Dirk Rasch: Rettet den Fußball? Geschichte neu schreiben?

Es ist eher ein Büchlein, welches Dirk Rasch da noch im vorigen Jahr veröffentlicht hat. Aber der Titel klingt gewaltig: “Rettet den Fußball!“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Chapeau vor so einer versuchten Herangehensweise.

(Zeitlos in der Domkirche St. Marien zu Erfurt – Foto: O.M.)

Beim Lesen allerdings fragt man sich dann mitunter, wo der Ansatz denn geblieben ist. Gut, akribisch wird die Entwicklung des Profifußballs beleuchtet. Mit netten Anekdoten gewürzt, verfolgt der Autor die Kommerzialisierung des Rasenballsports. Fleißig recherchierte Tabellen untermauern eindrucksvoll die Finanzspiele in den bundesdeutschen sowie auch europäischen Ligen. Historie wird zuhauf bemüht.

Und historisch betrachtet stutzt der Leser schon einmal. Kostprobe?

“(…) Acht Spieler aus der Weltmeistermannschaft von 1954 (…) spielten in ihrer Karriere für nur einen Verein. Selbst bei den Weltmeistern von 1972 spielten noch die meisten Spieler für nur einen Klub (…)“

Nicht, dass jetzt etwa jemand die Suchmaschine seines Vertrauens nachfragt, wann genau und wo die Fußball-Weltmeisterschaft 1972 stattgefunden haben mag …

Auch ansonsten taumelt das Werk zuweilen hin und her. Neben den wirklich eindrucksvollen Statistiken und deren Interpretationen dreht sich vieles um den VfL Osnabrück, als dessen Präsident Dirk Rasch viele Jahre agierte. Soweit so ausführlich, wenn es sich nicht teilweise wie eine persönliche Selbstbeweihräucherung lesen würde. Auch der Wettskandal, in den während der Saison 2008/09 ehemalige Spieler des VfL Osnabrück verwickelt waren, findet seinen reichlich bemessenen Leseraum. Und mehrmalige Textwiederholungen – beispielsweise à la was wäre mit dem VfL, wenn nicht dies oder jenes geschehen wäre – machen das Ganze auch nicht unbedingt besser. Abgesehen davon ist es selbstdarstellend streckenweise fast schon etwas peinlich, immer wieder unter die Lesenase gerieben zu bekommen, mit wem, wo und warum Herr Rasch alles schon einmal gesprochen oder Bücher geschrieben beziehungsweise herausgegeben hat. In solchen Passagen des Buches ist das “Rettet den Fußball!“ sehr weit weg, das unbestritten umfangreiche Wirken von Dirk Rasch um so näher.

Sprachlich ganz nah daher kommt der Autor übrigens hier und da bei seinen eingeflochtenen Anekdoten. Kostprobe?

“(…) Nach dem Schlusspfiff des Relegationsspiels machte ich mich auf den Weg in die Spielerkabine. Um dorthin zu kommen, musste ich über das Spielfeld gehen. Auf dem von Dynamo-’Fans’ umgepflügten Rasen war eine Hundertschaft Polizisten damit beschäftigt, Schlimmeres zu verhindern. Diese fanatischen, außer Kontrolle geratenen Sachsen gaben mir nach dem Abstieg den Rest. Es traf mich ein Schlag. Vor mir stand eine mit Tattoos dekorierte Dresdner ’Glatze’. Sofort identifizierbar am Dialekt, der mir seit Olaf Schubert nicht unsympathisch ist. ’Vorpiss disch’, forderte er mich auf. Mithilfe von zwei Polizisten erreichte ich die Spielerkabine. Ich bekam noch mit, dass Hunderte von Dresdnern, infiziert durch die Droge Gewalt, dabei waren, das schmucke Osnabrücker Stadion auseinanderzunehmen. Wer diese abstoßenden Bilder gesehen hat – es war für mich nicht das erste Mal -, der kann nicht glauben, dass die Evolution die Menschen in Mitteleuropa zivilisierter hat werden lassen (…)“

