Görlitz/Dresden. Bei einer Durchsuchung der Geschäftsstelle der Jungen Nationaldemokraten in Görlitz sind rund 100 Exemplare der so genannten Schülerzeitung von der Polizei konfisziert worden. Das ursprüngliche Online-Angebot wurde stillgelegt.
Wie Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft in Dresden mitteilten, wurden am 28. Dezember bei einer Durchsuchung von Büros der für perplex verantwortlich zeichnenden NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) in Görlitz “mehr als hundert Exemplare“ (ddp) sichergestellt. Bei den beschlagnahmten Asservaten handelt es sich weiteren Angaben zufolge um die zweite Ausgabe besagter Zeitschrift. Die Nachrichtenagentur AP berichtet, zudem sei die Online-Version der zweiten perplex-Nummer “auf den Internetseiten der NPD Sachsen vom verantwortlichen Internetdienstleister aus dem Netz entfernt“ worden.
Bereits die erste Ausgabe von perplex vom September diesen Jahres wurde relativ kurz nach dem Erscheinen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf den Index gesetzt. Inhalte der jetzt beschlagnahmten zweiten Ausgabe der Zeitung seien darüber hinausgehend als volksverhetzend eingestuft worden, zitiert AP einen LKA-Sprecher; laut dpa ist das Blatt wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, wegen Volksverhetzung und Beleidigung strafrechtlich relevant. Deshalb habe – so dpa – das LKA Anfang Dezember bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien beantragt, die zweite Nummer von perplex gleichfalls zu indizieren.
In einem NPD-Internetforum hieß es, die zweite perplex-Ausgabe dürfe laut Beschluss des Landgerichts Dresden vom 21. Dezember nicht mehr beworben, verteilt oder im Netz angeboten werden. Im Gegensatz zur ersten indizierten Ausgabe sei sie damit verboten worden. Allerdings stehe, verlautbarte dpa bezüglich besagten juristischen Begehrens des LKA, “eine Entscheidung über den Eilantrag noch aus“.
Nach Darstellungen von MDR INFO ist davon auszugehen, dass aktuell seitens der Protagonisten für perplex eine Auflage “von mehreren zehntausend Stück“ geplant sei und eine entsprechende Verteilung “bundesweit an Schulen“ erfolgen soll. Ermittler gehen gegenwärtig davon aus, dass von perplex-Ausgaben “mittlerweile rund 3000 Exemplare verteilt worden sind“ (ddp). Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel hatte im September die geplante Auflage von perplex auf 30.000 beziffert.
[Dieser Artikel wurde am 28. Dezember 2007 bei redok veröffentlicht.]
Dresden. Das Landgericht hat einen bekennenden Rechtsextremisten wegen tätlicher Angriffe auf Ausländer und vom Täter als linksgerichtet eingeschätzte Menschen zu drei Jahren Haft verurteilt. Er war in der Straßenbahn von der Videoüberwachung bei seinen Attacken aufgenommen worden.
Der 27-jährige hatte bereits im Dezember 2006 einen 22-Jährigen in einer Straßenbahn mit einem Ziegelstein attackiert und verletzte dabei sein Opfer schwer. “Knapp fünf Monate später schlug er einem anderen Studenten mit der Faust ins Gesicht“, berichtet die Sächsische Zeitung. Den beiden deutschen Studenten seien dabei allein ihre Rastalocken zum Verhängnis geworden.
In einer Julinacht dieses Jahres ging der Schläger – wiederum in einer Straßenbahn – zielstrebig auf einen Inder zu, “beugte sich zu dem Sitzenden hinunter und sagte zu ihm, dass er aussteigen solle. Der Student lehnte das ab. Daraufhin schlug der Mann zu“ (Polizei Dresden) und benutzte dabei mehrfach einen Schlagring. Als “unverständlich“ bezeichnete Thomas Herbst, Dresdens Polizeisprecher, damals den Vorgang schon allein deswegen, weil auf den Videoaufzeichnungen aus der Straßenbahn weitere Fahrgäste zu sehen waren, von denen allerdings niemand einschritt und auch die Polizei nicht informiert wurde.
