Eine U-Bahn für Zwickau – so legt ein sächsischer Abgeordneter der rechtsextremen Partei bereitwillig offen, wie genau er sich im eigenen Wahlkreis auskennt
Das westsächsische Städtchen Zwickau hat durchaus einiges zu bieten. Bekannt geworden ist es wohl vor allem als vormals volkseigene Entwicklungs- und Produktionsstätte für den Trabant. Denn noch immer tuckert dieses ursprüngliche Ost-Gefährt schier unverwüstlich über die Straßen der längst wiedervereinigten Bundesrepublik und ist dabei für den nachfolgenden Verkehr – neben dem unverwechselbaren Motorgeräusch – nach wie vor an einem ganz eigenen Geruch mehr als nur zu erahnen. Gleichwohl ist die viertgrößte menschliche Ansiedlung im Freistaat Sachsen nach Selbstdarstellung als Automobil- und Robert-Schumann-Stadt “ein Mekka für alle, die es historisch mögen – gleich in mehrfacher Hinsicht: ob als Musik- oder Theaterfreunde, als Automobil-Freaks, als Museumsgänger oder aber als Liebhaber besonders gut erhaltener Bausubstanz aus Gründerzeit und Jugendstil“.
Zudem kann Zwickau auf ein relativ gut ausgebautes Nahverkehrssystem mit beispielsweise mehreren Straßenbahn- und Buslinien verweisen. Und klickt man gar auf die Homepage des FSV Zwickau – der ehemaligen BSG Sachsenring mit unvergessenen DDR-Pokal-Siegen und Europa-Cup-Auftritten – schallt einem trotz der gegenwärtigen Fußball-Unterklassigkeit ein fröhliches “… FSV – was kann es bess’res geben …“ entgegen. Die Zwickauer sind, so scheint es, auch ein lustiges Völkchen. Aber zurück zum Öffentlichen Personen- und Nahverkehr, denn nichts ist – auch in der Zwickauer Region – schon so gut, dass es nicht noch besser werden könnte.
Es kam schließlich der Tag, der Zwickau einen richtig leibhaftigen kerndeutschen Landtagsabgeordneten bescherte. Nicht, dass die Region bis dahin landespolitisch dramatisch unterversorgt gewesen wäre, aber es war ja schließlich auch nicht irgendein Landtagsabgeordneter, sondern Peter Klose – ein ausgewiesener Kämpfer für das deutsche Volk mit seinem ihm von den Nazis unterstellten Herrenrechten. Seine so genannte Bürgerbüro-Eröffnung in Zwickau – Vermieterin ist Literaturprofessorin und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler, die deswegen unter Kritik geriet – feierte Klose nach einer Intervention des sächsischen NPD-Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel dann doch nicht am 20. April. Aber zum diesjährigen – in rechtsextremen Szene-Kreisen ja nach wie vor gehuldigten – “Führer-Geburtstag“ beflaggte er wenigstens sein Wohnzimmerfenster durch “eine Fahne des Deutschen Reiches“, wie die Chemnitzer Zeitung berichtete. Sein Zwickauer Büro eröffnete Klose dann am 8. Mai, einem auch nicht gerade geschichtsunträchtigen Datum.
Nachdem der umtriebige Neu-Abgeordnete Klose erste parlamentarische Einarbeitungshürden gemeistert hatte und sich scheinbar in der NPD-Fraktion in Dresden heimisch zu fühlen begann, erinnerte er sich seines Wählerauftrages und des politischen Ziels seiner rechtsextremen Gesinnungskameraden. Natürlich konnte eine Idee aus seiner Heimatregion dem Abgeordneten Klose nicht verborgen bleiben. Es hat allerdings ein paar Monate gedauert, bis er, wahrscheinlich nur ein klein wenig durch gründliche Recherchen und vertrauensvolle Sondierungsgespräche aufgehalten, die ganze Brisanz des Vorgangs dann endlich öffentlich machten konnte – für die Region, für die Partei, für die Sache, und bestimmt auch ein klein wenig als nachträgliches Geburtstagsgeschenk. So konfrontierte der nationaldemokratische Held von Zwickau am 20. Juni die Sächsische Staatsregierung mit einer Kleinen Anfrage, deren Aussicht auf Beantwortung den Regierenden den kalten Angstschweiß auf die Stirn treiben dürfte. Denn so sollte es garantiert nicht öffentlich werden – noch dazu durch einen sächsischen NPD-Abgeordneten, quasi also aus der Mitte der Gesellschaft.