Vorangestellt ist dieser kleinen Wortgewaltigkeit übrigens eine Anmerkung des Autors über seinen Rücktritt als VfL-Präsident im Februar 2012: “Eigentlich hatte ich schon acht Monate vorher mein Ehrenamt niederlegen wollen. Unmittelbar nach dem verlorenen Relegationsspiel gegen Dynamo Dresden am 8. November 2011 hatte ich mich zu diesem Schritt entschlossen“.

Nicht, dass jetzt etwa jemand anfängt zu googlen, in welchen unmittelbaren Zeiträumen Relegationsspiele in bundesdeutschen Ligen ausgetragen werden …

(Osnabrück, 24. Mai 2011 – Foto: N.N.)

Ja, so kleine Anekdoten erzählen sich in diesem Buch scheinbar wie von selbst vor sich hin. Noch eine Kostprobe?

“(…) Unser Torjäger Thommy Reichenberger schoss unter Flutlicht in Erfurt kurz vor Spielende das 2:0 für den VfL. Ich saß auf der Tribüne und freute mich wohl zu auffällig. Plötzlich sprangen mich von hinten zwei Erfurter ’Glatzen’ an. Ehe ich reagieren konnte, kreisten mich etwa zehn Thüringer ’Edelfans’ ein. Ich bekam einen Schlag gegen die Schulter. Mein Handy fiel zu Boden. Ich musste spontan, schnell und richtig reagieren. ’Liebe Erfurter, wenn ihr mich gehen lasst, werde ich meinen Soli-Zuschlag für euch weiter zahlen. Wenn nicht, stelle ich die Zahlung ein.’ Zehn Augenpaare starrten mich verständnislos an. Diesen Moment nutzte ich. Ich schnappte mir mein Handy und raste los in Richtung Tribünenausgang. Sie sind mir nicht gefolgt (…)“

Aber besser, dramatischer geht noch immer. Eine letzte Kostprobe?

“(…) Sportfotograf Helmut Kemme sagte mir vor unserem ersten Spiel im neuen Dresdner Stadion mit Blick auf den Dresdner Fanblock: ’Ich bin seit 30 Jahren unterwegs. Ich kenne die meisten Stadien. Nicht nur in Deutschland. Heute habe ich zum ersten Mal Angst.’ (…)“

Gewiss, eine unterstellt geografische Engsichtigkeit versucht der Autor mithin geschickt zu relativieren: “Gewaltausbrüche in den Stadien – und mehr noch außerhalb – spielen sich nicht nur in den neuen Bundesländern ab“. Um fast gleichzeitig zu resümieren: “Angst macht sich breit. Überall in Europa. In Rom, Neapel, Dresden, Rostock, Frankfurt, Paris, Amsterdam, Moskau oder Krakau ist die Gewalt ein ständiger Begleiter des modernen Profifußballs geworden“. Die Botschaft erkennt man wohl …

Sei’s drum – “Osnabrück ist jene Stadt, in der laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung die glücklichsten Menschen Deutschlands leben. Die Studie ist schon ein wenig älter, doch möglicherweise ist sie immer noch aktuell. Dennoch komme ich nicht von einem anderen Stern. Ich kenne die Realitäten des Fußballs“, so Rasch über Rasch.

Dirk Rasch scheint zudem noch einiges vorzuhaben, nicht nur schriftstellerisch. “Ich werde auch wieder in die Landeshauptstadt Erfurt reisen. Und auch ins nahe gelegene Weimar. Eine der schönsten Städte Deutschlands. Nur das Erfurter Stadion werde ich nicht mehr aufsuchen. Das gilt auch für die Stadien in Rostock, Magdeburg, Halle und Dresden. Dabei geht es nicht nur um persönliche Angst. Ich habe ein grundsätzliches, ethisches Problem mit Gewalt. Auch ein optisches.“ Optisch gesehen glänzt sein geschriebenes Werk übrigens gebunden in einem optimistisch gehaltenen Grün.