Der Täter wurde nach der Veröffentlichung der Bilder aus der Straßenbahn-Videoüberwachung dingfest gemacht. Bei einer Wohnungsdurchsuchung seien zudem rechtes Propagandamaterial sowie diverse Schlagwerkzeuge sichergestellt worden.Der nunmehr vor dem Landgericht Dresden wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagte Christian Schrack gehört nach eigenen Angaben der rechtsextremen Szene an und legte zum vorgestrigen Prozessauftakt ein Geständnis ab.
Der Vorsitzende Richter befand in der Verhandlung, dass Schrack “das Opfer allein wegen seiner Hautfarbe angegriffen“ habe. Außerdem sah es das Gericht “als erwiesen an, dass er bereits zuvor zwei deutsche Studenten wegen ihrer langen Haare angegriffen hatte“ (Reuters).
Christian Schrack – der nach eigenen Angaben Kontakte unter anderem auch zur NPD pflegt – wurde heute rechtskräftig zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Dresdner Morgenpost zitiert den Rechtsextremisten, angeblich in Schlussfolgerung einer von ihm praktizierten Denkphase in der Untersuchungshaft: “Prügeln ist keine Lösung … So geht das nicht. Ich muss an meinem Weltbild arbeiten.“ Noch vor Gericht hatte er angegeben, “aus Hass auf Ausländer und Linke“ (Reuters) sowie “aus Fremdenhass und Frust gehandelt zu haben … Aus der rechten Szene aussteigen will er jedoch nicht“ (Sächsische Zeitung).
[Dieser Artikel wurde am 19. Dezember 2007 bei redok veröffentlicht.]
Mittweida/Chemnitz. Knapp vier Wochen nach der Aufsehen erregenden Bekanntgabe eines Neonazi-Überfalls auf eine 17-Jährige in Mittweida (Sachsen) haben Polizei und Staatsanwaltschaft Chemnitz heute den Rückwärtsgang eingelegt. Bisher war von vier Tätern die Rede gewesen, die der jungen Frau ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt haben sollen. Nun wird sogar gegen die junge Frau wegen Vortäuschens einer Straftat ermittelt.
Der Vorfall war am 23. November von Polizei und Staatsanwaltschaft als sichere Tatsache vermeldet worden. Insbesondere zwei Angaben der Behörden ließen kaum Zweifel an den mitgeteilten Vorgängen: Ein sechsjähriges Kind, das von den Neonazis bedrängt worden sei, habe den Hergang bestätigt, darüber hinaus hätten Rechtsmediziner ausgeschlossen, dass sich die junge Frau die Verletzung selbst zufügte.
Offenbar stimmte jedoch gerade an diesen beiden Angaben nicht viel. Heute gab die Chemnitzer Staatsanwaltschaft der Geschichte eine Kehrtwendung: Demnach hat die Mutter des sechsjährigen Kindes später nach der ersten behördlichen Bekanntmachung erklärt, ihr Kind könne gar nichts bestätigen, weil es zum Zeitpunkt des angeblichen Vorfalls gar nicht in Mittweida gewesen sei. Ob die 17-Jährige vielleicht einem anderen Kind zu Hilfe gekommen war, bleibt offen: Jedenfalls haben die Ermittler kein Kind finden können, das tatsächlich die Angaben bestätigen könnte.
Eine weitere Umkehrung der bisherigen Aussagen präsentierte die Staatsanwaltschaft mit zwei rechtsmedizinischen Gutachten, die inzwischen vorlägen. Hatte es anfangs noch geheißen, eine Selbstverletzung der jungen Frau könne rechtsmedizinisch ausgeschlossen werden, so wird sie jetzt “zumindest nicht ausgeschlossen“.
“Übermittlungsfehler“ und “Suggestivfragen“
Wie es zu den Falschmeldungen kam, versuchte heute Oberstaatsanwalt Bernd Vogel gegenüber Spiegel online zu erklären. Am 23. November habe schließlich keines der rechtsmedizinischen Gutachten vorgelegen, und die Mitteilung von einem “Rechtsmediziner“, der eine Selbstverletzung ausgeschlossen habe, sei “offensichtlich ein Übermittlungsfehler“ gewesen.