Schonungslos fragt Peter Klose also in der Landtagsdrucksache 4/9150 unter der Überschrift “U-Bahn in Zwickau“ unter anderem:
“Wann wurde mit den Baumaßnahmen begonnen?“
“Wann wird mit einer Fertigstellung der Anlage gerechnet?“
“Zu welchen Einschränkungen kommt es durch die Baumaßnahmen?“
“Welche Fahrpreise erwarten den späteren Nutzer?“
Vorangestellt ist der Kleinen Anfrage die Feststellung Kloses “Wie berichtet wurde, soll in absehbarer Zeit eine U-Bahn-Linie in Zwickau errichtet werden.“
Am 10. November 2006 berichtete der Lokalrundfunk tatsächlich unter der Headline “Stadtmanager präsentieren unglaubliche U-Bahn-Pläne“, dass angeblich eine U-Bahn geplant sei. Allerdings – so vorausschauend und extra auf den nachfolgenden 11.11. hinweisend – “gehe es erst einmal darum, die Zwickauer nach ihrer Meinung zu fragen.“ – Helau!
Die Fakten: Die Stadt Zwickau mit nicht ganz 100.000 Einwohnern unterhält, so Wikipedia, unter anderem “im städtischen Verkehr drei Straßenbahn-, 14 Omnibus- und zwei in den Nächten vor Sonnabenden, Sonn- und Feiertagen verkehrende Nachtbuslinien der Städtischen Verkehrsbetriebe Zwickau GmbH“. Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Klose betreibt seit einiger Zeit ein so genanntes Bürgerbüro in seiner Heimatregion Zwickau. Adolf Hitler wurde am 20. April 1889 geboren. Der 8. Mai 1945 gilt als offizielles Ende des 2. Weltkrieges und besiegelte das Ende des damaligen Nazi-Deutschlands. Der 20. Juni 2007 ist ein – relativ – unverfängliches Datum, um als Landtagsabgeordneter eine offenbar völlig untergrundlose “U-Bahn“-Anfrage an eine zuständige Staatsregierung zu stellen. Der Landtagsabgeordnete Klose agiert seit 1995 als Kreisvorsitzender der NPD in Zwickau und darüber hinaus seit Jahren im sächsischen Landesvorstand der Partei.
Welche Grund-Qualifikation benötigt eigentlich generell ein Landtagsabgeordneter? Bekommt wirklich jedes Wahlvolk die Abgeordneten, die es verdient? Fragen über Fragen – und so ist es schon ein wenig bedauerlich für den aufgeklärt lustigen Teil des Zwickauer Völkchens. Aber von irgendwem ist Peter Klose ja schließlich gewählt worden, aus der Mitte der Gesellschaft – Helau?
[Dieser Artikel wurde am 9. Juli 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]
Wieder einmal schlägt der Fraktionsvorsitzende der NPD während einer Debatte im Sächsischen Landtag verbalreaktionär um sich
Das Salär aus Partei- und Abgeordnetenfunktionen sowie diversen Diensttätigkeiten in der rechtsextremen Sache sollte in der Summe Holger Apfel nicht unbedingt eine unterfinanzierte Lebenslage ermöglichen – im Gegensatz zu dem einen oder anderen straßenkämpfenden Anhänger der braunen Sache. Obwohl das häufige Auftreten von Apfel im stets gleich aussehenden hellgrauen Anzug durchaus anderes vermuten ließe. So eine – zugegeben unpolitische – Betrachtung würde allerdings aber höchstens einer Pseudo-Neid-Debatte unter Nazi-Kameraden Vorschub leisten. Denn was unterscheidet letztlich beispielsweise einen “VW-Golf-Nazi“ von dem “Daimler-Dienstwagen-Nazi“?