Einige interessant informative Recherchen rund um den zu rettenden Fußball kann man in diesem Buch durchaus ruhig immer wieder einmal nachschlagen. Mehr aber auch nicht. Schade.

“Rettet den Fußball! – Zwischen Tradition, Kommerz und Randale“. Dirk Rasch. Verlag Die Werkstatt. 2014.

Die Zukunft des Fußballs ist bedroht. Während einige wenige Klubs von Oligarchen und TV-Geldern profitieren, reicht es für die vielen Vereine der unteren Ligen kaum zum Überleben. Dirk Rasch kennt diese Problematik als langjähriger Präsident des VfL Osnabrück. Er analysiert, national wie international, die Auswüchse der Kommerzialisierung und kritisiert die fußballerische Zweiklassen-Gesellschaft. Sein leidenschaftliches Plädoyer mündet in der Forderung: “So viel Tradition wie möglich – so viel Geschäft wie nötig.“ (Klappentext)

[Dieser Artikel wurde am 25. Mai 2015 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Hansa Rostock wird brennen bei Dynamo Dresden …

… um im fußballerischen Spiel auf dem Rasen den sportlichen Verbleib in der dritthöchsten Spielklasse zu halten und damit gleichzeitig auch einen ansonsten durchaus drohenden finanziellen Knockout des hanseatischen Vereins abzuwenden.

Die eigentliche sportliche Bedeutung der Begegnung im Rudolf-Harbig-Stadion zwischen der SG Dynamo Dresden und dem FC Hansa Rostock beiseite sowie die sich nunmehr abzeichnende Entspannung der Fanproblematik außer Acht lassend, schlagen medienseitig die Wellen allerdings nach wie vor hoch, zumindest hier und da titelseitig.

(Dresdner Morgenpost, 19. Mai 2015)

Wobei die mehr oder weniger geneigte Leserschaft dann im entsprechenden Artikel kaum etwas anderes dargestellt bekommt als das, was bereits vor Drucklegung bekanntes Allgemeinwissen war –

(…) aufgrund der sportlichen Entwicklung und der entstandenen Brisanz der Partie, haben sich alle Beteiligten erneut zusammengesetzt und folgendes beschlossen: Dynamo erhöht das Kartenkontingent von 1600 auf 1700 und schickt statt Vouchers richtige Eintrittstickets nach Rostock. Diese aktuelle Entwicklung verkündete Dynamo-Geschäftsführer Robert Schäfer (39) am Montag [18. Mai] bei “1953 – Der Dresdner Fußball-Talk” im Schillergarten (…)” [Dresdner Morgenpost, 19. Mai]

Berichterstattung ist eines. Titelseiten etwas anderes?

Die Sächsische Zeitung wiederum stellt die aktuelle Lage rund um das Drittliga-Spiel am 23. Mai gegenwärtig so dar –

(…) es gibt Signale, dass die Hansa-Fans vor dem Spiel bei Dynamo am Pfingstsonnabend nicht durch Dresden marschieren. Auf der Sicherheitsberatung gestern [18. Mai] wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der “die Situation befriedet und deeskaliert”, wie Dynamos Geschäftsführer Robert Schäfer hofft.

