Der Fan-Forscher Gunter A. Pilz provoziert mit seinen Aussagen zuweilen Teile der Fußball-Gemeinde und erfreut sich auch dadurch einiger Berühmtheit. Manchmal erfindet er sich aber nur selbst neu
Unzweifelhaft haben die sozialwissenschaftlichen Feldforschungen und daraus resultierende Veröffentlichungen – wie beispielsweise “Zuschauerverhalten im Profifußball“ – von Gunter A. Pilz, Professor an der Universität Hannover, längst ihren Platz in der Geschichte der versuchsweise tieferen Ergründung des Fußball-Fans als unbekanntes Wesen gefunden. Den von ihm geprägten – und in der aktiven Fan-Szene hernach nachdrücklich kritisierten – Begriff “Hooltra“ erklärte der Soziologe aus einer von ihm beobachteten Verquickung von Teilen der gewaltlosen Ultra-Gruppen, “die sich nun einerseits klar zu Gewalt bekennen und andererseits weiter ihr Ultra-Leben führen, sich von daher also von den Hooligans unterscheiden“ (vgl. Ultras, Hooligans, Hooltras?).
In einem Interview [taz.de] hatte Pilz damals zudem gesagt, man habe “eher einen Rückgang der Gewalt zu verzeichnen – mit Ausnahme der neuen Länder … In den alten Ländern hat die Gewalt abgenommen“. Auch der Spiegel konnte kurze Zeit später nicht an der Hooltra-Diskussion vorbei und zitierte Pilz, Hooligans als solche seien infolge der Ablösung durch Hooltras eher als “Auslaufmodell“ zu sehen.
In einschlägigen Fan-Foren kursiert nach wie vor die Aussage des im April 2008 von der Informationsplattform ultrafans.de umgehend zum “Vader Abraham der deutschen Fanszene“ ernannten Fan-Forschers: “Für viele Ultras ist ein Gefängnisaufenthalt sogar die bessere Perspektive als das bisherige Leben“ (vgl. Der Fußball-Fan als Persona non grata). Pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft 2008 antwortete Gunter A. Pilz dann auf die Frage, ob sich am soziologischen Background besagter Fan-Szene etwas geändert habe: “Wenig. Es sind junge Menschen mit niedrigem Bildungsniveau und wenigen Erfolgserlebnissen. Sie sind sozial schlecht gestellt, haben nichts zu verlieren.“
Doch vieles ist vergänglich. Aktuell erzählt Herr Pilz nun der Rheinischen Post: “In Bremen wurden einmal vier Hools festgenommen. Der eine war Ingenieur, der zweite Banker, der dritte Mathematiker und der vierte Rechtsanwalt. Ganz solide Typen …“ – Ultras, Hooligans, Hooltras? Niedriges Bildungs- und Sozialniveau? Gunter A. Pilz ist jedoch durchaus flexibel. Denn “für den Soziologen Pilz gibt es keine Verbindung zwischen der sozialen Herkunft und der Frage, ob jemand gewalttätig ist oder nicht“, heißt es in der Zeitung.
Wiederholt und widerlegt sich der fanforschende Professor aber mittlerweile nicht gleichzeitig selbst, allerdings mit quasi leicht verändertem Akzent? “Der Hooliganismus ist ein Auslaufmodell. Es gibt nur noch selten Gruppen mit einem Kodex. An ihre Stelle treten immer öfter bestimmte Ultra-Bewegungen“, sagt Pilz und fügt hinzu: “Wir sprechen deshalb von ’Hultras’.“
“Ja es ist vorbei … Hultras lösen nun endgültig die Hooligans ab!“, kommentierte daraufhin sarkastisch die Plattform ultrafans.de die Neuschöpfung – und beförderte Pilz sogleich in den Stand als “Oberschlumpf“. Die freundlichste Erklärung für den “Hultra“ war bislang im Forum von ultras.ws zu lesen, wo sogar andeutungsweise wohlwollend unterstellt wurde, vielleicht habe “… einfach nur ein depperter Zeitungsfink … sein Diktiergerät abgehört … und das dann, so wie gehört, niedergeschrieben …“.
“Es gibt den Proll- und den Yuppie-Hool“, so Gunter A. Pilz. Den nunmehr fast schon sagenumwobenen “Hultra“ erforscht er offenbar noch. Und die so Ausgespähten schauen leicht amüsiert zu – oder ignorieren es einfach. “Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix“, hieß es dazumal.
[Dieser Artikel wurde am 13. November 2008 bei Telepolis veröffentlicht.]
Der durchaus strittige Mäzen des Bundesligisten TSG Hoffenheim will augenscheinlich Kritiker aller Couleur auch virtuell zur Rechenschaft ziehen.
Wohl gelitten war Dietmar Hopp in gewissen Fan-Kreisen bereits vor dem letztendlichen Durchmarsch der TSG Hoffenheim in die 1. Bundesliga nicht unbedingt. Inzwischen wurde sein Wikipedia-Eintrag mehrmals verfälscht, es gibt bei fast jedem Spiel der TSG Bekundungen gegen seine als lediglich gönnerhaft persiflierte Person – die quasi dörfliche Gemeinde Hoffenheim als pseudo-künstlicher Brutkasten erfolgreichen Fußballs eingeschlossen.
