Schlagwort-Archive: Rechtsextremismus

MedienScreen # 230 [Döner Heroes]

[Fundstück] Ferda Ataman, “Donnerstag muss Dönerstag werden“, SPIEGEL ONLINE, 17. Oktober 2019 –

(…) Dönerbetreiber sind wirklich mutige Menschen. Egal wie abgelegen das Dorf ist, egal wie viele Glatzen rummarschieren, immer findet sich ein tapferer Dönerci, der sich vor Ort niederlässt. National befreite Zone? Ideal für den Dönerabsatz! Deutschland ist flächendeckend von Kebapbuden besiedelt und wäre ohne sie aufgeschmissen. In vielen Gegenden sind sie die einzigen Läden, die nachts noch offen haben und das Volk versorgen. Nichtnüchterne, nichtpazifistische Kunden gehören dabei leider zum Alltag (…)

(…) auch ohne amtliche Statistik wissen anatolische Imbissbetreiber um die Gefahr ihrer Arbeit. Woher nehmen sie bloß den Mut, in abgelegenen Orten Kebap zu verkaufen?

Vermutlich verlassen sie sich auf einen unausgesprochenen Kodex zwischen Döner-Dealern und Neonazis: Letztere hassen zwar Türken, lieben aber – wie alle Deutschen – Döner. Sie wissen: Wer Kebap will, muss McMustafa am Leben lassen. Das Dilemma am Nazi-Döner-Kodex ist, dass sich viele Möchtegern-Arier für ihren Verrat schämen, während sie die orientalische Verführung schlemmen. Weil sie insgeheim fürchten, dass der Imbissbetreiber ein Vorbote der Umvolkung ist: Erst kommt einer, der Fleisch vom Spieß säbelt, dann kommen Tausende mit Säbeln und rücken nicht nur der Bratwurst auf die Pelle.

So gesehen ist der Döner ein Lackmustest der deutschen Demokratie. Wer ihn isst, ohne sich zu schämen oder um sich zu ballern, ist angekommen in der Moderne (…)

(…) Wer aber in eine Dönerbude stürmt, um Kanaken zu terrorisieren, hat eine Sache nicht kapiert: Da sitzen meist gar keine Anatolier. Da essen Deutsche (…)

“Döner Kebap“ ist türkisch und heißt so viel wie “drehender Spießbraten“. So wie wir ihn kennen – mit Grünzeug, Kraut und rotweißen Soßen – wurde er in den Siebzigerjahren in Berlin erfunden. Echte Türken essen den Spießbraten ganz anders. Döner ist also ein deutsches Nationalgericht. In Anbetracht des enormen Kebapkonsums (…) kann man sogar sagen: Er ist ein Stück deutsche Leitkultur (…)

Damit Döneressen künftig nicht zur Mutprobe wird, schlage ich Folgendes vor: Bis die Bundesregierung einen umfassenden Masterplan gegen Rechtsextremismus vorlegt, könnten wir einen neuen Protest-Tag in der Woche einführen. Da Montag und Freitag schon vergeben sind, plädiere ich für Donnerstag, den Dönerstag für Diversität. Einmal die Woche sollen alle Menschen, die für eine offene Gesellschaft sind, symbolisch einen Döner essen. Wer auf Fleisch verzichtet, nimmt Dürüm mit Feta oder gebratenes Gemüse. Natürlich gelten auch Falafel, Schawarma und Gyros. Es geht ja ums Symbol.

MedienScreen # 229 [Only Halle/Saale?]

[Fundstück] Jens-Uwe Sommerschuh, “Die Saat der Gewalt – Ein Mensch tötet aus Hass. Dieser Hass wird derzeit von manchen bewusst geschürt“, Sächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 12. Oktober 2019 –

Sagt dieser Tage jemand “Halle“, wissen alle Bescheid (…)

(…) Die Rede ist von der Wirklichkeit, von eiskaltem Mord auf offener Straße, von realen Untaten am hellerlichten Tage in einer deutschen Großstadt, von einem gezielt vorgehenden Neonazi, einem Mörder. Die beiden Menschen, die er getötet hat und an deren Stelle jeder von uns hätte sein können, waren für ihn Beiwerk. Sie kamen am Rande eines geplanten Massenmordes um, der nur durch Zufall ausblieb (…)

Hier gelangen wir zum Kern des Ungeheuerlichen. Ein eher unauffälliger 27-Jähriger, im vereinten Deutschland geboren, hat sich mit einem ganzen Arsenal auf den Weg gemacht, um Juden umzubringen. Er hat dabei, als wäre er auf einer Mission, durch und durch fanatische Dinge von sich gegeben (…)

