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Nazis in Dresden: Keinen Meter gelaufen

Dresden. Es sollte die größte europäische Neonazi-Demonstration werden, doch der rechtsextreme “Trauermarsch“ in Dresden kam nicht von der Stelle. Das jährliche Rechtsaußen-Spektakel musste sich auf eine Standkundgebung vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt beschränken. Zudem waren deutlich weniger Rechtsextreme als zuletzt befürchtet in die sächsische Landeshauptstadt gekommen. Gegen deren Propagandaaktion wehrten sich weit über 10.000 Bürger und Nazigegner.

Die rechtsextreme Demonstration sollte um 12 Uhr beginnen. Doch am Mittag waren gerade ein paar Hunderte am Neustädter Bahnhof eingetroffen, darunter NPD-Chef Udo Voigt, der Parteibarde Frank Rennicke und der DVU-Vorsitzende Matthias Faust. Erst zwei Tage zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die Rechtsextremen in Dresden demonstrieren dürfen. Ausgerechnet vor dem Bahnhof wollten sie sich versammeln, von dem aus während der Herrschaft des Nationalsozialismus Juden deportiert wurden. Dort hatten die Nazis im Oktober 1938 vor aller Augen über 700 Dresdner Juden nach Polen abgeschoben. Zwischen 1942 und 1944 war der Güterbahnhof Ausgangspunkt oder Zwischenstation für zahlreiche Deportationen in die Ghettos Riga und Theresienstadt sowie in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Gegendemonstrationen waren am diesjährigen 13. Februar eigentlich nur jenseits der Elbe in der Altstadt erlaubt, in der Dresdner Neustadt waren sie nicht zugelassen. Dennoch versammelten sich Tausende dort, wo die Neonazis sich treffen wollten. Nach Angaben von Aktivisten hatten sich trotz Demonstrationsverbot an mindestens vier verschiedenen Orten um die 10.000 Menschen zusammengefunden, um den Neonazi-Aufmarsch zu blockieren. Polizei und Nachrichtenagenturen gaben sich zurückhaltender und sprachen von etwa 2.000 Blockierern, die den Aufrufen von linksgerichteten Organisationen und Bündnissen gefolgt waren.

Menschenkette in der Altstadt

In der Altstadt hatten sich Bürger aus verschiedenen politischen Richtungen versammelt. Erstmals sprach mit Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) eine hochrangige Vertreterin der Stadt zu Anti-Nazi-Demonstranten und selbst Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nahm an der Kundgebung teil. Später wurde eine Menschenkette als geschlossener Ring um die Altstadt gebildet, zu der sich erheblich mehr Teilnehmer fanden als erwartet. Zehntausend bildeten die Kette, hieß es von der Stadt; die Sächsische Zeitung berichtete sogar von 15.000.

Während dessen marschierten die Nazis in der Neustadt keinen Meter weit. Bis zum späteren Nachmittag waren es wohl an die 5.000, die der Monate langen Propaganda von rechtsextremen Parteien und Gruppen aller Schattierungen Folge geleistet hatten beziehungsweise zum Aufmarschort durchgekommen waren. Die Polizeidirektion Dresden bezifferte die Stand-Demonstrierer auf 6.400 Personen. Eigentlich war für diesen Tag bis zuletzt mit 8.000 Rechtsextremen gerechnet worden.

Die Blockaden der Nazigegner in der Neustadt hielten offenbar. Die Polizei hatte zunächst vereinzelt versucht, Sitzblockaden aufzulösen. Doch schon bald gestand Einsatzleiter Ludwig-Gerhard Danzl ein: “Die Polizei sieht sich außerstande, die Blockade zu räumen“. Nach Beendigung der Menschenkette in der Altstadt kamen noch viele von dort in die Neustadt und verstärkten die Blockaden. Zeitweilig schränkte die Polizei ohne ersichtlichen Grund die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten am Schlesischen Platz ein, mit der einzigen Erklärung: “Das ist jetzt eben mal so“.

