MedienScreen # 96 [Green Suits]

[Fundstück] “Die Firma“, DER SPIEGEL, 23. April 2016 –

(…) Die Partei hat sich über die Jahre mit der Mitte der Gesellschaft versöhnt, auch weil die Grünen-Wähler mit ihrer Partei in die Mitte gewandert sind. Wer von den Linken heute noch bei den Grünen ist, kennt das Geschäft der Kompromisse. Die anderen haben die Partei verlassen (…)

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Notabene – Der Zitator [OM] ist, als damals amtierender Stadtrat in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden sowie Regionalbüroleiter einer Bundestagsabgeordneten, – einen Tag nach dem Bielefelder ’Kriegsparteitag’ 1999 – einst aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten.

 

Ben Becker in der Dresdner Lukaskirche: Irgendwer hat ihn verraten

Es geht viel um Verrat an diesem Abend. Geschichte spielt eine Rolle. Religion sowieso. Der Aufführungsort scheint gut gewählt. Als Bühne ist das Gotteshaus am Lukasplatz in Dresden bereitet. Die Titelung des Programms provoziert – “Ich, Judas – ’Einer unter euch wird mich verraten’“. Erwartung. Der Künstler ist nicht irgendwer. Ben Becker. Ein Typ für entweder oder. Es gibt nicht viele wie ihn.

Und die Erwartungen werden erfüllt. Von Becker. Vielleicht sogar übertroffen. Für jene, die ihn uneingeschränkt genießen können.

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(Die ihr eintretet … à la Dante Alighieri – Foto: O.M.)

Denn es begab sich, dass Plätze der ersten Preiskategorie nicht etwa vorn an der Bühne des Theatergeschehens, sondern auf den Seitenemporen der Kirche zu finden waren. Und diese Emporen konnte augenscheinlich erklimmen wer wollte. Woraufhin sich Kulturbürgerinnen und Kulturbürger auf Plätzen fläzten, die der Himmel ihnen geboten hatte. Oder war es der Platzanweiser? Eben jener, der den dann Nachgekommenen zwei, drei, vier Stühlchen anbot? Im toten Winkel zur Bühne. Aus dem später Kulturmenschen ihre Leiber auf und fast über die steinerne Balustrade schoben, um einen Blick vom künstlerischen Geschehen erhaschen zu können. Der Platzanweiser hat Schuld? Eben jener, der Treppenstufen freihalten sollte? Solche mit Bühnenblick, die dann von quasi sitzplatzlosen Gesellinnen und Gesellen zwangsokkupiert wurden? Armer Platzanweiser.

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(Die Botschaft hör ich wohl … à la Goethe – Foto: O.M.)

Verräter? Ja, irgendwer war nicht in der Lage, Plätze entsprechend zu kennzeichnen, nummerierend etwa noch dazu. Ja, irgendwer hat fleißig auch Karten für Sitzplätze hinter herrlich blickdichten Steinsäulen verkauft. Monumental. Das System ist der Verräter? Fuck the system. Wenigstens ist die Akkustik in der Dresdner Lukaskirche nicht die schlechteste. Danke dafür, Georg Weidenbach.

Und Ben Becker? Trifft es grandios? Furios? Subjektiv formuliert, ohne anderweitige Bühnenvergleiche. Objektiv verglichen mit Auftritten im Film und Fernsehen. Es gibt nicht mehr viele wie ihn.

Weiß gewandet begibt sich Becker auf seine Reise. Vom Matthäus-Evangelium über Amos Oz’ Roman “Judas“ hin zur “Verteidigungsrede des Judas Ischariot“ von Walter Jens. Ohne die Judastat – im Auftrag Gottes? – keine Kreuzigung, keine Auferstehung, kein Christentum, keine Pogrome, keine Lager, kein Gas? Weltfrieden?

“Beckers Idee, Judas nicht als Bösewicht, sondern als intellektuellen Zweifler oder wahren Liebenden darzustellen, ist allerdings kein neues Motiv“, resümierte Gunda Bartels am 21. November 2015 auf der Online-Präsenz vom Tagesspiegel nach einer Becker’schen “Sakralrezitation“ im Berliner Dom.