Holger Apfel möchte sich, geltungssüchtig wie er ist, unterscheiden – und sich gleichzeitig anbiedern. Zu gern würde er bei den so genannten Freien Nationalen Kräften aller Couleur zu entsprechender Anerkennung gelangen. Je weniger ihm das scheinbar gelingt, desto Aufsehen erregender – und provozierender – versucht er es durch Verbalradikalismen nach dem Motto: “Seht her, deutsche Nationalisten, euer Sprachrohr bin ich.“ Der Gedanke, dass Apfel für sich zudem stoßgebetsartig jedes Mal hinzufügt: “Ihr sollt kein Sprachrohr haben neben mir“, scheint so abwegig nicht.
Und so tritt ein Holger Apfel am 9. Mai vor das Plenum des Sächsischen Landtages und weiß nichts besseres, ausländische Bürgerinnen und Bürger als “staatsalimentierte orientalische Großfamilien“ und “arrogante Wohlstandsneger“ zu titulieren. Unter der Ägide von “überfremdungspolitischen Ungeheuerlichkeiten der schwarz-rot-gelb-grünen Volksabwickler“ sei es Ziel, jedenfalls so von Apfel akribisch herausgearbeitet und nationalistisch sprachrohrverbreitet, eine “entwurzelte Masse ethnokultureller Kastraten zu schaffen“. Für Apfel ist getreu seinem Credo aber natürlich klarer als deutlich, “dass man Neger und Tatarenstämme nicht einfach in Deutschland integrieren“ könne.
Der eigentliche Eklat liegt nicht in den Äußerungen eines Holger Apfel. Wer von dieser – mittlerweile arg geschrumpften – NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag als Politik-Ersatz etwas anderes erwartet hatte, der sollte spätestens nach der “Bombenholocaust“-Provokation eines schlechteren belehrt gewesen sein (Nur eine Landtagssitzung in Sachsen?). Der Skandal des 9. Mai im Dresdner Landesparlament besteht eher im beredten Schweigen von Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) während Apfels Auftritt.
Der NPD-Fraktionsvorsitzende ist als vorgeblich demokratischer Abgeordneter eigentlich auch für weniger aufmerksame Beobachter einfach nur noch aufsehendheischend lächerlich, was die unterschwellige Wirksamkeit der von ihm verbreiteten Ideologie allerdings nicht weniger gefährlich macht. Das Verhalten von Iltgen als Landtagspräsident dagegen ist nicht nur der demokratischen Verantwortung dieses Amtes in keiner Weise würdig. Daran ändert auch der von Erich Iltgen erst nachträglich gegen Holger Apfel erteilte Ordnungsruf nichts, nachdem der Landtagspräsident Apfels Äußerungen “im Parlament zunächst stillschweigend hingenommen hatte“ (ddp).
[Dieser Artikel wurde am 10. Mai 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]
Ein Streiflicht auch auf die Verantwortung der Medien
Exemplarische Ereignisse im Umfeld von Dynamo Dresden zeigen, wie schnell der sportliche Support einer Fußballmannschaft Nebensache werden kann – und wie mitunter undifferenzierte Medienberichte noch ihren Teil dazu beitragen
Die Bilder gingen um die Welt. Einem zu Tränen gerührten Diego Armando Maradona wurde von den Fans von Boca Juniors am 10. November 2001 im vollbesetzten Stadion Bombonera in Buenos Aires eine rauschende und farbenprächtig rauchende Choreographie zu dessen Abschiedsspiel geboten. Jahre später, tausende Kilometer entfernt und einige Fußball-Welten tiefer, spielte am 30. August 2006 Dynamo Dresden im Sachsenpokal gegen den Bischofswerdaer SV. Nach dem Spiel tauchten 420 Bengalo-Feuer das Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion in glutrotes Licht. Aus Anlass eines aktuell allerdings immer noch ausstehenden Baubeginns für ein neues Stadion wurde auf diese Weise Abschied von den markanten Flutlicht-“Giraffen“ genommen. Diese Europa-, wenn nicht gar Weltrekord verdächtige Choreographie in Dresden wurde hauptsächlich von den Ultras Dynamo getragen und auch finanziert und war mit der Club-Leitung abgesprochen.
(Rudolf-Harbig-Stadion, 30. August 2006 – fanlager.de)
Der beeindruckende Abschied von Maradona, so die BBC-Dokumentation Hooligans – Das Netzwerk der Gewalt war “ein Feuerwerk von den Rängen – ebenso gefährlich wie illegal“. Der angestrengte Vergleich mag zwar hinken, deutet aber kleine und durchaus feine Unterschiede in Berichterstattung und Wahrnehmung zumindest an. Zumal fast kein Medienfeld so emotional reflektiert wird wie Berichte und Reportagen über Fußball und ihn begleitende Ereignisse – nur ist eben der gesetzte mediale Fokus mitunter schon vorentscheidend für resultierende Urteile und auch Vorurteile.
