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NPD im Sächsischen Landtag?

In Sachsen wird der NPD zur Landtagswahl mittlerweile ein zweistelliges Ergebnis prognostiziert – Hartz IV allein kann dafür allerdings kaum der Grund sein

Am 13. Juni errangen Rechtsextremisten bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie bei den Landtagswahlen in Thüringen und den Europawahlen eine längst nicht mehr zu übersehende Anzahl an Parlamentssitzen. Allein in Sachsen erhielten Rechtsextremisten 53 Kommunalmandate (Die Mitte der Gesellschaft?). Dabei blieb in der Hochburg der braunen Wahlerfolge, Reinhardtsdorf-Schöna, sogar noch ein rechtsextremes Mandat unbesetzt – der erzielte Wählerzuspruch reichte über die aufgestellte NPD-Kandidaten-Liste hinaus.

Im Nachgang zu den rechtsextremen Wahlerfolgen empfahl der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt (CDU) seiner Partei einen deutlichen politischen Rechtsruck, um rechte Wähler “aufzusaugen“:

Die CDU kann und muss auch nationale Rhetorik bedienen – aber kultiviert und im demokratischen Kontext.

Der Bürgermeister von Reinhardtsdorf-Schöna, Arno Suddars (CDU), erwartete mit den zwei neu gewählten NPD-Abgeordneten eine “leichtere“ Ratsarbeit als mit den Mandatsträgern von der PDS. Der Landrat des Kreises Sächsische Schweiz, Michael Geisler (CDU), will die NPD-Ratsmitglieder im Kreistag “an ihrer Sacharbeit messen“. Der Oberbürgermeister von Freital, Klaus Mättig (CDU), äußerte sich “anerkennend“ über die “Sacharbeit“ des Republikaner-Mandatsträgers im Kommunalparlament und der Meißner Landrat Arndt Steinbach (CDU) befürwortete die Zusammenarbeit mit “allen demokratisch gewählten Parteien“, auch mit der NPD. Bei einer Abstimmung in der ersten Sitzung des Kreistages Sächsischen Schweiz – Erklärung gegen Rechtsextremismus und jede Form von Hass, Gewalt und Rassismus – enthielten sich neben den fünf NPD-Abgeordneten auch vier CDU-Kreisräte.

Der soeben – völlig verspätet – veröffentlichte aktuelle Verfassungsschutzbericht für den Freistaat Sachsen stellt beispielsweise fest:

Die NPD strebt dieses “Deutsche Reich“ als “Schutz- und Trutzbündnis des Deutschen Volkes“ an (…) erklärte der Parteivorsitzende Udo VOIGT, dass der “Kampf um Deutschland“ begonnen habe. Ziel sei “das Reich“ (…) der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger APFEL [Neu-Stadtrat in Dresden für das “Nationale Bündnis“, d.A.] bekannte sich zu einem Deutschland “von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“ (…) und dass “die Teilnahme am Gedenkmarsch zu Ehren von Rudolf Hess Ehrensache“ für ihn sei.

Weiter bilanziert der sächsische Verfassungsschutz:

Das Menschenbild des Grundgesetzes verkehrt die NPD ins Gegenteil. Sie lehnt den im Artikel 3 des Grundgesetzes verankerten Gleichheitsgrundsatz ab. (…) Nach Auffassung der NPD sind deutsche Politiker keine demokratisch legitimierten und frei handelnden Entscheidungsträger.

Mittlerweile wirft die Wahl zum Sächsischen Landtag am 19. September bereits deutliche Schatten – begleitet von den gegenwärtigen Protesten gegen Hartz IV. Und jegliche Aktionen gegen Hartz IV bieten – nicht nur in Sachsen – auch Instrumentalisierungsmöglichkeiten für Rechtsextremisten, meistens im Protestumfeld geduldet oder sogar akzeptiert. So stellte Angelo Lucifero, Landesleiter der Gewerkschaft hbv in ver.di Thüringen, fest:

Die RECHTE nutzt die soziale Demontage, um immer mehr mit nationalsozialistischen Losungen auf die Straße zu gehen. Außer ein paar, meistens Jugendlichen, die von der Mehrheit der Politik als gewaltbereite Linksextremisten denunziert werden, schaut die Mehrheit weg, wenn die Basis der Rechten sich ausweitet, sie sogar nah daran sind in Landtage einzuziehen und ungestört Minderheiten diskriminieren und sogar totschlagen können. Man schaut offensichtlich auch weg, wenn Rechte mit nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Losungen sich an den Montagsdemos beteiligen.