Kein Marsch in der Neustadt

Den Neonazis blieb nichts anderes übrig, als vor dem Bahnhof Dresden-Neustadt zu verharren und dort eine Standkundgebung abzuhalten. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass sie keinen Meter ihrer vorgesehenen Demonstrationsroute laufen würden. Aber auch die Standkundgebung begann eigentlich nie so richtig, weil erheblich verspätet immer noch Demo-Teilnehmer eintrafen. Eine Gruppe von rund 100 Rechtsextremen beispielsweise erreichte den Versammlungsort quasi kurz vor Beendigung der Veranstaltung. Die bis dahin gehaltenen, fast endlos scheinenden Redebeiträge sowie die Sangesdarbietungen von Frank Rennicke waren ob der Akustik und zudem fast ständig über dem Platz kreisender Hubschrauber kaum weiter als bis zum inneren Rand des Schlesischen Platzes vernehmbar. Da ging es aber eigentlich auch schon nur noch darum, die rechte Menge ohne größere Zwischenfälle zurück zu ihren weiteren Abreisemöglichkeiten zu bringen.

Bereits früher am Nachmittag hatte offenbar eine Gruppe von Neonazis in der Neustadt das alternative Kulturzentrum Conni angegriffen; dabei soll es mehrere Verletzte gegeben haben. Auf rechtsextremen Internetseiten war vorab kaum verbrämt zur Gewalt gegen das Zentrum aufgerufen worden: “Kleiner Tipp an Dresdner: Das Conni liegt cirka 300 Meter rechts von der Hechtstraße, parallel in der Rudolf-Leonhard-Straße“, war durchgegeben worden.

Wurfgeschosse und Todes-Gerüchte

Gegen 16.30 Uhr wurden die Rechtsextremen auf dem Schlesischen Platz zunehmend aggressiver. Aus der Menge heraus flogen vereinzelt Wurfgeschosse und Böller in Richtung Polizei und Journalisten. Nach Angaben erlitten dabei sechs Polizei-Beamte leichte Verletzungen. Skandiert wurde unter anderem “Wir wollen marschieren“, “Straße frei für die deutsche Jugend“ und “Wir sind das Volk“. Es gab kurzzeitig einige Rangeleien der vorderen Reihen der Demo-Teilnehmer mit der Polizei. Über die Lautsprecher-Anlage wurde die Bundesrepublik Deutschland als “faschistisches System, wie es uns in der Schule gelehrt wurde“ tituliert, anwesende Polizeibeamte zum Wechseln auf die “richtige Seite“ aufgefordert. Das Absingen aller Strophen der deutschen Nationalhymne war eher kläglich. Die Lautsprecher-Verlautbarung der Demo-Leitung – mit dem gleichzeitigen Beschwichtigungsversuch “Bleibt ruhig!“ – es habe im Umfeld der Blockaden neben mehreren schwerverletzten Kameraden vielleicht “sogar durch die Polizei zu bestätigende zwei Tote“ gegeben, reihte sich nahtlos an.

Die Veranstalter des Nazi-Spektakels wollten eigentlich bis Mitternacht demonstrieren, doch die Veranstaltungsbehörde hatte den “Trauermarsch“ bis 17 Uhr begrenzt. Zu diesem Zeitpunkt erklärte die Polizei über Lautsprecher die Versammlung als beendet. Die Rechtsextremen aus ganz Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern wurden aufgefordert, in Züge zu steigen. Laut Polizei bestand für die Rechtsextremen “zur eigenen Sicherheit“ die einzig mögliche Fortbewegungsmöglichkeit per Bahn nach Dresden-Klotzsche, wo ein Großteil der Busse zur weiteren Abfahrt bereit gestellt wurde. Erfahrungsgemäß war während der Abreisebewegungen der Rechtsextremen noch mit verschiedenen Spontan-Aktionen zu rechnen. Tatsächlich wurde am Abend beispielsweise noch berichtet, dass mehrere Hunderte Rechtsextreme durch Pirna gezogen seien und das dortige Bürgerbüro der SPD-Landtagsabgeordneten Dagmar Neukirch militant attackiert hätten.

Nicht weit vom Versammlungsort der Rechtsextremen hatten die meisten Blockierer auch auf dem Albertplatz ausgeharrt. Dort begann gegen 18 Uhr eine Abschlusskundgebung, mit der die erfolgreiche Verhinderung des Neonazi-Marsches gefeiert wurde.

