aufbereitung eines Themas bedeutet nicht, dass alles Fiktion ist. Dies ist nur der Wunschglaube oder besser das, was einige gerne glauben wollen oder glaubend gemacht werden sollen. Die Phantasten sind doch diejenigen, die meinen, nur weil es fiktiv daherkommt, können die behandelten Fakten auf keinen Fall der Wahrheit entsprechen, weil “Die so etwas nicht machen würden” (kategorisch, a priori) oder “Irgend jemand davon berichtet” hätte oder andere, naive Weltvorstellungen (…)

rotfuchs.net [7. Dezember 2015, Arnold Schölzel] – (…) Die Rezensenten der “Schützenden Hand“ trauen sich nicht, das Fazit des Buches zu formulieren: Behörden und Beamte der Bundesrepublik Deutschland sind Urheber und Vertuscher von Kapitalverbrechen. Da ist die Rede von “irritierend“ (Hessischer Rundfunk), “dubiose Rolle der Ämter für Verfassungsschutz“ (Freitag), “Blick in den Abgrund“ (Süddeutsche Zeitung). Das ist gegenüber dem “Pannen“-Gefasel ein enormer Schritt, aber das BRD-Biedermeier wird nicht verlassen, etwa um für Aufklärung zu sorgen. Schorlau liefert sie (…)

Telepolis [11. Dezember 2015, Walter Gröh] – NSU-Terroristen: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese (…)

hagalil.com [28. Januar 2016, Ramona Ambs] – (…) Es ist ein mühsames Buch. Mühsam zumindest für Journalisten, die beim Lesen ständig gegen checken (wollen & müssen), was Fiktion ist, und was real. Und vieles von dem, was real ist, würde man sich ins Reich der Fiktion wünschen, … in das Hirn eines verschrobenen Autors, der sich wilde Verschwörungstheorien baut. Leider aber sind die schockierendsten Details stets real – und die schöneren Momente – fiktiv … (…)

konkret [2/2016, Friedrich C. Burschel] – (…) An Wolfgang Schorlaus neuem Polit-Krimi zum NSU werden auch Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger ihre Freude haben (…)

nsu-watch.info [13. Februar 2016] – (…) Eine literarische oder künstlerische Verarbeitung des Stoffes des NSU-Komplexes ist legitim, sie ist auch wünschenswert und die vielen meist guten, mitunter misslungenen Theaterstücke zeigen, dass das möglich ist. Doch der Krimi “Die schützende Hand“ verkauft sich als “Dokufiktion“, er will mehr sein als nur Literatur – und das ist sein großer Fehler (…)

lecorte.de [15. Februar 2016, Tomas Lecorte] – (…) Ein Kriminalroman darf gewiss zuspitzen, manches übertreiben, ohne sich am gleichen Maßstab messen zu lassen wie ein Sachbuch. Doch Schorlaus Buch ist kein Kriminalroman. Schorlau selbst ist es, der die Messlatte bedeutend höher legt, wenn er sagt, sein Buch solle der Aufklärung dienen und “zeigen, wie es wirklich ist“, es sei die “Ermittlung eines Staatsverbrechens“ und seines Erachtens “deutlich realitätstüchtiger als die offiziellen Bekundungen“ (…)

Telepolis [20. Februar 2016, Wolfgang Schorlau] – Mundlos und Böhnhardt: Zweifel an Selbstmord-Hypothese. Antwort und Richtigstellung eines Telepolis-Artikels (…)

lecorte.de [22. Februar 2016, Tomas Lecorte] – NSU: Schorlau verteidigt seine “Schützende Hand“ gegenüber telepolis (…)

Telepolis [1. März 2016, Walter Gröh] – Mundlos und Böhnhardt: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese. Eine Antwort auf Wolfgang Schorlaus Richtigstellungen seiner Argumentation in “Die schützende Hand“ (…)

“Sprich zu der Hand!“, fabulierte der Terminator in Rebellion der Maschinen. So zweifelsfrei einfach ist es allerdings nicht immer.

Alles Nazis, außer MoPo

Die mehr oder weniger geneigte Leserin will gelockt sein. Der unentschlossene Leser sowieso. Auch im täglich mittelgroßen Buchstaben-Boulevard. Nicht nur bei der ’BLÖD-Zeitung’ (Unvergessen: Tatort-Kommissar Stoever). Lesen soll bilden. Eigentlich. Ja? Und Auflage bringen. Ja. In der täglichen Gazetten-Flut. Da kommt das gemeine Nazi immer gut. Quasi als Lockmittel. Für politische Bildung. In journalistischer Mission. Ein Traum. Wie im Märchen.

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(Dresdner MoPo, 29. Februar 2016 – Foto: O.M.)

Im Inneren der Zeitung wird die Geschichte dann unter der Überschrift “Clown, Esel und Shrek – Polizei fängt tierische Nazi-Sippe“ auserzählt.

Die Kurzfassung des Beitrags, garniert mit Morgenpost-Zitaten: Kostüm-Trio auf Tour – Taxifahrt in Chemnitz – Schläge für den Fahrer – “Der Mann flüchtete erschrocken aus dem Wagen. Draußen konnte er noch einem Tritt des Esels ausweichen. Während der Attacke brüllten die Faschings-Freunde unter anderem lautstark ’Sieg Heil’“ – Flucht des Trios in eine Diskothek – “Zeugen wählten sofort den Notruf. Polizisten stürmten wenig später ins Lokal – und fingen Esel, Clown und Shrek kurzerhand ein … Der Esel hatte noch eine Geldstrafe offen. Weil er die nicht bezahlen konnte, kam er wenig später hinter Gitter. Seine Begleiter hatten mehr Glück: Sie wurden nach der Anzeigenaufnahme (Verdacht auf gefährliche Körperverletzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) freigelassen“ – Ende.

