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Die Reihen licht geschlossen

War die fünfjährige Präsenz der NPD im Sächsischen Landtag nur ein Intermezzo?

Als die NPD im September 2004 nach 36 Jahren wieder in ein bundesdeutsches Landesparlament einzog, stellte dies für die Einen das logische Resultat durch “die durchaus straffe personelle Organisation sowie eine mittlerweile erfolgte Verankerung der NPD in der Mitte der Gesellschaft“ dar. Andere prognostizierten “eine mittlere Kurzlebigkeit“ dieses Wahl-Erfolges und hofften “auf eine ’Entzauberung’ im Parlament und Selbstbeschäftigung der Rechtsextremen mit sich selbst“ (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag). Schaut man nun kurz vor der Landtagswahl in Sachsen auf die letzten fünf Jahre zurück, sind für beide Ansätze exemplarische Beispiele zu finden.

Nachdem sich besonders bei den so genannten Freien Kameraden die erste Aufregung um die Anschaffung von zwei Mercedes-Limousinen der E-Klasse als Fraktionsdienstwagen etwas gelegt hatte, konnte die NPD im November 2004 ihren ersten öffentlichkeitswirksamen Coup im Landtagsgeschäft landen. Zur Wahl des Ministerpräsidenten stellte die Fraktion mit Uwe Leichsenring, dem Mäzen der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (Trotz Verbot nach wie vor aktiv), einen eigenen Kandidaten.

In beiden zur Wahl des Ministerpräsidenten notwendigen geheimen Abstimmungen erhielt Leichsenring jeweils zwei Stimmen aus anderen Fraktionen des Landtages (Niemand will es gewesen sein). Das Procedere wiederholte sich kurz danach, als auch bei der Wahl zum Ausländerbeauftragten der als “Ausländerrückkehrbeauftragte“ aufgestellte Kandidat der NPD, Mirko Schmidt, erneut zwei zusätzliche Stimmen erhielt (Das Spiel mit zwei Unbekannten geht weiter).

Im Januar 2005 fabrizierte die NPD-Fraktion dann einen offenbar wohlkalkulierten Eklat, als während einer anberaumten Schweigeminute für alle Opfer des Nationalsozialismus die gesamte damalige Fraktion den Plenarsaal des Landtages verließ. Darüber hinaus titulierte Jürgen W. Gansel zu jenem Zeitpunkt die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 als “Bomben-Holocaust“ (Nur eine Landtagssitzung in Sachsen?). Im Januar 2006 noch erklärte die NPD-Fraktion – erneut öffentlichkeitsheischend – “Warum wir nicht nach Auschwitz fahren“ (Auschwitz als demokratische Falle?). Da allerdings hatte sich das Abgeordnetenkarussell schon zu drehen begonnen.

Bereits Ende des Jahres 2005 waren alle Bemühungen um die bis dato offiziell gezeigte Geschlossenheit nur noch Schall und Rauch. Zuerst verließen Mirko Schmidt und Klaus Baier die deutsch-nationale “Denkfabrik“ im Landtag (Update: Die sächsische NPD-Fraktion bröckelt). Kurz darauf folgte ihnen Jürgen Schön. Schmidt beispielsweise wurde im Zusammenhang seines Fraktionsaustrittes mit der Aussage zitiert: “Wenn die NPD die Macht hätte, würde ich Deutschland verlassen.“ Alle drei waren danach weiter als Abgeordnete im Landtag tätig. Ihre politischen Neuorientierungen sind eher als bedeutungslos einzuschätzen.

Im August 2006 verunglückte dann der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion bei einem Autounfall mit überhöhter Geschwindigkeit tödlich (Ian Stuart Leichsenring). Im November 2006 wurde öffentlich, dass wegen des Verdachtes auf Besitz kinderpornografischer Schriften gegen Matthias Paul ermittelt wird. Paul legte daraufhin sämtliche Fraktions- und Parteiämter nieder und verließ die Fraktion. Über einen Ausschluss aus der Partei wurde nichts bekannt.

Wenige Tage vor Pauls Rücktritten wurde Klaus-Jürgen Menzel nach einem geheim durchgeführten Votum einstimmig aus der NPD-Fraktion ausgeschlossen, nach offizieller Darstellung wegen “finanzieller Unregelmäßigkeiten“. Menzel verblieb als fraktions- und parteiloser Abgeordneter im Landtag.

