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Blickfang Ultra lässt Saison 2011/12 Revue passieren

Vor rund einem guten Jahr hatte die erste Sonderausgabe dieser Art von Blickfang Ultra (BFU, Das Magazin der Szene) Premiere – und bot “in gewohnt hochwertiger Druckqualität ’einen einzigartigen und noch nie dagewesenen Rückblick auf die vergangene Saison’ aus der Sichtweise von 46 Ultra-Gruppierungen aus dem Bundesgebiet der Republik“.

Im nunmehr seit Mitte August 2012 vorliegenden Saisonheft 2011/12 werden von BFU in Zusammenarbeit mit wiederum zahlreichen bundesdeutschen Ultra-Gruppierungen Rückblicke auf die vergangene Spielszeit präsentiert – drucktechnisch hochqualitativ, im Heft selbst allerdings quantitativ sowie auch inhaltlich durchaus binnendifferenzierende Unterschiede aufweisend. Wirklich eindrucksvoll optisch garniert wird dieser Rückblick 2011/12 (“37 Gruppen auf 288 Seiten“) mit über 300 Fotos.

Aber da sind nicht nur Rückblicke. So ist bereits schon im Vorwort aus Sicht des Verfassers zu lesen –

“(…) Die Aussicht auf die gerade beginnende Spielzeit stimmt ja nun nicht gerade frohen Mutes. Ich will nicht ins allgemeine Wehklagen einstimmen, aber fürchte, dass es durchaus eine richtungsweisende Saison werden könnte. Aber eigentlich wissen wir das ja alle und ich denke jeder der dieses Heft liest, bekommt auch die aktuellen Entwicklungen und Tendenzen in ausreichender Form mit (…)“

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Nachdem im Vorjahr beim saisonalen Rückblick aus dem ostdeutschen Raum sieben Ultra-Gruppen zu Wort und Bild kamen, sind es diesjährlich acht. Auch Grund genug, aus den publizierten Statements gruppenalphabetisch auszugsweise, zugegeben hier und da durchaus provozierend zugespitzt, einiges ansatzweise zitierend darzustellen – und damit, vielleicht auch generell, ein wenig Lust zum ausführlicheren Weiterlesen der BFU-Print-Ausgabe zu implizieren.

* BLOCK U # 1. FC Magdeburg –

“(…) Krisenkind 1. FC Magdeburg – Ob wir Dich noch mal groß kriegen? (…)“

* ERFORDIA ULTRAS # FC Rot-Weiß Erfurt –

“(…) Wer schon einmal im Steigerwaldstadion war, kennt diesen Charme, aber auch die vorherrschende Akustik,. Die schlechte Heimspielstimmung aber allein darauf abzuwälzen, ist schlussendlich zu einfach (…) Generell kann man sagen, dass soziale Arbeit und Engagement in und um Erfurt mittlerweile ein fester Bestandteil in unserem Gruppenleben sind (…)“

* HORDA AZZURO # FC Carl Zeiss Jena –

“(…) Es gab in den vergangenen zwölf Monaten Tage und Wochen, da warst Du zweifellos stolz und wusstest, was es doch für ein unersetzlich geiler Haufen ist, in dem jeder und jede weiß, was zu tun ist. An anderen Tagen könnte man dagegen heulend zusammenbrechen und fragen, ob das verdammte Facebook, sinnlose Hobbies, rumgammeln, daraus resultierende fragwürdige Parallelstrukturen und Möchte-Gern-Gequatsche so wichtig sind auf dieser Welt (…)“

* RED KAOS 97 # FSV Zwickau –

“(…) Das Finden einer Linie ist schwieriger denn je und lässt die Frage ’Quo Vadis?’ Red Kaos noch immer unbeantwortet im Raum stehen (…)“

