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Rechtsradikaler Terror vertreibt Politiker

Uwe Adamczyk (Linkspartei.PDS) legt nach vier auf ihn verübten Anschlägen seine politischen Mandate in Sachsen nieder und verlässt den Ort des Geschehens

Es ist ein Vorgang, der in der jüngeren politischen Geschichte der Bundesrepublik ohnegleichen sein dürfte. Ein Politiker sieht als letzte Konsequenz aus wiederholten rechtsradikalen Angriffen auf sein Hab und Gut – und nicht zuletzt sein Leben – nur noch die Aufgabe seiner politischen Ämter sowie einen Ortswechsel als Lösung.

Bereits zum vierten Mal in nur gut einem Jahr erfolgte vor wenigen Tagen auf das Haus von Uwe Adamczyk in Meerane wiederholt ein Brandanschlag. Der durch Körperbehinderungen auf den Rollstuhl angewiesene Adamczyk selbst konnte sich “nur mit Müh und Not“ in Sicherheit bringen. Die Polizei konstatierte “Brandstiftung“. Der Staatsschutz ermittelt in dieser – offensichtlich gegen den Politiker gerichteten – “Anschlagsreihe“.

Uwe Adamczyk war von 1994 bis 2004 Abgeordneter des Sächsischen Landtages. Bekanntheit erlangte er vor allem durch seine Arbeit als antifaschistischer Sprecher vormaliger PDS-Fraktionen. Innerfraktionell schien er allerdings dort zuweilen ob seines Engagements mehr gelitten und geduldet, als hilfreich unterstützt gewesen zu sein. Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag erwarb Adamczyk den Gebäudekomplex in Meerane zur längerfristigen eigenen Existenzsicherung mit geplanter gastronomischer Einrichtung, Internet-Cafe, Billard sowie Wohnungen und Büroräumen in Funktion als alternatives Begegnungszentrum. “Von Anfang an war jedoch klar und auch gewollt, dass rechtsorientierte Personen für diese Räumlichkeiten keinen Zutritt erhalten.“ Noch nach den Anschlägen im Dezember 2005 erklärte Adamczyk: “Ich selbst aber auch die Jugendlichen hier im Gebäude lassen uns von diesen Rechten nicht einschüchtern.“

Nach dem vierten Anschlag im September 2006 legt Uwe Adamczyk nunmehr seine politischen Mandate als Stadtrat in Meerane und Kreistagsabgeordneter im Chemnitzer Land nieder und wird sich geografisch verändern. “Ich gebe auf. Auch wenn meine Feinde damit erreicht haben, was sie wollten“, sagte er Medien gegenüber. Das rechtsextremistische Störtebeker-Netz stellte noch im Nachgang kaum misszuverstehende Drohungen in den virtuellen Raum: “Und bevor er friedliche Menschen in anderen Regionen belästigt, sollte er nicht nur die Gabel abgeben!“

Am 4. Oktober demonstrierten gut 150 Menschen im sächsischen Meerane unter der Losung “Courage zeigen – Nazis widerstehen – Solidarität mit Uwe Adamczyk!“ Vorab erklärte die Linkspartei.PDS: “Die Konsequenzen, die Uwe Adamczyk nun zieht, sind für uns bitter, wenngleich auch sehr nachvollziehbar.“ Politikerinnen und Politiker aus anderen Parteien übten sich gleichfalls in verbaler Betroffenheit. Am Abend dieser Kundgebung in Meerane wussten die dann anrückenden Einsatzkräfte allerdings ziemlich genau um die Prioritäten ihres dortigen Einsatzes. Nach Augenzeugenberichten wurden die rund 40 Gegendemonstranten aus dem rechtsextremistischen Spektrum am Rand der Veranstaltung von der Polizei kaum beachtet – im Gegensatz zu den Versammlungsteilnehmern auf dem Meeraner Teichplatz. Man wolle “den Rechten in Meerane nicht das Feld überlassen“, verlautbarte jedenfalls der Vorsitzende des Kreisverbandes der Linkspartei.PDS im Chemnitzer Land. Warum nur klingt dies merkwürdigerweise ein wenig wie Pfeifen im dunklen Wald?

[Dieser Artikel wurde am 6. Oktober 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

“Ihr macht das Kreuz, wir den Rest“

In den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ziehen nicht allein nur plakative NPD-Abgeordnete ein

Es mag am Wahlabend des 17. September fast zur selben Tageszeit gewesen sein, zufällig erscheint nachträglich lediglich die zeitliche Nähe der Ereignisse. Während einer NPD-Wahlparty – im Ausschank offensichtlich böhmisches Bier der Marke Krusovice – wurden in Schwerin Journalisten von Rechtsextremisten massiv bei ihrer Arbeit behindert und körperlich attackiert. Dabei kam es auf Seiten der Medienschaffenden zu Verletzungen und Sachbeschädigungen. Kurz nach 23 Uhr sendete SPIEGEL TV an jenem Abend den Teil des Videos, auf dem in Wismar der militante Einsatz rechtsextremistischer Kameraden im mecklenburg-vorpommerischen Wahlkampf dokumentiert wurde.

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Nazi-Aktion am 12. August in Wismar. Screenshot: indymedia.de

Die mit 7,3 Prozent der Zweitstimmen in den Landtag von Schwerin eingezogene NPD dürfte zukünftig allerdings beabsichtigen, sich offiziell nicht unbedingt mit dem Hauch von Militanz zu umgeben. Schließlich gelten nicht wenige rechtsextremistische Protagonisten in der Region als “nette Jungs von nebenan“. Die im östlichen Norden über Jahre hinweg erfolgte Assimilierung der bürgerlichen Mitte soll schließlich nicht nur stabilisiert, sondern weiter ausgedehnt werden. Inwieweit sich dabei die so genannten Freien Kameradschaften mehr oder weniger widerspruchslos als lediglich parlamentarischer Hilfsarm der Landtagsfraktion rekrutieren lassen, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird aber schon bald wieder ein Vor-Wahlversprechen von NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs – “Ihr macht das Kreuz, wir machen den Rest“ – als gewandt formulierter außerparlamentarischer Kampfauftrag entsprechend interpretiert werden.