Während innerhalb der Legislaturperiode gegen einige der NPD-Landtagsabgeordneten “mehrere Dutzend Strafanzeigen“ (Dresdner Morgenpost) anhängig wurden, ragten allein die bizarren Gepflogenheiten Menzels unter dem Abgeordneten-Deckmantel heraus. So hatte Menzel beispielsweise im Dezember 2006 einen Revolver in den Sächsischen Landtag schmuggeln lassen, legte später Patronen auf das Rednerpult im Plenarsaal und wurde zudem unter anderem wegen uneidlicher Falschaussage sowie versuchter Strafvereitelung verurteilt und handelte sich mehrere Ordnungsrufe, Hausverbot und den Ausschluss von Landtagssitzungen ein. Nichts desto trotz war Menzel in diesem Jahr beim vorabendlichen Aufmarsch zum 13. Februar (Fast wie immer im Februar in Dresden) als quasi einziger Landtagsvertreter im Spektrum der freien Kameradschaften mit entsprechender Beachtung zu sehen.

Mit zwölf Abgeordneten ist die NPD im September 2004 in den Landtag eingezogen. Nach den wie auch immer bedingten Wechseln verblieben ihr zum Ende der Wahlperiode lediglich noch acht Mandate (Braune Schwindsucht an der Elbe). Zudem war unterdessen die Landesliste mit dem für Matthias Paul nachgerückten Peter Klose personell ausgeschöpft. Weder die in der Legislatur versuchte Belebung einer so genannten “Dresdner Schule“ durch Jürgen W. Gansel, noch die Verbal-Ausfälle von Holger Apfel konnten über die rechtsextreme Leere der Mitte hinwegtäuschen. Die konnte auch Anfang 2009 durch die plakative Entsendung von Frank Rennicke als Sachverständiger in den Landtagsausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien nicht mehr übertüncht werden. Nicht zuletzt waren beispielsweise nachrückende Abgeordnete mit ihrem Fachwissen à la NPD kaum in der Lage die Lücke zu füllen, die zugebener Maßen der Unfalltod eines Uwe Leichsenring hinterlassen hatte.

Die 2006 ausgerufene länderübergreifende Achse Dresden-Schwerin (Die braune Achse Dresden-Schwerin) scheint mittlerweile nur noch auf dem Papier zu existieren oder äußerst konspirativ im Untergrund tätig zu sein. Auch das vormals mit viel Fraktionsprominenz zelebrierte “Pressefest“ der Deutschen Stimme (Im braunen Schlamm bei Pappritz) sowie der nachfolgende “Sachsentag“ der Jungen Nationaldemokraten (Wo man singt …) verloren zunehmend an Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der Binnenwirkung für die zuweilen mit Brot-und-Spielen versuchsweise zu befriedende freie Kameradschaftsszene. Nicht zufällig endete der ausgefallene “Sachsentag“ 2008 mit Körperverletzungen und Ausschreitungen durch Rechtsextremisten in der Dresdner Innenstadt.

Hinderten NPD-Fraktionsmitglieder noch 2005 ihren damaligen Abgeordneten Menzel gewaltsam daran, an das Rednerpult im Plenarsaal treten zu können, erreichte diese Streitkultur zum Ende der Legislaturperiode auch den Mitarbeiterstab. Ursprünglich war dieser in seiner Personalvielfalt unter anderem zur Errichtung einer so genannten “Denkfabrik“ in den Landtag nach Dresden rekrutiert worden. Stattdessen ging im November 2008 während einer Auseinandersetzung der Abgeordnete Jürgen W. Gansel “nach einem Faustschlag“ durch den damaligen Fraktionsmitarbeiter Peter Naumann “zu Boden“ (Dresdner Morgenpost).

Trotz aller Querelen in der Bundespartei, den Länderstrukturen, in Bezug auf die Freien Kameradschaften nach Auflösung des so genannten Deutschlandpaktes innerhalb der rechtsextremen Partei-Szene, schätzt der Verfassungsschutz die NPD aktuell nach wie vor als “kampagnenfähig“ ein. Unter anderem mit einem ausrangierten und entsprechend ausstaffiertem Feuerwehrauto auf Wahlkampf-Tour, stellte das die NPD in der sächsischen Landeshauptstadt deutlich unter Beweis. So wurde zur im Stadtgebiet nicht gerade spärlich vorhandenen rechtsextremen Wahlwerbung am Wochenende vor den Landtagswahlen eine der vierspurigen Einfallstraßen mit zusätzlichen NPD-Plakatierungen regelrecht zugepflastert.