Betrachtet man beispielsweise die Medienaufmerksamkeit für die wie auch immer geartete Fan-Szene in der Bundesrepublik etwas näher, scheint die jeweilige Liga-Zugehörigkeit eine eher untergeordnete, dafür die geografisch-soziale Verortung zuweilen die größere Rolle zu spielen. So scheint es eine – bei weitem nicht repräsentative, aber durchaus so wahrnehmbare – Gewichtung in der spielabseitigen überregionalen Berichterstattung zu geben: Hooligans, Randale, Nazis, Osten. Dabei wiederum fokussieren sich einige Medien teilweise völlig undifferenziert auf die mittlerweile üblichen Verdächtigen.
Natürlich ist unbestritten, dass Medien nichts darstellen können, wo nichts ist. Und mitnichten sollen beispielsweise die schweren Ausschreitungen vom 10. Februar 2007 am Rande eines Landespokal-Spiels zwischen Lok Leipzig und der zweiten Mannschaft von Wismut Aue verschwiegen werden. Genau so wenig außen vor bleiben kann an dieser Stelle auch die oft beschriebene Tatsache von mehrfach dokumentierten rechtsextremistischen Bestrebungen im Umfeld der Fußball-Fan-Szene. Allerdings bleibt deutlich festzuhalten: Nicht alle Fußball-Fans sind potentielle Straftäter; Widerstände gegen Nazis gibt es in Stadien genau so wenig wie im anderweitigen öffentlichen Leben – und Ultras sind nicht per se Hooligans. “Dass die beiden Begriffe öfter verwechselt werden, ist einfach dumm“, lautet ein Statement aus dem Buch “Schwarzer Hals Gelbe Zähne – Fußballfans von Dynamo Dresden“ von Veit Pätzug. Eine nicht gerade neue Erkenntnis, allerdings hierzulande in nicht wenigen medialen Darstellungen mehr schlecht als recht nach wie vor so gehandhabt.
Die Befürchtungen der Ultras
Der etwas genauere Beobachter weiß sehr wohl um die Geschichte und die länderspezifischen Unterschiede in der Ultra-Szene, beginnend und mit erschreckenden Vorfällen und Gewalt-Bildern auch irgendwie in Italien endend. “In Italien ist das ganze Ultra-Ding vor allem auch ziemlich politisch, da hast du die finstersten Faschisten, aber auch total Gestörte, die im Block riesige Sowjet-Fahnen hochziehen“, wird in Pätzugs Buch ein Dresdner Ultra zitiert. Das eigentliche Selbstverständnis bekennender Ultras ist bekanntermaßen ein anderes, vielschichtigeres, aber eindeutiges: Immer und überall alles für die eigene Mannschaft! Allerdings flattert bei diesem postulierten Ultra-Engagement der Fan-Schal auch nicht immer nur unbedingt zurückhaltend-passiv im Wind.
Darüber hinaus mag es Außenstehende erstaunen, worüber sich Ultras Gedanken machen, wofür sie sich einsetzen. Gemeint ist an dieser Stelle wiederum nicht die oft kolportierte Einflussnahme von insbesondere italienischen Ultras auf die Vereinspolitik und sogar Spielertransfers. Immer wieder liest man in einschlägigen Foren und Fan-Veröffentlichungen von nicht gerade unbegründeten Befürchtungen vor dem fortschreitenden Cleaning und vor der Kommerzialisierung des vormaligen Volkssportes Fußball. Und wer hin und wieder einmal ein Stadion aufsucht, weiß um den fast unisono gemeinsamen ’Feind’ der Ultras: So wird der Deutsche Fußball Bund (DFB) bei den je nach Darbietungsqualität mehr oder weniger berühmten UFFTA!- Choreographien quer durch die bundesdeutschen Stadien entsprechend ’gewürdigt’.
