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MedienScreen # 28 [Fußballfans im Fokus der Überwachung]

[Fundstück] “Daten-Sammelwut: Polizei forscht Fußball-Fans aus“, Publikative.org, 17. Mai 2013 –

(…) Der Aufwand, den die Polizei betreibt, um Fußballfans zu überwachen, nimmt mittlerweile Ausmaße wie in einem Überwachungsstaat an. Zu jedem Spiel der 1., 2. und 3. Liga werden die Anfahrtswege der Auswärtsfans ausgeforscht und diese Daten gesammelt. Zehntausende Fans der Kategorie A stehen somit jede Woche im Fokus (…)

Zu jedem Spieltag erstellt die “Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ der Polizeibehörden, die in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist, sogenannte “Vorauslage“-Berichte für die bundesweite Planung polizeilicher Einsatzkonzepte bei Fußballspielen. Die ZIS koordiniert sich dabei mit den Polizeibehörden am Spielort, den in jedem Bundesland etablierten Landesinformationsstellen Sporteinsätze (LIS), der Informationsstelle Sporteinsätze beim Bundespolizeipräsidium Potsdam (BPolP-IS), sowie internationalen Partnerdienststellen.

Die [Publikative.org] vorliegenden Berichte offenbaren eine erstaunliche Sammel- und Erfassungswut der Behörden im Hinblick auf die Anreisewege von Fußballfans zu den Spielorten. Vor allem aber werden mehrheitlich Fans in den Lageberichten erfasst, die selbst nach Einschätzung der Polizei zur “Kategorie A“ gehören – also noch nicht mal “anlassbezogen“ als gewalttätig einzustufen sind (…)

Wenn man sich vorstellt, dass die Publikative.org vorliegenden Vorauslage-Berichte zu allen Fußballspielen der drei höchsten deutschen Spielklassen erstellt werden, bedeutet dies jedes Wochenende eine Erfassung der geplanten Reisebewegungen hunderttausender Menschen. Vor allem aber geben Busunternehmen republikweit offenbar systematisch die Daten ihrer Kunden präventiv an die Polizei weiter – oder sie werden systematisch dazu genötigt. Eine durchaus fragwürdige Praktik in einem Land, in dem Reisefreiheit zu denjenigen Grundrechten gehört, für das ein Teil der Bevölkerung vor nicht allzu langer Zeit noch zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen ist (…)

Außerdem stellt sich natürlich die Frage, wie die Polizei an diese Information gelangt ist (…) haben die Innenbehörden verschiedener Bundesländer bislang zwar eingestanden vereinzelt V-Leute in Fußball-Fanszenen einzusetzen, es hieß jedoch stets, man beschränke sich dabei auf bekannte, besonders gewalttätige Gruppen, die in der Vergangenheit bereits schwere Straftaten verübt hätten (…)

Insgesamt strotzen die Publikative.org vorliegenden Lageberichte nur so von fragwürdigen polizeilichen Aufklärungsmaßnahmen im Vorfeld von Fußballspielen, die zum weit überwiegenden Teil völlig friedlich verlaufen (werden). Ausführlich werden Bahnverbindungen, und -buchungen, Reisebusbuchungen, Autokennzeichen, Fanclubs und Ultra-Gruppen genannt, deren Anreisewege ausgeforscht und im Vorfeld überwacht. Verbunden damit sind Zuschreibungen an bestimmte Personengruppen bezüglich ihres vermeintlich zu erwartenden Verhaltens. Auffallend ist dabei, dass die weitaus überwiegende Mehrheit der von der Polizei sorgfältig beobachteten Fans selbst in diesen Lageberichten als friedlich eingestuft werden – was sie aber dennoch keineswegs vor einer systematischen Erfassung schützt.

Im Hinblick auf die Reisewege der Fans der Kategorien A und B scheint die polizeiliche Lageaufklärung auch wesentlich besser zu funktionieren als im Hinblick auf diejenigen der Kategorie C. Zu letzteren schweigen auffallend viele der jeweils spielbezogenen Berichte. Dies kann auch nicht verwundern, da die Angehörigen dieser polizeiliche Kategorie das mit Abstand größte Interesse an einer konspirativen Anreise haben. Das Ergebnis aber wird verstörend und paradox zu gleich: Diejenige Gruppe, die polizeilich das größte Problem darstellt, erfreut sich offenbar der schlechtesten polizeilichen Aufklärung. Stattdessen aber werden haufenweise harmlose Kategorie A Fans systematisch erfasst und ausgeforscht. Zu bedenken ist: Diese Menschen haben sich verabredet, um gemeinsam zu einem Fußballspiel anzureisen – und nicht, um Banken zu überfallen, Bomben zu legen oder Migranten zu erschießen.