Erstmals ist es 2010 gelungen, den jährlichen Marsch der Rechtsextremen durch die sächsische Landeshauptstadt letztendlich so zu blockieren, dass er nicht einmal auch nur ansatzweise möglich wurde. Und erstmals seit Jahren hat die Zahl der sich zum 13. Februar in Dresden versammelnden rechtsextremen Demonstranten abgenommen.

[Letzte Bearbeitung: 23:55 Uhr]

[Dieser Artikel (Albrecht Kolthoff/Olaf Meyer) wurde am 13. Februar 2010 bei redok veröffentlicht.]

Razzia beim Abgeordneten: SS-Motto verbreitet

Dresden/Zwickau. Ermittler durchsuchten heute im Auftrag der Staatsanwaltschaft Zwickau das Abgeordnetenbüro, das Bürgerbüro und die Wohnung des sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Peter Klose. Ihm drohen nun der Verlust seiner parlamentarischen Immunität und ein Strafverfahren.

Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, wurde gegen Peter Klose ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet. Hintergrund für die Ermittlungen sind laut Agenturberichten Einträge auf der Internetpräsenz des NPD-Kreisverbandes Zwickau, für die Klose als Kreisvorsitzender verantwortlich zeichnet. Besonders im Fokus der Staatsanwaltschaft stehen laut ddp ein Bericht und ein Foto über eine unangemeldete Demonstration der regionalen NPD-Jugend im November 2007, auf dem ein Transparent mit der SS-Losung “Unsere Ehre heißt Treue“ zu sehen gewesen sein soll.

Bei dieser Demonstration handelte es sich offenbar um eine von der NPD organisierte Kranzniederlegung auf dem Friedhof in Zwickau-Planitz am 25. November 2007 aus Anlass des eine Woche davor stattgefundenen Volkstrauertages. Nach Recherchen von redok erschien die SS-Losung jedoch nicht auf einem abgebildeten Transparent, sondern im laufenden Text der NPD-Webseite. Dort war das SS-Motto einem namenlosen “Herrn gehobenen Alters“ zugeschrieben worden, der dem NPD-Personal damit “Kraft für die Zukunft“ gegeben habe. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung stand der betreffende Text immer noch auf der NPD-Webseite.

(SS-Motto auf NPD-Webseite: Peter Klose droht Strafverfahren – Screenshot: redok)

Abgeordneter im sächsischen Landtag ist Klose erst seit Dezember 2006, als er für Matthias Paul ins Parlament nachrückte. Bestandteil seiner deutlich überschaubaren politischen Vita ist beispielsweise ein Freispruch vom Vorwurf der Volksverhetzung durch das Amtsgericht Zwickau vor gut sechs Jahren.

An der vormaligen Einschätzung, Klose habe “außer durch die Betreuung der Webseiten der NPD Zwickau nur selten auf sich aufmerksam gemacht“ (redok), ist bislang kaum etwas zu ergänzen – höchstens durch die von ihm mehr als weniger verwendete “Vulgärsprache“ (NiP Sachsen) sowie sein doch zuweilen öffentlich herausragendes “Fachwissen à la NPD“ (telepolis).

In den Blickpunkt geriet er zeitweise, als er im Mai 2007 sein Bürgerbüro in Zwickau eröffnete: Der heute von Ermittlern durchsuchte angemietete Büroraum gehört ausgerechnet der ehemaligen Beraterin von Altbundeskanzler Helmut Kohl und Bundesverdienstkreuz-Trägerin Gertrud Höhler. Mitarbeiter in Kloses Bürgerbüro und Autor von Artikeln auf der Webseite der Zwickauer NPD ist Christian Bärthel, der im Oktober 2007 wegen der Leugnung des Holocaust zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und sich mit Vorliebe im Umfeld der “Reichsbürger“ um Horst Mahler und Sylvia Stolz bewegt.

Der Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen) sagte heute, es sei “nur eine Frage der Zeit, bis die NPD wie im Fall Menzel versuchen muss, erneut Ballast abzuwerfen“. Die NPD wisse offenbar genau, “warum sie Klose bisher weder im Landtag reden noch sich per Pressemitteilung äußern ließ“. Die sächsische NPD sprach von einem Vorgehen “bar jeder Verhältnismäßigkeit“.