(…) Zutritt zum Gäste-Bereich des Stadions soll jedoch nur erhalten, wer einen vorgeschriebenen Parkplatz am Stadtrand nutzt und mit einem Shuttle-Bus ins Stadion fährt (…)

Schäfer wertet die neuen Signale aus Rostock positiv. In einem Brief an die Teilnehmer der Sicherheitsberatung hatten die Hansa-Fans angekündigt, auf den geplanten Protestmarsch zu verzichten und stattdessen ihre Mannschaft im Stadion zu unterstützen, wenn es eine Lösung gibt (…)

Die Dresdner Stadtverwaltung bestätigte auf Nachfrage der SZ, dass für Sonnabend von 10.30 bis 13.30 Uhr eine Demonstration angemeldet wurde, die vom Postplatz durch die Innenstadt gehen soll. Nach dem Kompromiss rechnet man jedoch damit, dass sie zurückgezogen – und damit auch der von Dynamo-Fans angekündigte Widerstand hinfällig wird (…) [Sächsische Zeitung, 19. Mai]

(Dieser Tage in Dresden, Münchner Platz – Foto: K.K.)

Eben jene Sächsische Zeitung zitierte übrigens vor wenigen Tagen noch die Fangemeinschaft Dynamo: “Wenn sich die Modalitäten zur Kartenvergabe nicht schleunigst ändern, wird am 23. Mai in Dresden sicherlich vieles abgebrannt – nur kein Fußballfest.”

(…) Insgesamt sind die empfohlenen Anreisemodalitäten und die Kartensituation weiterhin als eine absolute Frechheit anzusehen, nur aufgrund der existenziellen Bedrohung unseres FC Hansa sehen wir keine Alternative.

Die Fanszene Rostock e.V. wird unter den gegebenen Umständen die Demonstration nicht durchführen (…) [fanszene-rostock.de, 18. Mai]

Wird nun alles anders? Besser? Gut? Für wen?

Nachtrag: Radio Dresden twitterte am 19. Mai, 16:36 Uhr – Aktuell: Die Demonstration der Fanszene Rostock in Dresden am Samstag ist eben offiziell beim Ordnungsamt abgemeldet worden.

[Dieser Artikel wurde am 19. Mai 2015 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Fanszene Hansa Rostock, Zukunftsvertrauen

Der Tag ist jung, die Nacht war frisch. Bei frischer Brise denkt der Mensch fast unweigerlich an die Küste, an die im Osten aus Gründen zuvorderst. Schauen wir doch einmal kurz virtuell beim Drittligisten Hansa in Rostock vorbei. So morgendlich brisige Gedanken müssen ja nicht immer die übelsten sein. Zumal gerade eine Nachricht hereintrudelte, die Fanszene Rostock hätte da mehr oder weniger etwas angekündigt.

Die Suchmaschine der eigenen Wahl spuckt zum FC Hansa Rostock wahrlich nicht wenige Meldungen aus. Sortieren wir die nun erst einmal oder werfen zuerst einen Blick zur Rostocker Fanszene?

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(Screenshot: O.M.)

Derart Statements haben ja immer etwas, so geheimnisvoll andeutend. Eine verklausulierte Botschaft mit der Bitte, sich “nicht an Spekulation zu beteiligen und lediglich den Fakten die vom Verein herausgegeben werden zu vertrauen”. Welche Brise weht da denn im Verborgenen? Brist da überhaupt etwas? Warum diese augenscheinliche Besorgnis in der Fanszene Rostock? Aber geheimnisvoller geht immer.

Und nun zu einigen sortierten Meldungen der zurückliegenden Stunden – “Hansa Rostock: Ausgliederung oder Abgrund” (NDR.de, 28. April). “3. Liga: Rostock will Profiabteilung ausgliedern und sich für Investoren öffnen” (Hannoversche Allgemeine, 28. April). “Frisches Geld für den FC Hansa Rostock” (Rostock-Heute, 28. April). “FC Hansa Rostock: Wird die Profi-Abteilung ausgegliedert?” (Norddeutsche Neueste Nachrichten, 28. April). “Hansa Rostock plant Ausgliederung der Profifußball-Abteilung” (HL-Sports, 29. April). “FC Hansa Rostock: Zukunft heißt Hansa GmbH” (Norddeutsche Neueste Nachrichten, 29. April).