Pastörs bestätigte bereits kurz nach der Wahl, dass er als vormalig lernwilliger Praktikant im Sächsischen Landtag (Die braune Achse Dresden-Schwerin) und zukünftiger Fraktionsvorsitzender in Schwerin gewillt ist, die verbal-provozierende Strategie der sächsischen NPD-Fraktion nun auch im Nordosten zur Anwendung zu bringen. Nach Pastörs’ Gusto ist Adolf Hitler – “wertfrei“ und “nur gemessen an den objektiv messbaren Ergebnissen auf vielen Gebieten“ – grundsätzlich “ein Phänomen gewesen … militärisch, sozial, ökonomisch – er hat ja wahnsinnige Pflöcke eingerammt auf fast allen Gebieten“. Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß wiederum ist für Pastörs als “absoluter Idealist … vergleichbar mit Gandhi“. Und der Holocaust-Leugner Ernst Zündel hat nach der Ansicht von Pastörs “in der Vergangenheit Unglaubliches geleistet“.

Der als Kaufmann und Juwelier firmierende Pastörs gilt als eng mit der rechtsextremistischen Szene verbunden. So unterzeichnete er 1998 das einschlägig verortete Pamphlet “Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung – Der Völkermord am Deutschen Volk“. Berichten vom September 2006 zufolge hat Pastörs mehrmals die Sektenkolonie Colonia Dignidad in Chile aufgesucht. Er habe “dort viel gelernt, sehr viel. Wie man mit wenig Geld sofort Zivilisation schaffen kann, wenn alle arbeiten“, zitierte der Stern den NPD-Politiker. Im mecklenburg-vorpommerischen Lübtheen engagiert sich Pastörs, der seit 2000 Parteimitglied ist, in der Bürgerinitiative “Braunkohle Nein!“. Zudem agiert er noch als stellvertretender Landesvorsitzender und als Mitglied im Kreisvorstand Ludwigslust und ist als Schulungsreferent der NPD tätig. Schulungsmäßig versuchte Pastörs in einem Interview mit der National-Zeitung vom 8. September 2006 dann auch, etwaigen Traumata infolge der personellen Verluste innerhalb der sächsischen Parlamentsvorreiter bereits vorab entgegen zu wirken:

“… unsere Mitglieder in den Kreisverbänden sind dahingehend unterrichtet, dass sie jeden Annäherungsversuch von Seiten der Geheimdienste dem Landesvorsitzenden melden. Und es ist durch höchste Aufmerksamkeit auf allen Führungsebenen dafür Sorge getragen, dass Straftaten durch Agenten mit NPD-Mitgliedsausweis nur schwer vorstellbar sind.“

Die Aufgabe als Bindeglied der Fraktion zu den so genannten Freien Kameradschaften fällt wahrscheinlich an Tino Müller, auf den zweiten NPD-Listenplatz in den Schweriner Landtag gewählt. Der gelernte Maurer gilt als einer der führenden Köpfe der regionalen Kameradschaftsszene – so in der Nationalgermanischen Bruderschaft (NGB) und der Heimattreuen deutschen Jugend (HdJ). Wie vielen rechtsextremistischen Kadern eigen, ist auch Müller in einer örtlichen Bürgerinitiative (“Schöner und sicher wohnen in Ueckermünde“) äußerst aktiv tätig. Erst seit Ende 2005 NPD-Mitglied fungiert Müller mittlerweile als Vorsitzender des Kreisverbandes Uecker-Randow und ist dem Sozialen Nationalen Bündnis Pommern zugehörig.

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Udo Voigt (NPD-Parteivorsitzender), Gerhard Frey (DVU-Bundesvorsitzender), Udo Pastörs (Fraktionsvorsitzender im Landtag MVP) und Holger Apfel (Fraktionsvorsitzender im Landtag Sachsen) auf einer Pressekonferenz am 21.9. Foto: NPD

Aufmerksame Beobachter der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern sehen gleichfalls in Michael Andrejewski einen Garanten für örtliche NPD-Wahlergebnisse jenseits der 30-Prozent-Marke. Nach Einschätzung des Mobilen Beratungsteams für demokratische Kultur (MBT) aus Schwerin hat Andrejewski “das Netzwerk zwischen Partei und Kameradschaften vorangetrieben“. Der über Listenplatz 3 gewählte ausgebildete Volljurist, der nach eigener Aussage das “herrschende politische System“ ablehnt, ist Mitglied des NPD-Landesvorstandes sowie Abgeordneter im Kreistag Ostvorpommern und in der Stadtvertretung Anklam. Den wie auch immer gearteten Wählerauftrag Kommunalpolitik stuft Andrejewski lediglich als Mittel zum Zweck ein – um das “System zu kippen“. Die politischen Wurzeln Andrejewskis reichen bis zur Hamburger “Liste für Ausländerstopp“ (HLA) zurück.

Wie Müller dürfte auch der über Listenplatz 4 gewählte Stefan Köster seine Dienste für Klientelbegehrlichkeiten der militanten Kameradschaften leisten. Im Kreistag von Ludwigslust fiel Köster allerdings bisher nicht durch übermäßige Aktivitäten jenseits rechtsextremistischer Propaganda auf. Im Mai 2006 wurde das frühere Mitglied der Wiking-Jugend und derzeit als NPD-Bundesgeschäftsführer sowie mecklenburg-vorpommerischer Landesvorsitzender amtierend in erster Instanz wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung, 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit sowie 500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Köster hat in dem aus seiner Sicht “politischen Prozess“ Berufung gegen das Urteil eingelegt.

“In Mitteldeutschland findet eine geräuschlose völkische Graswurzelrevolution statt. Mit einem moderaten Ton, zivilem Auftreten und alltagsnahen Themen gelingt es Nationalisten vielerorts zum integralen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu werden, während sich die Systemkräfte dem Volk immer mehr entfremden und in der Lebenswelt der von ihnen tief enttäuschten Durchschnittsbürger immer weniger vorkommen. Mit Plakatlosungen wie ’Arbeit, Familie, Heimat’ und dem politischen Kampf gegen Zuwanderung, EU-Fremdbestimmung und Globalisierung als den Zerstörungsmächten der Zeit treffen Nationalisten zunehmend den Nerv der Menschen und werden oftmals als einzige noch wählbare idealistische Kraft angesehen“ (Jürgen W. Gansel/NPD).