Weitere rechtsextremistische Wahlerfolge allein mit den sich ausbreitenden Hartz IV-Protesten unter Neonazibeteiligung begründen zu wollen, greift allerdings zu kurz. So attestierte beispielsweise der sächsische Verfassungsschutz im Zusammenhang mit den Wahlresultaten vom 13. Juni eine zunehmende Verankerung nationalistischer Anschauungen in der Mitte der Gesellschaft. Und diese Verankerung tröpfelt nicht einfach so unvermittelt aus einem politisch verhartzten Himmel über Sachsen.

Die nationalistischen “Protestwähler“ zu bündeln, war schon immer das Ziel für die Rechtsextremisten in Sachsen, Ziel ist der Landtag in Dresden. Zudem bestätigten Beobachter der Szene immer wieder, dass gerade Sachsens rechtsextremistische Parteien und Strukturen aller Couleur gut miteinander können. Im Vorfeld der Wahllisteneinreichungen zogen so die sächsischen Republikaner ihre Kandidatur zugunsten der NPD zurück – weil damit “in Sachsen das rechte Gegeneinander aufhört“. Schon zuvor hatten NPD und DVU in einer gemeinsamen Erklärung ihrer Vorsitzenden, “den nationalen Wählern“ empfohlen, “in Brandenburg der DVU und in Sachsen der NPD ihre Stimme zu geben“. Zugelassen zur Landtagswahl in Sachsen – so die Landeswahlleiterin Prof. Dr. Irene Schneider-Böttcher – sind amtlich nunmehr 13 Parteien.

Eine solche Fokussierung des entsprechenden Wählerpotentials allein auf die NPD – daneben treten vom Rechtsaußen-Rand vor sich hin dümpelnd lediglich die Deutsche Soziale Union sowie die Bürgerrechtsbewegung Solidarität an – spiegelt sich auch in den Umfragen zur sächsischen Wahl. Wurde der NPD im Frühjahr des Jahres noch ein Wert um die 5 Prozent bescheinigt (Infratest-dimap), stiegen die Voraussagen nachher auf rund 9 Prozent (Infratest-dimap) und mittlerweile – nach dem alleinigen Antreten der NPD – prognostizieren Wahlforscher den Rechtsextremisten bis zu 14 Prozent der sächsischen Wählerstimmen.

Somit gelänge der NPD erstmals seit 1968 wieder der Einzug in ein Länderparlament. “Sachsen kann der Beginn der Veränderung der politischen Landschaft in Deutschland sein“, so die NPD auf ihrer Homepage. Heim ins Reich?

[Dieser Artikel wurde am 17. August 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Die Mitte der Gesellschaft?

Braune Kreuze in Sachsen bei den Kommunalwahlen

Nach den Kommunalwahlen beeinflussen im Freistaat einige rechtsextreme Wählerhochburgen mehr denn je die politische Landschaft. Wer davor bisher die Augen verschlossen hat, wird auch nach diesem Wahlsonntag kaum unbedingt mehr sehen wollen.

Als landläufige Meinung gilt, Kommunalpolitik sei vor Ort noch die interessanteste Politik, quasi Politik zum Anfassen, wo noch jeder fast jeden kennt und Entscheidungen unmittelbare Auswirkungen haben. Kommunalwahlergebnisse hingegen erlangen kaum überregionale Beachtung. Ein genauerer Blick – beispielsweise nach Sachsen – lohnt sich da allerdings schon, vor allem in den rechtsextremen Politik-Bereich, der längere Zeit in den Wahlauswertungen unter Sonstige zusammengefasst wurde. Soll so eine Wahlbetrachtung nun auch noch einigermaßen interessant zu lesen sein, beginnt man wohl am günstigsten in vermuteten Ergebnisniederungen und steigert mit den Zahlen auch die Spannung. Bemerkenswert sind die sächsischen Kommunalwahlergebnisse rechtsaußen aber allemal.

In Dresden trat zur Kommunalwahl als sächsische Besonderheit ein so genanntes Nationales Bündnis (NB) an. Im NB vereinen sich unter Federführung der NPD – großspurig als “Zeichen für Deutschland“ angekündigt – Republikaner, DVU und Deutsche Partei. Der Versuch, sich durch die Namensgebung einen eher bürgerlich-nationalen Anstrich zu geben und dem Wähler eine NPD-Ferne vorzugaukeln, wurde aber allein schon durch die Tatsache ad absurdum geführt, dass der stellvertretende NPD-Vorsitzende Holger Apfel für das NB sowie gleichzeitig als EU-Spitzenkandidat der NPD angetreten ist. Das NB erzielte in der sächsischen Landeshauptstadt 4,0 Prozent und verfehlte mit drei Stadtratssitzen einen möglichen Fraktionsstatus nur denkbar knapp. Fast skurril mutet es allerdings schon an, dass Rechtsextremisten gerade in Dresden – lange Zeit immer wieder als ’Hauptstadt der Bewegung’ bezeichnet – eines ihrer eher schlechteren Resultate erzielten.