Nach dem beim letzten Spiel der TSG Hoffenheim im gegnerischen Fan-Block der Dortmunder Borussen (BVB) “neben den schon üblichen ’Gegen den modernen Fussball’ hängenden Bannern ein Transparent mit dem Bild von Dietmar Hopp mit der Aufschrift: ’Hasta La Vista Hopp’ hochgehalten“ wurde (ultrafans.de), laufen gegen den mittlerweile ermittelten ’Täter’ Ermittlungen wegen Beleidigung. Philipp Markhardt von Pro-Fans findet das “überflüssig und sinnlos“.
Nach aktueller Darstellung der BVB-Freunde (“Diese Information kommt von höchster Stelle in Hoffenheim“) sei Dietmar Hopp mittlerweile “auf Fan-Jagd, anders kann man es nicht sagen“. So würden “seine Anwälte das Internet nach möglichen Beleidigungen und herablassenden Äußerungen gegen seine Person … durchforsten“. Daher sollten in besagtem Forum “sofort alle Avatare, Signaturen und eigene Beiträge löschen, die beleidigend gegen Hopp sind“ – zudem “bereits Anwälte … im Forum“ diesbezüglich aktiv gewesen wären.
Unterdessen persiflieren ultrafans.de aufgrund des offenbar auch hochoffiziell ausgerufenen Hopp-Kritik-Verbotes in ihrem Forum Hopp is’ ja nur ein kleiner Schoko-Riegel … Scha-la-la-la-la … – “wenn das mal keinen Ärger gibt“.
Eine wie auch immer – zivilisiert – kreativ geartete Kritik lässt sich virtuell nur schwer eindämmen – und Fußball-Fans sich in ihrer Meinung nicht gerne zensieren.
[Dieser Artikel wurde am 25. September 2008 bei Telepolis veröffentlicht.]
War der Versuch des Berliner Polizeipräsidenten, generell allen Anhängern von Dynamo Dresden den Zutritt zum Regionalliga-Spiel bei Union Berlin zu untersagen, ein nur vorerst geplatzter Testballon für zukünftige Szenarien?
Nach der Lektüre des kleinen Buches “Die 100 ’schönsten’ Schikanen gegen Fußballfans – Repression und Willkür rund ums Stadion“, bereits vor einigen Jahren vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) veröffentlicht, mag mancher ungläubig den Kopf geschüttelt haben. Geschieht derartiges wie “selbstherrliches Auftreten der Polizei, Schikanen durch ’Ordner’ verschiedenster Sicherheitsdienste, Willkürakte beim Stadionzutritt, sexuelle Übergriffe bei Personenkontrollen“ wirklich in bundesdeutschen Gefilden?
(Babelsberger Fan-Protest bei der Begegnung gegen Dynamo Dresden am 27. April 2008 – Foto: O.M.)
Wer als ausgewiesener Fan seinen Verein des öfteren und noch dazu auswärts unterstützt, schüttelt über so etwas nicht ungläubig den Kopf – er erlebt es fast jede Woche selbst. Auch infolge dessen gibt es seit einiger Zeit Projekte wie Fußballfans beobachten Polizei, Fanrechtefonds und Fansmedia. Denn dem bereits schon “öfters beschwerlichen Leben des Fußballfans“ (BAFF) widerfuhren in den letzten Jahren zunehmend Restriktionen durch Vereine und staatliche Institutionen wie Zensur, Stadionverbote, Reisebeschränkungen, Datensammlungen, DNA-Analysen sowie der vermehrte Technik-Einsatz zur Video-Überwachung, wie beispielsweise der in Sachsen am 30. April 2008 erstmals praktizierte Einsatz einer Drohne. Wohlgemerkt handelt es sich um die Reflektierung eines Umgangs mit aktiv engagierten und zuweilen auch sehr emotional agierenden Anhängern des runden Leders. Doch “Fußball-Fans haben keine Lobby“ und zudem lässt sich mit dem Hooligan-Totschlagargument “jede noch so absurde Maßnahme rechtfertigen“ (BAFF). Andeutungsvolle Parallelen zum täglichen Leben scheinen da nicht nur zufällig.
Es ist nicht überliefert, wie der amtierende Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch seine Entscheidungen fällt und welcher Argumente er sich dabei bedient. Überliefert dagegen ist, dass Glietsch dem 1. FC Union Berlin in einem Brief mit Posteingang am 18. April 2008 untersagte, für das Regionalliga-Heimspiel gegen die SG Dynamo Dresden auch nur irgendeine Gästekarte zu verkaufen. Als Grundlagen für dieses Vorgehen bemühte der Polizeipräsident angeblich gesichert vorliegende Erkenntnisse sächsischer Behörden, dass Dresdner-Hooligans bei dieser Begegnung in der Köpenicker Wuhlheide auf Krawall aus seien, sowie das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) des Landes Berlin, welches eine solche Maßnahme erlaube, um Gefahren für die Stadt abzuwehren. Ein daraufhin einberufener erster Krisengipfel mit Vertretern der Polizei, des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des 1. FC Union endete ohne Ergebnis.
Am 21. April erklärte Glietsch vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden planten sogenannte Ultras aus dem Umfeld des Dresdner Vereins massive Ausschreitungen und nannte gleichzeitig die Verfügung, keine Karten an Dynamo Dresden abzugeben, das mildeste Mittel, dass den Behörden gegen diese Pläne zur Verfügung stehe. Bemerkenswert ist bei Glietschs Äußerungen allein schon der Wechsel von verdächtigen Hooligans zu Ultras, der von einzelnen Medien genau so unreflektiert übernommen wurde. Noch immer werden diese Begriffe (Ultras, Hooligans, Hooltras?) scheinbar beliebig austauschbar gehandhabt, “fehlt vielen Sportjournalisten jegliches Gespür für Fans und Fan-Interessen“ (BAFF).