(…) Er hat Worte verwendet, die seit Monaten immer wieder zu hören sind. Die Formulierungen wechseln, der zynische Geist ist derselbe (…)

(…) Bei [Lutz] Bachmann kommt das besonders primitiv daher, aber er steht damit nicht allein. Auch Leute vom “Flügel“ der AfD verwenden bewusst Begriffe, mit denen sie bestimmte Menschen zur Zielscheibe machen. Und sie docken gern an nationalsozialistische Metaphern an. Wenn Björn Höcke sagt: “Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss, heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, liebe Freunde, meine hier, wir entscheiden uns in dieser Frage: Wolf“, weiß er wohl, was Goebbels geschrieben hat: “Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!“

Keiner dieser Redner hat in Halle einen Schuss abgegeben. Aber an dem Hass und der tödlichen Menschenverachtung, die sich dort offenbart haben, wirken sie mit. Tag für Tag (…)

MedienScreen # 227 [Blaues Sachsen? Es volkte? Ach ja …]

[Fundstück] Jens-Uwe Sommerschuh, “Bunte Leitplanken – Sachsen hat ein Verkehrsproblem. Hier denken manche, rechts zu überholen sei möglich. Ist es nicht“, Sächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 7. September 2019 –

(…) Wie auch immer Sachsens neue Koalition aussehen wird, man hat gut zu tun. Wenn berechtigter Ärger über Kleinigkeiten sich zu selbstgerechter Wut auftürmt, trübt sich rasch der Blick dafür, dass es den meisten hier ziemlich gut geht. Aber eben nicht allen. Nicht jeder hat zwei Autos in der Garage. Und es gibt Männer, die haben nicht mal eine Frau. Viele behaupten: “Die besten Frauen sind nach der Wende weggegangen. Lockruf des Westens.“

Das stimmt so nicht. Manche Männer kriegen nur deshalb keine Frau, weil pfiffige Frauen wählerisch sind. Da bleiben Wünsche offen. Frustrierte Männer mittleren Alters mit ständig Schaum vorm Mund und insbesondere jene, die damals krank waren, als in der Schule “Blut und Boden“ behandelt wurde, und die daher gar nicht wissen können, wer Juden vergast und einen Weltkrieg angefangen hat, suchen ihr Heil ganz rechts, da wo nicht mal der Daumen links ist.

Denen muss geholfen werden. “Rechts“ ist im Rechtsstaat schon die Fahrspur am äußersten Rand, und wer noch weiter nach rechts abkommt, der endet im Graben, im Extremfall im Schützengraben, was einigen nicht klar zu sein scheint (…)

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Sachsen hat gewählt: Ab 1. September wird …

… zurück geschossen? Lediglich verbal. Natürlich. Ja. Vorerst. Was sonst?

Einst in Sachsen-Anhalt hieß es “Oppa, hol’ die Flaggen vom Boden …“ Ist ja bundeslandlich nur ein kleiner politischgeografischer Sprung. Auch nach Brandenburg gleich rechts nebenan und dabei.

(Twitter, 30. August 2019 – Screenshot: O.M.)

Und Sachsen. Heimat?

In diesem Bundesland waren besagte Flaggen wohl weniger oder mehr nie so richtig nur auf dem Oberboden oder im Keller versteckt, sächsischdeutschnational besonders öffentlich einprägsam. Wie allerdings – mit leicht anderem Akzent – anderswo bundesrepublikanisch ebenso.

Ich war mir so sicher und mein Freund, du warst es auch,
dass der Geist von damals nie wiederkehrt.
Wir lagen falsch, mein Freund, wir waren zu dumm.
Ein faules Volk wie dieses hat sich noch nie gewehrt …

(“Tanzt du noch einmal mit mir?“, Broilers, 2014).

Kurz vor 18 Uhr am 1. September 2019 setzte übrigens leichter Regen ein, durchaus wahrnehmbar für jene, die – wo auch immer – auf ihre Heimat schauten.

Was bleibt? Was kommt?

(Screenshot: O.M.)

Die Menschen hatten ihre Wahl …

(Die PARTEI Dresden @ Twitter, 17. August 2019 – Faksimile: O.M.)

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MedienScreen # 225 [Nazi History X. Don’t Speak. Part Seven.]

[Fundstück] Philipp Ruch, interviewt in DER SPIEGEL, 24. August 2019 –

Es macht durchaus Sinn, zwischen Konservativen und Nazis zu unterscheiden. Erstere sind stets dafür verantwortlich, Letztere an die Macht zu bringen.

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