Über NPD-Listenplatz 5 führte der Weg von Birger Lüssow direkt aus der Kameradschaftsszene in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Als 2002 das rechtsextremistische Aktionsbündnis “Festungsstadt Rostock“ ins Leben gerufen wurde, war Lüssow einer der führenden Mitiinitiatoren – damals auch mutmaßlicher Blood&Honour-Kader und nach wie vor Aktivist des Kameradschaftsbundes Mecklenburg (KBM). Nunmehr agiert Lüssow, seit 2005 NPD-Mitglied, ebenfalls als Vorsitzender des Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte.

Welche Funktion dem bisher eher unbekannten Raimund Borrmann in der Landtagsfraktion zukommt, ist ob der relativen Blässe des stellvertretenden NPD-Kreisvorsitzenden von Mecklenburg-Mitte derzeit noch nicht deutlich absehbar. Der über Landeslistenplatz 6 gewählte Borrmann soll angeblich ein Philosophiestudium mit Schwerpunkt Marxismus absolviert haben.

Die nach dem Wahlabend umgehend postulierte “enge Zusammenarbeit“ der “Achse Schwerin-Dresden“ (O-Ton NPD) hat zur Folge, dass der bisherige sächsische Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx seinen Aufgabenbereich von Dresden nach Schwerin verlagert. Ein so genannter “Arbeitskreis volkstreuer Abgeordneter“ soll als “regelmäßige gemeinsame Beratungen beider Fraktionen“ möglichst bald zum “Alltag gehören“.

Mittlerweile wurden auf der konstituierenden ersten Fraktionssitzung Udo Pastörs zum Fraktionsvorsitzenden, Tino Müller und Stefan Köster zu stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sowie Köster gleichfalls zum Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt. Wie Michael Andrejewski verlautbaren ließ, würde die Fraktion “auf jeden Fall“ Mitarbeiter aus der Kameradschaftsszene einstellen. Am 20. September hat die Fraktion “ihre Arbeit aufgenommen, um zum Wohle unseres Volkes in Mecklenburg und Pommern zu wirken“ (vgl. Schmackhafte NPD-Bonbons).

Die NPD – und damit unweigerlich auch die regionale Kameradschaftsszene – wird dabei in ihrer weiteren Aufbauarbeit in Mecklenburg-Vorpommern direkt von der öffentlichen Hand gefördert. Für jede Wählerstimme stehen der NPD laut Parteiengesetz jährlich 85 Cent zu. Die monatliche Grundentschädigung pro Abgeordneten beträgt etwa 4.400 Euro, zudem werden Mittel für zusätzliche Mitarbeiter im Wahlkreis bereitgestellt. Jeder gewählte NPD-Abgeordnete beabsichtigt nach bisherigen Verlautbarungen, ein eigenes Wahlkreisbüro einzurichten – ähnlich wie in Sachsen ein rechtsextremistischer Struktur- und Personenausbau finanziert mit staatlichen Geldern. Berechnungen gehen davon aus, dass allein der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern für die nächsten fünf Jahre zirka 2,5 Millionen Euro Steuergelder zur Verfügung stehen.

[Dieser Artikel wurde am 22. September 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Die braune Achse Dresden-Schwerin

Zwei Jahre nach Sachsen ist mit dem Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zu rechnen

Kurz nach dem wieder eine rechtsextremistische Partei den Einzug in ein bundesdeutsches Länderparlament schaffte (Rechter Aufbau Ost – NPD im Sächsischen Landtag), attestierten Verfassungsschützer der sächsischen NPD bezüglich deren “Strategie und Taktik … für andere Landesverbände Modellcharakter“. So bilanzierte der Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Rainer Stock, in einem DPA-Gespräch Mitte Februar 2005, dass “NPD-Funktionäre die Präsenz der Partei im sächsischen Landtag auch dazu“ nutzen würden, um “Erfahrungen im Umgang mit den Medien zu sammeln“. Darüber hinaus zeichneten sich schon wenige Wochen nach der sächsischen Landtagswahl “eine strategische Zusammenarbeit mit so genannten freien Kräften der Kameradschafts- und Neonazi-Szene“ sowie “die Konzentration der bundesweiten vorzeigbaren Führungsfiguren der Partei“ im Dresdner Landtag ab. Ein Ziel dieser personellen Kräftebündelung wurde bereits damals mit einem angestrebten “Re-Import“ der in Sachsen gesammelten Erfahrungen in andere NPD-Landesverbände eingeschätzt.

Gut neunzehn Monate später zeichnet sich in Mecklenburg-Vorpommern der Einzug der NPD in den Landtag von Schwerin ab. Das ZDF-Politikbarometer beispielsweise sieht – eine Woche vor der Wahl am 17. September – die rechtsextremistische Partei bei 7 Prozent und damit gleichauf mit der FDP sowie deutlich vor Bündnis 90/Die Grünen. Die NPD selbst hatte zu Beginn des Wahlkampfes “7 Prozent plus X“ als Marge für sich postuliert.

Holger Apfel war es in diesem Zusammenhang dann auch stets wichtig zu betonen, dass die NPD in Mecklenburg-Vorpommern erstmals flächendeckend in allen Wahlkreisen angetreten ist. Bei der Landtagswahl in Sachsen waren NPD-Kandidaten noch lediglich in 32 von 60 Wahlkreisen gelistet. Die NPD zog am 19. September 2004 mit 9,2 Prozent der Zweitstimmen in den Sächsischen Landtag ein. Der sächsische Fraktionsvorsitzende Apfel – als Wahlkampfleiter eigens aus Sachsen in den Nordosten geeilt – hat übrigens mit einem durchaus als Alibi dienenden Hauptwohnungswechsel sein Mandat beim Nationalen Bündnis im Dresdner Stadtrat abgegeben. Nur rein zufällig fand dieser Mandatsverzicht in der Zeit des mecklenburgisch-vorpommerischen Wahlkampfes statt. Andererseits wiederum weilten bereits im April des Jahres Stefan Köster und Udo Pastörs für zwei Wochen in Dresden. Der NPD-Landesvorsitzende aus Mecklenburg-Vorpommern und der Landeslisten-Spitzenkandidat sollten als “Praktikanten“ – nach offizieller NPD-Darstellung – “den Landtagsbetrieb von innen kennen lernen“, um sich “auf den Parlamentsalltag einzustellen“. Nach eigenen Angaben investiert die NPD 400.000 Euro in ihren Kampf um den Einzug in den Schweriner Landtag. Schätzungen zufolge liegt die Summe allerdings bedeutend höher bei rund zwei Millionen Euro.

Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2005 für Mecklenburg-Vorpommern wurde konstatiert, dass sich die Anhängerschaft der NPD zu einem “verfestigten ideologischen Körper“ entwickelt habe. In konkreten Zahlen auf relativ niedrigem Niveau wird die aktuelle NPD-Mitgliederzahl mit 230 angegeben. Das rechtsextreme Spektrum im Land “stagniere aber bei rund 1.200 Personen“. Zugleich hat die Zahl von Straftaten mit einem rechtsextremistischen Hintergrund zugenommen und belief sich im Berichtszeitraum auf 322, insbesondere Propagandadelikte.

Innenminister Gottfried Timm (SPD) betonte, dass Rechtsextremisten ihr öffentliches Agieren in Mecklenburg-Vorpommern zunehmend verändert hätten. Neben “freundlichem Auftreten“ seien Gründungen von zunächst unverfänglichen scheinenden Bürgerinitiativen – wie beispielsweise “Schöner wohnen auf Usedom“ – zu beobachten, um dann auf diesem Weg neue Mitglieder zu werben. Zudem wurde in Mecklenburg-Vorpommern zunehmend die bereits auch in Sachsen praktizierte Wortergreifungsstrategie mehr und mehr Mittel zum Zweck. Dabei suchten Mitglieder der rechtsextremistischen Szene Veranstaltungen anderer Parteien und Institutionen auf “und nutzten diese, um sich so Öffentlichkeit zu verschaffen“. Dem bundeslandweiten Beratungsverein für Opfer rechter Gewalt, LOBBI e.V., sind im ersten Halbjahr 2006 indes doppelt so viele rechte Übergriffe als im Vorjahreszeitraum bekannt geworden.

Die Liste der NPD-Kandidaten für Mecklenburg-Vorpommern liest sich fast wie eine nachträgliche Erfüllung des propagierten Schulterschlusses zwischen Partei und so genannten Freien Kräften, diese teilweise nunmehr als Parteimitglieder. So sind zum nationalen Sturm auf das Schweriner Schloss – neben dem eher farblosen Spitzenkandidaten Pastörs – zahlreiche einschlägig bekannte “Kameraden“ angetreten, davon nicht wenige gerichtsnotorisch bekannt. Der Blick nach Rechts zieht in seiner aktuellen Ausgabe folgende Bilanz:

Auf den ersten 13 Plätzen der Landesliste der NPD kandidieren bereits sieben einflussreiche militante Kameradschaftsaktivisten, darunter Tino Müller und Michael Gielnik vom ’Sozialen und Nationalen Bündnis Pommern’ (SNBP) sowie David Petereit von der ’Märkischen Aktionsfront’ (MAF).

Nicht gerade unbekannt tritt zudem Thomas Wulff als Direktkandidat im Wahlkreis Schwerin I an.

In der “Wahlkampfzeitung zur Landtagswahl“ fand sich freilich nur Platz für Spitzenkandidat Udo Pastörs, Tino Müller (Listenplatz 2) und Michael Andrejewski (Listenplatz 3). Allerdings bietet die Postille dafür beispielsweise arteigene politische Schlagsätze: “Statt gute Umgangsformen, Allgemeinbildung und fundierten Grundkenntnissen in Lesen, Schreiben, Rechnen steht in vielen Schulen auf dem Lehrplan ’Drittes Reich statt Dreisatz’. Dadurch werden deutschen Jugendlichen überflüssige Schuldgefühle für die eigene Herkunft eingetrichtert.“

Im rechtsextremistischen Störtebeker-Netz wurde ob der verspäteten Auslieferung dieser “Sonderveröffentlichung der NPD“ zwischenzeitlich vermutet, “dass möglicherweise ein Zerwürfnis zwischen der Landesparteiführung und dem seinerzeit zeitweise als Landtagskandidaten in Aussicht genommenen Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger und der damit verbundene Stopp bestimmter finanzieller Zuwendungen ausschlaggebend gewesen sein könnte“. Der am 4. September bekannt gegebene Eintritt Riegers in die NPD wird solcherart Vermutungen in rechtsextremistischen Kreisen relativ schnell vergessen lassen. Rieger soll schon beim Bundesparteitag im November als stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender zur Wahl vorgeschlagen werden. Mit der Person Riegers dürfte der militante Flügel der mehr oder weniger NPD-anhängigen Kameradschaftsszene eine Stärkung erfahren. Gleiches befürchten aufmerksame Beobachter derzeit auch für den Raum Sächsische Schweiz, nach dem sich kürzlich der dort in der militanten Kameradschaftsszene vormals wohl auch ordnend agierende Mäzen der Skinheads Sächsische Schweiz auf einer Landstraße tot gefahren hat (Ian Stuart Leichsenring).

Den wachsenden und sich stabilisierenden Zuspruch für – teilweise verklausulierte – rechtsextreme Parolen im östlichen Norden erklären Beobachter der Szene mit einer “Verbürgerlichungsstrategie“ der NPD nach außen. Karl-Georg Ohse vom Mobilen Beratungsteam für demokratische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern stellte diese Vorgehensweise der Rechtsextremisten in der Berliner Zeitung vom 6. September so dar: “Es ist ihnen in den letzten zwei Jahren gelungen, ihr Haudrauf-Skinhead-Image besser zu verbergen … Nach außen gibt man sich jetzt bürgerlich … Sie bieten sich an, Räume zu streichen, oder stellen sich bei der Wahl zum Elternsprecher auf … Man soll denken, die sind ja gar nicht so extrem“.

In den letzten Wochen des Wahlkampfes verrutschte den Rechtsextremisten allerdings zuweilen ihre sich mühsam übergestülpte bürgerliche Maske. So gibt es zunehmend überregionale Berichte von Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen durch NPD-Wahlkämpfer. “Die Biedermänner werden rüde“, konstatierte Spiegel-Online am 7. September. Drei Tage zuvor informierte Die Welt: “NPD schüchtert im Wahlkampf Konkurrenten mit Gewalt ein“. Und von “mit Knüppeln bewaffneten Plakatiertrupps“ war bereits in der ersten September-Ausgabe des Blick nach Rechts zu lesen. Bei indymedia.de publizierten Augenzeugen den Nazi-Angriff am 12. August auf eine Antifa-Demo in Wismar. Die Ankündigung Apfels auf dem diesjährigen Deutsche-Stimme-Pressefest, man wolle im Wahlkampf “wenig interne Saalveranstaltungen“, sondern stattdessen “den Dialog mit Bürgern“, lässt sich nachträglich so auch ganz eigen interpretieren.