Welche konkreten Anhaltspunkte die Berliner Polizei indes zu Grunde legte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Im Gegensatz zu anderen Brisanz-Spielen, in deren Umfeld es quasi mit Ansage zu gewalttätigen Ausschreitungen kam (Die “Freiheit“ der 5. Liga), war in einschlägigen Internet-Foren für die Berliner Begegnung nicht einmal eine nur versehentliche Andeutung für eine wie auch immer geplanten “Hoolerei“ zu finden. Medienöffentlich wurde lediglich vage auf das vorsaisonale Gastspiel der Dresdner in Berlin verwiesen. “(…) Mit dem Großaufgebot von 1350 Beamten konnte die Polizei schwerere Ausschreitungen verhindern. Das habe die Gewalt-Szene als Niederlage empfunden, für die es nun Revanche zu nehmen gelte, wird vermutet (…)“ (Sächsische Zeitung).
Damals wurden 16 Personen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Sachbeschädigung festgenommen, 170 Fans wurde der Zugang zum Stadion verweigert. Nach Angaben der Ultras Dynamo soll nach besagtem Gastspiel der Dresdner ein Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten an die Geschäftsführung und das Fanprojekt der SG Dynamo Dresden erfolgt sein, in dem Glietsch den ruhigen Ablauf der damaligen Partie gelobt habe und sich schon auf das nächste Spiel freue. Auch wenn dem wirklich so wäre: Das besagte Hooligan-Totschlagargument grüßt nach wie vor ganz normale Fußball-Interessierte, Fans, Ultras.
(Schuhe aus am Gästeeingang der Alten Försterei am 8. Mai 2008 – Foto: O.M.)
“Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist das das Ende des deutschen Fußballs“
Unterdessen hatte das bisher in der Bundesrepublik einmalige Ansinnen, eine ganze Fan-Gruppierung ohne auch nur den Ansatz einer Differenzierung unter Generalverdacht zu nehmen und ein Liga-Spiel unter Ausschluss von Gäste-Fans durchführen zu wollen, nicht nur in der Fan-Szene für Aufregung gesorgt – von “3.000 Mal Stadionverbot“ und einem “Novum in der Geschichte des deutschen Fußballs“ schrieb Spiegel-Online. In den offiziellen Foren der beiden Vereine erfolgten regelrechte Solidaritätsbekundungen – und das bei einer jahrelang gepflegten gegenseitigen Abneigung der Anhänger. Die Vorschläge reichten beispielsweise vom generellen Zuschauer-Boykott und einer Demonstration vor dem Stadion, über den ersatzweisen Kartenkauf für Fußball-Fans der Sachsen, hin zu einem gemeinsamen Fan-Block. Ein für die Szene erstaunlich einheitlicher Tenor – abgesehen von den üblichen Schmähungen – machte nicht nur in den offiziellen Fan-Foren der beiden betroffenen Vereine die virtuelle Runde: Heute ist es Dresden – morgen sind es wir …
Darüber hinaus wurden in dem gepflegten Durcheinander vor dem nächsten sportpolitischen Krisengipfel – diesmal dann auch mit Vertretern der Dresdner Dynamos – fanseitig verschiedenste verschwörungstheoretische Ansätze kolportiert. Soll die Union-Heimstätte “An der Alten Försterei“ in diesem Zusammenhang vielleicht so diskreditiert werden, um sie als Austragungsort der Union-Spiele letztendlich doch noch unmöglich zu machen? Wie profilierungssüchtig ist der Berliner Polizeipräsident – im nachhinein auch zu den Ereignissen am diesjährigen 1. Mai – und welche haushaltspolitischen Finanzierungsengpässe könnten mit derart ordnungspolitischer Omnipräsenz erweitert werden? Braucht etwa gar die Einsatzgruppe Hooligan (EGH) der Berliner Polizei eine Legitimation für ihre Daseinsberechtigung? Und nicht zuletzt: “Es gibt auch in Berlin Leute, die einen Spielabbruch mit null Punkten für Union genießen würden. Sie hassen zwar auch die Saxen, aber uns noch viel mehr! Und sie werden da sein!“ (Union-Forum) – “Mit dieser Aktion haben die Berliner Revierförster dieses Spiel erst recht zu einem Brisanzspiel werden lassen“ (Dynamo-Forum).
Die Lage nicht gerade erleichternd machte zudem der Fakt, dass dieses Ost-Derby an einem Donnerstag für 20.30 Uhr angesetzt wurde. Wer letztendlich diesen Zeitpunkt festlegte, mag dahin gestellt bleiben. Eine geschickte Planung sieht allerdings anders aus. Vielleicht erhofften sich die beiden live übertragenden Sender, RBB und MDR, besonders hohe Einschaltquoten. Es geht schließlich auch ums Geld. Besonders wenn – wie in der Regionalliga Nord – die Spanne zwischen 2. Liga, der in der nächsten Saison neuen 3. Liga und dem Absturz in die 4. Spielklasse nur wenige Punkte liegen. Dem 1. FC Union Berlin stand ohne Gäste-Fans ein Einnahmenverlust von geschätzten 30.000 Euro ins Haus. Das Datum und die sich androhenden Umstände der Begegnung ließen in Fankreisen zudem noch eine Frage entstehen: “Lassen wir den 8. Mai zum Tag der Befreiung werden, gegen die Willkür der Staatsmacht?“ (Union-Forum).