[Dieser Beitrag wurde am 18. Juni 2013 bei Ostfussball.com publiziert.]

MedienScreen # 27 [Dynamo Dresden – Ein morbider Verein?]

[Fundstück] Marco Nehmer, “Dresden: Weiter Streitigkeiten im Verein – Aufsichtsratsmitglied: ’Der Verein ist krank’“, spox.com, 17. Juni 2013 –

(…) Bei Zweitligist Dynamo Dresden hängt trotz des Klassenerhalts in der Relegation der Haussegen schief. Diskussionen um Trainer Peter Pacult, Fan-Probleme und die brenzlige Finanzlage sind nur dabei nur die oberflächlichen Gründe. Doch auch hinter den Kulissen rumort es bei Dynamo (…)

“Der Verein ist in sich krank“, wird Thomas Dathe am Montag [17. Juni] im Kicker zitiert. Der Unternehmer, eines von insgesamt neun Aufsichtsratsmitgliedern, ist besorgt um die sportliche Handlungsfähigkeit beim ostdeutschen Traditionsklub: “Im Verein steckt ein Virus, der entfernt werden muss.“

Hintergrund ist die Vereinssatzung, die dem Aufsichtsrat weitreichende Befugnisse auf operativer Ebene zuspricht. Diese sind die Konsequenz aus der Dynamo-Ära von Rolf-Jürgen Otto (…)

(…) “Der Verein ist sich in den letzten 20 Jahren immer im Weg gestanden“, beschreibt Aufsichtsratschef Thomas Bohn dem Kicker die Situation. Von Intrigen und dem Geltungsbedürfnis der Mitglieder des Gremiums ist dabei die Rede. Die derzeitige Situation hat das Fass dem Anschein nach zum Überlaufen gebracht.

“Unsere Außendarstellung in den letzten Wochen war eine Katastrophe“, so Bohn (…)

[Dieser Beitrag wurde am 17. Juni 2013 bei Ostfussball.com publiziert.]

MedienScreen # 26 [“Gewalttäter Sport“ im Fokus]

[Fundstück] “Helis gegen Hooligans“, jungewelt.de, 23. Mai 2013 –

(…) Die Zahl sogenannter Problemfans in den Profiligen ist nach Angaben der Bundesregierung in den vergangenen fünf Jahren angewachsen. Wurden in der Saison 2007/2008 unter den 36 Vereinen der ersten und zweiten Bundesliga 5.860 “bedingt gewaltbereite Fans“ (Kategorie B) und 2.185 “gewaltsuchende Fans“ (Kategorie C) gezählt, so sind diese Zahlen bis zur Saison 2011/12 auf 8.480 Kategorie-B- und 2.893 Kategorie-C-Fans angestiegen. Wenn auch die Fans der unteren Ligen einbezogen werden, sind bundesweit 16.500 Fußballfans dem gewaltbereiten Spektrum zuzuordnen. Diese Einstufung fußt allerdings allein auf der oft willkürlichen Einschätzung der Polizei und ist nicht gerichtlich nachgeprüft. In der fragwürdigen polizeilichen Verbunddatei “Gewalttäter Sport“ sind mit Stichtag 30. April 13.033 Personen gespeichert.

Zugenommen hat auch die Zahl der Menschen, die am Rande von Fußballspielen verletzt wurden. In der Spielzeit 2010/11 wurden in den Bundesligen, der 3. Liga und der dreizügigen Regionalliga 854 und in der Spielzeit 2011/12 1.143 Personen verletzt. Im Vergleich zu 18,5 Millionen Besuchern von Bundesligaspielen in der letzten Spielzeit sind diese Zahlen allerdings marginal. “Eine Konkretisierung dahingehend, ob eine Verletzung durch Hooligans oder andere Fußballfans verursacht wurde, ist nicht möglich“, gibt die Bundesregierung zu, da die Ursache von Verletzungen nicht erfasst wird. So beinhalten diese Zahlen auch diejenigen Fußballfans, die in Folge von Polizeieinsätzen durch Pfefferspray Verletzungen erlitten (…)

[Dieser Beitrag wurde am 26. Mai 2013 bei Ostfussball.com publiziert.]