Wohl regt sich Widerstand gegen den nicht erst seit gestern drohenden Einzug der NPD in den Schweriner Landtag. Exemplarisch genannt dafür sei das Aktionsbündnis Keine Stimme den Nazis. Initiiert wurde die Kampagne von 40 Vereinen, Jugendzentren, Bands und Antifa-Gruppen aus ganz Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings zeichnet sich der durchaus mannigfaltige und kreative Widerstand – auch gegen rechtsextremistische Umtriebe im Bundesland generell – eher in regionalen Schwerpunkten aus. Wirksame mittelfristige Strategien von bürgerlichen Parteien und Gewerkschaften gegen rechtsextremistische Aktivitäten sind nicht deutlich auszumachen. Darüber hinaus ist auch in Mecklenburg-Vorpommern die Zukunft der Mobilen Beratungsteams sowie der Opferberatungs- und Netzwerkstellen fraglich. Zu Jahresbeginn 2007 soll die bisherige Verantwortung des Bundes für die Beratungsstellen gegen Rechts von den Ländern und Kommunen übernommen werden. Die seit 2001 aufgebauten “Strukturprojekte gegen Rechts“ werden im neuen Etat des Bundesfamilienministeriums nicht mehr weitergeführt.

Noch zwei Tage vor der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern findet in Schwerin ein Benefiz-Konzert “Laut gegen rechts – wählen gehen!“ statt. Damit soll, so die Veranstalter, “ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt werden – und gegen den Einzug antidemokratischer Parteien wie der NPD in den Landtag“. Unterstützt und organisiert wird das Event u.a. von der Amadeu Antonio Stiftung, der Aktion Mut gegen rechte Gewalt, dem Verein Gesicht zeigen! und der Zeitschrift Blick nach Rechts.

Wenn nach dem Urnengang in Mecklenburg-Vorpommern am 17. September – wie zu erwarten – dann vordergründig allein eine zu geringe Wahlbeteiligung für den Einzug der NPD in den Landtag verantwortlich gemacht werden sollte, greift das politisch nicht nur zu kurz, sondern ist dies auch falsch. Dagegen bedarf die resümierende Feststellung von DGB-Nord-Chef Peter Deutschland “Die anderen Parteien haben geschlafen“ leider keiner weiteren Erklärung. Andere wiederum werden am Wahlabend sagen, dass Demokratie in der Lage sein müsse, so etwas auszuhalten. ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn machte vorab allerdings deutlich: “Viele NPD-Wähler sind für andere Parteien verloren.“

[Dieser Artikel wurde am 11. September 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

Im braunen Schlamm bei Pappritz

Die NPD-Postille Deutsche Stimme versuchte, ihr diesjähriges “Pressefest“ am Stadtrand von Dresden zu zelebrieren

Zum fünften Mal richtete die Deutsche Stimme zusammen mit der NPD ein so genanntes “Pressefest“ aus. Das Ziel anreisender Rechtsextremisten aller Couleur war dabei am 5. August das private Gelände eines Unternehmers kurz vor dem Ortseingangsschild von Pappritz. Der zu Dresden gehörende Ortsteil im Schönfelder Hochland verzeichnet gut 2.000 Einwohner. Sachsens amtierender Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) dürfte wohl als der prominenteste gelten. Doch weder Sachsens- noch Dresdner Polit-Obere protestierten gegen das Nazi-Spektakel. So fühlten sich Pappritzer Einwohner – abgesehen von antifaschistischem und bürgerlich couragiertem Widerstand – relativ allein gelassen mit dem, was sich da vor ihren Haustüren abspielte. Zudem im Vorfeld die CDU im Schönfeld-Weißiger Ortschaftsrat eine gemeinsame Erklärung als Zeichen gegen das Nazi-Pressefest verhindert hatte.

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(Pappritz am Abend des 4. August – Foto: O.M.)

Dabei zeigten sich die Pappritzer in ihrem Vor-Ort-Widerstand kreativ. Fast jeder Laternenpfahl im Ort trug am Morgen des 5. August Parolen gegen die Nazi-Veranstaltung. Transparente mit der Aufschrift “Pappritz ist bunt! Keine ’Rechten’ auf unserem Grund!“ überspannten die Ortseinfahrten. Größere Mengen Flugblätter wurden verteilt. Gleichzeitig parkten die Pappritzer ihren Ort teilweise selbst zu, um so anreisenden Nazis Abstellplätze zu verwehren. Dies wurde indes dadurch konterkariert, dass ein weiterer regionaler Unternehmer sein nahe gelegenes Feld als Parkplatz zur Verfügung stellte.

Bereits bei einer Informationsveranstaltung am 1. August in einem mit weit über 100 Teilnehmern überfüllten Pappritzer Gasthof artikulierte sich der Unmut der Anwohner über den Nazi-Auftritt deutlich. So erfuhr beispielsweise das Ansinnen eines Redners, die NPD-Veranstaltung doch aus demokratietheoretischen Gründen einfach einmal zu besuchen, deutlichen Widerspruch. Die Polizeidirektion Dresden hatte die Bürgerveranstaltung abgesagt. Das städtische Ordnungsamt entsandte lediglich eine Abteilungsleiterin. Die Sächsische Zeitung bilanzierte das städtische Verhalten zu Recht mit “völlig orientierungslos“.

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(Mehr oder weniger sprachlich geschliffen wurde online so eingeladen)

Der Leiter des Ressorts Rechtsextremismus beim Landesamt für Verfassungsschutz, Martin Döring, machte immerhin die Wertigkeit des Deutsche-Stimme-Pressefestes deutlich. Nach den Rudolf-Heß-Gedenkmärschen und den jährlichen Demonstrationen anlässlich der Zerstörung Dresdens sei dieses so genannte Pressefest mittlerweile die dritte rechtsextremistisch überregional bedeutsame Großveranstaltung mit enormer Binnenwirkung unter internationaler Beteiligung. Die Grundlage seiner weiteren inhaltlichen Einschätzung allerdings dürfte nur Döring selbst bekannt sein. So behauptete der Verfassungsschützer zum Ablauf bisheriger Pressefeste allen Ernstes, “erst dann, im zweiten Teil, merkt man den Rechtsextremismus“. Dabei bezog er sich auf die abendlichen Auftritte von Rechts-Rock-Bands nach den nachmittäglich eher BDM-folkloristischen Bänkeleien zur Gitarre.

