Schlagwort-Archive: Flüchtlinge

MedienScreen # 77 [Fußballfans, Flüchtlinge, Sportliches Danke]

[Fundstück] “Fußballfans bedanken sich bei Flüchtlingen“, spuckelch.wordpress.com, 26. Januar 2016 –

197 Fanclubs von Vereinen der 1. bis 3. Liga haben eine Delegation an den Flüchtlingsrat geschickt. Bei dem geheimen Treffen bedankten sich Fußballfans und Ultras bei den Flüchtlingen dafür, die Rolle des Sündenbocks in Deutschland übernommen zu haben und gaben symbolisch den Schwarzen Peter an die Asylbewerber weiter. Dem lag ein Brief bei (…)

Liebe Sportsfreunde, liebe Asylbewerber,

herzlich Willkommen in Deutschland. Was ihr vielleicht noch nicht wisst: In den vergangenen Jahren waren wir das Böse in diesem Land. Wir Fußballfans personifizierten die Gefahr für Leib und Leben. Familien mit Kindern konnten sich kaum noch vor die Tür, geschweige denn in die Nähe eines Stadions trauen. Wir legten Bahnhöfe, Züge, Stadien, Innenstädte, sogar Kinos in Schutt und Asche, hinterließen überall eine Spur der Verwüstung und öffentlichen Ärgernisse. Wir wurden von besorgten Bürgern angeprangert, denen es um die Sicherheit in diesem Land ging und füllten Talkshowsendungen, ohne darin selbst zu Wort zu kommen. Jeder Facebook-Legastheniker kannte sich genau in der Fanszene aus und alle hatten etwas zu sagen. Unter sämtlichen umgedrehten Steinen fanden sich Mücken, aus denen routiniert bedrohliche Elefanten gemacht wurden.

Doch seit einigen Monaten tauchen unter diesen Steinen nur noch aufbauschungswürdige Flüchtlingsstraftaten auf. Nach uns kräht kein Hahn mehr. Stattdessen kennen sich nun alle genau mit euren perfiden Motiven und religiös geprägten Gewaltphantasien aus. Doch wir wären schlechte Verlierer, wenn wir nicht anerkennen würden, dass ihr es euch verdient habt. Auch bei euch hat es eine engagierte Minderheit geschafft, die Gesamtheit ins Rampenlicht zu rücken. Wir kennen es nur zu gut, wie nun vor Pauschalisierungen gewarnt wird. Denn auch ihr seid nicht alle so. Nur gegen die sogenannten Fans Flüchtlinge müsste entschlossen vorgegangen werden. Wenn wir sehen, wie dann aber doch alle in Sippenhaft genommen werden, wie die Chefs der Polizeigewerkschaften nach mehr Einsatzkräften und härteren Maßnahmen verlangen, wie die Politik jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treibt, um nun das Problem aber wirklich endgültig mit den Wurzeln auszureißen, dann werden wir schon fast etwas eifersüchtig. Denn dieser blinde Aktionismus fehlt uns. Trotzdem treten wir mit Stolz – aber auch ein wenig Wehmut – zurück und überlassen euch die Titelseiten. Macht was draus!

Mit sportlichem Gruß!

PS: Wir sollen euch übrigens auch von den Kampfhundebesitzern, Atomkraftwerkbetreibern und vor allem den Griechen herzlichst grüßen.

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Post Scriptum [MeyView]

Needs no comment –

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(stadionfans.de – Screenshot: O.M.)

