Schlagwort-Archive: Sachsen

Biedenkopf gibt Kurt die Hand

Die Zeit ist ein ständiger Fluss. Verschiedenes ändert sich, einiges bleibt gleich. Im Blick auf den Zeitfluss mag mancher zuweilen manches weitestgehend gleichsetzen. Übergreifend. Gewissermaßen nach dem historischen Prinzip einer Querfront. Sinnbildlich. Populistisch?

Populär statt populistisch dünkte Kurt Biedenkopf nicht wenigen in seiner politischen Blütezeit als sächsischer ’Landesvater’. “Das System Biedenkopf“ schien öffentlich eher unpopulär ob einer genaueren Beleuchtung. Im Jahr 2002 bei edition ost publiziert, warf das Werk von Michael Bartsch als Report allerdings mehr als ein erhellendes Licht. “Der Hof-Staat Sachsen und seine braven Untertanen. Oder: Wie in Sachsen die Demokratie auf den Hund kam“ (Buch-Teaser). Lesen kann bilden. Auch heute noch.

Nun, im Zeitfluss geht es nach wie vor um Demokratie. Weniger oder mehr. Und einiges scheint unverändert. Unverrückbar. Fast wie tausendjährig.

Kaum, dass die letztaktuellen Biedenkopf’schen Thesen zur ostdeutschen Immunität gegen rechtsextremes Gedankengut verraucht scheinen, wird wiederum Feuer entfacht. Verbal. Von Sachsens Alt-Landesväterchen. Kann doch so betitelt werden? Obwohl so eine Titulierung ja irgendwie verniedlicht. Und verniedlichen will im demokratischen Diskurs wohl kaum jemand.

“Die Pegida-Demonstrationen sind Ausübung eines ganz entscheidenden demokratischen Grundrechts, nämlich demonstrieren zu dürfen“, referierte Kurt Biedenkopf am 29. Dezember in einem Interview bei Deutschlandradio Kultur seine Sicht der Dinge. Unverrückbar? Grundrechte. Demokratie. Gut. Doch der analytische Blick vom Biedenkopf Kurt endet nicht profan am rechten Rand der jüngeren Geschichte.

“Ich möchte unter keinen Umständen, dass die Pegida-Demonstrationen mit der Statistik von der ’Zeit’ [Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte] in Zusammenhang gebracht wird. Das ist unzulässig.“

Es ist schon ein Kreuz mit den demokratischen Grundrechten. Und manchmal eben ein brennendes. Könnte unzulässig versimplifiziert werden. Wobei Biedenkopf gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich macht, “wenn Leute ein Haus anzünden, ist das keine politische Erklärung, sondern ein Verbrechen. Dass wir das sofort der politischen Entwicklung des Landes zurechnen, halte ich für fragwürdig“.

Unethisch meinungsbildet wiederum natürlich kein Ex-Landesväterchen, ein ostdeutschsächsisches schon gar nicht. Denn “es gibt genug Gründe in Ostdeutschland, nicht nur in Sachsen, sondern in Ostdeutschland, warum die Bevölkerung über diesen starken Flüchtlingszustrom beunruhigt ist“, greift Kurt Biedenkopf offenbar das Motto Sachsen den sächsischen Indianern auf und verfeinert es sogleich zielgerichtet, denn “wir müssen mit den Menschen, die so verunsichert sind, Friedensgespräche, Gespräche führen“. Sinnbildlich?

Nun ja, den Gesprächseinwurf der Interviewerin, Liane von Billerbeck, sie wäre “auch Ostdeutsche“ und “nicht verunsichert“, wischt Biedenkopf hinweg, dann sei von Billerbeck eben “eine glückliche Ausnahme“. Und außerdem, “ich glaube nicht, dass wir weiterkommen, wenn wir das immer auf diese Gleise schieben“, so im Weiteren die Biedenkopf’sche Ansage. Mit aller gebotenen Deutlichkeit.