“Strategie 2020 – der Vorstand des F.C. Hansa Rostock e.V. beruft eine außerordentliche Mitgliederversammlung ein”, lautet die aktuell letzte Mitteilung auf der Homepage des Vereins.

Es dürfte durchaus spannend werden, wie weit das von der Fanszene Rostock eingeforderte Vertrauen geht.

[Dieser Artikel wurde am 29. April 2015 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

MedienScreen # 37 [Regionalliga NordOst, Steppender Bär?]

[Fundstück] Marco Bertram, “Regionalliga Nordost: Hort der Angst und am-Raddreher, oder doch das Fußballparadies?“, turus.net, 23. April 2015 –

(…) Zwei Klicks weiter fällt indes ein anderer Bericht ins Auge. Mein Lächeln wird zu einem Stirnrunzeln. “Fear and Loathing in der Regionalliga Nordost“. Veröffentlicht in der Sportrubrik von vice.com. Ins Auge fällt selbstverständlich die Foto-Collage, die als knackiger Aufmacher dient. Schwarz gekleidete Fans auf einem Zaun, mächtig Pyrotechnik in der Babelsberger Nordkurve, rennende behelmte Polizisten und der beschmierte Mannschaftsbus des FSV Zwickau. Der Wilde Osten?! Beim Herunterscrollen ahne ich bereits, was kommen wird (…)

(…) dann mal geschaut, wie der englische Autor die Regionalliga Nordost beschreibt.

Ich wäre sogar mit entspannter Neugier an diesen Text herangegangen, wenn nicht auf der FB-Seite von VICE Sports Deutschland mit folgenden beiden Sätzen angefüttert wird: “Die Qualität der Spiele ist niedrig, dafür die Bierpreise umso niedriger.”, “Schlägereien, fliegende Feuerwerkskörper und Naziparolen. – Willkommen in der Regionalliga Nordost.” Der erste Satz ist bereits eine Frechheit, denn weltweit dürfte es kaum eine andere vierte Liga geben, in der solch ein guter Fußball gezeigt wird wie in Deutschland. Sicherlich wird auch das Niveau in der vierthöchsten englischen Profiliga (League Two) nicht allzu übel sein, von daher mag man die Meinung eines Engländers noch durchgehen lassen (…) Beim Satz mit den Schlägereien und Naziparolen kommt indes schon fast Brechreiz auf (…) Müssen wieder einmal sämtliche Klischees bedient werden, um Leser zu ziehen?

Ja, ja. Der Osten. Dumpf. Gefährlich. Rechtslastig. Und der Fußball der Regionalliga Nordost ist auch noch unter aller Sau. Na, Hauptsache das Bier ist billig. Fein, fein (…) Aber zum Text: Gleich im ersten Abschnitt wird etwas von Provinzstädtchen, ewigen Talenten, gefallenen Helden und B-Elfs gesprochen. Und auch die verlotterten Tartanbahnen werden herangezogen. Der Wind, der einen so romantisch um die Ohren bläst. Vom blinden Fanatismus ist die Rede, und vom absoluten Desinteresse der anderen. Wovon ist hier die Rede? Von der dritten Spielklasse in Bosnien und Herzegowina oder in Mazedonien?

Provinzstädtchen? Fünf von 16 Regionalligisten kommen in der laufenden Saison aus Berlin. Ob die U23-Teams von Hertha BSC und des 1. FC Union Berlin sowie der extrem zuschauerschwache Berliner AK 07 bereichernd sind, ist die andere Frage. Allerdings bleibt der Fakt, dass fünf Mannschaften aus der deutschen Hauptstadt kommen. Hinzu kommen die Vertreter aus Potsdam-Babelsberg, Magdeburg und Jena. Allesamt ganz gewiss keine Provinzstädtchen. Und die anderen Vertreter? Halberstadt? Neustrelitz? Zwickau? Sicherlich keine Großstädte, aber sicherlich auch keine Dörfer. War der Autor des Textes bereits einmal dort? (…)