Nicht nur in Ultra-Kreisen vieldiskutiert sind beispielsweise so betitelte “Zukunftsvisionen“, erstmalig veröffentlicht auf der Homepage der Ultras des AS Roma. Trotz eines erstaunlichen Konsenses über die Besonderheit der italienischen ’Verhältnisse’ und eine höchstens ansatzweise Übertragbarkeit auf die Szene im Land, wird eine “nur unwesentlich veränderte beziehungsweise an die Verhältnisse in Deutschland angepasste“ deutschsprachige Version in den verschiedensten Fan-Foren kommentiert. Der Tenor dieser Ultra-Publikation ist bereits in der Eröffnung ersichtlich:
Es wird Zeit, dass alle Fußballfans verstehen, was die UEFA, die FIFA und die Fernsehanstalten unter tatkräftiger Mithilfe der nationalen Verbände mit unserem Fußballsport veranstalten. Die Bestrebungen der Spitzenclubs gehen dahin, eine Europaliga einzurichten, die im Endeffekt nur für die finanzstarken Vereine der einzelnen Verbände gedacht ist. Dies würde diesen Vereinen auf Grund der Vermarktung der TV-Rechte enorme Einnahmen sichern, die kleineren Vereine würden aber ausgeschlossen und auf lange Sicht in den Ruin getrieben.
Darüber hinaus wird bei gleichbleibender Politik der Fußballverbände prognostiziert, dass “der Stadionfußball in seiner ursprünglichen Form nach und nach verschwinden wird. In ein paar Jahren wird selbst der Rasen in den Stadien mit Sponsorenwerbung verunstaltet werden und Choreographien werden verboten, weil sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer am Bildschirm von den Werbetafeln abziehen“. Eine solche Zukunft habe in den Köpfen der Funktionäre bereits Gestalt angenommen.
Man will keine Fans, die aktiv am Spiel teilhaben, man will die Art von Zuschauer, die man in einem Kino oder einem Theater antrifft. Diese Menschen verstehen nicht, dass Fußball unser Leben ist, dass wir für unseren Verein leben, dass wir unsere Schals und unsere Kleidung tragen, die unsere Stadt oder Region repräsentiert.
“Die Hölle von Dresden“
Scheinbar viel lieber und ausführlicher berichten Medien hierzulande im Zusammenhang mit der Fußball-Szene von anderen Dingen, beispielsweise “die Wahrheit über Dresden“. So titelte Sport-BILD am 8. November 2006, um dann im Innenteil nicht weniger reißerisch Reporter Andreas Böni seine Sicht aus “der Hölle von Dresden“ erleben zu lassen. Teilweise erstaunlich unreflektiert bezogen sich danach auch eher linksliberale Medien auf die Darstellungen von Böni. Der Tenor des Reports – obwohl von der sonst so kritisch gesehenen BILD – stimmte: Hooligans, Randale, Nazis, Osten.
Es handelte sich um ein Fußball-Spiel der 3. Liga, das Polizeiaufgebot war enorm. Die Fan-Lager beider Mannschaften sind als nicht gerade unproblematisch bekannt, zudem mit einer gemeinsamen Vergangenheit aus DDR-Oberliga-Zeiten. Aber: die “Hölle von Dresden“? Auch nur einen Ansatz von Differenzierung oder den Versuch aufhellender Hintergründe, gar gesellschaftlicher Ursachen, bietet so eine Darstellung nicht. Auf Nachfrage von Telepolis bezeichnete der Pressesprecher von Dynamo Dresden, Peter Tauber, besagten Sport-BILD-Artikel nach wie vor als “in jeglicher Form übertrieben“. In einem stimmt der Autor, an jenem Tag ebenfalls im und um das Dresdner Stadion unterwegs, dem BILD-Reporter allerdings nach Lesen des von ihm geschriebenen und Böni selbst zitierend zu: “War ich im falschen Film?“ Vielleicht sind es ja auch gerade solche immer wiederkehrenden holzschnittartigen Darstellungen, die – ob nun beabsichtigt oder nicht – Stigmatisierungen hervorrufen, Vorurteile wach halten und dazu noch neue schüren.