Trotz seiner politisch unbedeutenden Rolle kommt dem Abgeordneten Klose für die NPD eine besondere Bedeutung zu. Sollte er, aus welchen Gründen auch immer, die NPD-Fraktion verlassen müssen und gegebenenfalls aus dem Parlament ausscheiden, steht der Partei für seinen Landtagssitz kein Nachrücker mehr zur Verfügung. Die ehemals 15 Personen umfassende NPD-Kandidaten-Liste zur sächsischen Landtagswahl 2004 war bereits mit dem Mandatsantritt von Peter Klose erschöpft.

[Dieser Artikel (Olaf Meyer/Albrecht Kolthoff) wurde am 18. Februar 2008 bei redok veröffentlicht.]

Chaoswochen bei sächsischer Polizei und Justiz

Mittweida/Chemnitz. Knapp vier Wochen nach der Aufsehen erregenden Bekanntgabe eines Neonazi-Überfalls auf eine 17-Jährige in Mittweida (Sachsen) haben Polizei und Staatsanwaltschaft Chemnitz heute den Rückwärtsgang eingelegt. Bisher war von vier Tätern die Rede gewesen, die der jungen Frau ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt haben sollen. Nun wird sogar gegen die junge Frau wegen Vortäuschens einer Straftat ermittelt.

Der Vorfall war am 23. November von Polizei und Staatsanwaltschaft als sichere Tatsache vermeldet worden. Insbesondere zwei Angaben der Behörden ließen kaum Zweifel an den mitgeteilten Vorgängen: Ein sechsjähriges Kind, das von den Neonazis bedrängt worden sei, habe den Hergang bestätigt, darüber hinaus hätten Rechtsmediziner ausgeschlossen, dass sich die junge Frau die Verletzung selbst zufügte.

Offenbar stimmte jedoch gerade an diesen beiden Angaben nicht viel. Heute gab die Chemnitzer Staatsanwaltschaft der Geschichte eine Kehrtwendung: Demnach hat die Mutter des sechsjährigen Kindes später nach der ersten behördlichen Bekanntmachung erklärt, ihr Kind könne gar nichts bestätigen, weil es zum Zeitpunkt des angeblichen Vorfalls gar nicht in Mittweida gewesen sei. Ob die 17-Jährige vielleicht einem anderen Kind zu Hilfe gekommen war, bleibt offen: Jedenfalls haben die Ermittler kein Kind finden können, das tatsächlich die Angaben bestätigen könnte.

Eine weitere Umkehrung der bisherigen Aussagen präsentierte die Staatsanwaltschaft mit zwei rechtsmedizinischen Gutachten, die inzwischen vorlägen. Hatte es anfangs noch geheißen, eine Selbstverletzung der jungen Frau könne rechtsmedizinisch ausgeschlossen werden, so wird sie jetzt “zumindest nicht ausgeschlossen“.

“Übermittlungsfehler“ und “Suggestivfragen“

Wie es zu den Falschmeldungen kam, versuchte heute Oberstaatsanwalt Bernd Vogel gegenüber Spiegel online zu erklären. Am 23. November habe schließlich keines der rechtsmedizinischen Gutachten vorgelegen, und die Mitteilung von einem “Rechtsmediziner“, der eine Selbstverletzung ausgeschlossen habe, sei “offensichtlich ein Übermittlungsfehler“ gewesen.

Die als sichere Bestätigung bekannt gegebene Aussage des sechsjährigen Kindes sei möglicherweise auf “Suggestivfragen“ zurückzuführen, auf die das Kind “entsprechend geantwortet“ habe, obwohl bei der Befragung eine Psychologin anwesend war.

Um das verwirrende Hin und Her vollends ausgewogen zu gestalten, erklärte Oberstaatsanwalt Vogel, dass trotz der neuen Erkenntnisse auch weiterhin ein Neonazi-Überfall denkbar sei. Und so ermittelt die Staatsanwaltschaft ab jetzt in zwei Richtungen: Einerseits wird gegen die 17-Jährige wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Straftat ermittelt, andererseits laufen auch die Ermittlungen gegen die vermeintlichen Täter weiter.

Ermittlung wegen schlechten Bildes der “Bevölkerung“?