Die Verantwortlichen der beiden Vereine reagierten mit Unverständnis auf die geplante Polizei-Verfügung. “Wenn dieses Beispiel Schule macht, ist das das Ende des deutschen Fußballs“ (Dirk Zingler, Union). “Fans haben ein Recht, bei einem Spiel dabei zu sein … Ansonsten muss sich jeder über die Konsequenzen dieses Schrittes bewusst sein“ (Bernd Maas, Dynamo). Für das Dresdner Fanprojekt wiederum war die Ankündigung der Berliner Polizei “Provokation pur“ – Fans würden dadurch von vorn herein kriminalisiert (Torsten Rudolph). Das Fanprojekt wurde übrigens erst Anfang dieses Jahres für seine “auf Prävention angelegte vorbildliche Jugendarbeit weit über den sportlichen Bereich hinaus“ mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.
Unterdessen reagierte auch der DFB “mit Sorge auf die Verbannung der Anhänger von Regionalligist Dynamo Dresden durch die Berliner Polizei im Ost-Derby bei Union Berlin“ und plädierte dafür, “eine einvernehmliche Lösung zu finden, damit die echten Dresdner Fans ins Stadion dürfen“. Beim DFB verstehe man die Sorge der Sicherheitsbehörden und nehme die Hinweise sehr ernst, das Vorgehen der Berliner Polizei könne in der Weise trotzdem nicht akzeptiert werden (DFB-Sprecher Harald Stenger).
Das Verhältnis der Dresdner Dynamo-Fans zur Berliner Polizei gilt spätestens seit Oktober 2006 als völlig zerrüttet. Damals war es beim Spiel gegen Hertha BSC (A) in Berlin zu Ausschreitungen gekommen. Nach offiziellen Angaben wurden dabei 38 Menschen, davon 23 Polizeibeamte, verletzt. Die anderen 15 Verletzten sollen nach Dresdner Fan-Darstellungen sämtlich Dynamo-Anhänger gewesen sein. Der damalige Geschäftsführer des Dresdner Vereins, Volkmar Köster, attestierte den Berliner Einsatzkräften im Nachhinein fahrlässiges Handeln und überhartes Vorgehen auch gegen völlig Unbeteiligte. Glietsch wiederum unterstellte Köster daraufhin eine “Förderung des Hooliganismus“.
Am 23. April 2008 vereinbarten beide Vereine und die Berliner Polizei hinsichtlich der Partie gemeinsame “Maßnahmen gegen Gewalt“. Diese beinhalteten unter anderem die geschlossene Anreise der Dresdner in Entlastungszügen, die Abgabe von Karten ausschließlich gegen Vorlage eines Personaldokuments am Zug in Dresden sowie vorab erfolgende Meldeauflagen und so genannte Gefährdenansprachen für zirka 400 bundesweit mit Stadionverbot belegten Problemfans der SG Dynamo Dresden durch die sächsische Polizei. Für Dynamo-Anhänger wurde das Kartenkontingent auf 1.200 beschränkt. Übrigens ist in einer DFB-Regelung für Gästefans ein 10 Prozent-Anteil an Eintrittskarten für das jeweilige Stadion vorgesehen. Das Fassungsvermögen der Union-Heimstätte “An der Alten Försterei“ in Berlin-Köpenick wird auf 18.100 Zuschauer beziffert.
Da allein aus logistischen Gründen die Kartenübergabe an Dynamo-Anhänger im Dresdner Hauptbahnhof doch schwerlich umsetzbar schien, erfolgte der registrierte Vorverkauf letztendlich doch im Fanshop des Rudolf-Harbig-Stadions in Dresden. Für auswärtige Fans – Wohnort mindestens 50 km von Dresden entfernt – wurden einigermaßen verträgliche Karten-Zugangsmöglichkeiten realisiert. Ebenso war überraschend eine individuelle Fahrzeug-Anreise von Dynamo-Fans möglich. Eigentlich wurden damit allerdings auch die Festlegungen mit der Berliner Polizei – beispielsweise die geforderte geschlossene Anreise in Entlastungszügen – unterlaufen. Aber irgendwie schien dies nun wiederum plötzlich niemanden mehr so richtig ernsthaft zu interessieren.
(Protestbanner im Union-Block am 8. Mai 2008 – Foto: Bultras Dynamo)
Derweil plakatierte die Dresdner Initiative Pro Fankultur! ein in ehemalig ost-staatsparteilichem Duktus (“Liebe Genossen …“) gehaltenes “Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Schon mehrere Tage vor dem Derby freuten sich Ultrafans (Infos aus der Fanszene – Die Wahrheit ist oft schmerzhaft!) “auf die vielen Protestbanner überall im Stadion gegen die Polizeiwillkür in unserem Land“. Von den Ultras Dynamo erfolgten zum Auswärtsspiel gegen den 1. FC Union Berlin keine weiteren Informationen, “da bestimmte Organe nur darauf warten, entsprechend reagieren zu können und so die Rechte und Freiheiten aller Dynamofans nur noch weiter einzuschränken“.