* SAALEFRONT ULTRAS # Hallescher FC –

“(…) Wo wir vor wenigen Jahren nur ungläubig den Kopf schütteln konnten, als andere Szenen von diversen Negativerfahrungen berichteten, erleben wir seit einem Jahr die volle Breitseite der Bullenmaschinerie (…)“

* ULTRAS CHEMNITZ 1999 # Chemnitzer FC –

“(…) Die Chemnitzer waren je nach Rechnungsweise das zweit- oder sogar reisefreudigste Häufchen in dieser 3. Liga. Knappe 660 Himmelblaue waren durchschnittlich unterwegs, um den CFC auswärts zu unterstützen (…) Allerdings krankt es wie bei so vielen anderen Szenen auch am Heimsupport, der nur selten den Bereich ’akzeptabel’ verlässt und wenn, dann eher nach unten (…) Allerdings muss man an dieser Stelle festhalten, dass auch die Jugendlichen in Chemnitz zur Zeit ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft darstellen. Klappt was nicht, wird’s weggeworfen und man macht was neues, statt einfach mal die Arschbacken zusammen zu kneifen und den schweren, aber machbaren Weg weiter zu gehen (…)“

* ULTRAS DYNAMO # SG Dynamo Dresden –

“(…) Egal ob im K-Block oder auf der Hornbachtribüne, der Zusammenhalt in Dresden zwischen allen Dynamofans ist hoch (…) Die einen wollten lieber heute als morgen die Fäuste entscheiden lassen, die anderen beriefen sich auf die Verantwortung der Gruppe den K-Block zu führen und nicht selbst Polizei zu spielen (…) Die einen wollten eine öffentliche Stellungnahme schreiben um die Gruppe zu schützen, die anderen hatten die Schnauze voll, sich ständig vor der Presse und ’Dummdeutschland’ zu rechtfertigen (…)“

* WUHLESYNDIKAT # 1. FC Union Berlin –

“(…) Zur Mentalitè Köpenick können wir als WS auch im Jahr 2012 noch festhalten, dass ein wesentlicher Bestandteil unserer Gruppe das gemeinsame Spaßhaben ist (…) Dennoch ist das Verhältnis zu nahezu allen wichtigen Leuten im Verein nach wie vor gut und beide Seiten schätzen die Arbeit des anderen (…) Kreativität und Ideen können nur entstehen, wenn man einen gewissen Freiraum hat und nicht, wenn man gezwungen ist, in der nächsten Woche die Welt neu zu erfinden, weil man in der AG XY ist (…) Aber diese Ossi-Spiele verlieren durch das übertriebene Vorgehen der Sicherheitsfanatiker von Jahr zu Jahr ihren großen Reiz (…)“

Darüber hinaus sind im BFU-Saisonheft 2011/12 noch 29 Gruppierungen der bundesdeutschen Ultra-Szene präsent.

“(…) Mal sehen, ob wir in einem Jahr einen erneuten Versuch wagen. An sich macht sowas ja wirklich nur Sinn, wenn der Großteil der ’größten’ Gruppen weiterhin an Bord ist. Ein Saisonrückblick nur mit ’vernünftigen’ Gruppen (wer entscheidet das und spielt Richter?), wie von einigen Nicht-Teilnehmern gewünscht, ist nicht unbedingt in unserem Sinne (…)“ [BFU-Rückblick 2011/12, Vorwort]

Das 2011/12’er Saisonresümee von Blickfang Ultra ist mit sechs Euro ausgepreist und beim Händler des jeweiligen Vertrauens derzeit durchaus noch erhältlich.

[Dieser Artikel wurde am 7. September 2012 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

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Keine Hansa-Fans bei St. Pauli? Wohin wegweisend?

Der Fußball-Zweitligist FC St. Pauli darf für das Heimspiel am kommenden 22. April gegen Hansa Rostock den Gäste-Fans keine Eintrittskarten zur Verfügung stellen. So hat das Verwaltungsgericht Hamburg am 2. April in einem Eilverfahren einen eingelegten bezüglichen Widerspruch des FC St. Pauli zurück gewiesen, “nachdem die Hamburger Polizei dem Klub untersagt hatte, 2.5000 Sitz- und Stehplatzkarten an Hansa abzugeben“.