MedienScreen # 25 [Ein Innenminister und die Fan-Chaoten von Dynamo Dresden]

[Fundstück] Nicole Selmer, “Sächsischer Innenminister greift Dynamo-Fans an“, Publikative.org, 13. März 2013 –

(…) Dynamo Dresden, das sind die Chaoten aus dem Osten. Gewalt, Rassismus, Pyrotechnik – kennen wir alles (…) Da wundert es auch nicht, wenn der sächsische Staatsminister des Inneren schreibt, dass Dynamo-Fans Polizisten attackierten – selbst wenn die Polizei davon nichts mitbekommt (…)

Dynamo Dresden ist nicht gern, aber häufig Gast beim DFB-Sportgericht in Frankfurt. Die Frankfurter Rundschau schreibt von mehr als 20 Urteilen gegen den ostdeutschen Klub seit 2002. Dass die Fans für Probleme sorgen, ist kaum zu bestreiten. Ebenso offensichtlich, wenngleich meist weniger beachtet, sind jedoch die Fortschritte: Verein und Fanszene haben in der Auseinandersetzung mit Gewalt und Rassismus einen weiten Weg zurückgelegt. Aber trotz großer Investition des Vereins in die Fanarbeit, der Aufforderung des Vorsängers zum Pyroverzicht und langjährigen Aktivitäten der antirassistischen Faninitiative 1953international: Dynamo Dresden wird seinen schlechten Ruf nicht los.

Umso sensibler reagieren die Fans von Dynamo auf Vorwürfe, selbst wenn die nicht aus Frankfurt, sondern vom sächsischen Innenminister stammen. Markus Ulbig beziehungsweise sein Team sind eifrige Social-Media-User. Auf seiner Facebookseite beschäftigte sich der Minister am Montag [11. März] mit dem Fußballwochenende und schrieb: “Fast 1500 Polizisten für gerade mal drei Fußballspiele am Wochenende in Sachsen. Rechnet man das Spiel in Halle dazu, wo unsere Reiterstaffel eingesetzt war, sind wir gleich bei 2500 Beamten. Ausschreitungen, Randale, brutale Angriffe auf die Polizisten – eine traurige Bilanz und höchst unsportlich. Hier muss sich was ändern.“ (…)

Es folgten Zustimmungen, aber auch Nachfragen von Userinnen und Usern, welche Spiele und welche Randale hier genau gemeint seien. Ulbig antwortete mehrfach und erläuterte dann: “Nach dem Spiel Aue/Dynamo griffen circa 200 sogenannte ’Dynamo-Fans’ die Polizei an, zwei verletzte Beamte, 15 Strafanzeigen.“

Dynamo Dresden spielte am Sonntag [10. März] in Aue (…) Von Ausschreitungen jedoch, gar von gezielten Angriffen gegen die Polizei, wie deren Dienstherr sie beschreibt, ist nichts bekannt. Das geht aus einem Offenen Brief hervor, den ein Dynamo-Fan an Marcus Ulbig schrieb, zu lesen im Dynamo-Blog spuckelch: Der Fan hatte nachgefragt bei der Polizeidirektion Chemnitz, die für das Spiel zuständig war. Was denn in der Pressemeldung stünde, wollte er wissen und erhielt die Antwort: “Es ist nichts weiter vorgefallen. Wozu sollen wir denn dann eine Pressemitteilung herausgeben.“

[Fundstück] “Offener Brief an den Sächsischen Innenminister Markus Ulbig“, spuckelch.wordpress.com, 12. März 2013 –

(…) Was wissen Sie, was die Chemnitzer Polizei nicht weiß? Teilen Sie doch bitte Ihre Informationen mit uns. Gern auch persönlich in der Berliner Vertretung des Freistaates Sachsen in der Brüderstraße 11. Ich mag Dresdner Eierschecke gern (…)

[Dieser Beitrag wurde am 13. März 2013 bei Ostfussball.com publiziert.]