Gegen die 17-Jährige wird nach Angabe der Staatsanwaltschaft auch deshalb ermittelt, weil der wohl falsche Eindruck entstanden sei, dass Teile der Mittweidaer Bevölkerung nicht über genügend Zivilcourage verfügten. Die Strafverfolger sprachen in dem Zusammenhang von einem “Gebot der Fairness“. Trotz der Auslobung einer Belohnung von 5.000 Euro hatten sich keine Zeugen gemeldet, die den Vorfall bestätigen hätten können; das Ausbleiben solcher Aussagen war vielfach als “mangelnde Zivilcourage“ angeprangert worden.

“In Misskredit“ sei die Stadt Mittweida durch den Fall geraten, sorgte sich heute der neue Beauftragte des Bürgermeisters für Extremismusbekämpfung, Udo Göckeritz. Bürgermeister Matthias Damm (CDU), der mehr als 100 Briefe an Anwohner mit der Bitte um Aussagen verschickt hatte, zeigte sich heute einerseits erleichtert: “Wir sind aber – wie oft dargestellt – keine Nazi-Stadt“, blieb aber dabei, dass die Stadt “ein Rechtsextremismus-Problem“ habe.

(“Abends in Mittweida“: Straßenszene mit Rechtsextremismus-Problem – Foto: medienschlampen.com)

Tatsächlich hatten in der Region um Mittweida seit 2006 rechtsextreme Übergriffe massiv zugenommen, vor allem durch die Aktivitäten der Neonazi-Kameradschaft Sturm 34. Die Truppe wurde zwar vom sächsischen Innenminister im April dieses Jahres verboten, doch auch nach dem Verbot kam es weiter zu einschlägigen Auftritten und Gewalttaten aus dem Dunstkreis der verbotenen Gruppe.

Justiz: Bilanzen und Pleiten

Doch die Justiz tut sich bislang schwer mit der Bearbeitung des Sturm 34. Ende November hatte das sächsische Justizministerium noch eine positiv gestimmte Zwischenbilanz veröffentlicht, doch diese konnte die Serie der Pleiten und Pannen bei der praktischen Rechtsprechung nicht verdecken. Erst gestern musste ein leitender Staatsschutz-Polizist in einer Gerichtsverhandlung in Chemnitz einräumen, dass ein Tatverdächtiger eineinhalb Jahre lang nicht als Beschuldigter, sondern lediglich als Zeuge geführt worden war.

Dazu kam noch ein peinliches Hin- und Hergeschiebe von drei Anklagepunkten im Prozess gegen Tom Woost, der als Anführer des Sturm 34 gilt. Das Amtsgericht Chemnitz hatte diese Anklagepunkte, bei denen es um Überfälle auf einen Studenten aus Kamerun und das Café Courage in Döbeln geht, vom laufenden Prozess abgetrennt und – zuständigkeitshalber – an die Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden verwiesen. Doch dort sah man sich ebenfalls nicht zuständig und schickte die Anklagen zurück. Das Oberlandesgericht Dresden musste heute über den Verbleib der Strafsachen entscheiden: Nun ist wieder das Amtsgericht Chemnitz am Zuge. Dort wird nun also über Strafen für den mutmaßlichen Sturm 34-Anführer entschieden – und vielleicht auch über eine 17-Jährige, die der Stadt zu zweifelhafter Bekanntheit verholfen hat, indem sie möglicherweise einen Vorfall erfunden hat, dessen Hintergründe jedoch alles andere als fantasiert sind.

[Dieser Artikel (Albrecht Kolthoff/Olaf Meyer) wurde am 18. Dezember 2007 bei redok veröffentlicht.]

“Sturm 34“ verboten

Mittweida/Dresden. Das sächsische Innenministerium hat heute die rechtsextreme Kameradschaft Sturm 34 verboten. In den Morgenstunden durchsuchten rund 200 Beamte in West-Sachsen Räumlichkeiten von mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe. Ermittelt wird gegen den Sturm 34 aus dem Raum Mittweida bereits seit fast einem Jahr.

Bei der heutigen Großrazzia in Wohnungen mutmaßlicher Sturm 34-Mitglieder in den Landkreisen Mittweida, Chemnitzer Land und Stollberg sind laut dem sächsischen Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) Schreckschusswaffen, Würgehölzer, Helme, Masken, Hakenkreuzfahnen, rechtsextremistisches Propagandamaterial und Computer sichergestellt worden.