In der Urteilsbegründung (Aktenzeichen 15 E 756/12) heißt es unter anderem –

“(…) Es ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es beim Aufeinandertreffen von Problemfangruppen beider Vereine anlässlich des Spiels am 22. April 2012 zu Ausschreitungen kommen wird (…)“, zumal die “(…) zusammengefassten Ereignisse anlässlich der letzten fünf Begegnungen der Mannschaften des Antragstellers und des FC Hansa Rostock mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten [lassen], dass es anlässlich des Spiels am 22. April 2012 erneut zu einer Mobilisierung von mehreren hundert Problemfans kommen wird, die sowohl Angehörige des jeweils rivalisierenden Fanlagers als auch die eingesetzten Polizeikräfte gewalttätig angreifen werden (…) Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es bei dem bevorstehenden Spiel ausnahmsweise zu einer deutlich geringeren Präsenz der Problemfangruppen kommen wird (…)“ [Verwaltungsgericht Hamburg]

Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird am 22. April 2012 auch Wetter sein – überall, irgendwo, auch in Hamburg. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird morgens die Sonne aufgehen und abends wieder unter. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden Menschen an diesem Tag morgens aufstehen, den Tag über unterwegs sein und den Abend irgendwo ausklingen lassen, wenn die Sonne untergegangen ist. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird dieser Tag einer unter vielen sein – oder?

“Es ist ein einschneidendes Urteil für den deutschen Fußball“, sagte Paulis Medienleiter Christian Bönig (express.de). “Der FC St. Pauli wird nun gegen dieses Urteil Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Hamburg einlegen“ (fcstpauli.com). “Bei diesem Sachverhalt, der ein Präzedenzfall im Deutschen Fußball bedeuten könnte, bat der F.C. Hansa Rostock mit seinem Rechtsbeistand den Deutschen Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga um Unterstützung bei der Vermittlung“. Darüber hinaus “wird der Plan des FC St. Pauli, gegen das Urteil Beschwerde einzulegen, begrüßt und erhält die volle Unterstützung des F.C. Hansa“ (fc-hansa.de).

“(…) Einfach Auswärtsfans verbieten? Soll dies die Lösung für die Zukunft sein? Eine Polizei, die sich einfach über die Köpfe der Vereine und des Verbandes hinwegsetzt? Aussperren, statt die Probleme an anderer Stelle anzugehen? Wo soll solch eine polizeiliche Verfügung hinführen? Zu einer Solidarität unter den Fans/Ultras? Ganz nach dem Motto: In den Farben getrennt – in der Sache vereint?! (…) Was ist in Zukunft noch zu erwarten? (…)“ (turus.net, 3. April 2012).

“War der Versuch des Berliner Polizeipräsidenten, generell allen Anhängern von Dynamo Dresden den Zutritt zum Regionalliga-Spiel bei Union Berlin zu untersagen, ein nur vorerst geplatzter Testballon für zukünftige Szenarien?“, wurde bereits schon vor fast genau vier Jahren in die jetzig scheinbar endgültig angebrochene Zukunft gefragt (Der Fußball-Fan als Persona non grata).

Derweil kursieren bereits in diversen Internet-Foren bislang nicht näher konkretisierte Vorschläge für eine eventuell gemeinsame Demonstration der Fan-Lager am 22. April 2012 in Hamburg. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird auch Wetter sein an diesem Tag – in Hamburg, irgendwo, überall …

[Dieser Artikel wurde am 3. April 2012 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Gesichtsscanner her? Stehplätze weg? – Da geht noch was in deutschen Stadien

An diesem zweiten Januar-Wochenende 2012 tagt in Berlin ein Kongress. Auf dem geht es unter anderem um die Rechte von Fans im alltäglichen Fußballbetrieb, ob nun in Liga oder im Pokal. Es ist ein so betitelter Fan-Kongress, der beispielsweise auch via Ticker bei schwatzgelb.de aktuell verfolgt werden kann.