– Update –

Dresdner Morgenpost, 16. März 2013 –

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Dokumentation – Dynamo Dresden vs. Roter Stern Belgrad (1991)

Am 20. März 1991 um “21.20 Uhr war das sportliche Aus für den [damaligen] 1. FC Dynamo Dresden im Europapokal der Landesmeister besiegelt. 27 Minuten später erlebte Dresdens Fußball das schwärzeste Kapitel seiner langjährigen Geschichte. Hooligans hatten aus der Dresdner Fankurve Steine aus dem Stadiongrund gebrochen und bewarfen Linienrichter Moreno sowie jugoslawische Spieler. Die passiv vorhandenen Polizeieinheiten sahen sich zunächst nicht zum Eingreifen veranlasst, und nachdem etliche Dresdner Spieler sowie Dynamo-Geschäftsführer Manfred Kluge mehrfach vergeblich versucht hatten, die Randalierer zur Ruhe zu bringen, zog der spanische Referee Aladren die Konsequenz: Abbruch in der 78. Minute [Spielstand 1:2]“.

“Wir sind entsetzt über das Verhalten auf den Rängen. Der Polizei-Einsatz erfolgte viel zu zaghaft. Der Wasserwerfer erschien zu spät. Die Jugoslawen haben uns beim Spiel vorgemacht, wie man so eine brisante Partie unter Kontrolle hält“ (Manfred Kluge) [Zitate aus: ’Mit Dynamo durch Europa’, Jens Genschmar, November 2011].

“In Belgrad [6. März 1991, 3:0] fing das Ganze dann so an: Wir sind angekommen, gerade unser Bus war ja sehr gut besetzt, dort standen vorm Stadion etwa zweitausend Jugos, wir also raus aus dem Bus und erstmal todesmutig auf die draufgerannt. Natürlich völlig bescheuert (…) Auf einmal ging es andersrum, aber mit Schmackes! Da sind wir fast ins Stadion geflogen. Dort prasselte alles auf uns nieder: Steine, Flaschen und so (…) Da schmissen die dann die ganze Zeit alles Mögliche von oben runter: angeschliffene Münzen, Flaschen, Steine und was es sonst noch so gab. Die haben uns angespuckt, runtergepisst (…) Da waren neunzigtausend drin – wir waren höchstens siebenhundert Leute, wenn überhaupt.

Nach dem Spiel gab’s da auch keine Kontakte mehr mit den Belgradern, aber dafür mit deren Polizei. Da hieß es dann aber ’Knüppel frei!’ gegen uns. Überhaupt hatten wir dort eher wenig Probleme mit den Fans, die Serben-Bullen waren die, die uns fertig machten (…) Vor dem Spiel haben die uns ins Stadion reingeprügelt und danach hielten die uns dann stundenlang fest, fast fünf Stunden, ohne was zu trinken, geschweige denn zu essen (…) Jedenfalls die Bullen dort, das war das Schlimmste, was es je gab. Das waren einfach Menschenfeinde. Dort ging wenige Monate später der Krieg los, und dir war klar, warum. Diese Serben-Bullen, das war ja das Allerletzte! Klar haben wir auch provoziert, mit Reichskriegsflaggen und Gepose, aber dass die dort derartig freidrehen, hat keiner geahnt (…)

Beim Rückspiel in Dresden hat es natürlich total gescherbelt (…) Das war dann wirklich total verschärft, was hier abging. Das hatte Dresden noch nicht erlebt. Es kursierte ja vorm Rückspiel die Parole ’Rache für Belgrad!’. Und da waren dann hier wirklich Hools und Kameraden aus ganz Deutschland am Start (…)“ [Zitat aus: ’Schwarzer Hals Gelbe Zähne’, Veit Pätzug, November 2005].

“Dresden hätte sich wahrlich einen würdigeren Abschied aus dem Europapokal verdient, zumal heute keiner genau sagen kann, wie lange in der Elbmetropole EC-Abstinenz herrschen wird“ [Genschmar].

Die Partie zwischen Dynamo Dresden und Roter Stern Belgrad vom 20. März 1991 ging nach UEFA-Wertung mit 0:3 in die Geschichtsbücher ein, der Dresdner Verein wurde für zwei Europapokalspielzeiten gesperrt.

Rechtspflegeordnung der UEFA (Neuauflage, 1. Juli 2011)

* Artikel 72 – Verjährung

Der Vollzug von Disziplinarmaßnahmen verjährt bei Ausschluss aus UEFA-Wettbewerben
1) nach 5 Jahren bei Ausschluss für 1 Spielzeit;
2) nach 8 Jahren bei Ausschluss für 2 Spielzeiten;
3) nach 10 Jahren bei Ausschluss für mehr als 2 Spielzeiten.

[Dieser Artikel wurde am 5. Februar 2013 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]