Archiv der Kategorie: FoundPieces

MedienScreen # 233 [German History X. Helau?]

[Fundstück] Alexander Osang, “Balagan“, DER SPIEGEL, 16. November 2019 –

(…) In ein paar Jahren wird der Mauerfall so etwas wie Halloween sein. Mit den Blättern fällt die Mauer. Kinder ziehen sich lustige Jeansanzüge an und gehen als Ostdeutsche auf Süßigkeitenjagd. Wie hieß der erste Staatsratsvorsitzende der DDR? Heinz Rühmann? Fritz Haarmann? Adolf Hitler? Nicht ganz. Kriegst trotzdem ein Snickers, du kleines Mauerkind, du. Irgendwann wird alle Geschichte zum Denkmal oder zum Musical (…)

MedienScreen # 232 [The Modern Football is at the end. Anyway?]

[Fundstück] Klaus Hansen, “Abnehmende Begeisterung“, konkret, 9/2019 –

(…) Der Berufsfußball entfremdet sich gleich in mehrfacher Weise von den Massen, auf deren gute Stimmung im Stadion er aber angewiesen ist, denn die gehört zum teuer verkauften Fernsehbild unbedingt dazu. Dass die Stadiongänger für ihre Dienstleistung als Stimmungskomparsen auch noch Eintritt zahlen müssen, ist ein Hohn. Klar, dass immer mehr Fans sich wie nützliche Idioten fühlen (…)

(…) Der Fußball wird so lange zerredet, bis alles, was sich vermeintlich sagen lässt, auch alle gesagt haben, und das mehrfach (…)

(…) Obwohl Max Liebermann, der Malerfürst, den Spruch “Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“ in ganz anderem Zusammenhang gesagt hat, geht es mir im Hinblick auf den modernen Berufsfußball ähnlich.

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MedienScreen # 231 [Yellow Madness]

Es begab sich am Abend des 30. Oktober anno 2019 …

(Screenshot: O.M.)

[Fundstück] Uwe Leuthold, “So war die Dynamo-Invasion in Berlin – Mit 30.000 zur Paartherapie“ [Ein Erlebnisbericht @ 11freunde.de, 31. Oktober 2019]

(…) 30.000 Dresdner in der Hauptstadt. Beim letzten Mal, als so viele Sachsen auf einen Schlag nach Berlin gefahren sind, gab es Begrüßungsgeld.

30 Jahre später bewegt sich wieder eine ausgewachsene Völkerwanderung Richtung Hauptstadt. Ziel ist diesmal das Olympiastadion. Der Grund: DFB-Pokal, 2. Runde –Hertha BSC gegen Dynamo Dresden (…)

Endlich können wir mal wieder auf großer Fußballbühne, auf die wir qua Selbstverständnis ohnehin gehören, zeigen, was in uns steckt. Zeigen, dass uns als Fanszene keiner so leicht das Wasser reichen kann (…)

(…) Das Olympiastadion ist voll und genau in der Mitte geteilt, eine Hälfte blau-weiß, die andere schwarz-gelb. Und letztere, also wir, legen los. “Yellow Madness“ lautet das Motto des Abends. Und es wirklich Wahnsinn (…)

(…) später applaudieren die 30.000 ihren Helden und feiern sie minutenlang. Das war eine gelungene Therapie. Auch wenn’s für beide anstrengend war und sich jetzt erst einmal sehr leer anfühlt. Ich glaube, wir versuchen es weiter miteinander.

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Mit Dank & Gruß an den Spuckelch, im Original auf spuckelch.de augenscheinlich – leider – schon seit längerer Zeit wie bissel offline.

MedienScreen # 230 [Döner Heroes]

[Fundstück] Ferda Ataman, “Donnerstag muss Dönerstag werden“, SPIEGEL ONLINE, 17. Oktober 2019 –

(…) Dönerbetreiber sind wirklich mutige Menschen. Egal wie abgelegen das Dorf ist, egal wie viele Glatzen rummarschieren, immer findet sich ein tapferer Dönerci, der sich vor Ort niederlässt. National befreite Zone? Ideal für den Dönerabsatz! Deutschland ist flächendeckend von Kebapbuden besiedelt und wäre ohne sie aufgeschmissen. In vielen Gegenden sind sie die einzigen Läden, die nachts noch offen haben und das Volk versorgen. Nichtnüchterne, nichtpazifistische Kunden gehören dabei leider zum Alltag (…)

(…) auch ohne amtliche Statistik wissen anatolische Imbissbetreiber um die Gefahr ihrer Arbeit. Woher nehmen sie bloß den Mut, in abgelegenen Orten Kebap zu verkaufen?