Der Sturm 34 wurde nach dem Vereinsrecht als kriminelle Vereinigung verboten. Buttolo sagte, die Gruppe habe eine klare Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus und verfolge rassistische Ziele. Seit der Gründung im März 2006 bestehe das Ziel des Sturm 34 darin, die Region Mittweida von politisch Andersdenkenden und Ausländern zu “befreien“ und zur “National befreiten Zone“ zu machen.

Die Gesinnung komme schon durch die Namenswahl der Gruppe zum Ausdruck. Während der Herrschaft des Nationalsozialismus habe es im Raum Chemnitz eine SA-Brigade gleichen Namens gegeben. Bereits 2005 sei die Gruppe mit Straftaten in Erscheinung getreten, offiziell gegründet wurde sie im März 2006. Der Verfassungsschutz des Landes sieht Parallelen zu den Skinheads Sächsische Schweiz, die im April 2001 verboten wurden. Bei beiden Gruppen seien klare, hierarchische Strukturen mit Führungspersonen aus der Region erkennbar.

Gegen einzelne Mitglieder des Sturm 34 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruchs, Volksverhetzung und Körperverletzung.

In den letzten Wochen hatten sich rechtsextrem motivierte Übergriffe im Raum Mittweida gehäuft. Laut Innenministerium hat die Kameradschaft in den vergangenen Monaten mehrfach Döner-Imbisse überfallen und ausländische Studenten angegriffen. Nach Angaben der sächsischen Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linkspartei.PDS) hatte es seit Jahresbeginn mehr als 50 nachgewiesene Übergriffe durch Neonazis im Kreis Mittweida gegeben. Nach einem erneuten rechtsextremistischen Übergriff vor einer Woche in Mittweida wurden sechs Tatverdächtige vorübergehend festgenommen. Gegen einen mutmaßlichen Rädelsführer erging am 23. April Haftbefehl.

Bereits vor neun Monaten hatte es eine groß angelegte Razzia gegen den Sturm 34 gegeben. Vor einem Monat wurden die Ermittlungen gegen 26 Verdächtige im Alter von 17 bis 48 Jahren abgeschlossen. Die Verbotsverfügung wurde heute 24 Personen zugestellt, die laut Innenminister zum harten Kern der Gruppierung zählen. Zum Sturm 34 zählte ein engerer Kreis von etwa 40 bis 50 Personen und rund hundert Sympathisanten aus allen sozialen Schichten; ein Drittel davon sollen Frauen sein. Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl der rechtsextremen Kameradschaften in Sachsen auf etwa 20 bis 30, die auch mit der NPD zusammenarbeiteten. Laut Innenminister Buttolo wird derzeit geprüft, ob es Verbindungen zur rechtsextremen NPD gibt.

Nach Angaben des sächsischen Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen) diente ein Haus des Immobilienhändlers Rudolf Schlotter als Treffpunkt von Sturm 34. Bei dem aus Bayern stammenden Schlotter soll es sich laut der Sächsischen Zeitung vom 21. Juli 2007 um den früheren NPD-Chef Mittweidas handeln.

[Dieser Artikel (Olaf Meyer/Albrecht Kolthoff) wurde am 26. April 2007 bei redok veröffentlicht.]

Festnahmen nach SSS-Razzia

Dresden. Bei einer Razzia wurden gestern Abend in Sachsen zahlreiche Objekte durchsucht und drei mutmaßliche Führungskader der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) festgenommen. Sie sind verdächtig, trotz des Verbots die Aktivitäten der Neonazi-Gruppe weitergeführt zu haben. Die Festgenommenen hatten nach dem SSS-Verbot im April 2001 Funktionärsposten in der NPD übernommen.

Bei den inhaftierten Neonazis handelt es sich um Thomas Sattelberg, Thomas Rackow und Martin Schaffrath. Die drei gehörten der als “kriminelle Vereinigung“ verbotenen SSS an, Sattelberg und Rackow sind unter anderem bereits wegen SSS-Mitgliedschaft vorbestraft.