Ob und in welcher Stärke die Nationaldemokratische Partei Deutschlands im 5. Sächsischen Landtag vertreten sein wird, werden die Stimmauszählungen am Abend des 30. August zeigen. Die Forschungsgruppe Wahlen veröffentlichte am 21. August in ihrer bis dato letzten Projektion 6 Prozent Stimmanteil für die NPD. Sachsen hat die Wahl.

[Dieser Artikel wurde am 27. August 2009 bei Telepolis veröffentlicht.]

Rechtsextreme sächsische Szene im Wandel

Dresden. Die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen veröffentlichte gestern die Antwort der Staatsregierung auf ihre Große Anfrage zum “Rechtsextremismus in Sachsen“. Die NPD verliert Anhänger an unabhängige Neonazi-Gruppen, die mit großem Anspruch als “rechte Denkfabrik“ verkündete “Dresdner Schule“ ist ein “Rohrkrepierer“.

Der Antwort auf die Große Anfrage vom September 2008 (Landtagsdrucksache 4/13281) nach wird die Zahl der Rechtsextremisten im Freistaat mit zirka 3.000 Personen als konstant hoch eingeschätzt, mehr als ein Drittel dieses Personenkreises gilt als gewaltbereit, die Zahl entsprechend motivierter Gewalttaten ist im Zeitraum von 2004 bis 2007 gestiegen. Die durch die sächsische Staatsregierung attestierten Verluste bei der NPD und den Kameradschaften steigerten allerdings das Potenzial der so genannten “Freien Kräfte“, deren Angehörige sich von 2006 bis 2007 von 250 auf 500 Personen verdoppelten. Im Trend zu eher losen Organisationsformen versuchen sich bekanntermaßen Rechtsextremisten aller Couleur dem staatlichen Verfolgungsdruck zu entziehen.

Im Zusammenhang mit der vorgestellten Antwort der Staatsregierung (Aktenzeichen 16-0141.50/1509) – und flankiert von einem ebenfalls am 13. Januar veröffentlichten Hintergrundpapier – fasste der innenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Johannes Lichdi, die aktuelle Stellung der NPD-Fraktion – seit September 2004 im sächsischen Landesparlament vertreten – so zusammen: “Die Bedeutung der NPD-Landtagsfraktion für die Bundespolitik ihrer Partei wird überschätzt. Sie nimmt kaum Einfluss auf die Entwicklung der Bundes-NPD.“ Zudem habe sich die so betitelte “Dresdner Schule“ des Landtagsabgeordneten Jürgen W. Gansel “als ’Rohrkrepierer’ erwiesen“. Allerdings dürfe man, so Lichdi weiter, “nicht glauben, dass die Schwäche der NPD gleichbedeutend mit einer Schwächung des Rechtsextremismus insgesamt ist. Vielmehr gibt es Verschiebungen innerhalb der Szene. Insbesondere die Kräfte, die eine dezidiert nationalsozialistische Systemopposition aufbauen wollen, werden gestärkt“.

Hinsichtlich der Wahlaussichten für den 5. Sächsischen Landtag beeinträchtigen nach Lichdis Einschätzung Konflikte mit den radikalen Kameradschaften und “Freien Kräften“ die Chancen der NPD, die Fünf-Prozent-Hürde Ende August diesen Jahres erneut zu überwinden. “Viele militante Kräfte nehmen die sächsischen NPD-Kader als Bonzen, die es sich im Parlament bequem eingerichtet haben, wahr, und wenden sich von der NPD ab. Die NPD ist aber auf deren Unterstützung dringend angewiesen.“

[Dieser Artikel wurde am 14. Januar 2009 bei redok veröffentlicht.]

Sächsische Vorausschau

Knapp ein Jahr vor den nächsten Landtagswahlen werden zum Teil enorme Verschiebungen im Parlamentslager prognostiziert. Fragen nach der Zuverlässigkeit von Wählerbefragungen bleiben allerdings.

Sächsische Medien berichten in Auswertung einer aktuell offiziellen Umfrage, es gäbe – wäre die Landtagswahl nicht erst in elf Monaten – zum jetzigen Zeitpunkt “ein großes Stühlerücken im Parlament“ (Dresdner Morgenpost).

Laut der Umfrage würde die CDU 42 Prozent erreichen, und demnach das Wahlergebnis vom September 2004 (41,1 Prozent) stabilisieren. Die derzeit in der schwarz-roten Koalition mitregierende SPD wiederum käme auf 19,5 Prozent und könnte damit ihre eigentlich desaströsen 9,8 Prozent von 2004 fast verdoppeln.