Das Nazi als solches in Sachsen. Kostümiert. Sieg Alaaf. Lustig. Ein Traum?

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(Headline ohne märchenhafte Nazis in der Online-Version – Screenshot: O.M.)

Fraglos eine journalistischen Perle. Und politische Bildung vom Feinsten. In Sachsen. Ganz ohne Hintergedanken. Wetten?

Ronny Licht, you just made my day.

Altpapier der Woche: DER SPIEGEL

SPIEGEL-Leser wissen mehr. Ein landläufig geflügeltes Wort. Früher. Heute wissen SPIEGEL-Leser doppelt mehr. Zuweilen. Vor allem, was Geschichte betrifft. Denn unser Wissen fußt auf der Vergangenheit. Und doppelt hält besser. Auch so eine Volksweisheit. Zudem steht ein gewisser Bildungsauftrag im journalistischen Raum. Sowieso. Und will erfüllt werden. Nicht nur einmal. Stete Wiederholung füllt das Fass des Wissens. Auch im SPIEGEL.

Augenscheinlich allerdings verspricht DER SPIEGEL Numero 6 dieses Jahres vom 6. Februar mit seinem Titel “Die Hasspredigerin“ mehr, als er letzten Endes inhaltlich halten kann.

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(Von außen: DER SPIEGEL Numero 6/2016)

Denn jedenfalls im vorliegenden Heft mag einiges bekannt vorkommen. Also, im Prinzip ist schon alles bekannt. Irgendwie. Der legendäre Bildungsauftrag kurz vor seiner Vollendung? Vielleicht sogar durch den SPIEGEL selbst? Oder lediglich der Nachteil eines Print-Mediums? Alles schon einmal gelesen. Woanders.

Irgendwo? Mehrere Quellen zu prüfen, ist schließlich journalistische Sorgfaltspflicht. Mithin unabhängig voneinander. Aber SPIEGEL bleibt SPIEGEL. Oder? Und wenn eine Geschichte gut war, kann diese nicht oft genug wiederholt werden. Sogar doppelt und dreifach. Auch im SPIEGEL. Beispielsweise …

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(Im SPIEGEL 6/16: SPIEGEL 1/16)
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(“Die Geschichte ist eine ewige Wiederholung“, Thukydides.)
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(Im SPIEGEL 6/16: SPIEGEL 4/16 – Fotos: O.M.)

Déjà-vu in der Matrix? Investigativer Journalismus höheren Bewusstseins? Denn schnödes Ungeschick beim, ähm, Flaggschiff der deutschsprachigen Nachrichtenmagazine dürfte – ebenso wie eine herbeizitierte Absicht – mitnichten einer billigen Unterstellung wert sein.

Und so schlecht waren ja die Geschichten aus SPIEGEL Numero 1 und Numero 4 dieses Jahres nun auch nicht unbedingt. Um sie aktuell nicht noch einmal unter das Lesevolk bringen zu wollen. Nunmehr im Mantel des SPIEGEL-Heftes der Woche Numero 6. Quasi drei Hefte in einem. Aber eigentlich nur simples ’nimm2’. Gewissermaßen. Dafür doppelt. Teilweise. Fast schon historisch. Aber immerhin 2016. Gerade noch. The future is unwritten.

Da sind 4,60 Euro wahrlich nicht übel angelegt. Für einen bunten Bildungsgutschein. Leicht antiquiert, aber immerhin.

Oder abgelegt. Für einen schmalen Taler. In’s Altpapier. Well done.

MedienScreen # 72 [Blackstar Shining]

[Fundstück] Andy Dallmann, “Schwarzer Stern, helles Leuchten – David Bowie erfindet mit seinem Album ’Blackstar’ nicht den Pop, dafür sich selbst neu. Das macht Hoffnung.“, Sächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 8. Januar 2016 –

(…) Ein Hammer-Werk, auf das man sich halt einlassen muss; ein schwarzer Stern, der so hell leuchtet, dass sich die Konkurrenz strecken muss, will sie dagegen anblitzen (…)

(…) Reißzwecken im Schokopudding – daraus ein derartig leckeres Ganzes zu machen, ist zweifellos hohe Kunst. “Blackstar“ taugt nicht zum Soundtrack für den Abwasch und passt nicht ins Blabla-Radioformat. Nicht jeder wird damit auf Anhieb warm. Wie bei einem grundsympathischen Typ, den man zufällig trifft und der mit jeder Begegnung mehr und mehr zum wahren Freund wächst, rutscht diese Musik mit jedem Hören näher ans Herz. Ein Effekt, der im Pop derzeit nicht oft festzustellen ist. Doch Bowie macht wieder Hoffnung.

Michael Pilz, “Bowies neues Album ist eine nie gehörte Offenbarung“, Die Welt Online, 7. Januar 2016 –

(…) Bowie macht als alter Mann noch einmal was, wofür es keinen Namen gibt und womit Radiomacher und Musikkritiker schon begrifflich überfordert sind (…)

(…) Bowie war nie das Phantom, für das die Popkultur ihn gern gehalten hätte, nur weil er nichts postete und twitterte und deshalb nicht mehr wirklich da war. Er ist aber immer noch kein Geist (…)

“I’m not a popstar“, singt er – was man durchaus mal so stehen lassen könnte. Bowie ist der Schwarze Riese eines Universums, das sich nicht mehr ausdehnt, sondern immer kleiner wird (…)

Werner Herpell, “Bowie liefert ein fulminantes Meisterwerk ab“, n-tv.de, 8. Januar 2016 –

Ein Held für einen Tag zu sein? Für David Bowie nie genug (…)