MedienScreen # 73 [Fischer im Recht. Kleiner Zwischenruf zum Thema “Sexmob“]

[Fundstück] Thomas Fischer, “Unser Sexmob – Deutschland bekämpft wieder jemanden: Männer, die Frauen belästigen. Die kann der Deutsche nicht ausstehen. Da kennt er keine Parteien mehr.“, Zeit Online, 12. Januar 2016 –

(…) “Pegida“ demonstriert für die deutsche Frau! O wie fürchterlich! In solchen Zeiten der Not kennt der deutsche Sozialdemokrat nichts, da greift er zum letzten Mittel: Er tut einfach, was Pegida will (…)

Der Tanz folgt einer verschlungenen, entrückten Choreografie: Wir haben in unserem Land einige Hunderttausend sehr schlecht in die Gesellschaft integrierte junge Männer. 90 Prozent davon sind Deutsche, 10 Prozent Ausländer. Um die meisten von ihnen kümmert sich, außer ein paar als “Gutmenschen“ verhöhnte Sozialarbeiter und die Arbeitslosenverwaltung, kein Mensch (…)

Wir haben in diesem Land übrigens auch einen Sexmob. Er beherrscht weite Teile unserer Lebenswirklichkeit. Seine mächtigsten Organisatoren wohnen in sogenannten Redaktionen von Deutschlands allerbeliebtesten Massenblättern und Fernsehsendern. Eine Woche “Frau“ in den Mehrheitsmedien: Wer da als Nordafrikaner nicht verrückt wird, kann kein Muslim sein.

Straftaten geschehen. Drei Millionen jährlich in Deutschland. 150 am Kölner Hauptbahnhof am 31. Dezember 2015. Sie werden von Inländern, Ausländern, Arabern und Nordafrikanern begangen. Manche vorwiegend von Inländern (Steuerhinterziehung). Manche vorwiegend von Ausländern (Illegale Einreise). Manche geschlechtsspezifisch (Körperverletzung), manche gelegenheitsspezifisch (Betrug). Sie alle sind zu verfolgen und gegebenenfalls zu bestrafen. Nicht “mit der ganzen Härte“, und nicht “energisch“ und nicht “unnachgiebig“. Sondern so, wie wir zivilisierten Rheinländer es gelernt haben: jeder Einzelfall nach seiner Verantwortung. Die Behauptung, Asylbewerber (oder Flüchtlinge) oder Ausländer müssten besonders gnadenlos bestraft werden, ist dumm und ohne jede Rechtsgrundlage (…)

Was derzeit an “Opferschutz“-Parolen aus den Lautsprechern quillt, ist nicht mehr als eine Instrumentalisierung, die das Mindestmaß an intellektueller Redlichkeit unterschreitet (…)

MedienScreen # 66 [Besorgte Kameraden]

[Fundstück] “Tag der Patrioten?“, Antifaschistisches Infoblatt (AIB), Nummer 109, Winter 2015 –

(…) Viele Mitglieder der militanten Parteien und Organisationen der 1990er Jahre scheinen durch die aktuellen rassistischen Mobilisierungen reaktiviert und bringen sich und ihre Erfahrungen wieder in die politischen Kämpfe der Neonaziszene mit ein. Neben den teils neu politisierten “besorgten BürgerInnen“, stellen die “alten Kämpfer“ weiterhin eine relevante Gruppe dar, da sie aus teils jahrzehntelanger Erfahrung schöpfen, bundesweit durch persönliche Kontakte partei- und organisationsunabhängig bestens vernetzt sind und eine hohe Gewaltaffinität mitbringen (…)

Lodernde Mülltonnen. Brennende Flüchtlingsheime. Deutliche Worte.

Leipzig, 12. Dezember 2015 – da war was. Deutschbundesweit – war da was? Nicht erst vorvorgestern. Vorgestern. Gestern. Heute? Morgen? Übermorgen?

Die täglichen Botschaften lassen an Deutlichkeit kaum Interpretationsspielraum? Dann bleibt das jetzt einfach mal so stehen. Meinungsfreiheitlich. In wehrhafter Demokratie. Unnachgiebig. Rechtsstaatlich. Irgendwie.

“… Hier steht uns eine Gruppe gegenüber, die diesen Staat abschaffen will …“ (Burkhard Jung, Oberbürgermeister Leipzig, Leipziger Volkszeitung, 14. Dezember).