Es geht nicht, um das klar und deutlich herauszustellen, um eine auch nur ansatzweise Tolerierung von Gewaltexzessen von Hooligans. Vielmehr geht es um den Fußball und seine Fans im wahrsten Sinne des Wortes, um deren Befindlichkeiten und auch Ängste um ihren Sport. Dazu gehört unter anderem auch die Jugendarbeit in den Vereinen, die Sozialarbeit der Fan-Projekte unter der Ägide immer knapperer finanzieller Mittel. Der Soziologe Gunter Pilz benannte Mitte Februar 2007 in einem Gespräch soziale Perspektivlosigkeit und das kurzsichtige Agieren der politisch Verantwortlichen als Ursachen für den Hooliganismus. Nach der Darstellung von Pilz habe man allerdings generell “eher einen Rückgang der Gewalt zu verzeichnen – mit Ausnahme der neuen Länder, wo die Gewalt schon seit Jahren auf einem hohen Level ist. In den alten Ländern hat die Gewalt abgenommen“. Den von ihm geprägten Begriff Hooltra erklärt Pilz aus einer von ihm beobachteten Verquickung von Teilen der gewaltlosen Ultra-Gruppen, “die sich nun einerseits klar zu Gewalt bekennen und andererseits weiter ihr Ultra-Leben führen, sich von daher also von den Hooligans unterscheiden“.
Die Ende Oktober 2006 beim DFB im Bestreben gegen Gewalt und Rassismus im Fußball eingerichtete Task-Force kommt bislang eher plakativ und zudem mit einigem zeitlichen Verzug daher. Und die gegenseitige Abneigung sitzt tief. So äußert man sich in Fan-Foren auch nicht gerade zurückhaltend:
Da wird nichts bei ’rauskommen. Gar nichts. Und warum? Weil beide Seiten kein Interesse haben aufeinander zuzugehen und man der Meinung ist, dass es gar nicht mehr miteinander geht. Bei den ’Ultras’ (oder was sich alles dafür hält) kommt der DFB und die Polizei auf der Beliebtheitsskala noch hinter Syphilis und der DFB inklusive Vereine hält große Teile der Ultras für Hooligans. [Aus: sportforen.de]
Relativ anerkannt versucht dagegen beispielsweise das Bündnis Aktiver Fußballfans (B.A.F.F.) schon seit über zehn Jahren die konstruktive Umsetzung einer Politik für den “Erhalt der historisch gewachsenen Fankultur als Stadion-Live-Ereignis mit hohem Unterhaltungs- und sozialem Integrationswert“. Dazu gehört seit 1993 für B.A.F.F. auch “der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, gegen die übertriebene Kommerzialisierung des Fußballs mit all ihren negativen Auswirkungen und gegen die zunehmende Repression von Seiten der Polizei und der Ordnungskräfte“. Und es geht nach wie vor um die Verantwortung der Medien in der Berichterstattung.
Von Schüssen auf dem Vereinsgelände
Ein vom MDR produzierter Beitrag über die mittlerweile als bekannt vorausgesetzten Vorfälle am 25. Februar beim Sonntagstraining der Nord-Ost-Regionalliga-Mannschaft von Dynamo Dresden wurde – offenbar ungeprüft und schlecht nachrecherchiert – von zahlreichen Medien übernommen und weiter verbreitet: Chaoten hätten Spieler auf dem Weg zum Training attackiert und körperlich angegriffen, auf dem Vereinsgelände sei geschossen worden. Erstaunlicher Weise war danach in diesem Zusammenhang ausgerechnet in der BILD-Zeitung zu lesen: “Zum Glück blieb es gestern nur bei verbalen Attacken. Nach einem 20-Minuten-Gespräch konnten Trainer Norbert Meier und die Spieler die erhitzten Gemüter beruhigen.“ Allerdings war zuvor auch in BILD im Konjunktiv “eine Schreckschuss-Pistole im Spiel“.
In einer Pressemitteilung vom 5. März distanzierte sich die Dresdner Polizei von fälschlichen Medienberichten und stellte bezüglich der Vorfälle im Rudolf-Harbig-Stadion unter anderem fest: “Ermittelt wird wegen Beleidigung. Hinweise auf andere Straftaten liegen nicht vor.“ Während der MDR verschiedenen Verlautbarungen zufolge mittlerweile eine in diesem Fall nicht unbedingt geschickte Berichterstattung eingeräumt haben soll, flogen vereinsintern sinnbildlich die Fetzen. Politiker aus der 3. Reihe meldeten sich unverhofft mit Rücktrittforderungen und quasi Sponsorenerpressungsversuchen zu Wort.