Vermutlich verlassen sie sich auf einen unausgesprochenen Kodex zwischen Döner-Dealern und Neonazis: Letztere hassen zwar Türken, lieben aber – wie alle Deutschen – Döner. Sie wissen: Wer Kebap will, muss McMustafa am Leben lassen. Das Dilemma am Nazi-Döner-Kodex ist, dass sich viele Möchtegern-Arier für ihren Verrat schämen, während sie die orientalische Verführung schlemmen. Weil sie insgeheim fürchten, dass der Imbissbetreiber ein Vorbote der Umvolkung ist: Erst kommt einer, der Fleisch vom Spieß säbelt, dann kommen Tausende mit Säbeln und rücken nicht nur der Bratwurst auf die Pelle.

So gesehen ist der Döner ein Lackmustest der deutschen Demokratie. Wer ihn isst, ohne sich zu schämen oder um sich zu ballern, ist angekommen in der Moderne (…)

(…) Wer aber in eine Dönerbude stürmt, um Kanaken zu terrorisieren, hat eine Sache nicht kapiert: Da sitzen meist gar keine Anatolier. Da essen Deutsche (…)

“Döner Kebap“ ist türkisch und heißt so viel wie “drehender Spießbraten“. So wie wir ihn kennen – mit Grünzeug, Kraut und rotweißen Soßen – wurde er in den Siebzigerjahren in Berlin erfunden. Echte Türken essen den Spießbraten ganz anders. Döner ist also ein deutsches Nationalgericht. In Anbetracht des enormen Kebapkonsums (…) kann man sogar sagen: Er ist ein Stück deutsche Leitkultur (…)

Damit Döneressen künftig nicht zur Mutprobe wird, schlage ich Folgendes vor: Bis die Bundesregierung einen umfassenden Masterplan gegen Rechtsextremismus vorlegt, könnten wir einen neuen Protest-Tag in der Woche einführen. Da Montag und Freitag schon vergeben sind, plädiere ich für Donnerstag, den Dönerstag für Diversität. Einmal die Woche sollen alle Menschen, die für eine offene Gesellschaft sind, symbolisch einen Döner essen. Wer auf Fleisch verzichtet, nimmt Dürüm mit Feta oder gebratenes Gemüse. Natürlich gelten auch Falafel, Schawarma und Gyros. Es geht ja ums Symbol.

MedienScreen # 229 [Only Halle/Saale?]

[Fundstück] Jens-Uwe Sommerschuh, “Die Saat der Gewalt – Ein Mensch tötet aus Hass. Dieser Hass wird derzeit von manchen bewusst geschürt“, Sächsische Zeitung (Print-Ausgabe), 12. Oktober 2019 –

Sagt dieser Tage jemand “Halle“, wissen alle Bescheid (…)

(…) Die Rede ist von der Wirklichkeit, von eiskaltem Mord auf offener Straße, von realen Untaten am hellerlichten Tage in einer deutschen Großstadt, von einem gezielt vorgehenden Neonazi, einem Mörder. Die beiden Menschen, die er getötet hat und an deren Stelle jeder von uns hätte sein können, waren für ihn Beiwerk. Sie kamen am Rande eines geplanten Massenmordes um, der nur durch Zufall ausblieb (…)

Hier gelangen wir zum Kern des Ungeheuerlichen. Ein eher unauffälliger 27-Jähriger, im vereinten Deutschland geboren, hat sich mit einem ganzen Arsenal auf den Weg gemacht, um Juden umzubringen. Er hat dabei, als wäre er auf einer Mission, durch und durch fanatische Dinge von sich gegeben (…)

(…) Er hat Worte verwendet, die seit Monaten immer wieder zu hören sind. Die Formulierungen wechseln, der zynische Geist ist derselbe (…)

(…) Bei [Lutz] Bachmann kommt das besonders primitiv daher, aber er steht damit nicht allein. Auch Leute vom “Flügel“ der AfD verwenden bewusst Begriffe, mit denen sie bestimmte Menschen zur Zielscheibe machen. Und sie docken gern an nationalsozialistische Metaphern an. Wenn Björn Höcke sagt: “Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss, heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, liebe Freunde, meine hier, wir entscheiden uns in dieser Frage: Wolf“, weiß er wohl, was Goebbels geschrieben hat: “Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!“

Keiner dieser Redner hat in Halle einen Schuss abgegeben. Aber an dem Hass und der tödlichen Menschenverachtung, die sich dort offenbart haben, wirken sie mit. Tag für Tag (…)