Gleichzeitig werden leichte Verluste für Die Linke vorausgesagt. Deren Resultat von vor vier Jahren (23,6 Prozent) würde sich der Umfrage nach gegenwärtig bei 21 Prozent einpegeln. Bündnis 90/Die Grünen bräuchten nicht so lange wie in die 2004er Wahlnacht (5,1 Prozent) hinein zittern, sondern scheinen mit 7 Prozent relativ sicher im neuen Landesparlament vertreten. Ein ebenso eher geruhsamer Wahlabend wäre der FDP beschert, die sich von vormals 5,9 auf 6,8 Prozent verbessert. Die 5-Prozent-Hürde würde dagegen die NPD – in Sachsen seit 2004 mit 9,2 Prozent erstmals seit 36 Jahren wieder in einem bundesdeutschen Landesparlament vertreten (Rechter Aufbau Ost) – mit 2,8 Prozent mehr als nur deutlich verfehlen. Eine Botschaft hat wohl jede veröffentlichte politische Umfrage, wenn auch vielleicht nur im Ansatz.

In Auftrag gegeben wurde diese aktuelle Befragung von angegeben 1.011 Bürgerinnen und Bürgern von der sächsischen Staatsregierung, so verlautbarte jedenfalls die Dresdner Morgenpost. Durchgeführt hat sie aproxima, eine Agentur für Marktforschung und Sozialforschung Weimar, Thüringen. Das Institut aproxima wirbt auf der eigenen Webseite: “Wir sind dran – an aktuellen gesellschaftlichen Problemen!“ Dieser Slogan stammt von Mitte Juli diesen Jahres. Die Ergebnisse, ebenso das praktizierte Verfahren und die entsprechenden Auswertungsmodalitäten der aktuellen Umfrage sind auf der Website von aproxima auch nach mehrmaligem Klicken und Scrollen nicht auffindbar. Dagegen wird im aproxima-Veranstaltungsplan für 2008 permanent um “noch etwas Geduld“ gebeten, schließlich plane man “im Moment … unsere Themenabende für dieses Jahr“ und werde diese “demnächst hier veröffentlichen“. Unter Referenzen listet aproxima in der Rubrik “Politikforschung“ als letzten Eintrag übrigens die Aufarbeitung eines studentischen Kongresses aus dem Frühjahr 2003 – Thema: “Zukunft der politischen Kommunikation in Deutschland“.

Eine Botschaft hat wohl jeder Internet-Auftritt, gerade von Firmen oder Instituten, wenn vielleicht auch nur im Ansatz. Staatsregierungen mögen zudem mitunter Botschaften vermitteln wollen. Fragt sich nur, wie seriös, mit welchen eventuellen Hintergedanken und zu welchem Preis? Oder gäbe es da unter Umständen noch weitere offene Fragen?

[Dieser Artikel wurde am 10. Oktober 2008 bei Telepolis veröffentlicht.]

Staatsanwaltschaft versus Gansel

Dresden. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz gegen den sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen W. Gansel eröffnet und strebt die Aufhebung seiner Immunität durch den Landtag an. Gegen den Parlamentarier wird in einem anderen Fall bereits seit einiger Zeit unter anderem wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole ermittelt.

Bei den Ermittlungen geht es um Gansels presserechtliche Verantwortung für die NPD-Schülerzeitung “perplex“ sowie um Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz im Zusammenhang mit der Verteilung besagten Druckwerkes. Die erste Auflage der so genannten Schülerzeitung wurde Anfang Dezember 2007 als jugendgefährdende Schrift indiziert. Ende Dezember 2007 musste die NPD auf Betreiben der Staatsanwaltschaft die zweite “perplex“-Nummer von ihren Internetseiten entfernen und darf diese Ausgabe zudem durch gerichtlichen Beschluss auch nicht mehr anbieten, bewerben oder verteilen.

Erst vor wenigen Tagen wurde ein sächsischer NPD-Jungfunktionär wegen des Verteilens der ersten “perplex“-Ausgabe an unter 18-jährige Jugendliche vom Amtsgericht Aue erstinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach Darstellung der Nachrichtenagentur ddp führt die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang gegenwärtig fünf Verfahren. Bezüglich der zweiten Auflage von “perplex“ werde wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole in zwölf weiteren Verfahren ermittelt. Bisher seien insgesamt 2.437 “perplex“-Exemplare beschlagnahmt worden.