Am gestrigen Abend hatten Beamte der Staatsanwaltschaft Dresden und des Landeskriminalamtes eine Reihe von Wohnungen sowie die “Mühle am Brausenstein“ in Rosenthal-Bielatal durchsucht, wo Neonazis der Region bereits seit einiger Zeit einen Treffpunkt aufbauen. Dabei wurden die drei Aktivisten festgenommen. Für Sattelberg und Rackow will die Staatsanwaltschaft nun die Bewährung für ihre Haftstrafen widerrufen lassen, gegen Schaffrath wurde Haftbefehl erlassen.

Die sächsische NPD reagierte mit schwerem Geschütz auf die Festnahmen: der Fraktionsvorsitzende Holger Apfel forderte gar vom Justizminister die Entlassung des Dresdner Oberstaatsanwalts Jürgen Schär. Nach NPD-Darstellung hatten die Jungen Nationaldemokraten (JN) in der “Mühle am Brausenstein“ ein “Aktivisten- und Interessententreffen“ mit etwa 40 Teilnehmern durchgeführt, die alle vorläufig festgenommen worden seien.

Bei zahlreichen der Festgenommen seien anschließend Hausdurchsuchungen vorgenommen worden. Bei den Festgenommenen seien auch zwei persönliche Referenten des NPD-Abgeordneten Johannes Müller gewesen. Bei einem dieser beiden Referenten, der auch als ehrenamtlicher Schatzmeister der sächsischen NPD fungiere, sei im Zuge der Hausdurchsuchung “sämtliche Computertechnik beschlagnahmt“ worden.

Auf einer parteiunabhängigen Neonazi-Webseite hieß es zu der Razzia, bei der Veranstaltung habe Thomas Sattelberg einen Vortrag zum Thema “Entwicklung der nationalen Bewegung“ gehalten. 100 Polizisten und ein Staatsanwalt hätten den Veranstaltungsort “gestürmt“ und den Anwesenden “den Straftatbestand des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz“ vorgehalten. Bei 25 Neonazis seien anschließend Hausdurchsuchungen durchgeführt worden.

In einer Reihe von Prozessen waren im Laufe der letzten Jahre Dutzende SSS-Mitglieder verurteilt worden. Die SSS war in den vergangenen Jahren offenbar trotz Verbot aktiv geblieben. Sattelberg war bereits im August 2006 wegen Fortführung der Gruppe zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Gegen einen weiteren SSS-Kader war im Dezember 2006 Anklage erhoben worden.

Neonazis machen Mühle des “Präsidenten“ flott

Die “Mühle am Brausenstein“ war in den vergangenen Wochen als Neonazi-Treff in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Seit Ende des vergangenen Jahres hatten Neonazi-Trupps aus dem Umfeld der verbotenen SSS und der NPD das alte Gemäuer im kleinen Ort Bielatal (1.800 Einwohner) nahe der tschechischen Grenze wieder auf Vordermann gebracht. “Der Eigentümer hat uns gebeten, beim Aufräumen zu helfen“, gab sich Thomas Rackow im Januar gegenüber der Sächsischen Zeitung unschuldig; die Aufräumarbeiten liefen mehr unter Privat- als Parteiinitiative, so Rackow.

Der Eigentümer ist in der braunen Szene nicht ganz unbekannt. Der 69-jährige Heino Janßen stammt aus dem niedersächsischen Zetel (bei Wilhelmshaven); die alte Wassermühle, zu DDR-Zeiten als Ferienheim genutzt, hatte er Anfang der 1990er Jahre von der Treuhand gekauft. Janßen agiert im Umfeld der von Horst Mahler inspirierten “Reichsbürgerbewegung“ und betreibt eine eigene Webseite unter dem großspurigen Titel “Zentralrat der Deutschen“ (ZD). Diesen “Zentralrat“ sieht Janßen als “einzige legitime Rechtsorganisation des fortbestehenden Deutschen Reiches mit seinem Staatsvolk“; seine wirren Schreiben etwa an den “BRD-Präsidenten“ unterzeichnet er mit “Präsident des ZD“.