Im Jahr 2012 zog es den Autor Mike, der von England (Anhänger des Rochdale FC) nach Deutschland zog, zum ersten Mal in ein regionales Stadion. Er besuchte das Duell SV Babelsberg 03 vs. Karlsruher SC und seitdem war er “wider besseren Wissens vom Regionalligavirus befallen” (…)

Mike hatte sich sofort in Nulldrei verliebt und begleitete den Verein trotz diverser sportlicher Klatschen in die Regionalliga Nordost. Prima so. Wäre alles schön soweit, wenn nicht die große Klischee-Schublade aufgezogen werden würde. “Der Gang in den Wild Wild East.” Was soll ich dazu sagen? (…) Ja, den “Wilden Osten” gab es mal – und der hatte kurz nach dem Mauerfall in der Tat sehr hässliche Seiten. Die negativen Auswüchse wird wohl niemand in Frage stellen. Allerdings leben wir inzwischen im Jahr 2015 – und der Osten ist keinesfalls mehr der Osten wie vor 20 Jahren, als manch ein derzeitiger junger aktiver Fan der Gegenwart noch in den Windeln lag (…)

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(Friendly Far East, Phan Thiet – Foto: O.M.)

Zurück zum besagten Text bei VICE (…) nun kommt es zum Geschehen auf den Rängen. So seien in der Regionalliga Nordost die Fans der wahre Star. Und diese drehen völlig am Rad. Mal kurz überlegen. Wer dreht wo am Rad? Wenn es nach der Stimmung geht, drehen die deutschen Fußballfans – im Gegensatz zur derzeitigen Situation in den Stadien der oberen englischen Spielklassen – wirklich am Rad. Von der 1. Bundesliga bis hinunter zu den Regionalligen. Kein Phänomen im Osten unseres Landes. Auch im Südwesten und Westen gibt es Viertligisten, bei denen schon mal ganz kräftig “am Rad gedreht wird”.

Aber jetzt. Dieser Satz musste wohl sein: “Doch da wir in der Regionalliga Nordost spielen, wo überwiegend Teams aus den neuen Bundesländern am Start gehen, sind auch rechtsgerichtete Parolen oft nicht weit entfernt.” Möchte man in England auch solche stumpfen Klischee-Aussagen über ihre Regionen lesen? Burnley! Ist das nicht dieses verdammte Nest, wo nur hirnlose Hooligans und rechte Schläger die Pakistaner jagen? Und ja, sind englische Fußballfans nicht von Hause aus unterbelichtet, fettleibig und alkoholsüchtig? Richtig! Das möchte niemand in England lesen. Und ich würde auch im Traum nicht daran denken, das ernsthaft zu behaupten. Also! Rechtsgerichtete Parolen? Wo genau? Wir nehmen jetzt an dieser Stelle erst einmal die Konfliktspiele gegen den 1. FC Lok Leipzig und den BFC Dynamo außen vor. Erster Fakt: Tritt Babelsberg 03 mit seiner links-alternativen Fanszene an, kriechen beim Gegner durchaus Personen mit rechtem Gedankengut aus den Löchern. Das wird niemand bestreiten wollen, allerdings wollen wir ja über die Regionalliga Nordost als Ganzes sprechen.

Also nochmals: Jena? Magdeburg? Zwickau? Drei RL-Vertreter mit großer Anhängerschaft. Am Rad drehen? Rechtsgerichtete Parolen? Wohl eher kaum. Und falls aufgetretene Tore zum Innenraum der Magdeburger Old-school-Garde für Erschrecken sorgte – das ist kein ostdeutsches Phänomen. Solche Vorgänge können durchaus auch mal in Köln und Essen bestaunt werden (…) Aber nochmals: Wir sprechen von der gesamten Regionalliga Nordost. Etwaige Vorfälle in Aachen würde man schließlich auch nicht auf die gesamte Regionalliga West projizieren.