Und nichts liegt dem sächsischen Alt-Landesvater ferner als Undeutlichkeit. Schon in früheren Jahren beschrieb er konkret seine Beobachtungen des politischen Zeitgeschehens. Aufmerksam. Analysierend. Fundiert. Unvergessen.

“In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch niemand umgekommen … Und die sächsische Bevölkerung hat sich als völlig immun erwiesen gegenüber rechtsradikalen Versuchungen. In Sachsen gibt es keinen Grund, auf der Grundlage des Wahlverhaltens der Bevölkerung von einer Gefahr von rechts zu reden“ (Kurt Biedenkopf, November 2000).

Dem Fluss der Zeitgeschichte folgend, stellte Deutschlandradio Kultur den CDU-Politiker aktuell als heute in Bayern lebend, “dem Land Sachsen aber weiterhin stark verbunden“, vor.

“Die Sachsen haben eine Innovation gehabt, eine politische Innovation, nämlich eine politische Gruppierung, die keine Partei ist, die sich aber in Anlehnung an frühere Protesterscheinungen in der Zeit vor der Wiedervereinigung an diese Erscheinungen anlehnen und aufmerksam machen wollen“ (Kurt Biedenkopf, Interview, ZDF heute journal, 13. Oktober 2015).

“Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran“ (in memoriam Fehlfarben). Frei nach Hermann L. Gremliza ist in diesem Land nichts unmöglich.

Lodernde Mülltonnen. Brennende Flüchtlingsheime. Deutliche Worte.

Leipzig, 12. Dezember 2015 – da war was. Deutschbundesweit – war da was? Nicht erst vorvorgestern. Vorgestern. Gestern. Heute? Morgen? Übermorgen?

Die täglichen Botschaften lassen an Deutlichkeit kaum Interpretationsspielraum? Dann bleibt das jetzt einfach mal so stehen. Meinungsfreiheitlich. In wehrhafter Demokratie. Unnachgiebig. Rechtsstaatlich. Irgendwie.

“… Hier steht uns eine Gruppe gegenüber, die diesen Staat abschaffen will …“ (Burkhard Jung, Oberbürgermeister Leipzig, Leipziger Volkszeitung, 14. Dezember).

“… Die Sicherheitskräfte werden weiterhin konsequent und mit aller Härte gegen diese Staatsfeinde vorgehen …“ (Markus Ulbig, Sächsischer Staatsminister des Innern, mopo24.de, 13. Dezember).

“… Ob brennende Asylunterkünfte oder brennende Straßen – das macht keinen Unterschied …“ (Alexander Bischoff, ’Meine Meinung’, Dresdner Morgenpost, 14. Dezember).

twitter_Mario_mit_der_Blume_14_12_15_1506
(“Bilder sagen mehr als 1000-Worte.“, @44Philipp44, Twitter, 14. Dezember – Screenshot: O.M.)

“… Ich halte wenig davon, sich jetzt gegenseitig irgendwelche Vorwürfe zu machen – zumal sie nicht zutreffend sind …“ (Gordian Meyer-Plath, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen, Leipziger Volkszeitung, 14. Dezember).

“… Das, was sich hier im Untergrund organisiert, systemfeindlich und kriminell gewalttätig agiert, das muss durch den Staatsschutz beobachtet werden, und da braucht man Erkenntnisse. Da muss man mit den rechtsstaatlichen Mitteln, die uns gegeben sind, mit aller Härte vorgehen …“ (Burkhard Jung, Oberbürgermeister Leipzig, n24.de, 14. Dezember).

Unzulässig verkürzt zitiert? Aus dem Zusammenhang gerissen? Welche Zusammenhänge?

