Archiv der Kategorie: Hooltras

Datei “Gewalttäter Sport“ light?

In der Verbunddatei “Gewalttäter und Sport“, der so genannten “Hooligan-Datei“, waren Ende des Jahres 2008 knapp 10.000 Personen erfasst. Im Mai 2010 betrug das Volumen bereits zirka 11.000 Einträge. Zu Jahresbeginn 2011 kursierte dann die Information, zitiert aus einer am 15. November 2010 publizierten Erhebung des Bundeskriminalamts (BKA), dass in besagter Datensammlung bundesweit 16.799 Datensätze über insgesamt 12.800 Menschen gespeichert seien.

13.032 Personen in Deutschland sind in der Datei “Gewalttäter Sport“ des Bundeskriminalamts erfasst. Sie gelten damit als potentiell gefährlich. (’Zahl der Woche’ in: DER SPIEGEL, 26. März 2012)

Mit Stichtag 30. April 2013 waren letztendlich – so jedenfalls offiziell dargestellt – Informationen über 13.033 Persönlichkeiten in der Verbunddatei “Gewalttäter Sport“ abgespeichert.

“… Die Datei ist vor zwanzig Jahren von den Bundesländern eingerichtet worden und gilt ein scharfes Schwert. Denn dort werden nicht nur Täter eingetragen, die eine oder mehrere aus einem Katalog von insgesamt 16 Straftaten – von Gewalt gegen andere über Verstöße gegen das Versammlungsrecht bis zur Volksverhetzung und Beleidigung – begangen haben sollen. Auch kann sich derjenige dort wiederfinden, von dem die Polizei ’aufgrund bestimmter Tatsachen’ auch nur annimmt, dass er künftig an Straftaten in Zusammenhang mit Fußball beteiligt sein könnte …“ (derwesten.de, 12. Oktober 2015).

Wie heise.de berichtete, hat nunmehr die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen “einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit der die … angebliche Stigmatisierung von Fußballfans beendet werden soll“.

“… Die Grünen wollen, dass die Löschfristen in der Datei ’Gewalttäter Sport’ von 5 Jahren auf 12 Monate bei Erwachsenen und einem halben Jahr bei Jugendlichen reduziert werden. Personen dürften zudem nur noch ’bei einem konkreten Anfangsverdacht’ eingetragen werden, wenn bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren laufe. Betroffene müssten zudem grundsätzlich über Einträge informiert werden; sie sollen widersprechen können.

Auch lehnen die Grünen die Praxis ab, dass Polizeidienststellen personenbezogene Daten ohne Wissen der Betroffenen an Fußballvereine weitergeben …“ (heise.de, 8. Oktober 2015).

Die aktuelle Botschaft der BündnisGrünen ist wohlfein vernehmbar. Allerdings steht unter anderem seit fast vier Jahren schon mehr als deutlich am Raum, dass allein schon derjenige, “wessen Personalien … einmal im Rahmen der ’Gefahrenabwehr’ kontrolliert worden sind, Eingang in die Datei ’Gewalttäter Sport’ [findet] und sich strafrechtlicher und zivilrechtlicher Anfeindung ausgesetzt [sieht]“ – “Schlimmer geht es nimmer! Dieses System lässt jedem Datenschützer die Haare zu Berge stehen!“ (anwalt.de, 29. Februar 2012).

Nicht zuletzt wurde im April 2010 durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe eine fehlende rechtliche Grundlage der Dateisammlung “Gewalttäter Sport“ festgestellt. Darüber hinaus bezeichnete bereits im Dezember 2008 das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg schon die Einrichtung der Verbunddatei als illegal, da das Informationssystem auf keiner klaren Rechtsgrundlage beruht habe.

Im Juni 2010 stimmte dann der Bundesrat dem Entwurf für eine Verordnung des Bundesinnenministeriums zu, mit dem die Datensammlung “Gewalttäter Sport“ nebst vielen anderen Warndateien des BKA auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden sollte. “Eine Beratung der neuen Rechtsverordnung auch im Bundestag hielt das Innenministerium nicht für nötig“ (heise.de, 4. Juni 2010).

Die Sicherheitsbehörden hätten offenbar aufgrund des rasanten Anwachsens der “Hooligan-Datei“ den Überblick über deren Bestand verloren, bemerkt wiederum die Bundestagsfraktion der BündnisGrünen nun im Oktober 2015. Mit einer politischen Löschfrist von wie vielen Jahren?

Blickfang Ultra: Saison 2014/15 im Schwanengesang

Wie nähert man sich einem sterbenden Schwan? Wobei ’sterbend’ so richtig nun vielleicht auch wieder nicht ist, ’Schwan’ aber schon, irgendwie. Aber der Reihe nach.