Die braune Veranstaltung begann dann am 5. August mit einer Pressekonferenz. Einem Fernsehteam vom MDR wurde der Zutritt auf das Gelände verwehrt. Foto-Journalisten bekamen teilweise eine Art Leibstandarte gestellt, um missliebige Schnappschüsse unterbinden zu können. Im Mittelpunkt der Pressekonferenz stand der Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei präsentierte sich der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs in geradezu typisch norddeutsch krachledernem Outfit. Rhetorisch nicht gerade übermäßig gewandt gelang es ihm zudem auch noch, keine politischen Inhalte zu vermitteln. Allein seine Behauptung, dass aus der sächsischen NPD-Landtagsfraktion keinerlei finanzielle Mittel zur Unterstützung für den Wahlkampf nach Mecklenburg-Vorpommern fließen würden, war ihm ein markiges “So dumm sind wir doch nicht!“ wert. Holger Apfel, derzeitiger Wahlkampfleiter im Norden der Bundesrepublik und NPD-Fraktionsvorsitzender in Sachsen, kündigte “wenig interne Saalveranstaltungen“ an. Stattdessen wolle man “den Dialog mit Bürgern“, denn “wir fühlen uns aus der Mitte des Volkes“. Apfel legt übrigens dieser Tage gerade sein Mandat beim so genannten Nationalen Bündnis im Dresdner Stadtrat nieder.

Bereits im Vorfeld der Deutschen-Stimme-Veranstaltung hatte die Initiative “Keine Geschäfte mit Nazis“ auf die Unterstützung dieses Pressefestes durch verschiedene Firmen hingewiesen. Dennoch schienen sich einige renommierte Brauereien den Umsatz nicht entgehen lassen zu wollen. Schon in den Vormittagsstunden bildeten sich zuweilen Schlangen vorwiegend kahlköpfiger Besucher an den Ständen von Landskron, Ur-Krostitzer, Warsteiner, Holsten, Krombacher und Feldschlößchen. In den Abendstunden kam es zu einer kameradschaftlichen Prügelei, Verlautbarungen zufolge wegen des Bierpreises. In Nazi-Foren ist dahingehend von rund 50 Beteiligten zu lesen. Der Polizeibericht konstatierte “tätliche Auseinandersetzungen zwischen Veranstaltungsteilnehmern mit zwei Verletzten“.

In seiner Eröffnungsrede kurz nach 12 Uhr auf der noch lückenhaft gefüllten Wiese offenbarte Deutsche-Stimme-Verlagsleiter Jens Pühse, man habe doch “erhebliche Schwierigkeiten“ gehabt, die Veranstaltung an diesem Ort vorzubereiten. Aber es seien nunmehr ja “noch Tausende Kameraden auf dem Weg nach Pappritz“. Diese Ankündigung erwies sich allerdings als bloßes Wunschdenken. Statt mit der vom Verfassungsschutz noch am 1. August prognostizierten Teilnehmerzahl von bis zu 8.000 füllte sich die Wiese bis in die späten Nachmittagsstunden mit zirka 4.500 Rechtsextremisten. Von der NPD war zuvor gar von 9.000 bereits im Vorverkauf erworbenen Eintrittskarten zu hören gewesen. “Wir haben am Eingang sehr akribisch gezählt“, erklärte der Pressesprecher der Polizeidirektion Dresden, Thomas Herbst, gegenüber Telepolis. Somit würde die angegebene Teilnehmerzahl der Realität sehr nahe kommen.

Der Eintrittspreis zum braunen Spektakel betrug 22,50 Euro an der Tageskasse. Den Pappritzern wurde mittels einer Gutschein-Aktion kostenloser Zutritt angeboten. Für Kinder bis 12 Jahre war der Eintritt generell frei. Es gab ein Extra-Kinderprogramm – “Die Hexe Ragna kommt und geht mit allen Kindern auf eine lustig-spannende Märchenreise“. Erstaunt registriert wurde vom pilgernden nationalen Jung- und Altvolk, dass die am mecklenburgischen Wahlstand angebotene “Schulhof-CD“ (Aufdruck: “GRATIS!“) nur gegen 2 Euro Spende zu haben war.

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(Foto: O. M.)

Die verzögerte Anreise der “Fest“-Teilnehmer hatte eine ihrer Ursachen in einer auf der Hauptzufahrtsstraße stattfindenden Demonstration. Gut 600 vorwiegend dem autonomen Spektrum zuzuordnende Nazi-Gegner blockierten mit ihrem Aufzug über Stunden den Straßenverkehr auf der Bautzener Straße in Richtung Pappritz. Die von der NPD eiligst verbreitete Ausweich-Anreise-Route zeigte sich aus straßenbaulichen Gründen für Busse als nicht passierbar. Im Laufe des Tages verzeichnete die Polizei mehrere Sachbeschädigungen an Bussen und PKW sowie Angriffe auf anreisende Rechtsextremisten. Dahingehend wurden Ermittlungen wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung aufgenommen.

Am frühen Nachmittag inspizierte der Staatsschutz das Gelände der mit sich selbst feiernden Nazis nach indizierten Waren und Symbolen. Allein der Schriftzug “Selbst-Schutz Sachsen-Anhalt“ würde im Nachgang ob einer eventuell rechtlichen Relevanz bezüglich des darin groß dargestellten “SS“ weiter geprüft. Weitere Verdachtstatbestände wurden auf Nachfrage von Telepolis verneint. Allerdings räumten die Staatsschutzvertreter ein, auch in Sachsen sei das Zeigen der vormaligen Thor-Steinar-Runen nicht rechtmäßig. Man habe sich zudem beim Kontrollgang auch eher auf die Verkaufsstände, denn auf getragene Textilien oder Tätowierungen orientiert.