MedienScreen # 65 [Sächsischer Schabowski]

[Fundstück] Thilo Alexe, Kolumne “Sächsisch betrachtet“, Sächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 12. Dezember 2015 –

(…) SPD-Chef Martin Dulig gilt gemeinhin als recht sympathischer Kerl, der trotz seiner steilen Karriere ein netter Typ geblieben ist. Dass er als stellvertretender Ministerpräsident allerdings auch in den weltpolitischen Modus schlüpfen kann, hat er neulich humorvoll bewiesen – überraschenderweise bei der Vorstellung einer spaßarmen Straßenbaurichtlinie. Ein Journalist fragte, wann sie denn in Kraft trete. Dulig raschelte in seinem Papierstoß und nuschelte parodierend. “Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort unverzüglich.“ So wie einst Günter Schabowski. Eine Mauer ist danach allerdings nicht umgefallen (…)

Günter Schabowski, Pressekonferenz, 9. November 1989 –

MedienScreen # 62 [Pervitin 2.0]

[Fundstück] Svenna Triebler, “Vom Führer empfohlen“, konkret, 12/2015 –

(…) Crystal Meth wiederum macht größenwahnsinnig, paranoid und gewalttätig. Man braucht nicht zu spekulieren, welcher Menschenschlag sich von letzterem angesprochen fühlt, der Europäische Drogenbericht 2015 liefert harte Fakten. Unter 42 Großstädten, deren Abwässer auf Rückstände verschiedener Rauschmittel untersucht wurden, belegt Dresden (gemeinsam mit Oslo) den Spitzenplatz im Konsum der Droge. Und, ei verbibbsch, der höchste Wert wird regelmäßig dienstags gemessen, wenn in der Kläranlage ankommt, was am Pegida-Montag so im sächsischen Volkskörper zirkuliert.

Man kann Crystal Meth also getrost als Nazi-Droge bezeichnen, und das nicht nur wegen seiner Wirkungen und Konsumenten. Gerade in Sachsen verdienen Neonazis durch ihre Verbindungen zur organisierten Kriminalität auch selbst am Handel – in einem Bundesland, in dem Polizeibeamte schon mal interne Informationen an Mitglieder rechter Rockergangs durchstecken, scheint auch der Verfolgungsdruck nicht allzugroß zu sein.

Gemessen an ihrem historischen Vorbild sind die Nazis von heute allerdings Kleindealer (…)

Sprache entlarvt?

Lautstark. Oh? Bürger-Protest. Ahja. Nur keine Aufregung. So scheint die Morgenpost am Sonntag mit ihrer Titelseite vom Tage beinahe beruhigend zu wirken. Ein bisschen. Gewollt?

mopo_11_10_15
(Faksimile: O.M.)

“Besorgte Bürger“ dann im Innenteil der Sonntagszeitung. “Aber auch erkennbar Rechtsradikale.“ Vier Seiten “Akte Pegida“. Verkürzend resümiert in der Rubrik “Wohin hat PEGIDA uns gebracht?“: “(…) 1,7 Prozent weniger Besucher kamen nach Dresden. Die Übernachtungen gingen um 3,2 Prozent zurück. Hoteliers berichten, dass Reisende konkret wegen PEGIDA absagen würden.“ Vielleicht zu stark verkürzt? Ja. Aber es beruhigt. Oder auch nicht.

“Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag. (…) die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen“ (Victor Klemperer).

Diesem Zitat aus “LTI – Notizbuchbuch eines Philologen“ folgend, reflektiert Anna-Maria Schielicke aktuell Pegida im Spiegel ihrer Sprache (sehnsuchtsort.de, 6. Oktober 2015).

“(…) Sämtliche Parteien von links bis rechts, von Landtag bis Stadtrat lassen sich gerade ohne Gegenwehr den gesamten Diskurs aus der Hand nehmen. Sie lassen die Straße sprechen, unkommentiert und ungestraft, und sie lassen die Straße handeln (…)“

Lautstarker Bürger-Protest? Oder rational befreite mitteldeutsch sächsische Zone? Und Dresden, Perle der Willkommenskultur? Fragen?