Ein kleines Jubiläum. Der fünfte Saisonrückblick von Blickfang Ultra (BFU). Drittmalig präsentiert im A4-Format. Wie gewohnt hervorragend layoutet und in bester Print-Qualität.

Im Heft vertreten sind 30 Ultra-Gruppierungen, die in bekannter Art und Weise – quantitativ und auch qualitativ durchaus unterschiedlich – aus ihrer Sicht die Saison 2014/15 Revue passieren lassen. Zudem werden im Mittelteil der Publikation eine saisonale TOP 140-Zuschauertabelle sowie ein monatlich gegliederter Jahresrückblick dargestellt. Am Ende des Heftes dokumentiert sind gleichfalls auch das Zaunfahnen-Ranking 2015 sowie die bezügliche “Ewige Tabelle“. Last but not least erfolgt ein kleiner Szeneseitenblick in die Schweiz.

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Aber irgend etwas scheint anders. Die Gruppen-Beteiligung hat sich von vorjährlich noch 47 auf nunmehr 30 dezimiert. Wobei der Osten der Bundesrepublik – im Vergleich von letztsaisonal zehn – aktuell noch mit sieben Wort- und Bildbeiträgen vertreten ist.

Irgend etwas schimmert. Seitens der Herausgeber wurde fast bei jeder Veröffentlichung der Saisonrückblicke die eher polemisch anmutende Frage in den Raum gestellt, “ob es zukünftig überhaupt noch Sinn macht, das Projekt auch im kommenden Sommer zu stemmen“.

Und irgend etwas ist anders. “Einige wird es vielleicht traurig stimmen, andere gar nachdenklich und anderen wird es schlichtweg egal sein, aber das vor euch liegende Pamphlet wird mit großer Wahrscheinlichkeit das letzte seiner Baureihe sein“ (Mirko Otto, “Salut!“ im Heft).

“Wenn ein Schwan stirbt …“ – Der einen oder dem anderen mag diese Textzeile aus einem Klassiker von Karat im Ohr sein.

Vielleicht wäre es für die zuweilen nur noch selbstverliebte Old- und Next-Generation der Ultras an der Zeit, einmal kurz zu schweigen. Und szeneübergreifend die Sonnenbrillen abzusetzen sowie zumindest symbolisch das Basecup zu lüften.

Erschienen ist der bislang letzte Blickfang Ultra Saisonrückblick bereits vor gut einem Monat, gleichwohl für 7,90 Euro bei einem Händler des eigenen Vertrauens nach wie vor erhältlich. Vermutlich wird dereinst auf gewissen Plattformen der Preis für ein “weltweit aktuell kein ähnliches Projekt auf Papier“ (Mirko Otto) das Vielfache betragen, alle anderen BFU-Rückblicke inbegriffen.

Erst wenn etwas nicht mehr da ist, wird mitunter bewusst, was fehlt. Aber das wäre dann schon wieder eine andere Geschichte.

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Faust des Ostens: Zählappell – Rechtsextreme Hooligans in Sachsen

Beinahe wäre so ein kleiner ’Zählappell’ hinsichtlich der Faust des Ostens weniger oder mehr rechts liegen gelassen worden. Unbedingt öffentlich wurde bislang eine solche Zahlenspielerei nun aber auch nicht unbedingt betrieben. Wobei Zahlenspielerei gewiss nicht der richtige Terminus ist. So viele sind es nämlich gar nicht. Also, Zahlen. Und mittlerweile bei der Faust des Ostens. Scheint es.

Im Mai 2013 laufen Ermittlungen gegen mehr als 100 Beschuldigte der Faust des Ostens. Zitierte damals die Sächsische Zeitung Oberstaatsanwalt Jürgen Schär. Mitte Februar 2015 hat die Faust des Ostens dann etwa 40 Mitglieder. So die zu diesem Zeitpunkt von DPA zitierten Angaben von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Die Herren sowie beide Behörden sind sich arbeitsintensiv durchaus vertraut, ist zu vermuten, und nicht erst seit gestern.

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(Dresden, Februar 2011 – Foto: O.M.)

Im Zusammenhang der 2015’er Februar-Antwort des Innenministers (Vorgangs-Nummer 6/579) auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (DIE LINKE) legt Markus Ulbig etwa 160 Rechtsextremisten in der gewaltbereiten Fußballfanszene in Sachsen zugrunde. Aus dem Fanumfeld vom 1. FC Lok Leipzig wird die Gruppierung Scenario Lok als rechtsextremistisch eingestuft. Der Gruppe, die im Oktober vergangenen Jahres ihre Auflösung bekannt gegeben habe, seien etwa 70 Mitglieder zugerechnet worden. Im Umfeld des Chemnitzer FC gibt es mit der New Society und Kaotic Chemnitz zwei rechtsextreme Fangruppen mit zusammen etwa 50 Mitgliedern. Ja, und die Faust des Ostens aus der Peripherie von Dynamo Dresden eben noch.