Ja, ich wirke – auf gut Deutsch gesagt – angepisst. Zurecht. Denn als jemand, der mit dem Fußball in dieser Region aufgewachsen ist, lese ich ungern von einem, der erst seit 2012 den Fußball hierzulande besucht, ungern folgendes: “Die Regionalliga Nordost erfüllt alle Stereotypen im Bezug auf Ostdeutschland, angefangen bei noch harmlosen Mode-Fauxpas auf der Tribüne, die meist mit der Jeans- und Turnschuhauswahl zu tun haben, über lächerliche Schlager-Klubhymnen bis hin zu Fan-Gewalt und rechtsextremen Parolen.” (…)

Der untere Teil des Textes wird richtig grässlich. “Doch der Fußball in den neuen Bundesländern war nicht immer eine solche Tristesse. Zu Zeiten der DDR waren ostdeutsche Vereine noch auf der europäischen Fußballbühne vertreten …” Und weiter: “Neben dem Feld schneidet der 1. FC Magdeburg von den vier Mannschaften noch am besten ab, wenn auch nur sehr relativ betrachtet … Leider sind Gewaltausbrüche dieser Art bei Spielen des 1. FCM keine Seltenheit. Das Spiel gegen mein Team aus Babelsberg in der letzten Saison musste gleich zwei Mal unterbrochen werden, weil Magdeburger Fans das Spielfeld stürmten und gefährliche Pyrotechnik zum Einsatz kam.” Mir fehlen die Worte. Und das vor allem deshalb, weil ich mich beim 1. FC Magdeburg recht gut auskenne (…) Falls Pyrotechnik indes generell strikt abgelehnt wird, sollte das im Text durchaus deutlich rübergebracht werden.

Dass es noch dicker kommt, war beim Lesen zu erwarten. “Doch im Vergleich zum BFC Dynamo sind die Fans des 1. FCM noch echte Engel. Zu sagen, dass der BFC Dynamo der verhassteste Fußballverein in Deutschland ist, wäre noch eine Untertreibung. Diesen Ruf hat man sich aber auch redlich verdient.” Schön, dass man als 2012-Fußball-Hinzugezogener eine solch klare Äußerung treffen kann (…) Fertig ist der ostdeutsche Salat!

Ein weiterer Auszug aus dem besagten Bericht: “Und nein, das sind eben leider keine Einzelfälle. Ich könnte noch unzählige weitere Beispiele anbringen – etwa über den FSV Zwickau, dessen Fans auch nicht gerade Kinder von Traurigkeit sind. Oder über Polizisten, die ihren Frust darüber, zu ‘Drecksvereinen’ wie Babelsberg geschickt zu werden, an uns Fans auslassen, indem sie nur allzu gern zu Schlagstock und Pfefferspray greifen. Denn eine Sache muss dir klar sein: In der Regionalliga Nordost hört dich niemand schreien.” Unzählige weitere Beispiele? Nur zu. Wenn schon, denn schon. Der Bericht versickert allerdings in den letzten Abschnitten (…)

Mein persönliches Fazit: Schön, dass das Bier prächtig lief. Besser macht es den Bericht trotzdem nicht. Ich gehe jetzt in die Küche, tanke einen Becher Wasser nach, drehe nochmals eine Runde auf dem Tempelhofer Feld und lasse den wirklichen einstigen Wilden Osten im Geiste nochmals Revue passieren. Auch wenn sich manch ein Heranwachsender still und heimlich genau diesen in der Gegenwart wünscht und erwartet – sorry, genau diesen Klischeebehafteten gibt es nicht mehr. Was nicht heißen soll, dass es in den ostdeutschen Fankurven nicht rockt! 😉

***

Mit Dank & Gruß an Marco Bertram.

[Dieser Beitrag wurde am 27. April 2015 bei Ostfussball.com publiziert.]