Weitere ausgewählte Wahlanteile der NPD: 5,8 Prozent für den Kreistag Muldentalkreis; 7,6 Prozent in Limbach-Oberfrohna; 8,3 Prozent in Pirna; 8,8 Prozent in Riesa; 9,1 Prozent für den Kreistag Sächsische Schweiz; 9,6 Prozent in Meißen; 9,7 Prozent in Neustadt; 10,4 Prozent in Struppen; 11,4 Prozent in Trebsen; 11,5 Prozent in Wurzen; 14,3 in Sebnitz; 20,7 Prozent in Königstein und 26,0 Prozent in Reinhardtsdorf-Schöna. Zudem wurde in den Stadtrat Chemnitz ein Anteil von 10,3 Prozent Republikaner gewählt. Die durchgängig geringe Wahlbeteiligung hilfsweise zu einer etwaigen Entkräftung der rechtsextremen Wahlergebnisse in Sachsen nutzen zu wollen, greift wohl aber als Beruhigungsargument eindeutig zu kurz.

Auffällig erscheint, dass in bisher bekannten Hochburgen rechtsextremen Wahlverhaltens kräftig zugelegt wurde. In Riesa – mithin auch Sitz der NPD-Postille “Deutsche Stimme“ – gelang es der NPD, ihr Wahl-Ergebnis von 1999 fast zu verdreifachen, in Wurzen zu verdoppeln. In Königstein stellt die NPD nunmehr, hinter der CDU, die zweitstärkste Stadtratsfraktion.

Ein dahingehend durchaus besonderes Territorium in Sachsen ist die Gegend der Sächsischen Schweiz, politisch auch bekannt geworden durch die – offiziell verbotenen – Skinheads Sächsische Schweiz (SSS). Dem schon bisher äußerst umtriebigen Königsteiner NPD-Stadtrat Uwe Leichsenring wurden bezüglich dieser Nazi-Schlägertruppe sehr enge Arbeitskontakte nachgesagt. Im Landkreis Sächsische Schweiz sind enge kommunalpolitische Kontakte vor Ort eben keine Seltenheit – und Wahlergebnisse nicht unbedingt immer überraschend. Auch in Sebnitz verdoppelte schließlich die NPD ihr 1999er Wahlergebnis. Und Beobachter der Szene gehen begründet davon aus, dass zumindest Teile der SSS nach wie vor aktiv sind – oder sich auch nur anders nennen. Jedenfalls werden politisch unliebsame Menschen beispielsweise durch einschlägige Websites aus der Region entsprechend deutlich ’begrüßt’.

Sachsen ist allerdings auch ein Bundesland, in dem die regionalen Medien rechtsextreme Erscheinungsformen fast ausschließlich nur zu Wahlzeiten wahr nehmen. Eine antifaschistische Demonstration, mitinitiiert von der PDS-Jugend, am Tag vor den Kommunalwahlen durch Pirna tauchte in den Berichterstattungen fast überhaupt nicht auf. Und nach den wohl eher unangenehmen und möglicherweise für den Tourismus abträglichen Wahlresultaten der Rechtsextremen suchen Politiker, wie der Land- und Kreistagsabgeordnete Andre Hahn (PDS), dann öffentlichkeitsheischend und betroffen nach Erklärungsversuchen. Auf der Demonstration gegen rechtsextreme Strukturen in seinem Landkreis wollte der Abgeordnete allerdings sein couragiertes Gesicht nicht zeigen. Sachsen ist aber auch ein Bundesland, in dem beispielsweise die Sächsische Zeitung in ihrer Wahlauswertung die 10,3 Prozent der Republikaner in Chemnitz mit einer Sternchen-Anmerkung lediglich unter “Wählervereinigungen“ dokumentiert.

Nicht unbekannt ist schließlich – allerdings nur von wenigen Politikern und Medien reflektiert -, dass alle bei der Bundestagswahl 1998 in Sachsen angetretenen rechten Parteien (NPD, Republikaner, DVU, Bund freier Bürger) zusammen gerechnet damals bereits 6,2 Prozent erreicht hätten. Der Kurort Rathen in der Sächsischen Schweiz war bis dato mit 15,8 Prozent rechtsextremer Stimmenanteile wahrscheinlich bundesweit unübertroffen. Überraschung ob der diesjährigen rechtsextremen Kommunal-Prozentzahlen sollte also niemand heucheln müssen. Relativ neu erscheint lediglich die Einschätzung des Verfassungsschutzes, der entsprechende Kandidaturen sowie rechtsextremes Wahlverhalten nicht mehr fast nur ausschließlich als Protest-Wahlverhalten, sondern auch in und aus der Mitte der Gesellschaft einordnet.