“Fußball-Fans sind keine Verbrecher!“
Um es noch einmal deutlich zu machen: Es geht nicht um “die Vollidioten, die nur Ärger wollen“ (Christian Beeck, Union). Diese sind allerdings in der bundesdeutschen Ultra-Szene in der Regel auch nicht wohl gelitten. Nach dem letzten schweren Zwischenfall beim Bundesliga-Spiel Arminia Bielefeld gegen VfL Bochum mit mehreren durch eine Böller-Explosion Verletzten und einem brutal attackierten Ordner verurteilten die Ultras Bochum diese Tat umgehend. Gleichzeitig kündigte die Gruppe in einer Erklärung an, in Zukunft zu versuchen, “so auf die Kurve einzuwirken, dass solche Szenen nicht wieder vorkommen“. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Fan-Kurven in Stadien keine rechtsfreien Räume sind, in denen einige Unverbesserliche glauben, sich auf Kosten anderer mit krimineller Energie austoben zu können. Letzten Angaben zufolge werden bundesweit rund 3.500 Leute der polizeilichen Fan-Kategorisierung “C“ zugeordnet, davon im Umfeld von Dynamo Dresden zirka 100 und knapp 300 in der Stadt Berlin. Als “Kategorie A“ gelten in dieser Einteilung friedliche Fans, die nur das Spiel sehen wollen. Die “Kategorie B“ umfasst die so genannten “gewaltbereiten“ Fans, die nicht mit der Absicht kommen, Gewalt auszuüben, aber Aggressionspotenzial in sich tragen. In der “Kategorie C“ werden die “gewaltsuchenden“ Fans erfasst, die weniger an den Fußballspielen als an Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans und der Polizei interessiert sind (wikipedia).
Die sich im Zusammenhang mit diesem Spiel der Regionalliga Nord sukzessiv andeutende weitere Einschränkung von Fan-Rechten reflektierte Frank Willmann, Autor des Buches “Stadionpartisanen“: “Ich sehe es als eine Gefahr für den Fußball an, wenn Polizeipräsidenten beginnen, ganzen Fangemeinden Stadionverbot zu erteilen. Zu Recht hat das einen riesigen Aufschrei gegeben. Die Fußballanhänger dürfen heute nicht mehr schadenfroh über Probleme gegnerischer Fans sein, sondern müssen solidarisch zusammen stehen“. Im Union-Forum wurde resümiert: “Wer glaubt, dass es hier um Dresden geht, der frisst gerade den Knochen, den die Strategen euch hingeschmissen haben“.
“Bei all den Einschränkungen, die Fußballfans allwöchentlich erleben müssen, gerät … in Vergessenheit, dass es diese Fans sind – unangepasst, lautstark, kreativ und erlebnishungrig -, die dem Fußball das Leben einhauchten, das ihn zum Zuschauersport ’Nummer Eins’ gemacht hat“ (BAFF).
Wie kreativ und eindrucksvoll diese Fankultur sein kann, zeigten nicht zuletzt die Ultras Dynamo Ende August 2006 mit einer Choreografie von 420 Bengalo-Feuern anlässlich der offiziellen Verabschiedung von den markanten Flutlichtmasten des alten Rudolf-Harbig-Stadions.
Übrigens hielt auch Gunter A. Pilz, Fanforscher vom sportwissenschaftlichen Institut an der Universität Hannover, die Vorab-Pauschalverurteilung der Dresdner Fans “für keine besonders pfiffige Idee“ (taz). So lange sich allerdings der “Vader Abraham der deutschen Fanszene“ (ultrafans.de) bezüglich der von ihm angeblich so differenziert beobachteten Fan-Szene eher abfällig äußert, wie beispielsweise am 10. April diesen Jahres geschehen, kann sein dahingehendes Engagement durchaus als lediglich populistisch eingeschätzt werden: “Für viele Ultras ist ein Gefängnisaufenthalt sogar die bessere Perspektive als das bisherige Leben.“ Selbst ernannte Fußball-Experten, angebliche Szene-Kenner aller Couleur, gibt es landauf und landab; sich zudem teilweise mit virtuellen Internet-Ultras und Foren-Hooligans gegenseitig fast perfekt niveaulos ergänzend.
Das brisante Ost-Derby entschied vor knapp 12.000 begeisterten Zuschauern im Stadion an der Alten Försterei in Köpenick Union Berlin mit 4:2 über die Dresdner Dynamos. Gegen Elf Leute – sieben Dresdner und vier Berliner – wurden vorab Aufenthaltsverbote verhängt. Weitere 120 als Gewalttäter Bekannte erhielten Meldeauflagen. Rund 800 Polizeibeamte wurden während der Regionalliga-Begegnung am 8. Mai eingesetzt, insgesamt waren 1.400 Polizisten vor Ort. Der Abend verlief ohne größere Zwischenfälle. Während des Spiels präsentierten die Union-Fans das Spruchband “Gleiches Recht für alle“ und intonierten schließlich gemeinsam mit den rund 500 anwesenden Dresdnern “Fußball-Fans sind keine Verbrecher!“
Allerdings wurde seitens der Dresdner nicht einmal das sowieso schon reduzierte Kartenkontingent ausgeschöpft. Viele der ansonsten als reiselustig bekannten Dresdner Anhänger waren der Begegnung in Berlin einfach fern geblieben, augen- und ohrenscheinlich auch der Stimmungsmotor Ultras Dynamo. Richtigen Derby-Charakter wie in den Vorjahren hatte das Ganze so jedenfalls nicht, der war schon im Vorfeld auf der Strecke geblieben. Wenn das wiederum die Zukunft im Umgang mit der in sich wie auch immer differenzierten Fan-Szene sein soll, dann ist es einfach nur Schade für die Fußball-Kultur in diesem Land.