Kurz vor diesem Wochenende trat im Januar 2012 Lorenz Caffier (CDU) seine Amtszeit als nunmehr fungierender Vorsitzender der Innenministerkonferenz (IMK) der Bundesrepublik Deutschland an. Sogleich – quasi als Einstand in der IMK – verkündigte Caffier vorerst scheinbar nur für seinen eigentlichen Amstsbereich Mecklenburg-Vorpommern postulierend “schärfere Einlasskontrollen mit modernster Technik bei Heimspielen des Zweitligisten Hansa Rostock“. Dabei wiederum will der amtierende IMK-Vorsitzende “Kameras mit Gesichtserkennungs-Software zum Einsatz bringen. Die Kameras sollen in den Eingangsbereichen des Stadions biometrische Daten von Gesichtern aufnehmen, die dann automatisch mit Bildern aus der Hooligan-Datei verglichen werden. Die Kameras sollen in Verbindung mit personifizierten Eintrittskarten zum Einsatz kommen. Gespräche mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz seien geplant“, so jedenfalls berichtete die Schweriner Volkszeitung.

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(Foto: pyrotechnik-legalisieren.de)

Für Stehplätze in bundesdeutschen Fußballstadien treten DFB und DFL angeblich weiterhin ein, obwohl auch da nach gewissen Medienberichten in den letzten Tagen die eine oder andere Möglichkeit halboffiziell erörtert worden sein soll, und zugleich auch wiederum dementiert wurde – vorerst jedenfalls. Allerdings scheinen die Innenminister der Bundesländer nach wie vor an einem Konzept zu arbeiten, das ein Verbot der Stehplätze in der Bundesliga zur Folge haben könnte, wenn Gewalt und das Abbrennen von Pyrotechnik in der Rückrunde nicht nachlassen. Die DFL wiederum will bislang die “heilige Kuh Stehplätze“ noch nicht anfassen, war bei welt.de zu lesen.

Offiziell monolog offen lag vor diesem zweiten Januar-Wochenende natürlich auch der Komplex Pyrotechnik – Schluss!, Aus!, Sense!, Finito! Wer dahingehend jemals etwas anderes vom DFB oder der DFL erwartet haben mag, möge sich melden – oder wische sich bitte endlich seine träumenden Äuglein aus. Für wen und was ist denn die vom DFB und der DFL bei tns-infratest beauftragte so genannte Pyro-Umfrage, mittlerweile fast schon bis zum Erbrechen unkritisch vom Mainstream herbeizitiert, so letztendlich eigentlich repräsentativ? – “Fans gegen Pyrotechnik? Was sagt die DFB-Umfrage wirklich aus?“(turus.net)

Veräppeln können wir uns auch selbst – aber nichtsdestotrotz und sowieso liegt Ostfussball.com garantiert nicht nur allein mit sich weiter träumend im Rasenbett der Fußball-Geschichte 2012, im Gegensatz zu anderen vielleicht.

[Dieser Artikel wurde am 14. Januar 2012 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Über Pyrotechnik weiter sprechen scheint kein Verbrechen

Ja – “DFB und DFL haben die Diskussion um Pyrotechnik für beendet erklärt. Sie beriefen sich dabei auf ein Rechtsgutachten, das das Verbot bestätigen soll. Laut der Initiative ’Pyrotechnik legalisieren’ besagt das Gutachten etwas anderes – von Täuschung ist die Rede“ (11freunde.de).