Die Außenwirkung für den Verein war entsprechend. Verschwörungstheoretiker könnten ein unterstelltes Zusammenwirken gar nicht so geheimer Kräfte vermuten. Mehr oder weniger offene Machtkämpfe gibt es wohl allerdings bei jedem Fußballverein. Im weiteren Nachgang wurden schließlich gegen elf der an dem Trainingsauftritt Beteiligten Stadionverbote verhängt. Viel zu spät, zudem nicht unbedingt klar formuliert und heftig diskutiert, erfolgte eine Stellungnahme von den Ultras Dynamo. Darüber hinaus erfolgte die Ankündigung – “in den eigenen Reihen nicht unumstritten und zuvor heftig diskutiert“ -, dass die Ultras bis Saisonende bei Heimspielen nicht mehr im heimischen Dresdner Stadion präsent sein werden und sich auf diese “Art und Weise mit den zu Unrecht Verurteilten solidarisch zeigen“. Bezüglich dieses Verhaltens war der Pressesprecher von Dynamo Dresden gegenüber Telepolis zu keiner Aussage bereit.
Wie zuweilen subtil auch renommierte Medien Berichterstattung betreiben, zeigt ganz aktuell die Sächsische Zeitung. Die Diskussion um den Dresdner Stadionneubau gilt als hochemotional und zudem politisch belastet. Oft genug ist kolportiert worden, das Regierungspräsidium Dresden verzögere den Baustart des Stadions nur deswegen, weil ein Teil des Dresdner Stadtrates sich mit allen juristischen Mitteln gegen den Bau der Waldschlösschen-Brücke über die Elbe sperre. Erst vor einigen Tagen schien der sowieso schon verspätete Stadionneubau endgültig besiegelt – ein durchaus gewichtiger Punkt in den beim DFB einzureichenden Unterlagen für die Spiellizenz von Dynamo Dresden.
Am 14. März berichtete nunmehr die Sächsische Zeitung, dass die Planungen für den Bau des Stadions vorerst wieder ruhen, bis über die Klage des bei der Vergabe nichtberücksichtigten Baukonzerns Hochtief gegen die erfolgte Zuschlagserteilung entschieden sei. Weiter heißt es bei der Sächsischen Zeitung “Pikant: Hochtief hat kürzlich dem 1. FC Magdeburg, einem Dynamo-Konkurrenten, ein neues Stadion übergeben.“ Am 24. März bestreitet Dynamo Dresden das nächste Punktspiel auswärts gegen die – zudem in tiefer Fan-Abneigung verbundenen – Magdeburger. Verantwortungsvolle Medienarbeit sollte im emotional besetzten Bereich im und um den Fußball eigentlich anders aussehen.
[Dieser Artikel wurde am 15. März 2007 bei Telepolis veröffentlicht.]
“Multi-Kulti-Schwuchteln“ als Unwort des Jahres? Beteiligt sich auch die CDU an der Abstimmung – oder nur noch dumpf-nationale Patrioten?
Als der Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche Ende des Jahres 2003 mit rassistischen Äußerungen gegenüber Muslimen erstmals auf sich aufmerksam machte, war er – trotz Bundestagsmandat – überregional ein noch nahezu politisch Unbekannter. Für seine dazumal “möglicherweise missverständliche ’Wortwahl’“ entschuldigte er sich sogar nachträglich. Nichts desto trotz wurde Nitzsche von der damaligen CDU-Vorsitzenden Angela Merkel sogar kritisiert. Aber auch seine schon vordem der sehr rechtskonservativen Zeitschrift Junge Freiheit gewährten politischen Einsichten hatten ihn nicht unbedingt aus seinem Hinterbänkler-Dasein heraustreten lassen.
In die relativ kurzfristig anberaumte Bundestagswahl im Herbst 2005 zog dann Henry Nitzsche bereits in einen CDU-Provinz-Wahlkampf von Rechtsaußen unter der bei weitem nicht nur von ihm allein bevorzugten politischen Kampf-Parole “Arbeit, Familie, Vaterland“. Offiziell wies Nitzsche zu jener Zeit allerdings erneut “jeden Bezug zu rechtsextremem Gedankengut“ von sich. Holger Apfel, jetziger Fraktionsvorsitzender der NPD im Sächsischen Landtag, zeigte sich im damaligen Wahlkampf bezüglich des Nitzsche-Mottos “erfreut … dass nun sogar unser Parteitagsmotto übernommen“ wurde.