(…) Die getroffenen Aussagen stießen beim Chemnitzer FC auf Unverständnis (…) wurde die “New Society“ vor drei Jahren hinsichtlich ihrer Symbolik vom Verein verboten. Gegen damalige Führungskräfte sind entsprechende Stadionverbote verhängt worden (…) [cfc-fanpage.de, 19. September 2012]

Wie schnell doch so ein gebrauchtes Jahr vergeht. Oder zwei. Oder drei.

MedienScreen # 42 [Rechtsextremismus, Heidenau, Faust des Ostens]

[Fundstück] “Die Luntenleger“, DER SPIEGEL, 29. August 2015 –

(…) Offiziell haben sich die Sicherheitsbehörden festgelegt. Keinen extremistischen Masterplan sehen die Verfassungsschützer von Bund und Ländern. “Keine Rückschlüsse auf bundesweit vernetzte oder gesteuerte Aktionen“ will das Bundesinnenministerium aus den Verbrechen der vergangenen Monate ziehen (…)

Tatsächlich mehren sich die Hinweise darauf, dass viele der rassistischen Straftaten kaltblütig geplant waren. “Anders als durch organisierte Strukturen lassen sich die Dauer und die Zahl der Übergriffe nicht erklären“, sagt Fabian Virchow, der Leiter des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus an der Hochschule Düsseldorf, über das gefährliche Spiel mit dem Feuer (…)

In Heidenau tauchten dann nach und nach braune Kleinstgruppen auf: ehemalige Skinheads, Aktivisten Freier Kameradschaften und Hooligans, etwa der Dynamo-Fanklub “Faust des Ostens“. Augenzeugen berichten, in den Krawalltagen habe im “Haus Montag“, einem Neonazitreff in Pirna, reger Betrieb geherrscht. In dem Gebäude befindet sich auch die Kreisgeschäftsstelle der NPD (…)

Die Aufwiegler und Einpeitscher dieser Tage aber finden sich längst nicht nur in der NPD und beileibe nicht nur in Ostdeutschland (…)

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(Heidenau, 21. August 2015 – Foto: YouTube.com)

 

Haben Lok-Fans auch Basler-Bonus verspielt?

In der Oberliga NOFV-Süd war es das dann für den bis dato nach wie vor noch aufstiegsambitionierten 1. FC Lok Leipzig. Relegation? Aufstieg in die Regionalliga? Nur bis dato eben. Geschichte, jedenfalls für diese Saison.

Am Nachmittag des heutigen Tages wurde im Erfurter Steigerwaldstadion die um Platz Drei in der Süd-Oberliga mitentscheidende Begegnung zwischen der Zweiten vom FC Rot-Weiß und Lok Leipzig letztendlich vorzeitig beendet. Leipziger Anhänger hatten in der 75. Minute – beim Stand von 2:0 – den Platz gestürmt.

“Nach dem Platzsturm hatte Schiedsrichter Ramus Jessen die Partie zunächst unterbrochen und beide Mannschaften in die Kabinen geschickt, die Polizei war mit einer Hundertschaft aufmarschiert und hatte sogar einen Wasserwerfer vor dem Leipziger Block positioniert. 20 Minuten später wurde das Spiel endgültig abgebrochen” (n-tv.de).

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(Screenshot – bild.de)

Abgesehen davon könnte aber die Loksche an diesem Sonntag auch noch etwas anderes eingebüßt haben – einen Leuchtturm, eine Leitfigur, ein unbestrittenes Idol aus alten Fußballtagen.

“So etwas, dass auch Verantwortliche und Spieler angegangen wurden, das habe ich so noch nie erlebt. Ich muss mir Gedanken machen, ob es in dieser Form noch Sinn für mich macht, hier weiter zu arbeiten”, wird der amtierende Lok-Sportdirektor Mario Basler fast unmittelbar nach den Erfurter Ereignissen von der Zeitung mit den vier großen Buchstaben zitiert.

Der 1. FC Lok hätte die Relegation zur Regionalliga erreichen können. Und hat hoffentlich nicht mehr als das verloren. Einen Mario Basler gibt es nur ein Mal.

[Dieser Artikel wurde am 14. Juni 2015 bei Ostfussball.com veröffentlicht.]