Noch in der Wahlnacht protestierten in Dresden rund 100 Menschen gegen den Einzug des Nationalen Bündnisses in den Stadtrat und besetzten kurzzeitig den Plenarsaal. Diese Spontan-Demo sei nur eine erste Reaktion auf die Wahl des NB, wurde erklärt. Bleibt allerdings abzuwarten, wie man sich in den Parlamenten zu den Rechtsextremen im täglichen Geschäftsgang und auch im Sitzungssaal verhalten wird. Am 19. September 2004 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt – und die NPD hat “gestärkt … geschlossen, optimistisch und gut aufgestellt“ ein eindeutiges Ziel. Am 13. Juni jedenfalls verbuchte die NPD – durchschnittlich – sachsenweit bereits gut 3 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich und ihre politischen Aussagen.

[Dieser Artikel wurde am 16. Juni 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Droht der Untergang des Abendlandes?

In Sachsen wurde gerade der christliche Bildungsauftrag im Schulgesetz verankert. Die schon immer mit Vehemenz geführte Diskussion um die Neutralität der Schulen erhält dadurch neue Wallungen

Die politische Debatte wurde ausführlich und kontrovers geführt. Letztendlich war aber die Beschlussfassung im von der CDU dominierten Landtag von Dresden dann bei den dort vorherrschenden politischen Mehrheiten fast nur noch eine Formsache. Sachsen hat nun seit einigen Tagen ein neues, modifiziertes Schulgesetz. Nach über zwölf Jahren mit dem vorher geltenden Gesetz eigentlich nicht unbedingt ein herausragendes Ereignis in der Bildungsgesetzeslandschaft der Bundesrepublik. Der Beschluss zum neuen Schulgesetz zeigt allerdings schon jetzt nachhaltige Wirkung, auch über die Freistaatsgrenzen hinaus. Dabei ging es in der Landtagsdebatte nicht hauptsächlich um die Inhalte des neuen Schulgesetzes, beziehungsweise lag darüber allgegenwärtig der Schatten einer schon vorab heftigen Diskussion um den umstrittenen Grundsatzparagrafen.

So heißt es zum Bildungsauftrag der sächsischen Schulen nunmehr im Gesetzestext:

(…) Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitliche demokratische Haltung vermittelt, die zur Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend beitragen und sie zur selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Anwendung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten führt und die Freude an einem lebenslangen Lernen weckt. (…)

Die so allein auf Werte-Grundsätze der christlichen Tradition gesetzlich festgeschriebene Ausrichtung des wahrlich nicht erst seit der Pisa-Studie sensiblen Bildungsbereiches rückt die Neutralitätsfrage für Schule und Bildung erneut in den Focus der Aufmerksamkeit. Es kann in diesem Zusammenhang durchaus erwähnt werden, dass schon mit dem Grundgesetz entschieden wurde, staatliches Schulwesen und Kirche grundsätzlich zu trennen. Unstrittig, wohl auch in Sachsen, steht nach Artikel 7, Absatz 1 Grundgesetz, das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates. Zudem wurde diesbezüglich den Kirchen kein Recht auf Bestimmung der Ziele und Inhalte von Unterricht und Erziehung eingeräumt. Abgesehen davon, welche Kirche oder welche Religion das auch immer sein sollte.

Der Streit um die vorgeblich so christlichen Werte des sächsischen Abendlandes erfüllt zumindest einen politischen Zweck. Wirklich dringende Fragen – um beispielsweise Schullandschaftsstrukturen und Klassenstärken sowie um den in Sachsen bereits nach dem vierten Grundschuljahr erfolgenden Wechsel in Mittelschule, für den Hauptschul- oder Realschulabschluss, oder Gymnasium – bleiben weiterhin nach wie vor im bildungspolitischen Hintergrund.