Der Landtag, so Oberstaatsanwalt Jürgen Schär am 25. Februar, sei über das Ermittlungsverfahren gegen Jürgen W. Gansel informiert worden “und müsse bei einer Anklage über die Aufhebung von Gansels Immunität entscheiden“ (ddp). Auf einer so benannten Jahresauftaktveranstaltung der sächsischen NPD Anfang Januar 2008 bezeichnete Björn Clemens, vormaliger stellvertretender REP-Bundesvorsitzender, die “Bomben-Holocaust“-Landtagsrede Gansels vom Januar 2005 als eine “der größten parlamentarischen Taten, die wir seit 1945 erlebt haben“.

Seit November 2007 laufen bereits staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Gansel wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. Zur damaligen Zeit hatte Gansel in einer Mitteilung die Justizorgane öffentlich als “Hure der antideutschen Politik“ tituliert und sich außerdem deutlich antisemitisch geäußert.

[Dieser Artikel wurde am 26. Februar 2008 bei redok veröffentlicht.]

Kalkulierte Demokratie-Verweigerung

Schwerin. Während eines im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern stattgefundenen Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus blieben die Abgeordneten der NPD-Fraktion nicht nur sitzen, auch die anberaumte Schweigeminute ignorierten sie demonstrativ – und zeigen so, was sie offenbar von der sächsischen NPD-Fraktion gelernt haben.

Die besagte Landtagssitzung begann am 30. Januar im Schweriner Schloss mit einer Rede der Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD) anlässlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und sollte in eine Gedenkminute für die Opfer der NS-Herrschaft übergehen. Zuvor verwies die Landtagspräsidentin darauf, dass vor 75 Jahren die nationalsozialistische Diktatur begonnen habe. Dieses Datum stehe “für das Ende von Freiheit und Menschlichkeit und sollte uns eine ständige Mahnung sein“. Weiter betonte Bretschneider, es sei die Verantwortung der Demokraten, die Feinde der Demokratie in die Schranken zu weisen.

Folgend bat die Landtagspräsidentin anlässlich des 27. Januar – als Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau und im Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft – das Plenum, sich für eine Schweigeminute von den Plätzen zu erheben.

Die Abgeordneten der NPD ignorierten das Ansinnen und blieben demonstrativ sitzen. Darüber hinaus störten rechtsextreme Abgeordnete die Schweigeminute – Raimund Borrmann unterhielt sich deutlich vernehmbar mit Michael Andrejewski und Stefan Köster gefiel sich durch zwei Zwischenrufe, in denen er zum einen Sylvia Bretschneider aufforderte, ihr Mandat niederzulegen und der Landtagspräsidentin zum zweiten vorwarf: “Sie schaden der Demokratie“ (Endstation Rechts). Die anderen Fraktionen zeigten sich empört, die Sitzung wurde vorübergehend unterbrochen. Kurz danach erklärte der Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs auf der Internetpräsenz der mecklenburg-vorpommerschen NPD: “Erst wenn auch die deutschen Opfer würdig mit einbezogen werden, wird sich die NPD-Fraktion an solchen Opfergedenken beteiligen“.

Offenbar hat es doch einige Zeit gebraucht, bis die braune Achse Dresden – Schwerin zum öffentlichkeitswirksamen Tragen gekommen ist. Mehr als weniger erstaunlich ist allerdings schon die Zeitdauer des rechtsextremen Nord-Süd-Lernens – und darüber hinaus die gegenwärtige Berichterstattung über die aktuell plakative Demokratie-Verweigerung der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich hat es die südlichere Landtagsfraktion bereits vor fast genau drei Jahren vorexerziert, wie über die Postulierung eines damals vom Landtagsabgeordneten Jürgen W. Gansel so titulierten “Bomben-Holocaust“ mediale Aufmerksamkeit geschaffen werden kann.

Nicht weniger öffentlichkeitsheischend erklärte hernach im Januar 2006 die damalige sächsische NPD-Fraktion der wie auch immer geneigten Zuhörerschaft “Warum wir nicht nach Auschwitz fahren“. Und somit fällt jetzt, zeitlich fast optimal taktiert, von Schwerin aus zwangsläufig wieder braunes Februar-Dunkel über Elbflorenz.

[Dieser Artikel wurde am 30. Januar 2008 bei redok veröffentlicht.]