Ja – natürlich kommt es nachfolgend nun auf die Dialogbereitschaft der Gesprächspartner an. Und ja, natürlich ist der Terminus “Verbrechen“ hinsichtlich der Gesprächspartner – der Institutionen Deutscher Fußball-Bund (DFB) und Deutsche Fußball Liga (DFL) – mitnichten auch nur ansatzweise wertend oder gar abwertend vorverurteilend anzuwenden, schließlich griffen da sonst wohl strafrechtlich relevante Paragraphen. Moralische Paragraphen im gesellschaftlichen Miteinander eines vorab unterstellt als fair angenommen Dialogs sind ja eher theoretischer Natur. Letztendlich fügt sich allerdings das kleine Wortspiel in der Überschrift des Artikels mit den nicht erst seit gestern und nach wie vor in bundesdeutschen Fußball-Stadien skandierten Sprechchören “Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“.

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(Foto: pyrotechnik-legalisieren.de)

Ja – nachfolgend fordert nunmehr die Initiative zur Legalisierung von Pyrotechnik die Rückkehr des DFB und der DFL an die Verhandlungstische. In einem am 8. Dezember veröffentlichten Offenen Brief “verweisen die Fans auf ein Gutachten, wonach das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik unter bestimmten Voraussetzungen möglich sei. Die Dachverbände hatten dies am 2. November mit dem Verweis auf ein eigenes Gutachten abgelehnt und das Verbot von Pyrotechnik in den Stadien bestätigt“.

Ja – gleichzeitig werfen die Protagonisten der Initiative dem DFB und der DFL vor, “nicht nur uns, sondern auch die Vereine und die Öffentlichkeit erneut bewusst getäuscht“ zu haben. Und so wird von den Institutionen nunmehr unter anderem gefordert: “Wir erwarten eine ehrliche Aufarbeitung der Thematik unter Zuhilfenahme unserer Konzeption, die – wie wir nun durch zwei unabhängige Rechtsgutachten feststellen durften – rechtlich umsetzbar ist“ (newsticker.sueddeutsche.de).

Ja? – glaubt nach den Ereignissen in den letzten Wochen ernsthaft jemand, dass die “Lügenbarone im Alzheimer Hof“ (ultrafans.de) jemals Pyrotechnik legalisieren! Emotionen respektieren! würden? Glaubt jemand in der Fan-Szene wirklich noch an den gewissen Hauch eines quasi wahrlich gleichberechtigten Dialogs? Fragen über Fragen …

Ja – über Pyrotechnik in Fußball-Stadien und überhaupt miteinander sprechen zu wollen, ist kein Verbrechen. Es kommt eben nur manchmal auch auf den jeweiligen Gesprächspartner an. Ja – das liest sich theoretisch eigentlich ganz simpel, aber nur scheinbar.

[Dieser Artikel wurde am 9. Dezember 2011 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

Ultras: Rückblick voraus?

Vor bereits gut einem Monat veröffentlichte das Magazin Blickfang Ultra (BFU) in einer Sonderausgabe etwas so bislang noch nicht praktiziertes und präsentierte – in gewohnt hochwertiger Druckqualität – “einen einzigartigen und noch nie dagewesenen Rückblick auf die vergangene Saison“ aus der Sichtweise von 46 Ultra-Gruppierungen aus dem Bundesgebiet der Republik.

Umrahmt von zahlreichen Fotos bilanzieren die Gruppen auf insgesamt 276 Seiten in unterschiedlicher Quantität – und durchaus auch unterschiedlicher Qualität – ihre jeweilig spezifische Sicht zu Ereignissen und Entwicklungen im zurückliegenden Fußballjahr, zu Höhen und Tiefen, zu Gängelung und Repression; aber auch in Hoffnung auf Änderung der offenbar immer mehr um sich greifenden restriktiv unhaltbaren Zustände gegenüber des aktiven Fanbereiches.