Die als sichere Bestätigung bekannt gegebene Aussage des sechsjährigen Kindes sei möglicherweise auf “Suggestivfragen“ zurückzuführen, auf die das Kind “entsprechend geantwortet“ habe, obwohl bei der Befragung eine Psychologin anwesend war.
Um das verwirrende Hin und Her vollends ausgewogen zu gestalten, erklärte Oberstaatsanwalt Vogel, dass trotz der neuen Erkenntnisse auch weiterhin ein Neonazi-Überfall denkbar sei. Und so ermittelt die Staatsanwaltschaft ab jetzt in zwei Richtungen: Einerseits wird gegen die 17-Jährige wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Straftat ermittelt, andererseits laufen auch die Ermittlungen gegen die vermeintlichen Täter weiter.
Ermittlung wegen schlechten Bildes der “Bevölkerung“?
Gegen die 17-Jährige wird nach Angabe der Staatsanwaltschaft auch deshalb ermittelt, weil der wohl falsche Eindruck entstanden sei, dass Teile der Mittweidaer Bevölkerung nicht über genügend Zivilcourage verfügten. Die Strafverfolger sprachen in dem Zusammenhang von einem “Gebot der Fairness“. Trotz der Auslobung einer Belohnung von 5.000 Euro hatten sich keine Zeugen gemeldet, die den Vorfall bestätigen hätten können; das Ausbleiben solcher Aussagen war vielfach als “mangelnde Zivilcourage“ angeprangert worden.
“In Misskredit“ sei die Stadt Mittweida durch den Fall geraten, sorgte sich heute der neue Beauftragte des Bürgermeisters für Extremismusbekämpfung, Udo Göckeritz. Bürgermeister Matthias Damm (CDU), der mehr als 100 Briefe an Anwohner mit der Bitte um Aussagen verschickt hatte, zeigte sich heute einerseits erleichtert: “Wir sind aber – wie oft dargestellt – keine Nazi-Stadt“, blieb aber dabei, dass die Stadt “ein Rechtsextremismus-Problem“ habe.
Tatsächlich hatten in der Region um Mittweida seit 2006 rechtsextreme Übergriffe massiv zugenommen, vor allem durch die Aktivitäten der Neonazi-Kameradschaft Sturm 34. Die Truppe wurde zwar vom sächsischen Innenminister im April dieses Jahres verboten, doch auch nach dem Verbot kam es weiter zu einschlägigen Auftritten und Gewalttaten aus dem Dunstkreis der verbotenen Gruppe.
Justiz: Bilanzen und Pleiten
Doch die Justiz tut sich bislang schwer mit der Bearbeitung des Sturm 34. Ende November hatte das sächsische Justizministerium noch eine positiv gestimmte Zwischenbilanz veröffentlicht, doch diese konnte die Serie der Pleiten und Pannen bei der praktischen Rechtsprechung nicht verdecken. Erst gestern musste ein leitender Staatsschutz-Polizist in einer Gerichtsverhandlung in Chemnitz einräumen, dass ein Tatverdächtiger eineinhalb Jahre lang nicht als Beschuldigter, sondern lediglich als Zeuge geführt worden war.
Dazu kam noch ein peinliches Hin- und Hergeschiebe von drei Anklagepunkten im Prozess gegen Tom Woost, der als Anführer des Sturm 34 gilt. Das Amtsgericht Chemnitz hatte diese Anklagepunkte, bei denen es um Überfälle auf einen Studenten aus Kamerun und das Café Courage in Döbeln geht, vom laufenden Prozess abgetrennt und – zuständigkeitshalber – an die Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden verwiesen. Doch dort sah man sich ebenfalls nicht zuständig und schickte die Anklagen zurück. Das Oberlandesgericht Dresden musste heute über den Verbleib der Strafsachen entscheiden: Nun ist wieder das Amtsgericht Chemnitz am Zuge. Dort wird nun also über Strafen für den mutmaßlichen Sturm 34-Anführer entschieden – und vielleicht auch über eine 17-Jährige, die der Stadt zu zweifelhafter Bekanntheit verholfen hat, indem sie möglicherweise einen Vorfall erfunden hat, dessen Hintergründe jedoch alles andere als fantasiert sind.