[Dieser Artikel wurde am 10. Mai 2008 bei Telepolisveröffentlicht. Nachpublizierung u.a. in “Der Zwölfte Mann – Fanprojekt Magazin“, Ausgabe 27, September/Oktober 2008]
Die Krawalle in Dresden zeigen, was Fangruppen in unteren Ligen mitunter zelebrieren, um ihre “Ehre“ zu verteidigen
Fan-Forscher konstatieren schon längere Zeit, dass sich die von ihnen gern so genannten Problem-Fans immer mehr in untere Spielklassen zurückziehen. Denn dort wäre nach Ansicht dieser Anhänger des runden Leders der Fußball nach wie vor ursprünglich – zuweilen zwar frei von spielerischer Qualität -, aber eben auch relativ frei vom verpönten Kommerz. Dort sei ihr wie auch immer geartetes Engagement wirklich noch etwas wert. In jenen Fankreisen gilt bekanntermaßen: Immer und überall alles für den Verein!
(Am 28. Oktober 2007 im Rudolf-Harbig-Stadion – Foto: O.M.)
In der Fußballszene geschieht vieles rituell, unabhängig von der Liga-Zugehörigkeit. Die gegnerischen Fans sollen übertönt, wenn es geht gedemütigt und vorgeführt werden. Es geht um die Vorherrschaft im eigenen Stadion, in der Region, im Land. Schließlich ist es immer eine Frage von Sieg oder Niederlage. Es geht um die Ehre. Und es gibt auch offizielle Ehren. So kürt die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur im Rahmen ihres Deutschen Fußball-Kulturpreises beispielsweise den besten Fan-Gesang des Jahres. Ist so eine Ehrung schon Kommerz? Nicht nur darüber gibt es in der Szene geteilte Meinungen.
Ein Teil der Fußball-Fans verweigert sich – aufgrund schlechter Erfahrungen – dem öffentlichen Dialog. Wiederum andere suchen ihn regelrecht. Auch darüber wird beispielsweise in vielen Fan- und Ultra-Foren gern ausgiebig mit durchaus sehr unterschiedlicher Qualität diskutiert. Bei solcherlei Diskussionen stößt man immer wieder auf das so genannte Ultra-Manifest. Dieses Manifest wurde erstmalig auf der Homepage der Ultras des AS Roma veröffentlicht und ist für den deutschen Sprachraum “nur unwesentlich verändert beziehungsweise an die Verhältnisse in Deutschland angepasst“ worden.
Im Ultra-Manifest werden unter anderem “Meinungsfreiheit und Freiräume zur kreativen Entfaltung der Fans im Stadion“ gefordert, welche “Choreografien, Spruchbänder, Schwenkfahnen, Plätze für Zaunfahnen, keine Unterhaltungsshow – die jegliche Fangesänge übertönen“ beinhalten. In vielen bundesdeutschen Stadien, egal welcher Liga, ist das schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Zugleich endet das Ultra-Manifest in Forderungen wie “die Ware ’TV-Fußball’ unattraktiver machen beziehungsweise boykottieren“ und “die Kommerzialisierung des Fußballs nicht fördern“ sowie “sich nicht von den Autoritäten unterdrücken lassen“ zu wollen.
Für Fußball-Fans und besonders für Ultras geht es um viel Ehre und im Prinzip gegen diese zuweilen doch sehr gut bezahlten reinen Fußball-Funktionäre. Denn “diese Menschen verstehen nicht, dass Fußball unser Leben ist, dass wir für unseren Verein leben, dass wir unsere Schals und unsere Kleidung tragen, die unsere Stadt oder Region repräsentiert“. Mit der Ware Fußball wollen aber im 21. Jahrhundert sehr viele möglichst noch mehr Geld verdienen. Der wie auch immer geartete Fan als solcher käme mit einem in diesem Industriezweig gezahlten Monatssalär wohl weit länger als vier Wochen aus. Soziale Gefälle grüßen nicht immer zwangsläufig freundlich.
(Szenerie nach Spielschluss in der Dresdner Innenstadt – Foto: O.M.)
Im Fußball geht es ganz profan – als immer noch fast reine Männerdomäne – um Geld, Macht, Einfluss und Ehre, nur eben nicht für alle Beteiligten in dieser Reihenfolge. Nicht zu vergessen geht es dabei auch nach wie vor – um die gesellschaftsscheuen Teile der Fan-Szene nicht noch weiter in das von ihnen teilweise selbstgewählte Abseits zu drängen – um ein bewusst verantwortungsvolles Agieren der Medien (Ultras, Hooligans, Hooltras?). Was allerdings für niemanden als Entschuldigung dienen sollte. Es geht ja, wie bei anderen Sportarten auch, um Provokation, den Gegner in seine Schranken zu verweisen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen, ihn zu verunsichern, ihn zu bezwingen – the winner takes it all. Doch wie weit darf Provokation gehen? Gewalt – auch verbale – ist der Fußballszene bekanntlich leider nicht unbedingt fremd. Aber es gibt im zwischenmenschlichen Miteinander Grenzen, bei körperlicher und sächlicher Gewalt sowieso, sollte man meinen.