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“Zustande gekommen sind ehrliche, selbstkritische, aber auch nachdenkliche und somit sehr interessante Texte“ (BFU), die letztendlich mehr als nur ein Spotlight auf und in die bundesdeutsche Fußballszene werfen. Gleichzeitig wird allerdings im Vorwort der gedruckten Ausgabe auch die Entstehungsgeschichte des Heftes ein klein wenig näher beleuchtet, die scheinbar von geprägten Abneigungen untereinander über generelle Verweigerung zur Mitarbeit bis hin zum unterstellten “Schwanzvergleich“ innerhalb eines solchen Projektes reichte. Derlei interne Querelen sind letztendlich aber dem vorliegenden Endprodukt nicht anzumerken, anzulasten ist jedenfalls die gefühlte Unvollständigkeit der Gruppen-Rückblicke den engagierten Machern des Heftes sowieso mitnichten.

Bei diesem saisonalen Rückblick kommen aus dem ostdeutschen Raum sieben Ultra-Gruppierungen zu Wort und Bild. Grund genug, auszugsweise einige deren hervorstechend dargestellten Statements gruppenalphabetisch widerzuspiegeln und gleichzeitig vielleicht auch ein wenig Lust zum ausführlicheren weiterlesen zu implizieren.

* Block U Magdeburg # 1. FC Magdeburg –

“Gepaart mit einem ’Discoverbot’ bis zum Saisonende schienen diese Ansagen zu wirken und am vorletzten Spieltag konnte der Klassenerhalt quasi sicher gemacht werden. Glückliches Ende einer selten miesen Saison! (…) Konflikte wie in anderen Städten sind bei uns undenkbar und werden nicht geduldet (…)“

* Erfordia Ultras # FC Rot-Weiß Erfurt –

“Plötzlich war jeder unbekannte Typ, der bei den Spielen im Block Platz suchte, seit Ewigkeiten ein glühender Anhänger und lebte den Ultragedanken Tag und Nacht (…) Das Dach sollte helfen, das Potential der Erfurter Fanschar unter Beweis zu stellen, doch der Kartenverkauf erfolgte über den Verein und so gesellte sich wieder Hinz und Kunz in den Stimmungskern und schmälerte das gewünschte Ziel merklich (…)“

* Horda Azzuro # FC Carl Zeiss Jena –

“Das Thema der Stadionverbote ist in Jena ungebrochen omnipräsent, auch weil wir als Gruppe nicht nachlassen, der Thematik immer und immer wieder eine zentrale Rolle in unserem Miteinander zukommen zu lassen. Allerdings entsteht durch die gesonderte und unheimlich solidarische Behandlung der Diffidati auch die Gefahr, dass der Zustand ’Stadionverbot’ für junge Ultras eine gewisse Anziehungskraft besitzt (…) Zu viel situationsbedingte und emotionale Kräfte spielten eine Rolle, als dass es Sinn macht, alles zu verteufeln oder im Gegenzug uneingeschränkt zu rechtfertigen. Fußball! (…) Die Thematik ’Massenkompatibilität vs. Kreativität’ beschäftigte uns in dieser Spielzeit ohnehin wieder häufig, wobei sich dies auch in den vergangenen Jahren lediglich in der Intensität anders darstellte. Fest steht, dass die Wahl nicht so einfach ist, da es nicht nur Schwarz und Weiß gibt und beide Vorgehensweisen auch keinesfalls immer den entsprechend erwarteten Erfolg mit sich bringen (…)“

* Red Kaos # FSV Zwickau –

“Es fällt uns auch jetzt noch schwer, das Geschehene in Worte zu verpacken, denn der Frust und die grenzenlose Enttäuschung sind immer noch nicht abgeklungen (…) Wenngleich wir selber nur darauf warteten, wann uns der Spagat zwischen Ultra und Verein das Genick brechen würde (…) Für Außenstehende wahrscheinlich schwer verständlich, haben wir eben über Jahre eine ganz besondere und vielleicht eigene Beziehung zum Spielgeschehen entwickelt, sodass oberflächig betrachtet der Eindruck entstehen könnte, wir singen stets völlig losgelöst von allen Ereignissen (…)“