Den Beamten scheint – über die verboten Runen in Größenordnungen hinaus – einiges nicht beachtenswert gewesen zu sein. Beispielsweise mehrere Shirt-Träger mit der aufgedruckten Darstellung einer offensichtlichen Krematoriums-Silhouette und der im Rauch der Schornsteine zu lesenden unmissverständlichen Botschaft “Friedmann hörst Du uns“. Auffällig viele Anwesende postulieren ihren wohl übergreifend gleichen Ehrentag mit “Geboren am 20. April“. “White Power“, “Wir bleiben braun“, “Eure Galgen sind schon gezimmert“ und Codes wie “168:1“ sprechen darüber hinaus eine deutliche Sprache. Gegen sieben anreisende Rechtsextremisten wurden wegen des Tragens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Strafverfahren nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch eingeleitet. Ansonsten seien, so Polizeisprecher Herbst, “bei einer Jugendschutz- und Medienstreife auf dem Veranstaltungsgelände keine Verstöße festgestellt“ worden.

Siegfried Tittmann, stellvertretender DVU-Bundesvorsitzender und Mitglied der Bremer Bürgerschaft, suhlte sich verbal nachträglich im “Donnerhall“, der während der Fußball-Weltmeisterschaft durchs Land gegangen sei – “Steht auf, wenn Ihr Deutsche seid!“ Jürgen Rieger, bekannter rechtsextremer Szene-Anwalt, hetzte gegen dunkelhäutige Menschen. Herbert Schweiger, Freiwilliger der Waffen-SS und jetziger Buch-Autor, palaverte vom “Überleben der gesamten weißen Rasse“ in einem seiner Meinung nach kurz bevorstehenden Dritten Weltkrieg – “Heil Euch!“ Derweil regnete es immer wieder länger in Strömen. Die Festwiese versank mehr und mehr im Schlamm. Der Feld-Parkplatz verschlammte ebenso und war überfüllt. Im Dorf parkende Nazis stießen auf verbal heftigen Widerspruch aus der Bevölkerung.

Kurz nach 17 Uhr endete das Bürgerfest gegen die Nazi-Veranstaltung am einige Kilometer entfernten Ullersdorfer Platz. Daran beteiligten sich rund 300 Besucher. Viel zu wenige hätten dort ihren Protest deutlich gemacht, fanden die Mitinitiatoren von Bürger.Courage und DGB. Der gleichen Meinung waren die vereinzelt anwesenden Landtags- und Stadtratsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, Linkspartei.PDS, CDU und SPD. In Pappritz selbst veranstalteten Einwohner ein Volleyball-Turnier und widmeten dies dem Protest gegen Rechts. Abends sahen Pappritzer mit Gleichgesinnten gemeinsam den Chaplin-Film “Der große Diktator“.

Während Dunkelheit und immer heftigerer Regen über dem rechtsextremistischen Pressefest nieder gingen, stieg dort der Alkoholpegel ins teilweise Komatöse. Mehrere Teilnehmer mussten nach Polizeiangaben “wegen übermäßigem Alkoholgenuss oder Unterkühlung behandelt werden“. Andere Nazi-Gruppen durchstreiften unbehelligt den Ort, traten Protest-Plakate herunter und präsentierten hernach stolz ihren Kameraden die Beute. Fraglich bleibt, was geschehen wäre, wenn nicht die Polizei wenigstens einen Teil des zum Ende hin in stürmisch-regnerischer Dunkelheit liegenden Veranstaltungsgeländes ausgeleuchtet hätte.

Die Abreise der Rechtsextremisten nach 23 Uhr verlief ähnlich unkoordiniert wie schon die Anreise. Wobei zu beobachten war, dass ein regelrechter Home-Run vom schlammigen Gelände – aus welchen Gründen auch immer – bereits weit vor 22 Uhr noch während des hämmernden Rechts-Rocks einsetzte. Der NPD dürfte es sehr schwer fallen, Pappritz nachträglich als erfolgreiches “Pressefest“ um zu interpretieren. Und daran hat nicht allein nur das Wetter seinen Anteil.

[Dieser Artikel wurde am 8. August 2006 bei Telepolis veröffentlicht.]

“Hoo-Na-Ra“ – Zu Gast bei Freunden im Geiste

Hooligans, Nazis und Rassisten beabsichtigen, die Fußball-Weltmeisterschaft zur Bühne werden zu lassen. Warnende Zeichen gibt es schon länger

Ein szenetypisches Warm-up für das Begleitprogramm der immer näher rückenden Fußball-Weltmeisterschaft ist längst erfolgt. Am ersten Advent 2005 hatten sich an einem Grenzstein im Wald nahe dem brandenburgischen Briesen deutsche und polnische Hooligans verabredet. In verschiedenen Online-Foren war danach die Rede vom “Hooligan-Krieg der schlimmsten Art, generalstabsmäßig geplant, äußerst brutal durchgeführt“. Berichten zufolge sind nach der Hooligan-Schlägerei bei Briesen die Polen als Sieger aus dem Wald gekommen. Nach Darstellung der Polizei sollte bei der schlagkräftigen Auseinandersetzung die Frage geklärt werden, “wer bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 das Sagen in der Internationalen Fußballszene haben wird“.

Nach der Massenschlägerei von zirka 100 Beteiligten wurde durch Ermittlungsbehörden die Identität von 45 deutschen und 53 polnischen Hooligans festgestellt. Beteiligt an dieser “Drittortauseinandersetzung“ (Ermittler-Jargon) waren die so genannte deutsche Nordost-Fraktion und Hooligans von Lech Poznan, angeblich in einer Mann-Stärke von fünfzig gegen fünfzig – Sicherungsposten nicht eingerechnet. Dabei sei unter den beteiligten Deutschen einer der Schläger identifiziert worden, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 den französischen Gendarm Daniel Nivel in Lens zum Invaliden geprügelt hatte.

Die Polizei erklärte nach dem 27. November 2005, ihr seien in dieser Größenordnung “bislang keine ähnlichen Auseinandersetzungen bekannt gewesen“. Allerdings hält sich in der Hooligan-Szene hartnäckig die Darstellung, es habe sich bei der Schlägerei im brandenburgischen Wald um einen Revanchekampf gehandelt. So sollen bereits am 7. Juli 2005 bei Poznan über 500 polnische und deutsche Hooligans aufeinandergetroffen sein. Schon damals sei der Sieg der polnischen Seite “unbestreitbar“ gewesen.