Diesem “Präsidenten“ beim Aufräumen seiner heruntergekommenen Liegenschaft zu helfen, war freilich nicht der edle Zweck des Neonazi-Engagements. Das Objekt zu einem neuen Treffpunkt der Szene auszubauen, sei gut vorstellbar, sagte Thomas Rackow der Sächsischen Zeitung im Januar. Eigentümer Janßen wurde von dem Blatt zitiert: “Ein Vereinshaus soll es werden, jedoch kein öffentliches Haus, wie es einmal eines war“.

Die Nazi-Aktivitäten in der Mühle alarmierten Kommunalvertreter und Behörden. Einen “abgestimmten Maßnahmeplan“ kündigte der Bürgermeister Bernd Gottschald an, um einen braunen Szenetreff zu verhindern.

Bald darauf klangen die Neonazis zahmer. In einem an alle Haushalte des Ortes verteilten Handzettel “Blickpunkt Sächsische Schweiz“ sprach eine Interessengemeinschaft “Mühle Brausenstein“ von einem Mühlenmuseum. Kein NPD-Schulungszentrum, sondern ein offener Jugendtreff solle dort entstehen. Im Impressum des “Blickpunkt“-Blattes steht der NPD-Landtagsabgeordnete Johannes Müller, unterzeichnet war das Schreiben an die Bürger von Martin Schaffrath.

Dieser Schaffrath ist jedoch in Bielatal nicht unbekannt. Im Jahr 2003 sei er persönlich an einem Überfall auf den örtlichen Jugendklub beteiligt gewesen, schrieb Bürgermeister Gottschald im Rosenthal-Bielataler Dorfblatt. Ein Hohn sei seine nun demonstrierte Offenheit.

Drei SSS-Kader und NPD-Funktionäre

Thomas Sattelberg gilt als Anführer der SSS. Im Mai 2003 war er zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Im August 2006 stand er erneut vor Gericht: wegen Fortführung der verbotenen SSS bekam er eine Haftstrafe von acht Monaten.

Der gelernte Sozialpädagoge Sattelberg ist mittlerweile – wie sein politischer Ziehvater, der verstorbene Uwe Leichsenring – als Fahrlehrer tätig. Bei der NPD stieg er zu Vorstandsposten auf: Im September 2006 wurde er in den Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten (JN) gewählt. Zuständig ist er dort für das Referat “Politische Strategien“.

Thomas Rackow erhielt 2003 eine Jugendstrafe von zwei Jahren. Nach dem Verbot der SSS betrieb er die Neonazi-Internetseite “Heimatschutznetzwerk“, daneben betreute er auch noch die Webseiten der NPD Sächsische Schweiz. Bei einer Polizeirazzia wegen des Verdachtes der Weiterführung der SSS wurde im Dezember 2004 sein Computer beschlagnahmt. Schon einen Tag später konnte er vertrauten Kameraden verkünden: “Habe wieder nen Rechner, diesmal von nem MdL“ (Mitglied des Landtags). Welches NPD-Landtagsmitglied ihm einen neuen Rechner besorgt und damit die Weiterführung der verbotenen Gruppe unterstützt hatte, blieb offen; Kenner der Szene vermuteten Uwe Leichsenring als Computer-Lieferant.

Wie viele andere SSS-Mitglieder stieg Rackow in der NPD auf. Im April 2005 wurde er Kreisverbands-Vorsitzender der JN in Pirna, im Februar 2006 wurde er in den NPD-Kreisvorstand Sächsische Schweiz gewählt. Mittlerweile ist er stellvertretender JN-Landesvorsitzender und persönlicher Referent des NPD-Landtagsabgeordneten und Fraktionsgeschäftsführers Johannes Müller.

Laut Einschätzung der Dresdner Staatsanwaltschaft ist Martin Schaffrath, der einige Jahre jünger als seine Kumpane ist (Jahrgang 1982) und bisher noch nicht wegen SSS-Mitgliedschaft verurteilt wurde, als neuer führender Kopf der Gruppe anzusehen. Er betreibt in Pirna das Ladengeschäft “CrimeStore“, das im Dezember 2006 wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs Ziel einer Hausdurchsuchung durch die Polizei war. Seit kurzem ist er JN-Kreisvorsitzender Sächsische Schweiz.

[Dieser Artikel (Albrecht Kolthoff/Olaf Meyer) wurde am 5. April 2007 bei redok veröffentlicht.]