MedienScreen # 36 [Dynamo Dresden oder der Untergang des Abendlandes]

[Fundstück] “Dynamo versenkt das Abendland“, spuckelch.wordpress.com, 24. April 2015 –

300 Flüchtlinge lädt Dynamo gegen Duisburg ins Stadion ein. Eine tolle Idee dachten viele! Doch es regt sich Kritik. Dabei wird nicht etwa gegen das auf den ersten Blick Naheliegende protestiert: Muss man den armen Flüchtlingen ausgerechnet Dynamo in der aktuellen sportlichen Verfassung zumuten? Haben sie nicht schon genug Leid erlebt? Und wer will schon Duisburg sehen? Verstößt das nicht gegen die Menschenwürde?

Nein nein. Die braun-gelben Abendlandretter machten unter anderem auf den Facebookseiten der “SG Dynamo Dresden” und der “SG Dynamo Dresden Fans” ihrem Ärger Luft und öffneten den Gutmenschen rund um den Verein die Augen. Bei Pegida ist ja grad nicht so viel los.

Denn was keiner sehen will: Jetzt nehmen uns diese Asylanten auch noch die leeren Sitzplätze weg und mit Sicherheit nach dem Spiel sogar mit. Dann werden sie verhökert, um sich davon das neuste Smartphone kaufen zu können. Mit dem sie dann ihre Drogengeschäfte abwickeln.

Und kein Stadion der Welt kann eine ungebremste Flüchtlingsflut verkraften. Erst sind es nur 300 aber die vermehren sich doch wie verrückt! Und plötzlich sind die Tribünen islamisiert. Der ungebremsten Sektoren-Überfremdung sind Tür und Tor geöffnet. Das D im Dynamowappen wird durch einen Halbmond ersetzt (…)

Doch es kommt noch viel schlimmer. Spuckelch liegt die Liste der im Stadion geplanten Regeländerungen für das Flüchtlingsspiel vor:

  • Es darf nur gen Mekka gejubelt werden.
  • Tore von Nichtausländern werden aberkannt.
  • Es gibt nur alkoholfreies Bier.
  • Flüchtlinge dürfen Drogen mit ins Stadion nehmen. 3000 deutsche Dynamofans werden verpflichtet, diese Drogen auch zu kaufen.
  • Auf den Flüchtlingssitzen werden nagelneue Markenturnschuhe ausgelegt.
  • Jeder der 300 Flüchtlinge bekommt vor dem Spiel eine Verpflegungspauschale in Höhe von 1953 Euro.
  • Jeder Flüchtling bekommt beim Verlassen des Stadions einen Flachbildfernseher mit Sky-Abo ausgehändigt.
  • Frauen müssen sich beim Betreten des Stadions verschleiern, dürfen dafür aber die Dynamofahne nehmen.
  • Wegen des Schweinefleischs wird die Bratwurst aus dem Stadion verbannt …

Lutz Bachmann übernehmen Sie.

P.S.: Eure Angst vor kriminellen, pöbelnden, belästigenden, brutalen Flüchtlingen (lassen wir hier mal euer Rassisten-Feigenblatt des Kriegsflüchtlings weg) ist genau die gleiche dumme Angst, wie sie Menschen in Bielefeld, Ahlen, Münster, Osnabrück, Düsseldorf … vor den brutalen, randalierenden, Züge und Städte verwüstenden, faschistischen und pöbelnden Dynamofans haben.

In beiden Fällen haben Scheißtypen den Ruf aller versaut. Allerdings wenn alle Dynamofans über einen Kamm geschoren werden, regt ihr euch maßlos darüber auf und nennt es Hetze.

Das hat nichts mit Nationalitäten zu tun, sondern mit Kinderstube und Geisteszustand. Man muss kein Ausländer sein, um ein Idiot zu sein.

[Dieser Beitrag wurde am 25. April 2015 bei Ostfussball.com publiziert.]

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