Aktuell verkürzt der gern von seiner ganz eigenen Art des Patriotismus fabulierende Nitzsche – nach seinem erneuten Einzug in den Deutschen Bundestag – die Zeitspanne für keineswegs nur demokratisch-provokative Äußerungen mittlerweile reinweg um die Hälfte. Wie erst jetzt – durch den darauf bezogenen Rücktritt des CDU-Stadtvorsitzenden im sächsischen Wittichenau am 27. November – bekannt wurde, hat Nitzsche bereits im Juni des Jahres auf einer Diskussionsveranstaltung im ostsächsischen Lieske erneut tiefbraunes Wasser zu Brunnen getragen. Nitzsche habe auf dieser Veranstaltung ausgeführt, man brauche den Patriotismus, “um endlich vom Schuldkult runterzukommen“ und damit zu erreichen, dass “Deutschland nie wieder von Multi-Kulti-Schwuchteln in Berlin regiert“ werde. Der besagte zurückgetretene CDU-Stadtvorsitzende von Wittichenau, Staatsanwalt Ludwig Altenkamp, bezeichnete diese Äußerungen von Henry Nitzsche als “rechtsextrem“.
Durchaus politisch pikant ist zudem die Tatsache, dass bei dieser Veranstaltung auch der ehemalige sächsische Kultusminister Matthias Rößler (CDU) zugegen war. Rößler agiert seit 2004 als so betitelter Patriotismusbeauftragter der sächsischen Christlich Demokratischen Union, um “als Antwort auf den Einzug der NPD [in den Landtag von Dresden] das Thema Patriotismus in der sächsischen Union wieder stärker zur Geltung kommen zu lassen“.
Der CDU-Landesvorsitzende Georg Milbradt, in Personalunion auch Ministerpräsident, verwarnte Nitzsche inzwischen ob dessen Äußerungen. Für einen noch weiteren Wiederholungsfall sei Henry Nitzsche der Ausschluss aus der Partei angedroht worden. Berichten zufolge sollen Milbradt und auch Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer vom Auftritt Nitzsches in Lieske bereits seit Juni informiert gewesen sein. Der Vorsitzende der sächsischen CDU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Michael Luther erklärte derweil, er halte Nitzsche “nicht für einen Rechtsradikalen“. Zudem habe der ja unterdessen “seine Äußerungen im Vorstand der Landesgruppe und auch öffentlich bedauert“. Ihm sei darüber hinaus angeraten worden, “sich das künftig besser zu überlegen“ – wie auch immer dies gemeint sein mag. Damit sei, so Luther weiter, allerdings “für uns die Sache erst einmal abgeschlossen“. Nitzsche habe eben “manchmal die Tendenz, Dinge zu vereinfachen und sehr kräftig zu formulieren“, versuchte Michael Luther noch zu erklären.
Weniger zurückhaltend bilanzierte Sachsens vormaliger Innenminister Heinz Eggert: “Die Grenze des Erträglichen ist schon lange überschritten“ (Sächsische Zeitung). Michael Kretschmer bezeichnete Nitzsches Äußerungen immerhin als “dumm, unanständig und völlig inakzeptabel“. Zur – freilich nur unterstellten – Bedeutung und Rolle von Matthias Rößler in dieser Angelegenheit und darüber hinaus gibt es des weiteren kein offizielles Wort.
Offizielle Worte gab es derweil von der NPD. Öffentlichkeitsheischend bot Holger Apfel am 30. November einen NPD-Aufnahmeantrag an Henry Nitzsche dar: “Sie wissen sicherlich so gut wie ich, dass Sie mit Ihrer politischen Positionierung keine Zukunft in Ihrer Partei haben … Herr Nitzsche, schreiben Sie Geschichte und werden Sie erster Bundestagsabgeordneter der NPD!“. In verschiedenen Internet-Foren gilt “Multi-Kulti-Schwuchteln“ mittlerweile als einer der ersten Anwärter auf das Unwort des Jahres.
[Dieser Artikel wurde am 3. Dezember 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]
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