Derweil werfen sich SPD- sowie PDS-Opposition und CDU-Regierung lieber gegenseitig vor, die Pisa-Studie jeweils nicht verstanden zu haben. Schlagworte wie “Missionsauftrag der Schule“ und “Zwangschristianisierung der Schüler“ beherrschen seitens der PDS den sächsischen Bildungsbereich. Eine durch die SPD-Fraktion initiierte Umfrage ergab, dass 81 Prozent der Interviewten eine weltanschaulich neutrale Schule, und 16 Prozent eine Schule auf Basis christlicher Weltanschauungen favorisieren würden. Die PDS-Fraktion hat zudem bereits eine Verfassungsklage gegen das neue Schulgesetz angekündigt, der die CDU wiederum “erhobenen Hauptes“ entgegen sieht. Hätte es im neuen sächsischen Schulgesetz der Bezug auf allgemeingültige humanistische Traditionen nicht auch getan?

Die nun zu diesem Zeitpunkt aus Sachsen heraus beflügelte Diskussion um die religiöse – sowie in diesem Zusammenhang auch politische – Neutralität von Schule und Bildung wird, wie schon so oft, holzschnittartige Ergüsse mit sich bringen. Der als Bürgerrechtler bekannt gewordene Theologe Friedrich Schorlemmer diagnostizierte in diesem Zusammenhang bereits “Pawlowsche Reflexe einer tief sitzenden Antikirchlichkeit und jahrzehntelanger Atheismus-Propaganda“. Und die Schüler? Die Lehrerinnen und Lehrer? Wem soll dieser sächsische Freilandversuch letztendlich nützen? Wohin geht die so politisch instrumentalisierte religiöse Bildungsreise für bundesdeutsche Schulen?

[Dieser Artikel wurde am 23. Januar 2004 bei Telepolis veröffentlicht.]

Der Weihnachtsosterhase

Eine ungewöhnliche Jahresendkartenaktion mit dem landeseigenen Ministerpräsidenten soll Aufsehen erregend für Sachsen werben

Zur Zeit kann man dem sächsischen Ministerpräsidenten, Georg Milbradt (CDU), kaum entgehen, obwohl die politische Weihnachtszeit auch in Sachsen fast schon angebrochen ist. Vielleicht liegt es aber am relativ bescheidenen Bekanntheitsgrad des CDU-Politikers Milbradt, dass die eine oder andere mit seinem Gesicht nicht unbedingt sofort einen Zusammenhang herstellen kann. Im Gegensatz jedenfalls zu seinem Vorgänger, Kurt Biedenkopf (CDU), der ja bekanntlich seiner Titulierung als “Landesvater“ gar geschmeichelt und gar nicht ablehnend gegenüberstand.

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(Faksimile: O.M.)

Nun steht, liegt oder hängt in vielen Gaststätten, Kinos und weiter derart prädestinierten Orten der sonst kaum so omnipräsente aktuelle sächsische Ministerpräsident, quasi als “Landespappi in immer noch Lauerstellung“. Damit aus dem “Landespappi“ vielleicht auch mal ein “Landesvater“ werden kann, wurden garantiert schlaue Taktiken in Erwägung gezogen, wieder verworfen, um dann durch noch geschicktere PR-Kampagnen den eher dürftigen politischen Inhalt schönend unters Wahlvolk zu bringen. Und mit so einem PR-Produkt werden nun beispielsweise unschuldige Kneipenbesucher und Kinogänger wie aus heiterem Weihnachtshimmel, sagen wir, konfrontiert, um die Worte “erschreckt“ oder “irritiert“ an dieser Stelle tunlichst doch zu vermeiden.

Sie sehen einen etwas krampfhaft grinsenden Ministerpräsidenten unter dem Weihnachtsbaum, der ihnen ein “Frohes Fest“ wünscht. So weit, so noch ganz gut. Für den vielleicht, der diese als City-Card angelegte propagandistische Fest-Botschaft per Post an die lieben Verwanden ins nicht CDU-regierte Ausland zu versenden beabsichtigt. Doch etwas mag den Betrachter, auch im CDU-regierten Sachsen, dann doch leicht stutzig machen: Im Arm des sächsischen Ministerpräsidenten kuschelt sich, unterm Weihnachtsbaum, ein Osterhase. Was will uns Herr Milbradt, was will uns die sächsische Union damit sagen?

Politische Geschenke vielleicht, zu jeder Zeit fürs Wahlvolk, ob Weihnachten oder Ostern? Die diese Karte zudem zierende Botschaft “Sachsen – wieder einen Schritt voraus“, macht eine treffende Erklärung auch nicht unbedingt einfacher. Aufhellende Auskunft erfährt der politinteressierte Weihnachtsosterforscher dann über die Website der CDU Sachsen. Die so genannte “WOster-Karte“, selbstredend online als “originell“ bezeichnet, “soll zeigen, dass Sachsen ein besonders innovatives und vorausschauendes Völkchen ist“.

[Dieser Artikel wurde am 24. Dezember 2003 bei Telepolis veröffentlicht.]