Der Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig bekannte kürzlich, auf die Frage angesprochen, ob Randale im Stadion Ausdruck einer Brutalisierung der Gesellschaft sei, er glaube, “früher wurde bei Spitzenmannschaften mehr randaliert als heute. Mir ist es fast zu clean. Natürlich dürfen keine Tribünen einstürzen, es darf keine Verletzten oder gar Tote geben. Wichtig ist es, dass Zuschauer, die nicht dabei sein wollen, weg können. Aber ein bisschen Rabatz gehört zum Fußball. Es ist ein Ausnahmezustand, so etwas wie Karneval …“ Mit “Karneval“ und “bisschen Rabatz“ kann das, was beispielsweise aktuell in einer der bundesdeutschen fünften Ligen vor sich geht, allerdings wahrlich nicht abgetan werden.
Das für den 28. Oktober 2007 angesetzte Sachsenliga-Punktspiel zwischen Dynamo Dresden (Amateure) und Lok Leipzig warf bereits lange vorab dunkle Gewaltschatten auf diesen Sonntag im Herbst. Der plakative Ursprung dafür sucht seinen Ausgangspunkt in einer zwischen ehemaligen Ost-Fußball-Spitzenclubs nachwirkenden Rivalität und einer durchaus nachhaltig gepflegten Fan-Feindschaft. Äußern sich, was eher selten ist, in die nachfolgenden Auseinandersetzungen involvierte Einzelpersonen, ist es schon erstaunlich, dass nicht wenige der emotionsgeladenen Derbys in der DDR-Oberliga oder im FDGB-Pokal zwischen Dynamo Dresden und Lok Leipzig fast mit der Nähe des eigenen Geburtstages korrespondieren. Ostalgie pur? Geil auf ein Derby? Oder einfach nur geil auf Gewalt?
Wer angefangen hat, die Provokationen im Vorfeld dieser Begegnung über das unter Fußballfans und auch Ultras hinaus bekannte Maß zu forcieren, ist schwer nachvollziehbar. Begann es schon im Spätsommer mit der SMS-Message an Eingeweihte beider Seiten, mit der martialisch formulierten Aufforderung, um die Ehre des jeweiligen Vereins kämpfen zu wollen? In einem hernach auf YouTube veröffentlichtem Videoclip stilisierte sich ein unbekannter Dresdner bereits vorab zum Märtyrer und verabschiedete sich waffenbastelnd und einen Abschiedsbrief schreibend schon mal von seiner Mutter, falls er nach besagtem Fußballspiel nicht mehr heimkommen würde.
(Plakat gegen Dresden)
In Dresden häuften sich derweil gesprayte Parolen “28.10. – Lok töten!“. Dresdner suchten das Lok-Stadion in Leipzig heim und übersprühten die nicht nur sachsenweit bekannten Graffitis der Lokisten mit eindeutigen Parolen. Daraufhin überwanden wenige Tage später Lok-Anhänger die Zäune des Dresdner Rudolf-Harbig-Stadions und hinterließen dort ihre gesprayten Visitenkarten. Noch am Tag vor dem Spiel gegen Leipzig wurden beim auch nicht gerade sicherheitsunproblematischen Spiel von Dynamo Dresden gegen Union Berlin aus dem Dresdner Ultra-Block Handzettel für den bevorstehenden “Kampf um Sachsen“ verteilt. Unterstützung dabei wurde in der Szene auch von außerhalb Desdens und Sachsens erwartet.
In der Zwischenzeit hatte ein regelrechter “Internetkrieg“ (ultrafans.de) eingesetzt. So kursierte – zuerst virtuell und später in Leipzig plakatiert und kurzzeitig im dortigen Stadion käuflich erwerbbar – ein Plakat, das die Siegesgöttin mit Lok-Fahne über der am 13. Februar 1945 zerstörten Dresdner Stadt-Silhouette zeigt. Die unmissverständliche Parole lautete “Auf nach Dresden“. Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten und war nicht nur noch geschmackloser als das gegen Dresden gerichtete Plakat. Eindeutig interpretierbar in der Zeit des Nationalsozialismus auf einen Transport mit gewissem Ziel gehenden Juden wurden Lok-Fahnen in die Hände fotomontiert. Die Unterschrift dieses mehr als makaberen Produktes: “Endstation … 28.10.07 – Dresden“. Gegen beide Plakatisten wird Verlautbarungen nach derzeit strafrechtlich ermittelt.
(Plakat gegen Leipzig)
Bemerkenswerterweise berichteten Print- und Onlinemedien ausschließlich über die gegen Dresden gerichtete Plakat-Aktion sowie die gegenseitigen Spray-Aktionen und auch über das YouTube-Video. Zwar war immer von gegenseitigen Provokationen die Rede, das imaginäre Juden-Plakat gegen die Leipziger Anhänger kam darin allerdings nicht vor. Zufall? Das Plakat gegen Dresden kursierte in vielen Online-Foren und wurde ob seiner Aussage kaum ernsthaft bemängelt. Dem Plakat gegen Leipzig wiederum erfuhr beispielsweise in Leipziger und Dresdner Foren gewisse Aufmerksamkeit – unter einem bemäntelten Aspekt einer angestrebten strafrechtlichen Verfolgung – bis es zuerst aus dem Dynamo-Forum und später auch aus dem Lok-Forum entfernt wurde. Allein das – subjektiv – sehr informativ gehaltene Forum von ultrafans.de (“Für die ganze Kurve“) hat nach Auftauchen des Anti-Leipzig-Juden-Plakats dieses umgehend dauerhaft gebannt.