“… Die Sicherheitskräfte werden weiterhin konsequent und mit aller Härte gegen diese Staatsfeinde vorgehen …“ (Markus Ulbig, Sächsischer Staatsminister des Innern, mopo24.de, 13. Dezember).

“… Ob brennende Asylunterkünfte oder brennende Straßen – das macht keinen Unterschied …“ (Alexander Bischoff, ’Meine Meinung’, Dresdner Morgenpost, 14. Dezember).

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(“Bilder sagen mehr als 1000-Worte.“, @44Philipp44, Twitter, 14. Dezember – Screenshot: O.M.)

“… Ich halte wenig davon, sich jetzt gegenseitig irgendwelche Vorwürfe zu machen – zumal sie nicht zutreffend sind …“ (Gordian Meyer-Plath, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen, Leipziger Volkszeitung, 14. Dezember).

“… Das, was sich hier im Untergrund organisiert, systemfeindlich und kriminell gewalttätig agiert, das muss durch den Staatsschutz beobachtet werden, und da braucht man Erkenntnisse. Da muss man mit den rechtsstaatlichen Mitteln, die uns gegeben sind, mit aller Härte vorgehen …“ (Burkhard Jung, Oberbürgermeister Leipzig, n24.de, 14. Dezember).

Unzulässig verkürzt zitiert? Aus dem Zusammenhang gerissen? Welche Zusammenhänge?

Dresden: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern?

Vor einigen Tagen schon, am 26. November, publizierte die Sächsische Zeitung ein Gespräch mit Uwe Waurich, Leiter des Dresdner Polizeiveviers Südost.

Und im Interview war dann auszugsweise folgendes zu lesen.

Herr Waurich, in Prohlis gab es kürzlich heftige Krawalle. Sind Sie als Chef des Polizeireviers dabei auch selbst vor Ort im Einsatz?

Wenn es nötig ist, gehe ich natürlich mit raus und unterstütze meine Kollegen. Der Kontakt mit den Bürgern ist wichtig, denn nur dadurch bekomme ich mit, welche Stimmung im Stadtteil herrscht und wo es Probleme gibt. Ich war auch bei den Ausschreitungen am 9. Oktober vor der geplanten Flüchtlingsunterkunft in der Boxberger Straße dabei – das kam für uns allerdings nicht überraschend.

Wieso denn das?

Diese Krawalle hätten verhindert werden können. Wir haben den Organisatoren des Willkommensfestes von der Veranstaltung abgeraten, denn es war absehbar, dass etwas passiert. Für die Asylgegner im Stadtteil war das eine Provokation.

Mithin fragte Nora Domschke für die Sächsische Zeitung nach: “Hilfsbereitschaft als Grund für Ausschreitungen – ist das Ihr Ernst?“ Gleichwohl lassen wir das bis hierhin einfach mal so stehen. Unzulässig verkürzt? Sei’s drum.

War die polizeiliche Botschaft nicht deutlich? – Spiel nicht mit den Flüchtlingen, den Asylbewerbern. Oder nur, wenn Rechtsextremisten jeder Provenienz nichts dagegen haben, sich nicht provoziert fühlen. Und dann nicht ohne Wurfgeschosse respektive Molotowcocktails?

Alles klar soweit im Wohngebietskiez? In Dresden? Noch Fragen?

– Update –

(…) Dresdens Polizeichef Dieter Kroll hat inzwischen ein ernstes Wort mit Waurich gesprochen (…) Kroll nannte die Aussagen seines Revierleiters einen Fehler. Waurichs Meinung spiegle nicht die der Polizeidirektion wider. “Die Sichtweisen und Bewertungen des Beamten zum Willkommensfest teile ich als Polizeichef so nicht“, erklärte Kroll. Zu disziplinarrechtlichen Bewertungen werde er sich jedoch nicht öffentlich äußern (…) [Eine Provokation mit Folgen, Sächsische Zeitung, 3. Dezember 2015]