Aber wie Ben Becker diese versuchte Rehabilitation des so betitelten größten Verräters der Weltgeschichte zelebriert – Chapeau! Subjektiv betrachtet. Oder besser: Mehr gehört als gesehen. In der Lukaskirche zu Dresden.

Ständig mit seiner markanten Stimme spielend, bleibt Becker zu Beginn gestenarm. Liest. Um sich dann später, frei deklamierend, als Judas regelrecht in Rage zu steigern. Stimmlich und schauspielerisch. Vom Boden der Kirchenbühne auf einen dargestellten Altartisch. Himself furiosus.

Applaus. Stehend. Auch von jenen, die zuvor genusssehend sitzen konnten. Ebenso von Kulturbürgerinnen und Kulturbürgern, die – auf vom Himmel gegebenen Plätzen fläzend – trotz Hinweisen sich nicht zu blöd waren, ihre Smartphones dokumentieren zu lassen. Fast wie im K-Block bei Dynamo. Whatever.

Applaus. Und ein ergriffener Becker. Den Ovationen gerührt dankend. Großes Schauspiel. Oder mehr. Gäbe es noch lange einen wie ihn.

Was bleibt? Erhobene Daumen für Ben Becker. Empor gestreckter Mittelfinger für das Verräterlein im Kartensystem. Und die Feststellung: Wer an einem Montagabend in Dresden zu Ben Becker geht, geht nicht zu Pegida. Venceremos!

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MedienScreen # 95 [German Football Goes Mekka]

[Fundstück] “Islamisierung der Liga: Minges Pilgerfahrt nach Mekka“, politplatschquatsch.com, 19. April 2016 –

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Es war ein Skandal mitten im Aufstiegsjubel, ein Eklat, der zu allem passt, was Fans und Feinde vom Fußball in der 3. Liga erwarten. Dynamo Dresden steigt nach einer grandiosen Saison auf und tut das beim alten Oberliga-Rivalen in Magdeburg. Aber selbstverständlich geht der rein formale Akt vier Spieltage vor Sendeschluss nicht ohne Gewalt von allen Seiten, Prügeleien und Raketenbeschuss aus.

Das Übliche eben in einer Liga, von der Fachblätter wie der “Spiegel“ schon vor Jahren wussten, dass sie die Hauptstreitkräfte von Fußballgewalt und rechtsradikalem Fangesocks beheimatet. Magdeburg, eine von Beamten bewohnte Stadt in der bäuerlichen Börde, trifft auf Dresden, die von Touristen gemiedene Pegida-Hauptstadt, deren Hass auf alles Fremde sprichwörtlich ist.

Es kam, wie es kommen musste. Polizeigewalt. Fangewalt. Gewalt-TV. Und als Ralf Minge, der sächsische Alt-Internationale, der bei Dynamo heute als Sportdirektor dient, dann versucht, sich mit samt seiner Jeansjacke und dem schwarzen Hoodie zwischen Zaun und Einsatzkräfte zu werfen, kommt sie an der Bande ins Blickfeld, die Werbung, die schon wenige Stunden später die rechtspopulistische Partei AfD auf den Plan rufen wird: “Mekka“ steht da in aller Unschuld. Dank Live-Übertragung im mitteldeutschen Gebührenfernsehen eine Botschaft, die bis in den letzten Winkel der Erde dringt.

Ein deutliches Zeichen darauf, wie weit die Islamisierung der 3. Liga bereits vorangeschritten, werden in Hass geschulte AfD-Kader wenig später hetzen. Magdeburg als Mekka, wenn auch der eskalierenden Gewalt? Der MDR tut das Seinige, die Botschaft zu verbreiten, wie immer sie auch gemeint ist: Minutenlang hält die Kamera auf die Werbebande. Mit dem alten Trick, Bewegung im Bild zu erzeugen, sorgt Ralf Minge gemeinsam mit einigen angeblichen Ordnern, die mit ihm eine Festnahme simulieren, für sogenannte Stickyness und ein retardierendes Spannungsmoment, das Tausenderkontakte im Sekundentakt erzeugt. Subkutan dringt die Nachricht in alle angeschlossenen Haushalte: Kein Mensch an der Elbe kennt Ralf Minge. Und Mekka liegt in Magdeburg.

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Mit Dank & Gruß an PPQ und dortselbst im Original.

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