Aktionistisch beschloss der Sächsische Fußballverband (SFV) hinsichtlich dieser Sachsenliga-Begegnung ein generelles TV-Verbot für das Dresdner Stadion. Diese Dreh-Untersagung wäre wohl als das erste TV-Verbot in die Geschichte des deutschen Fußballs eingegangen. Später verkaufte der SFV allerdings die alleinige Film-Genehmigung an den MDR. Die TV-Rechte in der 5. Liga liegen eigentlich beim Verein selbst und so äußerte der Dresdner Marketing-Chef dazu lediglich: “Ich sag’ dazu lieber nichts, bin allerdings ziemlich verwundert.“ Eine zwischenzeitlich angestrebte Verlegung der Partie scheiterte am Bedenken des SFV ebenso wie an den Einsatzplanungen der Polizei.
Die gegenseitig so enorm aufgeheizte Stimmung veranlasste den Leipziger Trainer zu einer drastischen Ankündigung: “Sollte es im Stadion zu Ausschreitungen unserer sogenannten Fans kommen, werde ich die Mannschaft in die Kabine schicken und freiwillig auf die Punkte verzichten.“ Es kam anders. Das Sachsenliga-Spiel war zwar von dauernden Böllern, Raketen und Rauchschwaden begleitet, wurde allerdings nicht unterbrochen, geschweige denn abgebrochen. Das Szenario im Stadion war allerdings nicht vergleichbar mit dem Regionalliga-Spiel am Tag zuvor. Es war eindeutig kein Familien-Fußballtag: Schwarze Kleidung, nur sehr vereinzelt Zaunfahnen, kaum Fan-Utensilien, gut 6.000 Zuschauer insgesamt. Und Hass auf vieles und den Gegner sowieso, der allerdings gut eingekesselt keinerlei Angriffspunkte bot. Dafür Gerangel mit dem Sicherheitsdienst beim Einlass und ein völlig unnötiger und provozierender Aufmarsch polizeilicher Einsatzkräfte in der 2. Halbzeit vor einem Dresdner Block. Deeskalationsstrategie in einer solch emotionalen Situation sollte anders aussehen.
Und danach geschah das, was alle ja schon vorher gewusst haben könnten und was nunmehr zusammengepuzzelte Fernsehbilder mehr schlecht als recht zeigen – Gewalt im Osten. Straßenschlachten in der Dresdner Innenstadt: Raketen, Böller, Steine, Gewalt, Verletzte, Festnahmen in Größenordnungen von mehreren Hundert – Einsatz von weit über 1.000 Polizisten; Wasserwerfer, Hunde, Pferde, Hubschrauber vor Ort. War das nur ein Punktspiel der 5. Liga? Die Gazetten schreiben und tun so, als ob sie berichten und Ursachen suchen würden. Die Video-Portale quellen über von Sequenzen von diesem Tag in Dresden. Die Szene feiert sich selbst. Es geht um Ehre – in diesem Fall um einen zu hohen Preis. Auch ein selbst postulierter Anspruch auf Ehre legitimiert keinesfalls den Einsatz von Gewalt – und hat nichts mehr mit dem Fußballsport als solchem zu tun. So artet ein unterstellt gutgemeinter Kampf gegen den Kommerz im Fußball schnell zu einer ganz billigen Pseudo-Schlacht gegen die vielleicht von wenigen als staatsautoritär empfundene Unterdrückung aus – mit einigen mehr als nur andeutungsweise Verletzten, virtuell und real.
Es geht bezüglich dieser gewaltbereiten Fußballszene bei weitem nicht um die Verschärfung des bestehenden und auf Gewaltorgien wie diese anwendbaren Strafrechtes, wie im Nachhinein der Dresdner Ereignisse richtig festgestellt wurde. Es geht allerdings um die Achtung voreinander, auch im sehr emotionalen Bereich des Fußballs, wie überall in der Gesellschaft. Das schließt die Achtung vor dem Andenken Verstorbener und diesbezügliche historische Grundkenntnisse unbedingt ein – und nicht, dass man dies für irgendetwas missbraucht und besudelt. Besonders Ultras betonen immer wieder, dass Politik beim Fußball nichts zu suchen habe.
Der Kommentator bei MDR-Info äußerte am Tag nach den Dresdner Krawallen die Hoffnung, solcherart Gewalttäter möchten doch bitte den Fußballsport tunlichst in Ruhe lassen und sich seinetwegen “in guter alter Hooligan-Manier“ abseits der Öffentlichkeit miteinander beschäftigen. Was an diesem Sonntag Gerüchten zufolge nahe Dresden zudem auch noch der Fall gewesen sein soll. “Ich glaube nicht, dass man vom Zustand des Fußballs auf den der Welt schließen kann“ (Thomas Brussig). Vielleicht kann man ja vom Zustand der Welt zuweilen ein wenig auf den des Fußballs mit all seinen Facetten schließen? Fragen bleiben – und Lösungsansätze sind dringender denn ja gefragt, nicht nur für eine 5. Fußball-Liga.
[Dieser Artikel wurde am 30. Oktober 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]
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