[Dieser Artikel (Albrecht Kolthoff/Olaf Meyer) wurde am 18. Dezember 2007 bei redok veröffentlicht.]
Chemnitz. Nach mehreren Ungereimtheiten in den prozessualen Verfahren gegen die eigentlich verbotene militant-rechtsextremistische Kameradschaft aus Westsachsen räumt die Polizei mittlerweile auch offiziell Ermittlungspannen ein. Gegen einen tatverdächtigen Rechtsextremisten wurde eineinhalb Jahre lang nicht ermittelt, weil er als Zeuge behandelt wurde.
Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, hat die Polizei im Prozess vor dem Amtsgericht Chemnitz gegen den mutmaßlichen Rädelsführer der Kameradschaft Sturm 34 Ermittlungspannen zugegeben. Ein weiterer tatverdächtiger Rechtsextremist sei im Ermittlungsverfahren nicht als Beschuldigter, sondern lediglich als Zeuge behandelt worden, sagte der Leiter des Staatsschutzdezernates der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge heute in der Verhandlung. Und nicht erst seit gestern steht das Verfahren gegen die bereits vor Monaten vom sächsischen Innenminister verbotene Kameradschaft wiederholt öffentlich in der Kritik. In der Region scheint sich zumal auch nach dem ministeriellen Verbot grundlegend nicht allzuviel geändert zu haben.
Opfer einer der aktuell vor Gericht verhandelten rechtsextremistischen Attacke aus dem Aktionsfeld des Sturm 34 hatten neben dem ursprünglich allein angeklagten Tom Woost “zumindest einen weiteren Neonazi, der wegen eines anderen Delikts bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt ist, identifiziert“ (dpa). Gegen jenen sei allerdings gut anderthalb Jahre nicht ermittelt worden, weil er lediglich als Zeuge im Verfahren geführt wurde. “Das ist ein unerklärliches Versäumnis“, räumte der Chemnitzer Staatsschutzleiter heute in der Verhandlung ein. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft auch gegen den zweiten Verdächtigen – den bisherigen Zeugen – ein Verfahren eingeleitet.
Weiterhin gab der Polizei-Dezernatsleiter vor Gericht zu Protokoll, dass im laufenden Verfahren “die Erstellung der Vernehmungsprotokolle offenbar nicht sauber“ praktiziert wurde. So sei beispielsweise eine Lichtbildvorlage gleich mehreren Zeugen vorgelegt und nicht wie vorgeschrieben an die jeweiligen Protokolle geheftet worden – aus “ökonomischen Gründen“, zitiert dpa den Beamten. Die durchaus als dilettantisch zu bezeichnende Zusammenstellung der dem Gericht offenbar so vorliegenden Fotos ist ein Hauptkritikpunkt der Verteidigung. Laut dpa bemühte sich die Staatsanwaltschaft unterdessen, “den Vorwurf, dass die Bilder einseitig ausgewählt wurden, zu entkräften“.
Mitte November hatte das Chemnitzer Amtsgericht auf Antrag der Verteidigung drei Anklagepunkte an das Landgericht Dresden verwiesen, doch erst vor wenigen Tagen erklärte sich die Staatsschutzkammer beim Landgericht Dresden dafür nicht zuständig und schickte diese Anklagepunkte nach Chemnitz zurück. Dabei geht es um Überfälle auf einen Kameruner in Mittweida und ein Café in Döbeln in diesem Jahr. Nun muss das Oberlandesgericht Dresden über die Zuständigkeit entscheiden. Die Fortsetzung des Prozesses ist gegenwärtig auf den 7. Januar 2008 terminiert.
[Dieser Artikel wurde am 17. Dezember 2007 bei redok veröffentlicht.]
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