* Saalefront Ultras # Hallescher FC –

“Die Saison 2010/11 stand von Anfang an unter keinem guten Stern und gehört rückblickend zum absoluten Tiefpunkt der Gruppe Saalefront und der Ultraszene Chemie Halle (…) Insgesamt gesehen war die Saison ein fast durchgängiger Tiefpunkt mit einigen kleinen Ausreißern nach oben. Das Verhältnis zwischen Vorstand und Ultras wird immer eisiger (…)“

* Ultras Chemnitz # Chemnitzer FC –

“Die Saison war geprägt von Euphorie, die man allerdings nicht wirklich nutzen konnte. Teilweise musste man zu viel Kleinkrieg untereinander ertragen, anstatt sich die Euphorie zu Nutze zu machen und einen geilen Auftritt auf’s Parkett zu legen (…) Alles wurde ausdiskutiert, statt einfach zu machen. Eine gewisse Portion Spontanität fehlt einfach zur Zeit und sorgt dafür, dass diverse Ideen eben doch nicht umgesetzt werden (…) Der Verlust einer weiteren Generation von potentiellen Ultras wäre für unsere Gruppe und die Szene fatal, das ist uns klar (…)“

* Ultras Dynamo # SG Dynamo Dresden –

“Intern durchlief die Gruppe eine Berg- und Talfahrt zwischen beinahem Zerfall der Gruppe und denkwürdiger Zehnjahresfeier (…) Klar geworden ist uns mittlerweile, dass es in Dresden nahezu unmöglich ist, eine 9.000-Personen-Tribüne zum dauerhaften Singen zu animieren. Das zu realisieren, war teils schmerzhaft und sorgte nachvollziehbar für Unmut (…) Um das medial geförderte Bild vom betrunkenen, partygeilen Idioten, für den jede Sicherheitsmaßnahme recht ist, zu bekämpfen und für eine bunte & freie Entfaltung der Fankurven zu protestieren, nahm die Dynamo-Szene ebenfalls an der Fandemo 2010 in Berlin teil. Wie bereits im BFU kommentiert, betrachten wir diese Demo als bedeutsamen und sehr konstruktiven Meilenstein in der deutschen Ultra-Bewegung (…)“

Der Vollständigkeit halber sei natürlich noch angemerkt, welche Gruppierungen der bundesdeutschen Ultra-Szene im BFU-Saisonheft 2010/11 darüber hinaus ebenfalls vertreten sind –

Boys Offenbach, Ultras Hannover, Brigade Nord 99, Commando Cannstatt, Frenetic Youth, Generation Luzifer, Kohorte Duisburg, Nordkaos Victoria Hamburg, Ultras Nürnberg, Ultraszene Mainz, Ultras Black Side, Ultras Darmstadt, Insane Ultra Trier, Karlsbande Ultras Aachen, Turnschuhcrew Siegen, Legio Augusta, Schickeria München, Ultras Essen, Horidos 1000 Fürth, Supporters Worms, Ultras Bochum, Ultras Regensburg, Weekend Brothers Wolfsburg, Commando Donnerschwee, Boys Saarbrücken, Ultra Kollektiv Lübeck, Wilde Jungs Freiburg, Amisia Ultra Meppen, Ultras Wuppertal, Wilde Horde Köln, Coloniacs, Ultras Krefeld, The Unity, Szene E Reutlingen, Ultras Mannheim, Violet Crew Osnabrück, Ultras Gelsenkirchen, Chosen Few Hamburg, Lokal Crew Bielefeld

Das 276-seitige Saisonheft 2010/11 von Blickfang Ultra ist mit fünf Euro ausgepreist und beim Händler des jeweiligen Vertrauens aktuell durchaus noch erhältlich.

[Dieser Artikel wurde am 18. August 2011 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]

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