Die polnischen Hooligans gelten mittlerweile als brutalste und härteste auf dem europäischen Kontinent. Im Forum der Ultras Deutschland spricht man gar von der “schlimmsten Hooliganszene“ überhaupt. Im so betitelten polnischen Hooligan-Krieg der letzten Jahre gab es schon mehrere Todesopfer. Schlagzeilenträchtig lesen sich Berichte, nach denen Hooligans in Polen zuweilen Polizeistationen belagern, um inhaftierte Kumpane befreien zu können. Eine detaillierte Hooligan-Erfassung durch polnische Behörden gibt es bisher nicht. Mit welcher Vehemenz sich die neue polnische Regierung – eine Koalition aus Nationalkonservativen, Rechtspopulisten und Rechtsradikalen – letztendlich auch dieser Problematik annimmt, ist derzeit nur schwer einzuschätzen.

Als einziger WM-Teilnehmer hatte Polen wenige Wochen vor Turnierbeginn noch keine Fernsehübertragungsrechte erworben. Schätzungen gehen davon aus, dass gut 300.000 Polen die WM-Spielorte beziehungsweise die Public-Viewing-Veranstaltungen mit Großbildleinwänden frequentieren werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet mit rund 3.000 gewaltbereiten polnischen Schlachtenbummlern. Von der Dresdner Morgenpost wurden bereits – unter Berufung auf Polizeikreise – “20.000 polnische Hools im Anmarsch“ vorausgesagt. Am 14. Juni treten in Dortmund die bundesdeutsche und die polnische Nationalmannschaft in der Vorrunde gegeneinander an. In einem deutschsprachigen Hooligan-Forum lautet die Antwort auf eine Suche nach Videobildern vom berüchtigten 1996er Freundschaftsspiel beider Länder mit damals rechtsextremistischen Ausschreitungen auf den Rängen: “Bald bekommst Du aktuelle Fernsehausschnitte zu sehen.“ Bei den Ultras Deutschland heißt es einfach nur: “Na dann kommt mal!“ Fundierte Hooligan-Strukturen gibt es allerdings nicht nur im östlichen Nachbarland des WM-Gastgebers.

Inwieweit beispielsweise das Vorgehen der britischen Behörden gegen aktenkundig bekannte Hooligans von der Insel Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. So wurde angekündigt, dass 3.286 Hooligans kurz vor der Weltmeisterschaft der Reisepass abgenommen werde und diese sich zudem im Laufe des Turniers wiederholt bei der örtlichen Polizei melden müssten. Wer allerdings jemals die dreiteilige BBC-Dokumentation “Hooligans – Das Netzwerk der Gewalt“ gesehen hat, weiß um den Unterschied zwischen postuliertem Anspruch und letztendlicher Realität in der internationalen staatlichen Auseinandersetzung mit der Hooligan-Szene. Mittlerweile gibt es Hinweise, dass englische Hooligans auch Reiserouten über Polen in Erwägung ziehen, um so Einreiseverboten ins WM-Gastgeberland aus dem Weg gehen zu können.

In bundesdeutschen Gefilden werden im Vorfeld der Weltmeisterschaft die “Hoo-Na-Ra“-Schlachrufe auf den Stadien-Rängen und darüber hinaus nicht gerade leiser. “Hoo-Na-Ra“ bedeutet nichts anderes als “Hooligans-Nazis-Rassisten“ und hat als eindeutiges Bekenntnis nicht allein im Umfeld von Fußball-Ereignissen gewisse Bedeutung erlangt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen konstatierte bereits im November 2004: “Neben den Medien Musik und Internet nutzen Rechtsextremisten schon seit einiger Zeit sportliche Aktivitäten, um Jugendliche anzusprechen und an sich zu binden. Dabei spielt der Fußball auf Grund der verbreiteten Beliebtheit eine besondere Rolle“.

Ob allerdings ohne das Weltfußball-Turnier im eigenen Land beispielsweise eine Meldung über Attacken auf einen dunkelhäutigen Fußballer (Wird die Fußball-Welt zu Gast bei Freunden sein?) ebenso die Öffentlichkeit erregt hätte, ist zumindest fraglich. Die Affinität von Hooligan- oder Ultra-Gruppierungen zum Rechtsextremismus – natürlich nicht generell verallgemeinernd und mit ebenso couragierten Ausnahmen – ist mehrfach national und international nachgewiesen worden.

Der NPD-Landesverband Sachsen kündigte bereits vor einiger Zeit “Aktionen zur Fußball-WM“ an. So wolle die NPD “vor allem die Fußballmannschaft des Iran zu ihrem am 21. Juni in Leipzig stattfindenden Spiel im Freistaat begrüßen“. Dabei wollen “die sächsischen Nationaldemokraten ein bewusstes Zeichen der Solidarität mit einem Volk setzen, das wohl in nicht allzu ferner Zukunft mit einem brutalen Militärschlag der USA und ihrer Verbündeten rechnen muss, weil es sich dem Diktat des angeblich ’freien Westens’ nicht unterordnen will“. In diesem Zusammenhang werden länderübergreifende judenfeindliche Kampagnen während der WM-Tage prognostiziert. Auf einer Demonstration der so genannten Freien Nationalisten um Christian Worch am 1. Mai 2006 in Leipzig wurde der kürzlich verstorbene Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, von Sascha Krolzig mit dem Nachruf “Über Tote nur Gutes – Gut, dass er tot ist!“ bedacht.

Darüber hinaus hat die NPD bereits Demonstrationen in mehreren WM-Spielorten und in Thüringen (Die neue braune Mitte im Schatten des Ettersberg) angemeldet. Besondere rechtsradikale Zuwendung soll dabei augenscheinlich das bereits erwähnte Leipziger Vorrunden-Spiel Iran gegen Angola erfahren. Hooligans und Rechtsextremisten aller Couleur (Neonazis entdecken WM) gehen offenbar davon aus, dass während der Weltmeisterschaftswochen die stark beanspruchte Polizei “ein geschwächter Gegner sein wird“, so jedenfalls die Einschätzung des Verfassungsschutzes. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist sich indes aller national und international getroffenen Vorkehrungen sicher: “Wer stören will, soll besser fern bleiben.“

[Dieser Artikel wurde am 8. Mai 2006 – bebildert – bei Telepolis veröffentlicht.]